Ökotoxikologie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Umwelttoxikologie)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Ökotoxikologie, auch Umwelttoxikologie oder ökologische Toxikologie genannt, ist eine fächerübergreifende Wissenschaft, die sich mit den Auswirkungen von Stoffen auf die belebte Umwelt befasst. Dabei finden Methoden und Aufgabenstellungen der Biologie, Toxikologie, Umweltchemie und Ökologie eine Anwendung.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rachel Carson

Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Sorge um schädliche Einflüsse auf die Umwelt durch giftige Stoffe. Ein Auslöser war die Erkenntnis, dass das zunächst als unbedenklich geltende Schädlingsbekämpfungsmittel DDT negative Auswirkungen auf die Bestände unter anderem von Fischen und Vögeln haben kann. Mit dem 1962 erschienenen Buch Silent Spring (Stummer Frühling) der amerikanischen Biologin Rachel Carson wurden auch der breiten Öffentlichkeit die möglichen negativen Folgen des ungebremsten Pestizid-Einsatzes auf die Umwelt bewusst; das Buch war allerdings lange Zeit nur im angelsächsischen Bereich bekannt. Auch der massive Einsatz von Herbiziden durch die USA im Vietnamkrieg (1965–1973), insbesondere das mit dem Dioxin TCDD verunreinigte Agent Orange, verstärkte die öffentliche Kritik, der zufolge zu wenig über mögliche schädliche Folgen für die Bevölkerung und die Umwelt bekannt sei.

Vor diesem Hintergrund hat der deutsche Chemiker Friedhelm Korte 1968 das Konzept der Ökologischen Chemie (heute eher Umweltchemie genannt) entwickelt und damit den Teilbereich der Chemie begründet, der sich mit dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt beschäftigt. Beide Wissenschaften (Ökotoxikologie und Umweltchemie) sind heute eng miteinander verzahnt.

Der Begriff „Ökotoxikologie“ selber wurde 1969 von dem französischen Toxikologen René Truhaut (1909–1994) in die Literatur eingeführt, etablierte sich aber erst rund 10 Jahre später im deutschen Sprachraum.

Aufgaben der Ökotoxikologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Ökotoxikologie dient im Wesentlichen der Gefährdungsermittlung auf allen organisatorischen Ebenen der Biologie: auf Ebene der Moleküle (wie der DNA), der Zelle, der Gewebe, der Organe, der Population bis hin zu Ökosystemen und der Biosphäre. Die Ergebnisse der ökotoxikologischen Untersuchungen bilden Grundlage für das Erkennen und Bewerten von Stoffen hinsichtlich ihrer Risiken für Lebewesen, Lebensgemeinschaften und der Umwelt. Dazu müssen sowohl substanz- als auch medienbezogene Daten ermittelt werden, d. h., wie (toxisch) wirkt ein Stoff auf welche Organismen in welchem Umweltkompartiment (Luft, Boden, Wasser)? Die Ergebnisse ökotoxikologischer Untersuchungen dienen unter anderem als Grundlage für Gesetze (z. B. Chemikaliengesetz, Pflanzenschutzgesetz, Bodenschutzgesetz) und damit der Gefahrenminimierung durch die Herstellung und/oder Verwendung von Stoffen.

Um eine Wirkung erzielen zu können, muss ein Stoff eine genügend lange Zeit (Expositionsdauer) und in ausreichender Menge (Konzentration) vorliegen. Bei sehr giftigen Stoffen kann eine sehr kurze Expositionsdauer und/oder eine sehr geringe Konzentration ausreichen, um eine Schadwirkung zu bewirken. Bei einigen Stoffen muss sich erst eine gewisse Menge dieses Stoffes im Organismus oder in der Umwelt anreichern (akkumulieren), um eine Schädigung zu bewirken.

