Schlacht am Naratsch-See

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Schlacht am Narotsch-See
Teil von: Erster Weltkrieg
Datum 18. März - Ende März 1916
Ort Naratsch-See (Weißrussland)
Ausgang Russische Niederlage
Konfliktparteien
Befehlshaber

Hermann von Eichhorn

Alexei Evert

Truppenstärke

X. Armee:
50.000 Mann
400 Geschütze

II. Armee:
350.000 Mann
1000 Geschütze

Die Schlacht am Narotsch-See im Frühjahr 1916 markierte einen Versuch des zaristischen Heeres, die Initiative an der Ostfront nach dem Großen Rückzug des Jahres 1915 zurückzugewinnen und eine erfolgreiche Offensive durchzuführen. Der Versuch scheiterte an der mangelhaften Führungsleistung der höheren Militärstellen und bereitete Russland eine weitere Niederlage.

Hintergrund

Das Jahr 1915 hatte sich als verhängnisvoll für das Zarenreich erwiesen. Nach den Niederlagen in Ostpreußen und bei Gorlice-Tarnów hatte man im Großen Rückzug fast ganz Polen aufgeben müssen. Zwar hatte man durch dieses Manöver eine weitere strategische Niederlage abgewendet, doch das Prestige der Armee in der Öffentlichkeit hatte enorm gelitten. Neben den militärischen Niederlagen war die Munitionskrise hauptursächlich für die Misserfolge. Durch Fehlplanungen waren die Geschossvorräte im Bereich der Artillerie unter das absolute Mindestmaß gefallen und den Generälen blieb nur noch der Ausweg, breite Frontabschnitte zu räumen. Russland war, wie alle Nationen, nur auf einen kurzen Krieg vorbereitet. So stellte man neben der Materialknappheit ausgerechnet bei der bevölkerungsreichsten kriegführenden Nation eine Knappheit an Soldaten fest. Grund hierfür waren innenpolitische Querelen und das ineffektive Wehrpflichtsystem zusammen mit der mangelhaften Infrastruktur des Riesenreiches. Ebenso negativ bemerkbar machte sich der Mangel an erfahrenen Offizieren, da man die Verluste der ersten beiden Kriegsjahre nicht ausgleichen konnte. So sah man von einer Heranziehung von Akademikern oder Studenten ab, um die liberale Opposition nicht zu provozieren.

Nachdem man den Mangel an Munition und Waffen im Winter 1915 zu überwinden begann, sah der russische Generalstab wieder eine Möglichkeit einer Konsolidierung. Nach einer fehlgeschlagenen Winteroffensive lehnte der Generalstabschef der Stawka Alexejew weitere Offensiven ab. Wiederum mischten sich politische Zugzwänge in die Pläne der obersten Militärführung. Frankreich hatte in der Schlacht um Verdun einen schweren Stand und der westliche Verbündete drängte auf eine russische Offensive, um deutsche Kräfte von der Westfront abzuziehen.

Planungen

Die Armee war 1916 in ihrer Gliederung, wie auch personell verändert worden. Zu den beiden Fronten war nun aufgrund der größeren Ausdehnung eine dritte Front hinzugekommen und die Kommandos waren neu besetzt worden. Die Nordfront unter General Kuropatkin, die zentrale Gruppe West unter General Evert und die Front Südwest unter Brussilow. Alexejew befahl den beiden Formationen unter Evert und Kuropatkin anzugreifen. Hierbei sollte die II. Armee aus der südwestlichen Gruppe unter Unterstützung der westlichen Front gegen einen schwach besetzten deutschen Frontabschnitt, gehalten von der 10. Armee unter Hermann von Eichhorn vorgehen. Der Angriff erfolgte in einem Seengebiet in Weißrussland am Naratschsee südöstlich Wilna. Die von den Deutschen besetzte Stadt war auch das strategische Ziel der russischen Offensive. Die Fähigkeiten der russischen Truppenführer, die ihre Positionen in der Regel dem Dienstalter oder Beziehungen verdankten, waren allerdings begrenzt. So versuchte Alexejew, den 59 jährigen Befehlshaber der 2. Armee, Evert, abzusetzen. Nach dem kurzen Intermezzo eines jüngeren Kommandeurs wurde ihm der unfähige Sievers, 67 Jahre alt, aufgrund seines Ansehens in Adelskreisen als Armeechef oktroyiert. Evert wurde zum Befehlshaber des Abschnitts West wegbefördert. Die Organisation der Armee selbst war ebenso neu. Sie wurde wegen ihres enormen Personalumfangs von 350.000 Mann in drei Gruppen eingeteilt. Auch die Ernennungen der jeweiligen Armeegruppenchefs wurden nach hergebrachter Übung vorgenommen. Baluyew, Pleshkow und Sirelius, die jeweils ein eigenes Korps und ihre Gruppe befehligten, verdankten ihre Kommandos als "Altgediente" dem Dienstalter.

Die Schlacht in Weißrussland sollte die letzte russische Offensive sein, die durch Truppenführer aus den Reihen des alten Militärestablishments geführt wurde.

