St. Nikolai (Zerbst/Anhalt)

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Seitenansicht von St. Nikolai
Säulen des Innenraumes
St. Nikolai (2016)
Blick zum Chor

Die Kirche Sankt Nikolai (auch Sankt Nicolai) war eine evangelische Kirche in Zerbst. Die größte Kirche Anhalts wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und ist seither eine Ruine.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als romanische Basilika im 12. Jahrhundert aus Granitquadern gebaut, gehörte sie zu den ersten sakralen Steinbauten östlich der Elbe und war Mittelpunkt der frühesten Stadtentwicklung von Zerbst. Von diesem Bau ist nur der Südturm erhalten geblieben.

Um 1430 begann der Neubau einer gotischen Hallenkirche, auch als Ausdruck des Reichtums und des Selbstbewusstseins der Bürger in der Blütezeit der Stadt um 1400. Der Chor war 1446 vollendet, das Kirchenschiff 1486.[1] Um 1440 wurde an einem Pfeiler ein Steinrelief mit einer Darstellung einer „Judensau“ angebracht; dazu gibt es eine Erklärungstafel und – nahe dabei – seit 2023 ein „Gegendenkmal“ von Hans-Joachim Prager.[2] Zwischen den Jahren 1476 und 1494 erfolgte der Bau der Turmstube. Die im Zweiten Weltkrieg zerstörten drei steinernen Kirchturmspitzen waren in den Jahren 1533/34 aufgesetzt worden.[3] Die dreischiffige gotische Hallenkirche St. Nicolai war die Ratskirche der Stadt und gilt als ein wichtiges Werk der Parler-Schule.

Ausgehend von St. Nikolai wurde in Zerbst bereits Anfang der 1520er Jahre die lutherische Reformation eingeführt. Die mittelalterliche Ausstattung der Kirche fiel 1525 einem Bildersturm zum Opfer. 1573 wurde Wolfgang Amling Pfarrer an St. Nikolai, 1578 Superintendent († 1606). Als leitender Geistlicher der entstehenden Anhaltischen Landeskirche – deren erste Ordinationen erfolgten 1578 in St. Nikolai – betrieb er deren Übergang zum Calvinismus. In dieser Zeit wirkte Gallus Dreßler als Diakon (zweiter Prediger) und Kirchenmusiker an St. Nikolai. Anhalt-Zerbst kehrte 1646 zum lutherischen Bekenntnis zurück.

Von 1819 bis 1827 wurde die Kirche auf Veranlassung von Herzog Leopold Friedrich von Anhalt-Dessau dem Zeitgeschmack entsprechend in historisierender Weise umfassend restauriert.[4][5]

1840 erhielt die Kirche eine Orgel von Adolph Zuberbier und Friedrich Geibel, die 37 Register auf zwei Manualen und Pedal besaß.[6] 1929 wurde diese Orgel ersetzt durch ein neues Instrument von Fleischer & Kindermann mit 47 Registern auf drei Manualen.[7]

Die Kirche wurde beim Bomberangriff vom 16. April 1945 fast vollständig zerstört. Ein vollständiger Abbruch, der bereits freigegeben war, wurde durch Privatleute, Pfarrer und Denkmalpfleger verhindert. Am 24. Juni 1991 wurde ein Förderverein gegründet, der sich für die Sicherung der Ruine einsetzt. Seitdem wurden unter anderem der Nord- und der Südturm wieder überdacht, an der Stelle des Mittelturmes eine Aussichtsplattform eingerichtet sowie ein neues Geläut installiert. Die Wiederherstellung des Kirchenschiffs ist vorerst nicht geplant.

Die Ruine wird für Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen genutzt.

Geläut[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Nordturm hängen fünf Glocken, u. a. die größte Glocke Anhalts, die Gloriosa (Glocke 1). Das Geläut dient der benachbarten Trinitatiskirche.[8][9]

Glocke Gussjahr Gießer Masse Nominal
(16tel)
1 1378 unbezeichnet 4540 kg h0
2 1660 Georg Schreiber 2620 kg c1
3 2007 Lauchhammer 1510 kg e1
4 1477 unbezeichnet 0938 kg g1
5 1418 unbezeichnet 0102 kg a2

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ludwig Puttrich: Kurze Geschichte der älteren Kirchen und der Klöster in Zerbst. In: Ders. (Hg.): Denkmale der Baukunst des Mittelalters in den Herzoglich Anhalt’schen Landen. F.A. Brockhaus, Leipzig 1841 (= Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen, 1. Abteilung, Bd. 1, Teil 3), S. 4–15, darin zu St. Nikolai S. 4–10 sowie S. 67 (Grundriss und Abbildungen der Ausstattung).
  • Wilhelm Schubert: Über die Erbauungszeit der Kirche St. Nikolai in Zerbst. Zerbst 1840.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ludwig Puttrich: Kurze Geschichte der älteren Kirchen und der Klöster in Zerbst. In: Ders. (Hg.): Denkmale der Baukunst des Mittelalters in den Herzoglich Anhalt’schen Landen. F.A. Brockhaus, Leipzig 1841, S. 4.
  2. Nikolaus Bernau: Umgang mit Schmähskulpturen. Kirchlicher Antisemitismus: Die „Zerbster Judensau“ hat jetzt ein Gegendenkmal. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Juni 2023, S. 12.
  3. Götz Eckardt (Hrsg.): Schicksale deutscher Baudenkmale im zweiten Weltkrieg, Eine Dokumentation der Schäden und Totalverluste auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik, Band 1, Berlin 1980, S. 276–277.
  4. Wilhelm Schubert: Über die Erbauungszeit der Kirche St. Nikolai in Zerbst. Zerbst 1840, S. 1.
  5. Ludwig Puttrich: Kurze Geschichte der älteren Kirchen und der Klöster in Zerbst. In: Ders. (Hg.): Denkmale der Baukunst des Mittelalters in den Herzoglich Anhalt’schen Landen. F.A. Brockhaus, Leipzig 1841, S. 6.
  6. Roland Eberlein (Hg.): Hermann Mund Sammlung Orgeldispositionen Anhang Seidel. (walcker-stiftung.de [PDF; abgerufen am 24. Februar 2024] Disposition Nr. 214).
  7. Roland Eberlein (Hg.): Hermann Mund Sammlung Orgeldispositionen Heft B/F. (walcker-stiftung.de [PDF; abgerufen am 24. Februar 2024] Disposition Nr. 785).
  8. Informationen zu den Glocken und Videoaufnahme des Geläuts
  9. Zu den Glocken von St. Nicolai zu Zerbst

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: St. Nikolai – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Koordinaten: 51° 58′ 9,8″ N, 12° 5′ 5,2″ O