Sturmgewehr

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Das AK-47, das am weitesten verbreitete Sturmgewehr der Welt

Sturmgewehr (StGw) ist eine Bezeichnung für relativ leichte und kompakte Mehrzweck-Militärgewehre, die waffentechnisch Maschinenkarabiner sind. Es handelt sich dabei in der Regel um vollautomatisch repetierende Schusswaffen in kleineren (4,5 mm) bis mittleren (7,62 mm) Kalibern. Diese Gewehrart ist bei den meisten Streitkräften als Standardbewaffnung der Infanterie eingeführt.

Etymologie

Der Begriff Sturmgewehr geht auf die propagandistische Namensgebung der Wunderwaffen im Deutschen Reich in der Zeit des Nationalsozialismus zurück und wurde für das Sturmgewehr 44 (StGw 44) benutzt.[1]

Die Bezeichnung Sturmgewehr eignet sich nicht, um eine Handfeuerwaffenkategorie nach technischen Gesichtspunkten klar zu definieren. Die meisten Armeen bezeichnen ihre Ordonnanzgewehre innerhalb ihrer Dienstvorschriften schlicht als Gewehr. Im deutschen Sprachgebrauch ist die nicht verbindliche Bezeichnung „Sturmgewehr“ mittlerweile zu einem Gattungsnamen für leichte militärische automatische Gewehre geworden (so wie „Jeep“ für Geländewagen oder „Colt“ für Revolver). Der Begriff „Sturmgewehr“ wird, trotz seiner falschen Ableitung, heute nicht nur in Deutschland verwendet, sondern findet auch bei der Namensgebung moderner militärischer automatischer Gewehre im deutschsprachigen Raum, wie zum Beispiel dem Schweizer Sturmgewehr 57 und dem österreichischen StG 77 Einzug in die offizielle Namensgebung. Der englische Begriff „Assault rifle“ ist keine direkte Übersetzung des Deutschen, sondern geht auf die Art des Gebrauchs der Maschinenpistole durch die deutsche Infanterie im Ersten Weltkrieg zurück.[2]

Technik

Teilzerlegtes SG550 (von oben nach unten, von links nach rechts): oberer Handschutz, unterer Handschutz, Ladehebel, Drehkopfverschluss, Gasstange mit Feder, Verschlussträger, Gasrohr, Laufbaugruppe, 20-Schuss Magazin, Abzugsgehäuse mit Schulterstütze

Wesentliche Funktionsprinzipien bei Sturmgewehren sind Gasdrucklader wie beim AK-47 und Rückstoßlader mit Rollenverschluss wie beim HK G3. Die Zahl der Gasdrucklader überwiegt, auch aus Gründen der günstigeren Produktionskosten. Im Gegensatz zu den meisten militärisch verbreiteten Maschinenpistolen und Maschinengewehren, haben Sturmgewehre üblicherweise aufschießende Systeme für eine höhere Zielsicherheit beim ersten oder beim Einzelschuss.

Aus waffentechnischer Sicht handelt es sich bei einem Sturmgewehr um eine Selbstladebüchse, die durch mehr oder minder umfangreiche Modifikationen für schnelle Einzel- und vollautomatische Schussfolgen optimiert wurde. Diese Modifikationen beinhalteten natürlich einen vollautomatischen Feuermodus (in etlichen Ausführungen zusätzlich bzw. anstelle des vollautomatischen Feuermodus, einen Feuerstoß-Modus mit der gesteuerten Abgabe einer festen Schussanzahl – zumeist drei Schuss), sowie diverse Änderungen, die die Waffe wesentlich leichter handhaben lassen: Wechselmagazine erlauben schnelles Nachladen, der Pistolengriff und spezielle Munition machen den Rückstoß besser kontrollierbar, Mündungsfeuerdämpfer verringern das Mündungsfeuer.

