Unterversicherung

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Um eine Unterversicherung handelt es sich bei Sachversicherungen oder Schadenversicherungen, wenn die Versicherungssumme zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles erheblich niedriger ist als der Versicherungswert. Gegensatz ist die Überversicherung.

Allgemeines[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unter- oder Überversicherung gibt es nur bei Sach- oder Schadenversicherungen. Sie verfolgen das Prinzip, dass der Versicherungswert der Versicherungssumme entsprechen sollte.[1] Die Vollwertversicherung ist daher die vom Gesetz vorgesehene Normalform.[2] Deshalb gilt der Grundsatz

.

Nur hierbei bekommt der Versicherungsnehmer den entstandenen Sachschaden voll ersetzt. Die diesen Grundsatz erfüllenden Versicherungen werden Vollwertversicherung genannt, bei ihnen ist das Verhältnis zwischen Versicherungssumme und Versicherungswert gleich 1.[3] Bei ihnen wird der volle Versicherungswert als Versicherungssumme vereinbart.[4] Fehlt es an einer Versicherungssumme, kann bereits begrifflich weder Unter- noch Überversicherung vorliegen.

Berechnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Stimmen Versicherungssumme und Versicherungswert nicht überein, liegt Unter- oder Überversicherung vor. Ist die Versicherungssumme kleiner als der Versicherungswert, so besteht eine Unterversicherung (§ 75 VVG):

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Ist die Versicherungssumme größer als der Versicherungswert, so liegt eine Überversicherung vor (§ 74 VVG):

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Beide wirken sich im Versicherungsfall auf die Versicherungsentschädigung aus. Die Unterversicherung hat zur Folge, dass im Versicherungsfall die Entschädigung der Versicherung möglicherweise nur anteilig berechnet wird, wodurch eine hohe Verantwortung auf den Versicherungsnehmer übergeht.

Die Formel für die Entschädigung lautet:[5]

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Diese Formel der Proportionalitätsregel dient der Beurteilung, ob und inwieweit eine erhebliche Unter- oder Überversicherung vorliegt.

Rechtsfragen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erst im Versicherungsfall ist die Rechtsfrage der Unter- oder Überversicherung von Bedeutung. Der Versicherer ist dann nach § 75 VVG nur insoweit zur Leistung verpflichtet, als es dem Verhältnis der Versicherungssumme zum Versicherungswert entspricht. Der Versicherer kann diesen Einwand der Unterversicherung nur erheben, wenn Unter- oder Überversicherung erheblich sind, also mehr als 10 % ausmachen.[6] Der Versicherungsnehmer bekommt den Schaden selbst dann nicht im vollen Umfang ersetzt, wenn er geringer als die Versicherungssumme ist.[7] Ist die Unterversicherung dagegen unerheblich, muss der Versicherer den vollen Schaden bis zur Versicherungssumme ersetzen.

Beispiel

Ein feuerversichertes Einfamilienhaus wird durch Brand vollständig zerstört und hatte vor dem Brand einen Versicherungswert von 300.000 Euro, die Versicherungssumme lag lediglich bei 280.000 Euro, es war mithin unterversichert. Der Versicherer muss den Schaden vollständig ersetzen, weil die Unterversicherung mit 7 % nicht erheblich war.

Angenommen die Versicherungssumme lag jedoch bei 240.000 Euro (Unterversicherung: 20 % und damit erheblich) und nur ein mitversicherter Schuppen brennt ab, es entsteht ein Schaden von 20.000 Euro. Dann braucht der Versicherer wegen der oben angegebenen Proportionalitätsregel nur Euro zahlen.[8]

Bei einer erheblichen Überversicherung (wiederum mehr als 10 %) können sowohl der Versicherer als auch der Versicherungsnehmer die Herabsetzung der Versicherungssumme auf den Versicherungswert verlangen (§ 74 Abs. 1 VVG). Der Versicherungsvertrag ist allerdings nichtig, wenn der Versicherungsnehmer sich aus einer Überversicherung einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschaffen will (betrügerische Überversicherung; § 74 Abs. 2 VVG).[9] Bei einer Unterversicherung ist dagegen keine gesetzliche Heraufsetzung der Versicherungssumme vorgesehen, weil dem Versicherungsnehmer gegen seinen Willen keine höheren Versicherungsprämien aufgebürdet werden können.[10]

Unterversicherungsverzicht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei Gewerbe-, Hausrat- oder Wohngebäudeversicherungen kann der Versicherer im Versicherungsvertrag auf seine gesetzlich zustehende Einrede der Unterversicherung verzichten. Im Versicherungsfall wird er hierbei auf die Prüfung von Versicherungssumme und Versicherungswert verzichten und den Schaden bis zur Versicherungssumme übernehmen.

