Vizinalbahn (Bayern)

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Als Vizinalbahn wurden in Bayern Eisenbahnen zur Erschließung des ländlichen Raums bezeichnet. Der Name wurde aus dem lateinischen Wort vicinus (deutsch: „benachbart, nahe“) gebildet.[1] Um möglichst viele Orte, die bislang fernab der Eisenbahn lagen, an dieses recht neue Verkehrsmittel anschließen zu können, wurde in Bayern am 29. April 1869 das Vizinalbahngesetz verabschiedet. Es regelte den Bau der „Bahnverbindungen von lokaler Wichtigkeit“.

Dotationsgesetz von 1869[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den 1860er Jahren wurde zunehmend klar, dass Bahnen lokaler Bedeutung mit dem für Hauptbahnen vorgeschriebenen Standard nicht rentabel zu bauen und zu betreiben waren. Zur Förderung des Baus von Bahnen lokaler Bedeutung wurde am 29. April 1869 vom bayerischen Landtag ein Dotationsgesetz („Gesetz über Bau und Betrieb von Eisenbahnstrecken untergeordneter Bedeutung“) erlassen, das den Bau von Bahnen lokaler Bedeutung neu regelte.

Technische Normen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für Vizinalbahnen wurden gegenüber Hauptbahnen größere Steigungen (1:25) und engere Bogenradien (100 m), leichtere Schienen sowie ein schmaleres Planum zugelassen. Dadurch konnten die Trassen besser an die Geländeform angepasst und aufwendige Kunstbauten vermieden werden. Die Betriebsführung war im Vergleich zu den Hauptbahnen weniger personalintensiv. Nach den ersten Erfahrungen mit den neuen Bahnen wurden weitere Bauvereinfachungen zugelassen.

Die Normalien basierten auf Empfehlungen des deutschen Eisenbahnvereins aus dem Jahr 1869 („Grundzüge für die Gestaltung sekundärer Eisenbahnen“), die – obwohl nicht bindend – von vielen Bahnen in Deutschland übernommen wurden. Von der Möglichkeit des schmalspurigen Baus wurde in Bayern zu Zeiten des Vizinalbahngesetzes kein Gebrauch gemacht. Bei den Radien blieb man in der Praxis über 180 m und bei den Steigungen unter 1:40.

Finanzierung und Betrieb[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Anliegergemeinden mussten für die Kosten des Grunderwerbs und der Erdarbeiten aufkommen; sie sollten zum Teil an den Einnahmeüberschüssen beteiligt werden. Die Hälfte der verbleibenden Baukosten wurde aus Mittelzuweisungen der Dotationsgesetze gedeckt. Zur Finanzierung der anderen Hälfte wurde ein besonderer Vizinaleisenbahn-Fonds geschaffen, der aus den Überschüssen der Staatseisenbahn gespeist wurde. Die Inanspruchnahme der Gemeinden erfolgte mit der Begründung, dass auch der Straßenbau in deren Zuständigkeit falle. Die Durchführung des Baus und der spätere Betrieb oblag den Königlich Bayerischen Staats-Eisenbahnen.

Bau der Vizinalbahnen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als erste Bahn nach dem neuen Gesetz wurde im Jahr 1872 die Strecke von Siegelsdorf nach Langenzenn erbaut. Ihr folgten bis 1879 noch 14 weitere Bahnen, als letzte Vizinalbahn wurde die Strecke Weilheim–Murnau am 15. Mai 1879 eröffnet. Insgesamt wurden 168 km Eisenbahn nach dem Vizinalbahngesetz gebaut.

In den Jahren bis 1880 entwickelten sich die Vizinalbahnen gut, nur bei einer Bahn überstiegen die Ausgaben die Einnahmen. Die Verzinsung war aber mit 1,5 % niedrig und die Anliegergemeinden gingen bei der Verteilung der Erträge mit wenigen Ausnahmen leer aus.