Dies sind nicht ausschließliche Merkmale der sogenannten Sturmgewehre. Allein in ihrer Gesamtheit führen sie zu einem Erscheinungsbild, das den landläufigen Sammelbegriff Sturmgewehr geprägt hat. Es ist offensichtlich, dass es zu funktionellen Überschneidungen mit anderen Handfeuerwaffentypen kommt, beziehungsweise dass mehrfache Typenbezeichnungen gleichartiger Handfeuerwaffen gebräuchlich sind, wie beispielsweise bei den Selbstladegewehren, Schnellfeuergewehren, Maschinenkarabinern und leichten Maschinengewehren.

Tatsächlich unterscheiden sich die technischen Selbstladeprinzipien eines vollautomatischen militärischen Sturmgewehrs und einer zivilen Selbstladebüchse nicht wesentlich. In der Entwicklung der Selbstladewaffen wurden oft Selbstladebüchsen im „klassischen“ Design durch verhältnismäßig geringe Modifikationen zu Sturmgewehren/Maschinenkarabinern migriert (M1 GarandM14). Und auch umgekehrt werden die meisten militärischen Sturmgewehre durch technische Einschränkungen als halbautomatische Sportwaffen für den zivilen Absatzmarkt neu aufgelegt (zum Beispiel AKM47/AK74 – Norinco Sporter). Hierzu schreibt der Gesetzgeber in Deutschland bestimmte technische Hürden vor, die die Konvertierung eines Selbstladegewehres in eine vollautomatische Schusswaffe für normale Nutzer unmöglich machen sollen.

Geschichte

Awtomat Fjodorowa M1916

Das erste Sturmgewehr im Sinne militärischer Überlegungen wurde im Jahre 1913 vom Waffenkonstrukteur Wladimir Fjodorow in Russland entwickelt.[3] Er orientierte sich damals an der japanischen 6,5-mm-Gewehrpatrone des Arisaka-Karabiners. In diesem Sinne war seine Konstruktion, das Awtomat Fjodorowa, ein automatisches Gewehr, das Langpatronen verschoss. Die Kapazitäten der zaristischen Waffenindustrie reichten im Ersten Weltkrieg bei weitem nicht aus, um diese Waffe und dazugehörige Munition in nennenswerter Stückzahl herstellen zu können. Die fehlende Einsicht der Strategen in die Notwendigkeit einer solchen Waffe sowie mangelndes Vertrauen in den einfachen Soldaten, verantwortungsvoll mit dieser „Munition verschlingenden“ Waffe umzugehen, sowie die für die Produktion wesentlich komplizierterer Waffen ungenügende Wirtschaftskraft beschieden den ersten Selbstladegewehren schnell ein vorzeitiges Ende.[4]

Auch in den 1930er-Jahren und zu Beginn des Zweiten Weltkriegs produzierte die Sowjetunion halb- und vollautomatische Gewehre (AWS-36, SWT-38 und SWT-40),[5] deren Produktion aber zugunsten der taktisch höher bewerteten Maschinenpistole in der zweiten Hälfte des Krieges eingeschränkt und schließlich ganz eingestellt wurde.

Ausschlaggebend für die deutschen Entwicklungen des Maschinenkarabiners (Mkb) und später des Sturmgewehrs (StG) war im Vorfeld die Suche nach einer neuen Mittelpatrone.[6] Diese sollte deutlich wirksamer sein als die Pistolenmunition, die aus den Maschinenpistolen MP 38/MP 40 (9 × 19 mm Para) verschossen wurde, aber wesentlich rückstoßärmer als die vom Karabiner 98 verschossene Infanteriepatrone (7,92×57 mm / 8×57IS). Das führte 1941 zur Entwicklung der Patrone 7,92 × 33 mm, welche die genannten Voraussetzungen erfüllte.[7]

