Täter-Opfer-Umkehr

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Täter-Opfer-Umkehr oder Schuldumkehr, auch Opferbeschuldigung oder Opferschelte (englisch Victim blaming oder blaming the victim), ist die Beschreibung für ein Vorgehen, das die Schuld des Täters für eine Straftat dem Opfer zuschreiben soll. Dadurch wird das Leid des Opfers verstärkt (sekundäre Viktimisierung). Statt Beistand und Hilfe erfährt das Opfer Anklage und Beschuldigung. Traumafolgestörungen werden dadurch wahrscheinlicher und extremer.[1]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Verbreitet wurde dieser Begriff hauptsächlich in den Vereinigten Staaten ab den 1970er Jahren, um eine Strategie der Strafverteidigung bei Vergewaltigungs-Prozessen zu beschreiben, die dem Vergewaltigungsopfer die Schuld an der Tat zuschreiben möchte, um den Angeklagten beziehungsweise mutmaßlichen Täter zu entlasten.[2] Neben Sexualstraftaten findet sich diese Art der Verteidigung auch bei Gewalttaten und Straftaten mit rassistischem Hintergrund.[3] So beschreibt der Psychologe William Ryan blaming the victim in seinem gleichnamigen Buch aus dem Jahre 1971 als eine Ideologie, die den Rassismus gegen Afroamerikaner rechtfertigen soll.[4]

Psychotraumatologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wenn im Rahmen von z. B. Nötigung, Erpressung oder der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen Nacktbilder in Umlauf kommen, wird der Fokus oft auf die Erstellung und Existenz solchen Bildmaterials gelegt, nicht auf die Straftaten, die bei Verbreitung oder Beschaffung vorlagen.[5] Dies kam erstmals beim Hackerangriff auf private Fotos von Prominenten 2014 in den Fokus der Öffentlichkeit. 

Victim blaming ist auch im Zusammenhang mit dem Verhalten von Narzissten beschrieben worden, die nahestehenden Personen Schuldgefühle suggerieren, um sie davon abzuhalten, ihre Vormachtstellung in Frage zu stellen.[6]

Massenpsychologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Außerhalb der Viktimologie und Psychotraumatologie findet der Begriff der Täter-Opfer-Umkehr in der Kritischen Theorie zur Beschreibung kollektiver Täter-Opfer-Schuldzuweisungen als „Schuld- oder Erinnerungsabwehr“ bzw. in der neueren Antisemitismus-Forschung Verwendung.[7]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Viktimisierung. Kriminologie-Lexikon Online, Hrsg.: Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum Thomas Feltes und Institut für Kriminologie der Universität Tübingen Hans-Jürgen Kerner, www.krimlex.de (Archiv). Auch: Hans J. Kerner, Thomas Feltes, Frank Hofmann, Helmut Janssen, Dieter Kettelhöhn: Kriminologie-Lexikon (Grundlagen der Kriminalistik). 4. Auflage, Hüthig Verlag, München 1999, ISBN 3-7832-0989-7.
  2. George Kent: Blaming the Victim, Globally, Bericht (englisch) (Memento vom 24. Dezember 2003 im Internet Archive)
  3. Kevin D. McCaul, Lois G. Veltum, Vivian Boyechko, Jacqueline J. Crawford: Understanding Attributions of Victim Blame for Rape: Sex, Violence, and Foreseeability. In: Journal of Applied Social Psychology. 20. Jahrgang, Nr. 1, Januar 1990, S. 1–26, doi:10.1111/j.1559-1816.1990.tb00375.x.
  4. William Ryan: Blaming the victim. Vintage Verlag, 1971.
  5. Warum Sexting unter Jugendlichen (k)ein Problem ist | medienbewusst.de - kinder. medien. kompetenz. Abgerufen am 13. August 2017.
  6. Sam Vaknin: Narcissistic Blame Game - The Guilt of Others. Abgerufen am 14. September 2015.
  7. Vgl.: Ingolf Seidel: Antisemitismus aus kritisch-theoretischer Sicht. Projektionen und Täter-Opferumkehrungen: Schuld- und Erinnerungsabwehr, haGalil, Jüdisches Leben online; vgl. Inge Günther: Antisemitismus: Die ständige Umkehr von Täter und Opfer, Frankfurter Rundschau, 30. Oktober 2019.