Liste der bayerischen Vizinalbahnen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Strecke
Spur-
weite
in mm
Länge
in km
Eröffnung
Strecken-
zustand
Bemerkung
Siegelsdorf–Langenzenn 1435 5,56 25.05.1872 in Betrieb
Georgensgmünd–Spalt 1435 6,92 16.10.1872 abgebaut Einstellung Personenverkehr 1969, Güterverkehr 1995
Wiesau–Tirschenreuth 1435 11,02 10.11.1872 abgebaut Einstellung Personenverkehr 1989, Güterverkehr 2000
Schwaben–Erding 1435 13,63 16.11.1872 in Betrieb; Teil der S-Bahn München, Schwaben heißt heute Markt Schwaben
Steinach–Rothenburg 1435 11,09 01.11.1873 in Betrieb
Immenstadt–Sonthofen 1435 8,33 16.11.1873 in Betrieb
Holzkirchen–Tölz 1435 21,43 01.06.1874 in Betrieb Tölz heißt heute Bad Tölz
Sinzing–Alling 1435 4,14 20.12.1875 abgebaut Einstellung Personenverkehr 1967, Güterverkehr 1985
Dombühl–Feuchtwangen 1435 11,10 15.04.1876 in Betrieb ohne regelmäßigen Verkehr
Biessenhofen–Oberdorf b.B. 1435 6,51 01.06.1876 in Betrieb Oberdorf b.B. heißt heute Marktoberdorf
Neustadt (Aisch)–Windsheim 1435 15,32 06.08.1876 in Betrieb
Prien–Aschau 1435 9,62 18.08.1878 in Betrieb
Senden–Weißenhorn 1435 9,62 15.09.1878 in Betrieb von 1966 bis 2013 nur Güterverkehr
Feucht–Altdorf 1435 11,70 15.10.1878 in Betrieb Teil der S-Bahn Nürnberg
Weilheim–Murnau 1435 21,40 15.05.1879 in Betrieb

Dotationsgesetz von 1882[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Dotationsgesetz vom 28. April 1882 („Gesetz über die Behandlung der bestehenden Vizinalbahnen und den Bau von Sekundärbahnen“) wurde das Ende des Vizinalbahnbaus beschlossen. Der Vizinalbahn-Fonds wurde aufgelöst. Die Anliegergemeinden erhielten aus den Mitteln dieses Fonds die Hälfte des tatsächlich von ihnen getragenen Bauaufwands zurückvergütet. Gegen Verzicht auf die zukünftige Beteiligung an den Einnahmen sollte den Gemeinden auch die zweite Hälfte des Bauaufwandes erstattet werden. Bis auf die Gemeinde Sonthofen machten alle Gemeinden von dieser Möglichkeit Gebrauch. Der Rest des Fonds wurde an die Staatsbahnbaukasse abgeführt.

Weitere Entwicklung der Bahnen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Vizinalbahnen warfen auch in den folgenden Jahren Erträge ab. Zwei Strecken wurden aufgrund der Nachfrage und der Netzentwicklung als Hauptbahnen eingestuft und entsprechend ausgebaut. Die Strecke Weilheim–Murnau wurde 1898 zur Hauptbahn, zwei Jahre später verkehrten hier die ersten durchgehenden Schnellzüge, welche über die anschließende Lokalbahn bis Garmisch-Partenkirchen fuhren. Der Abschnitt Holzkirchen–Tölz wurde ebenfalls noch vor dem Ersten Weltkrieg zur Hauptbahn aufgewertet.

Andere Strecken wurden zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit verlängert oder mit anderen Bahnen verbunden. Bei fünf der ehemaligen Vizinalbahnen wurde inzwischen der Personenverkehr eingestellt. Auf drei dieser Strecken wurde auch der Güterverkehr eingestellt, sie wurden stillgelegt und abgebaut.

Zwei Vizinalbahnen, Feucht–Altdorf und Markt Schwaben–Erding, wurden in die S-Bahn-Netze der Großstädte Nürnberg und München integriert.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hugo Marggraf: Die Kgl. Bayerischen Eisenbahnen in geschichtlicher und statistischer Beziehung. München 1894.
  • Robert Zintl: Bayerische Nebenbahnen. Stuttgart 1977, ISBN 3-87943-531-6.
  • Horst Weigelt: Bayerische Eisenbahnen: Vom Saumpfad zum Intercity. Motorbuch Stuttgart, 1A 182 ISBN 3-87943-899-4, S. 215 ff.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Die Vicinalbahn. Archiviert vom Original am 26. November 2015;. – Definition

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Großes Schulwörterbuch Lateinisch-Deutsch. Langenscheidt, Berlin/München 2001, ISBN 3-468-07204-X.