Tallit

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Tallit beim Gebet über den Kopf gelegt. Die Fransen stehen für die 613 Gebote und Verbote, an die sich ein Jude zu halten hat.

Der Tallit (von hebräisch טַלִּית, auch als Tallith, selten als Taled, gelistet; in der aschkenasischen Aussprache Talliss, Tallis), auf Deutsch als „Gebetsmantel“ bezeichnet, ist ein jüdischer ritueller Gegenstand.

Aussehen

Ein Tallit ist ein viereckiges Tuch aus Wolle, Baumwolle oder Seide. Die Farbe ist meistens weiß oder cremefarben. Oft ist der Tallit mit schwarzen oder blauen Streifen verziert. Besonderes Charakteristikum des Tallit sind die Zizijot (Plural von Zizit). Dies sind vier lange weiße Fäden aus Wolle, die mehrfach geknotet sind. An jeder der vier Ecken des Tallit befindet sich ein solcher Strang aus vier geknoteten Fäden.[1] Dies ist eine Erfüllung des Gebotes aus Num 15,37-41 EU und Dtn 22,12 EU. Dort heißt es, man solle Quasten an den vier Ecken des Gewandes anbringen und sich jedes Mal, wenn man diese sieht, an die Gebote Gottes erinnern, so dass man sie auch erfülle.

Verwendung

In der Neuzeit wird der Tallit von erwachsenen Juden (ab 13 Jahren) nur beim Morgengebet getragen. Dies gilt sowohl für Gebete in der Synagoge als auch für das private Gebet. Nach einigen aschkenasischen Traditionen tragen nur verheiratete Männer und ein Bräutigam einen Tallit. Dieser ist Teil der Gaben, welche die Braut ihrem Bräutigam übergibt. Für die Erfüllung des oben genannten Gebots, die Zizijot zu tragen, wird unter der Kleidung der Tallit Katan getragen, so dass nur die vier Zizijot sichtbar sind.

Ein gläubiger Jude wird auch in seinem Tallit bestattet. Eine der Zizijot wird vorher entfernt als Zeichen dafür, dass ein Toter keine Gebote (Mitzwot) mehr erfüllt.

Im liberalen Judentum tragen auch Frauen, die es wünschen, einen Tallit. Inzwischen gibt es Tallitot in vielen Farben und Designs, oft zum Beispiel mit hebräischen Segenssprüchen. Entscheidend für die halachische Tauglichkeit eines Tallit ist nicht das Aussehen, sondern allein die Zizijot.

Ein jüdischer Junge trägt zum ersten Mal einen Tallit dreizehnjährig bei seiner Bar Mitzwa. In liberalen Gemeinden trägt auch ein Mädchen einen Tallit bei seiner Bat Mitzwa.

Auch die samaritanischen Hohepriester tragen einen Tallit.

Tallit & Mode

Die Modekette H&M zog Anfang 2016 mit einer Entschuldigung einen beigen Damenschal mit schwarzen Streifen aus ihrer Kollektion zurück, der einem Tallit mit einer eigen(willig)en Form der Zizijot[2] ähnelte[3]. Zuvor hatte es bei Juden weltweite, teils ablehnende, teils ironische Diskussionen gegeben.[4] Kulturwissenschaftlich zeigt dieser Fall beispielhaft die unterschiedliche kulturelle bzw. religiöse Dekodierung ein und desselben Gegenstands, hier: eines ursprünglich aus dem Modedesign hervorgegangenen Prêt-à-porter-Kleidungsstücks als modisches Accessoire („Streifen als Trend der Saison“[5]) bzw. – als ritueller Gegenstand („Missbrauch eines heiligen, jüdischen Symbols[4]); eine formal vergleichbare Differenz der Dekodierung war Anlass des Rückrufes des khakifarbenen Overalls 2014 durch dasselbe Unternehmen (s. d.) sowie eines – offensichtlich – anstößigen T-Shirts durch das Bekleidungsunternehmen Zara 2014[6].

Literatur

  • Dieter Philippi: Sammlung Philippi – Kopfbedeckungen in Glaube, Religion und Spiritualität. St. Benno Verlag, Leipzig, 2009, ISBN 978-3-7462-2800-6.