Angesichts der immer deutlicher werdenden zahlenmäßigen Unterlegenheit der Wehrmacht, des rapiden Rückgangs der Zahl in Friedenszeiten sorgfältig ausgebildeter Soldaten und unter dem Eindruck der Feuerüberlegenheit der amerikanischen und sowjetischen Selbstladegewehre zeigte sich die kampftechnische Aufwertung des einzelnen Soldaten mit einer Selbstladewaffe als zwingend notwendig. In Feuergefechten zeigte sich, dass zielgenaues Einzelfeuer bei Kampfentfernungen über 400 m selten effektiv war. Die bis dahin verwendete Gewehrpatrone 8×57IS („Infanterie Spitz“) war im dafür vorgesehenen Karabiner 98k mit einer Visierung bis zu 1800 m somit völlig überdimensioniert. Die geringe Feuerrate wurde außerdem den Anforderungen für den Graben- und Häuserkampf nicht gerecht. In vollautomatischen Handfeuerwaffen eingesetzt, erwies sich der harte Rückstoß der Gewehrpatrone insbesondere für ungeübte Schützen als fatal für die Zielgenauigkeit. Die Maschinenpistole (beispielsweise MP 40) dagegen zeigte sich u. a. in der Schlacht um Kreta im Einsatz gegen mit Selbstladegewehren bewaffneten Kräften in Kampfentfernungen oberhalb von 100 m wegen ihrer typischen und relativ schwachen Pistolenmunition als zu ineffizient.[8]

Sturmgewehr 44

Die Summe aus den oben genannten Erkenntnissen, Erfahrungen und Anforderungen führten zur Entwicklung des überwiegend in günstiger Blechprägetechnik hergestellten Maschinenkarabiners 42 und 43 (Mkb 42/Mkb 43).[9] Da Hitler jedoch mit dem FG 42 im bekannten weit reichenden Kaliber 8×57IS vollauf zufrieden war, verbot er zunächst weitere Entwicklungen an der sogenannten „Zwischenpatrone“.[10] Um Hitler zu täuschen, wurde der nächste Mkb in MP 43\1 umbenannt.[11] So sollte Hitler annehmen, dass es sich um eine Maschinenpistole für die Verwendung der bereits vorhandenen 9 mm Parabellum handele; für Entwicklungsarbeiten auf diesem Gebiet gab es offiziell keine Restriktionen. 1944 bekam die Waffe nach einigen Änderungen den Namen MP 44. Durch positive Berichte zur neuen Waffe von der Ostfront wurde die Produktion unter besondere Dringlichkeit gestellt und mit dem suggestiven Namen Sturmgewehr 44 versehen.[1] Letztlich litt die Ausrüstung der Wehrmacht unter der Rohstoffknappheit des Deutschen Reiches und benötigte zudem für eine schnelle Umbewaffnung des Heeres einen hohen monatlichen Waffenausstoß.[12]

Andere Konstruktionen, zum Beispiel das bekannte AK-47 (Automat Kalaschnikow) (Kaliber 7,62 × 39 mm), übernahmen bei eigener Technik das taktische Konzept, das dem StGw 44 zugrunde liegt.

Ende der 1950er-Jahre wurde in der Bundeswehr das Gewehr G3 von Heckler & Koch eingeführt.[13] Entsprechend der allgemeinen Tendenz der Nachkriegszeit war diese Waffe ein Rückstoßlader und verschoss keine Mittelpatrone, sondern wieder eine relativ starke Gewehrpatrone 7,62 × 51 mm NATO (.308 Winchester). Wie das FN FAL von FN oder das US-amerikanische M14 und einige andere Gewehre dieses Kalibers, wird es im englischsprachigen Raum als Battle Rifle im Gegensatz zu Assault Rifle bezeichnet.[14]