Verlauf nach Armeegruppen

Armeegruppe Pleshkow

Die nördlichste Armeegruppe sollte den Anfang der Kämpfe einläuten. Viele Offiziere bevorzugten die überholte Taktik der französischen Armee des Jahres 1915, auch wenn diese an der Westfront keinerlei nennenswerte Resultate erbracht hatte. Ein großer Teil der Offiziere war unkritisch gegenüber der eigenen Propaganda nach den Niederlagen der ersten beiden Kriegsjahre. Militärische Katastrophen wurden nicht intensiv analysiert, die Frage, ob es an der Taktik oder gar den befehlshabenden Offizieren gelegen hatte, wurde meist nicht gestellt. Stattdessen machte man die materielle Unterlegenheit an Munition, Nachschub, Eisenbahnlinien und Waffen (insbesondere schwerer Artillerie) für die größten Niederlagen in der Geschichte des Zarenreichs verantwortlich. Dass die deutsche Armee die Westfront trotz oft bedeutender lokaler Unterlegenheit an Artillerie, Munition und Soldaten gehalten hatte, gab nicht zu denken. Pleshkov gehörte zu dieser Kategorie. Nun, da die Munitionskrise und auch der Waffenengpaß überwunden waren, würde die Projektion einer materiellen Überlegenheit den Russen den sicheren Sieg bringen. Er ließ die deutschen Stellungen drei Tage lang durch Artillerie auf einer Länge von 2.000 Metern bombardieren. Danach sollte ein Infanterieangriff die entstandene Lücke aufbrechen und den Durchbruch erzielen. Pleshkovs Artillerieschlag schlug fehl, weil er die Schutzwirkung moderner Feldbefestigungen, Gräben und bis zu zehn Meter tief gelegener Unterständen ignorierte. An der Westfront war festzustellen, dass ein solcherart gedecktes Bataillon einen Tag Trommelfeuer fast unversehrt überstehen konnte. Pleshkov hatte zudem die Aufklärung der feindlichen Stellungen sträflich vernachlässigt. Artilleriebeobachter wurden kaum eingesetzt und moderne Kommunikationsmittel blieben meist ungenutzt. Die Artillerie schoss nach einem sturen Feuerplan, den Artillerieoffiziere ohne Mitwirkung der Infanterie ausarbeiteten. Das russische Feuer war ungenau, eine Koordination zwischen schwerer und leichter Artillerie gab es praktisch nicht.

Nach dem Feuerschlag, der am 18. März begann, wurde ein Infanterieangriff über ein 2.000 Meter breites Niemandsland angesetzt. Die auf veraltete Weise in 'Wellen angreifenden Russen konnten, zum Pulk zusammengedrängt, keine Deckung suchen, geschweige denn sich gegenseitig absichern. Hinter den Truppen folgten die Unteroffiziere, die zurückweichende Soldaten erschossen.

Pleshkovs Taktik im Stile des 19. Jahrhunderts kostete seine Truppen in den ersten acht Stunden der Attacke 15.000 Mann. Den Russen gelang allerdings ein Scheinerfolg, als unter enormen Verlusten die erste Linie der deutschen Stellungen eingenommen wurde, die zuvor geräumt worden war. Die Russen gerieten in Abwehrfeuer von drei Seiten. Pleshkov wiederholte seinen Angriff mit Unterstützung durch Truppen aus Kuropatkins Nordfront. Diese wirkunglosen Versuche kosteten insgesamt 20.000 Soldaten das Leben.

Armeegruppe Baluyew

Die zentrale Gruppe unter Baluyew konnte als einzige einen taktischen Erfolg erzielen. Dies geschah zeitgleich mit dem zweiten Angriff Pleshkovs. In ihr hatten sich die höheren Offiziere von Artillerie und Infanterie abgesprochen, was eine bessere Genauigkeit des Artillerieschlags ermöglichte. Der Gewinn waren ein Quadratkilometer Gelände und etwa 1.000 deutsche Gefangene. Der Stoß konnte durch das Heranbringen von Reserven auf deutscher Seite jedoch schnell gestoppt werden. Ein Durchbruchsversuch eine Woche später scheiterte ebenfalls.

Armeegruppe Sirelius

Otto Leonidas Sirelius's (1859–1918) Inkompetenz war von Michail Alexejew bereits vor der Offensive erkannt worden. Der Chef der STAWKA setzte alles daran, ihn abzusetzen, konnte sich mit diesem Vorhaben allerdings nicht durchsetzen. Sirelius blieb passiv, seine Truppen gingen weder zum Angriff über, noch bewegten sie sich überhaupt vom Fleck. Somit blieb ein Drittel der gesamten Armee von 350.000 Soldaten vollkommen untätig.

Folgen

Die Schlacht am Narotsch-See markierte das Ende der Dominanz der alten militärischen Elite in der Armee des Zaren. Die Kommandeure der alten Schule verfielen in Resignation. Nachdem 350.000 Russen mit ausreichend Munition und einer artilleristischen Überlegenheit von 3 zu 1 gegen 75.000 Deutsche versagt hatten, waren die Aussichten für künftige Operationen eher düster. Die Schlacht am Narotsch-See band zu wenig deutsche Kräfte und fügte diesen zu geringe Verluste zu, als dass sie eine fühlbare Entlastung der Entente an der Westfront bewirkt hätte. Mit einer immerhin verbesserten Angriffstaktik wurde die wenige Monate später folgende Brussilow-Offensive des Sommers 1916 zum größten russischen Erfolg seit 1914. Bei einer kompetenteren Führung und Materialbereitstellung wäre sogar ein noch weitaus größerer Durchbruch denkbar gewesen.

Literatur

  • John Keegan: Der erste Weltkrieg. Eine europäische Tragödie. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek bei Hamburg 2001, ISBN 3-499-61194-5
  • Norman Stone: The Eastern Front 1914–1917. Penguin Books Ltd., London 1998, ISBN 0-14-026725-5
  • Christian Zentner: Der erste Weltkrieg. Daten, Fakten, Kommentare. Moewig, Rastatt 2000, ISBN 3-8118-1652-7