Weblinks

Commons: Tallit – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Art. Tallith. 1). In: Heinrich August Pierer, Julius Löbe (Hrsg.): Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit. 4. Auflage. Band 17: Stückgießerei–Türkische Regenkugel. Altenburg 1863, S. 219 (zeno.org).
  2. JTA: Tallit Chic: H&M's latest trend for ladies? The Swedish clothing chain seems to have taken its latest look from straight out of the synagogue. In: www.jpost.com, Meldung v. 7. Januar 2016, abgerufen am 15. Januar 2016.
  3. Zur Farb- und Formdiskussion s. o., den Art. Zizit sowie Sanford Ragins, Annette M. Böckler (Üb.): Zizit. In: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff. – Bereits 2011 brachte H&M einen ähnlich designten Damen-Poncho auf den Markt. Und 2008 brachte ein Tank Top mit der Darstellung eines Totenkopfs über einem Davidstern dem Unternehmen H&M den Vorwurf des Antisemitismus ein. Vgl. JTA: Tallit Chic: H&M's latest trend for ladies? (s. o.).
  4. a b Vgl. die Kirche. 22. Jg. (2016), Nr. 3, v. 17. Januar 2016, ISSN 0949-8664, S. 16, unter Berufung auf eine (nicht näher bezeichnete) Meldung der Jerusalem Post (s. u.).
  5. “Our intention was never to upset anyone. Stripes is one of the trends for this season and we’ve been inspired by this.” H&M-Stellungnahme. Zit. n.: JTA: H&M pulls tallit like scarf from Israel. In: www.jpost.com, Meldung v. 9. Januar 2016, abgerufen am 15. Januar 2016, unter Berufung auf eine (nicht näher bezeichnete) Meldung der Women’s Wear Daily. – Vgl. Joelle Diderich: H&M Withdraws Controversial Scarf in Israel. In: Women’s Wear Daily, Meldung v. 8. Januar 2016, abgerufen am 15. Januar 2016.
  6. Zur Entschuldigung der Firma Zara für das als „»Sheriff«-T-Shirtbzw. als „»KZ«-T-Shirt“ wahrgenommene Kleidungsstück (mit horizontalen [!] Streifen und sechszackigem, gelbem Stern mit der Aufschrift »Sheriff« [!]) vgl. Sam Sokol: Zara apologizes for 'concentration camp' tee-shirt. Spanish retailer discontinues sale of striped shirt with yellow star after it causes social media uproar. In: www.jpost.com, Meldung v. 27. August 2014, abgerufen am 15. Januar 2016. – Einen ähnlichen Fall gab es 2015 in Berkeley, CA, wo KZ-Häftlingskleidung als Themen-Kostüm in einem Second-Hand-Laden angeboten wurde, dessen Personal sich der „Natur“ der Kleidung nicht bewusst gewesen sei, wie die Meldung verlauten lässt und damit unbewusst-bewusst die Dekodierungsdifferenz als Entschuldigungsgrund anführt. In: POST.COM STAFF: California thrift store removes Holocaust costume. Employees were unaware of the costume's nature. In: www.jpost.com, Meldung v. 27. Oktober 2015, abgerufen am 15. Januar 2016. – Vgl. dagegen die symbolische Verwendung der Häftlingskleidung als „Ehrenkleid“ bei Gedenkveranstaltungen durch ehem. KZ-Häftlinge selbst. – Vgl. auch die ganz ähnliche Dekodierungsdiskussion im Kopftuchstreit und das Interview Monika Herrmanns mit Sineb El Masrar, die das Kopftuch – nur – in der Moschee und beim Gebet zu Hause trägt: „Ich könnte es natürlich auch weglassen, aber ich fühle mich mit dem Tuch sehr geborgen, irgendwie umarmt.“ – „[Monika Herrmann:] »Am Kopftuch beißt sich die deutsche Gesellschaft fest. Ist es tatsächlich ein Symbol der Unterdrückung?« [Sineb El Masrar:] »Natürlich nicht. Das Kopftuch ist für die meisten Muslim-Girls Teil ihrer Religion, für andere lediglich ein Accessoire.«“ Art. „Jungs dürfen alles, Mädchen werden stark kontrolliert“ (Monika Herrmann im Gespräch mit Sineb El Masrar). In: die Kirche, 21. Jg. (2015), ISSN 0949-8664, S. 12; unter Verweis auf das einschlägige Buch El Masrars: Muslim Girls – Wer sie sind, wie sie leben (= Herder-Spektrum, Bd. 6779). Aktualis. u. erw. Neuausg., Herder, Freiburg i. Br. u. a. 2015, ISBN 978-3-451-06779-2; als epub desgl., ISBN 978-3-451-80312-3.