Umsetzungsdefizit

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Ein Umsetzungsdefizit liegt vor, wenn eine EU-Richtlinie nicht innerhalb der von ihr gesetzten Frist in nationales Recht umgesetzt wird.[1]

EU-Richtlinien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

EU-Richtlinien können ihre Wirkung nur entfalten, wenn sie fristgerecht und ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt werden.[2] Wenn Mitgliedstaaten EU-Richtlinien nicht fristgerecht umsetzen, entsteht eine Lücke im Rechtsrahmen der EU.[3] Anstatt eines Binnenmarktes, der alle Mitgliedstaaten umfasst, entsteht ein viel kleinerer, fragmentierter Binnenmarkt. Kommt ein Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen nicht nach, so werden die wirtschaftlichen Interessen aller Mitgliedstaaten beeinträchtigt. Lange Umsetzungsverzögerungen sind dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts abträglich. Je länger die Verzögerung ist, desto schwerwiegender können die Konsequenzen für Bürger und Unternehmen sein. Im Durchschnitt benötigen die Mitgliedstaaten zusätzliche 7,3 Monate zur Umsetzung von EU-Richtlinien. Die Nichtumsetzung gilt als Verstoß gegen den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).[4] Deshalb kann durch die EU-Kommission gegen den Mitgliedstaat ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden.[5] Die jeweilige Richtlinie erlangt unter Umständen trotz fehlender Umsetzung unmittelbare Wirkung. Nationale Gerichte sind auch ohne Umsetzung einer Richtlinie gemäß dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Artikel 4 Absatz 3 EU-Vertrag) zu einer unionsrechtskonformen Auslegung verpflichtet.[6]

Schadensersatzpflicht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im übrigen kann sich im Fall nicht rechtzeitiger Umsetzung von Richtlinien ein Land auch gegenüber seinem Staatsbürger schadensersatzpflichtig machen.[7][8]

Konkordanzdefizit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das so genannte Konkordanzdefizit gibt an, bei wie vielen umgesetzten Richtlinien die EU-Kommission Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtübereinstimmung einleiten musste.

Unvollständigkeitsquote[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Unvollständigkeitsquote gibt den Anteil der Richtlinien, die von einem oder mehreren Mitgliedstaaten noch nicht umgesetzt wurden, an der Gesamtzahl der Binnenmarktrichtlinien an. Dies ist dem EU-Binnenmarktanzeiger[9] zu entnehmen.

Beispiel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Whistleblower-Richtlinie wurde nicht fristgerecht bis zum 17. Dezember 2021 in nationales deutsches Recht umgesetzt.[10]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Europäische Kommission, Vertragsverletzungen, abgerufen am 20. Dezember 2021
  2. Europäische Kommission, Umsetzung, abgerufen am 20. Dezember 2021
  3. IHK Rhein-Neckar, EU-Richtlinien und ihre Umsetzung, abgerufen am 20. Dezember 2021
  4. Bundesregierung, 5 Typische Probleme bei der Umsetzung von EU-Richtlinien, abgerufen am 20. Dezember 2021
  5. Europäische Kommission, Anwendung des EU-Rechts, abgerufen am 20. Dezember 2021
  6. Matthias Pechstein, Richtlinien-Vorwirkung, abgerufen am 20. Dezember 2021
  7. Deutscher Bundestag, Überwachung der Umsetzung von EU-Richtlinien, abgerufen am 20. Dezember 2021
  8. Rechtslupe, Staatshaftung bei verspäteter Umsetzung einer EU-Richtlinie, abgerufen am 20. Dezember 2021
  9. Europäische Kommission, Binnenmarktanzeiger, abgerufen am 20. Dezember 2021
  10. FAZ, Schutz vor Kündigung oder Mobbing von Hinweisgebern, abgerufen am 20. Dezember 2021