Wirtschaftliche Aspekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Höhe der Versicherungsprämie richtet sich nach der Versicherungssumme. Deshalb können Über- oder Unterversicherung dadurch entstehen, dass der Versicherungswert von vorneherein über oder unter dem Marktwert, Verkehrswert oder Zeitwert eines versicherten Gegenstands liegt. Der Versicherungsnehmer könnte bei Unterversicherung bestrebt sein, eine möglichst niedrige Prämie zu zahlen und deshalb eine Unterversicherung hinzunehmen bereit ist (anfängliche Unterversicherung).[11] Dabei nimmt er jedoch das Risiko in Kauf, im Versicherungsfall nicht den vollen Schaden ersetzt zu bekommen. Es können jedoch auch während des Versicherungsverhältnisses Wertsteigerungen eintreten (etwa bei Immobilien durch Werterhöhung oder durch zusätzliche Anschaffungen zu einer versicherten Sachgesamtheit) bei gleichbleibender Versicherungssumme, die eine Unterversicherung zur Folge haben (nachträgliche Unterversicherung). Um zu verhindern, dass bei Wertsteigerungen die Versicherungssummen konstant bleiben, gibt es bei Gebäuden den gleitenden Neuwertfaktor, durch den die Versicherungssumme an den Baupreisindex gekoppelt wird. Eine Vorsorgeversicherung führt dazu, die nach Abschluss einer Haftpflichtversicherung neu entstehenden Risiken im Rahmen des bestehenden Versicherungsvertrags mitversichert sind.

Umgekehrt kommt es zur Überversicherung durch nachträgliche Wertminderung oder Veräußerung versicherter Sachen. Das führt zu einer überhöhten Prämienzahlung an den Versicherer. Ersetzt wird nur der wertgeminderte geringere Schaden. Eine Versicherung, die als Überversicherung geschlossen wurde (anfängliche Überversicherung), kann wegen einer nachträglichen Wertsteigerung oder einer gesunkenen Versicherungssumme zur Vollwertversicherung geworden sein.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Walter Große/Heinz Leo Müller-Lutz/Reimer Schmidt (Hrsg.), Gabler Versicherungsenzyklopädie, Band 3: Rechtslehre des Versicherungswesens, 1991, S. 150
  2. Albert Ehrenzweig, Deutsches (österreichisches) Versicherungsvertragsrecht, 1952, S. 247
  3. Jörg Freiherr Frank von Fürstenwerth/Alfons Weiß, VersicherungsAlphabet (VA), 2001, S. 342
  4. Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.), Gabler Kompakt-Lexikon Wirtschaft, 2013, S. 472
  5. Winfried Schnepp/Horst Baumann/Roland Michael Beckmann/Katharina Johannsen/Ralf Johannsen (Hrsg.), Großkommentar Versicherungsvertragsgesetz, Band III, 2010, S. 34
  6. Frank Baumann/Hans-Ludger Sandkühler, Das neue Versicherungsvertragsgesetz, 2008, S. 100
  7. Winfried Schnepp/Horst Baumann/Roland Michael Beckmann/Katharina Johannsen/Ralf Johannsen (Hrsg.), Großkommentar Versicherungsvertragsgesetz, Band III, 2010, S. 26
  8. Gondring, Hanspeter 1953-: Versicherungswirtschaft Handbuch für Studium und Praxis. München 2015, S. 824.
  9. Frank Baumann/Hans-Ludger Sandkühler, Das neue Versicherungsvertragsgesetz, 2008, S. 100
  10. Ernst Bruck/Hans Möller (Hrsg.), Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, Band II, 1980, S. 324
  11. Ernst Bruck/Hans Möller (Hrsg.), Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, Band 2, 1980, S. 353