Damit das Gefährdungspotential eines Stoffes ermittelt werden kann, müssen im Rahmen ökotoxikologischer Fragestellungen unter anderem die folgenden Gesichtspunkte untersucht werden:

  • Abschätzen der Menge freigesetzten Schadstoffs
  • Abschätzen der Größe des betroffenen Umweltkompartiments
  • maximal zu erwartende Schadstoffkonzentration
  • Vergleich mit
  • Daten zur akuten Toxizität
  • Daten zur chronischen Toxizität
  • Akkumulation
  • toxikologisch begründeten Grenzwerten
  • verwaltungsrechtlich festgelegten Grenzwerten

Methoden der Ökotoxikologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Um die vielfältigen Fragestellungen in der Ökotoxikologie bearbeiten zu können, wurden sehr unterschiedliche Untersuchungsmethoden entwickelt, die teilweise im Labor, aber auch in der Natur selber angewendet werden. Im Labor können standardisierte Untersuchungen mit hoher Reproduzierbarkeit erfolgen, deren Aussagekraft hinsichtlich der natürlichen Umwelt mit unendlich vielen Wechselwirkungen gering sein kann. Deshalb werden, wenn möglich, auch Dosis-Wirkungs-Kurven und Toxizitätsbestimmungen in sog. Modellökosystemen durchgeführt. Typische Grenzwerte sind PNEC, LOEC und NOEL. Verordnungen und Richtlinien sind die OECD-Richtlinien zur Prüfung von Chemikalien und die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH). Auch wird die Bioakkumulation und die Biomagnifikation untersucht, beispielsweise zur Untersuchung auf PBT-Stoffe und vPvB-Stoffe. Bei Schwermetallen wird die Mobilisierung untersucht. Bei aquatischen Organismen wird die Biokonzentration untersucht.

In Abhängigkeit vom zu untersuchenden Stoff und dessen Auswirkungen auf ein bestimmtes Umweltkompartiment (Wasser, Boden, Luft) werden verschiedene Testverfahren angewendet. Zur Bestimmung der aquatischen Ökotoxizität wird z. B. die schädliche Konzentration von Stoffen auf vier Organismengruppen (Fische, Kleinkrebse, Grünalgen und Bakterien) untersucht. Für das Kompartiment Boden wird die Wirkung von Stoffen auf Bakterien, höhere Pflanzen und Kompostwürmer untersucht.

Bei diesen Untersuchungen wird beobachtet, ab welcher Konzentration eine Organismenart hinsichtlich des betrachteten Effekts beeinträchtigt wird. Diese Effekte können z. B. sein:

  • Vermehrungshemmung von Algen (Effektkonzentration, EC)
  • Hemmung der Atmungsaktivität von Bakterien (Effektkonzentration, EC)
  • Überlebensrate von Fischen (Letaldosis, letale Konzentration, LD bzw. LC)
  • Überlebensrate von Kleinkrebsen (meist Daphnien)

Mit Hilfe dieser Daten und Informationen über Eintragspfade, dem Verhalten/Verbleib des Stoffes (und damit letztendlich der Expositionsdauer und/oder dem Akkumulationspotential) und erreichbarer Konzentrationen (Produktions-/Anwendungsmengen) wird im Rahmen der ökotoxikologischen Untersuchungen das Gefährdungspotential von Stoffen auf Organismen und die Umwelt abgeschätzt.

Häufig verwendete Testsysteme:

nach OECD Guidelines for the Testing of Chemicals[1]

Siehe OECD-Richtlinien zur Prüfung von Chemikalien#2: Auswirkungen auf biologische Systeme

Nach DIN/EN/ISO

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bücher[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Günter Fellenberg: Chemie der Umweltbelastung. Verlag B. G. Teubner, Stuttgart 1997, ISBN 3-519-23510-2.
  • K. Fent: Ökotoxikologie. Georg Thieme Verlag, 4. Aufl., Stuttgart 2013, ISBN 978-3-131-09994-5.
  • F. Korte: Lehrbuch der Ökologischen Chemie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1992.
  • B. Streit: Lexikon Ökotoxikologie. 2. Aufl., VCH Verlag, Weinheim 1994, ISBN 3-527-30053-8.

Artikel in Zeitschriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fachzeitschriften zum Thema[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • SETAC GLB deutschsprachiger Zweig der Society of Environmental Toxicology and Chemistry
  • ecotoxmodels Website zu mathematischen Modellen in der Ökotoxikologie
  • SPEAR Indikatorsystem. Invertebraten zeigen die Belastung mit Pestiziden in Fließgewässern

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. OECD Guidelines for the Testing of Chemicals, Section 2. Abgerufen am 30. November 2016.