Amerikanisches M16 im Wandel der Zeit

In den 1960er-Jahren wurde mit dem von Eugene Stoner entwickelten AR 15 (militärische Bezeichnung M16) in den USA und auch als Nato-Standardkaliber die kleinkalibrige Patrone 5,56 x 45 mm (.223 Remington) eingeführt.[15] Dieses Kaliber besaß gegenüber dem alten Kaliber (7,62 × 51 mm) den Vorteil, dass es einerseits rückstoßärmer, die Waffe damit leichter zu beherrschen war und andererseits durch geringere Größe und Gewicht mehr Munition mitgeführt werden konnte. Der Nachteil dieser Munition ist der geringere Wirkungsgrad, bedingt durch eine stärker abnehmende Geschossgeschwindigkeit als beispielsweise bei der 7,62-mm-Munition, und das geringere Geschossgewicht, was zu einer geringeren zielballistischen Leistung führt. Auch die Tendenz zu kleineren Waffen mit kürzeren Läufen wirkt sich negativ auf die ballistischen Eigenschaften des neuen Geschosses aus. Das neue Kaliber gebar zudem die Waffengattung des Squad Automatic Weapon. So genannte Maschinengewehre verwenden das Sturmgewehrkaliber und erlauben dem Schützen wesentlich höhere Mobilität.[16]

Der Warschauer Pakt zog in den 1970er Jahren mit der AK-74 (Kaliber 5,45 × 39 mm) nach, und die Schweizer Armee mit dem Stgw 90.[17] Ab 1996 löste das HK50 (militärische Bezeichnung G36) das G3 bei der Bundeswehr ab.[18]

Um die Jahrtausendwende wurden diverse Verbesserungen für das Sturmgewehr angestrebt: Zum einen war ein neues Kaliber gefragt, welches von der Durchschlagskraft her die Leistung der in Battle rifles und MGs verwendeten Patronen erreichte, dies jedoch mit dem kontrollierbaren Rückstoss bisheriger Sturmgewehr-Patronen verband. Vorschläge wie 6,8 mm haben sich bisher noch nicht als Standard etabliert.[19] Auch der Small Arms Master Plan der US Army brachte im Bereich der Sturmgewehre kein definitives Ergebnis,[20] doch eines der Nebenprodukte des Programms, das HK XM8, zeigte, dass der Wunsch nach mehr Modularität bestand.

So wurde die aus dem ursprünglich nur für das M4 gedachten SOPMOD-Konzept hervorgegangene Picatinny-Schiene erfolgreich zu einem NATO-Standard.[21] Dieses Schienensystem erlaubt die einfache Montage von Zielhilfen und weiterem Zubehör und findet sich inzwischen in allen Infanteriewaffengattungen. Einige Waffenhersteller trugen den Wunsch nach Modularität noch weiter, das FN SCAR und Bushmaster ACR z. B. verfügen über einen leicht zu wechselnden Lauf, was die Verwendung mehrerer unterschiedlicher Kaliber erlaubt.[22]

Rechtliches

Literatur

  • Peter R. Senich; Reiner Herrmann (dt. Bearb.): Deutsche Sturmgewehre bis 1945. Motorbuch Verlag, Stuttgart 1998, ISBN 3-613-01866-7 (Originaltitel: The German assault rifle. Übersetzt von Reiner Herrmann und Mike Murfin).

Weblinks

Commons: Sturmgewehre – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 34. Zitat Führererlass: „Die Bezeichnung ‚M.P.‘ entspricht nicht der Waffe und ihrer Verwendungsmöglichkeit. Die ‚M.P.44‘ erhält deshalb die Bezeichnung: ‚Sturmgewehr 44‘“
  2. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 9.
  3. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 25.
  4. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 26.
  5. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 27.
  6. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 30.
  7. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 34.
  8. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 30–32.
  9. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 32.
  10. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 34–36.
  11. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 36.
  12. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 37.
  13. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 54.
  14. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 60.
  15. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 63.
  16. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 77.
  17. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 70.
  18. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 73.
  19. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 83.
  20. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 79.
  21. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 93 ff.
  22. VISIER-Special 53 Sturmgewehre. 1. Auflage. VS Medien, ISBN 978-3-9812481-4-2, S. 86.