Wilhelm Hausenstein

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Wilhelm Hausenstein (Fotografie, um 1906)

Wilhelm Hausenstein (* 17. Juni 1882 in Hornberg; † 3. Juni 1957 in München) war ein deutscher historischer Schriftsteller, Kunstkritiker und Kulturhistoriker, Publizist und Diplomat. Er setzte sich gegen den Nationalsozialismus und Antisemitismus ein und widmete sich nach dem Zweiten Weltkrieg intensiv der deutsch-französischen Freundschaft.

Leben

Geboren wurde Wilhelm Hausenstein im badischen Hornberg. Seine Mutter war die Tochter des dortigen „Bärenwirts“, sein Vater – der früh starb – großherzoglicher Finanzbeamter. Wilhelm Hausenstein besuchte das Gymnasium in Karlsruhe und studierte in Heidelberg, Tübingen und München (Altphilologie, Philosophie, Theologie, Kunstgeschichte, Nationalökonomie und dann vor allem Geschichte) unter anderem bei Karl Theodor von Heigel und Lujo Brentano. 1901 arbeitete er als Hauslehrer während eines Belgien-Aufenthalts der Familie von Gustav Schönleber. 1905 schloss er sein Studium mit der Promotion ab.[1] 1907 trat er der Sozialdemokratischen Partei bei und betätigte sich in deren Arbeiterbildungsgesellschaft Vorwärts, was eine Habilitation unmöglich machte. Hausenstein wurde daraufhin freier Schriftsteller. 1916 lernte Hausenstein in Brüssel Alice Marguerite (Margot) Kohn kennen. Kohns damaliger Ehemann starb am 22. November 1916 in einem Kriegslazarett.[2] Hausenstein ging Ende Oktober 1917, nach Beendigung seines Dienstes in Brüssel, nach München zurück, begann bei der Zeitung Münchner Neueste Nachrichten und wurde gleichzeitig freier Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung. Margot brach mit ihrer Familie und folgte ihm nach München. Im November 1918 ließ Hausenstein sich scheiden; am 5. Mai 1919 heiratete er Margot. 1919 trat er aus der SPD aus.

Am 3. Februar 1922 wurde Tochter Renée-Marie Parry Hausenstein geboren. Sie wurde katholisch getauft; ihre Eltern verschwiegen ihr, dass Margot Jüdin (und Renée-Marie damit ebenfalls Jüdin) war. Beides erfuhr sie 1936.

1926 erschien in der Sowjet-Enzyklopädie ein umfänglicher Beitrag Hausensteins über das Barock. Am 14. April 1933[3] erzwang die Politische Polizei[4] seine fristlose Entlassung als Redaktionsmitglied der Münchner Neuesten Nachrichten.

Von 1934 bis 1943 war Hausenstein verantwortlich für das Literaturblatt und die Frauenbeilage der Frankfurter Zeitung. Am 24. November 1936 wurde er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen,[5] durfte also keine Bücher mehr veröffentlichen, weil er sich weigerte, die Namen jüdischer Künstler aus seiner Kunstgeschichte zu entfernen und moderne Werke als entartete Kunst zu bezeichnen; in der Reichspressekammer durfte er vorerst verbleiben. 1943 erfolgte die fristlose Entlassung auch aus der Frankfurter Zeitung und ein Verbot publizistischer Arbeit. Hausenstein konzentrierte sich auf seine Autobiografie Lux Perpetua und bereitete weitere Bücher vor, und dies im Angesicht der Gefahr, in der er und seine jüdische Frau Margot schwebten. Er versteckte sich in Tutzing am Starnberger See.

1945, nach Kriegsende, boten ihm die Amerikaner die Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung an (Bayern war Amerikanische Besatzungszone); er lehnte das Angebot wegen seiner angegriffenen Gesundheit und seiner literarischen Pläne ab.

1949 gründete er mit 48 anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern (darunter Adolf Grimme, Erich Kästner und Marie Luise Kaschnitz) die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung.[6]

1950 ging er für die Regierung Adenauer nach Paris, erst als Generalkonsul, dann als Geschäftsträger und schließlich als erster Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Frankreich (damals Vierte Französische Republik). Anfang 1955 ging er in den Ruhestand; sein Nachfolger wurde Vollrath von Maltzan.

Hausenstein schrieb rund 80 Bücher über kulturelle Themen, Kunst- und Reisebücher, Erzählungen und auch Erinnerungen; einige von ihnen erschienen unter den Pseudonymen Johann Armbruster und Kannitverstan. Sein Tagebuch im Kriege gilt als eines der eindrucksvollsten Dokumente der Zerstörung Münchens im Zweiten Weltkrieg. Auch als Übersetzer, etwa von Baudelaire-Gedichten, tat Hausenstein sich hervor.

Zu seinem Freundeskreis zählten unter anderen Paul Klee, Annette Kolb, Alfred Kubin, Rainer Maria Rilke, Karl Valentin, Albert Weisgerber, Franz Josef Schöningh und Theodor Heuss. Mit Weisgerber und Heuss traf er sich auch in Paris. Nach dem frühen Tod Weisgerbers im Ersten Weltkrieg verfasste Hausenstein im Jahre 1918 dessen Biografie. Hausenstein hatte mehrere Ämter inne und fungierte ab 1950 als Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Außerdem wurde er 1955 zum Großoffizier der Ehrenlegion ernannt. Wilhelm Hausenstein erlag am 3. Juni 1957 einem Herzinfarkt und wurde auf dem Bogenhausener Friedhof in München begraben.

Wilhelm-Hausenstein-Gesellschaft

Im November 2001 wurde die Wilhelm-Hausenstein-Gesellschaft gegründet, die u. a. das Andenken Wilhelm Hausensteins wahren sowie die Erforschung und Verbreitung seiner Werke fördern soll. Zu diesem Zweck veranstaltet sie alle zwei Jahre in Hornberg die Wilhelm-Hausenstein-Symposien.

Familie

Renée-Marie Parry Hausenstein konnte 1942, nachdem sie eine Scheinehe geschlossen hatte, nach Brasilien ausreisen. 1946 emigrierte sie in die USA; von dort aus unterstützte sie ihre Eltern mit Paketen.[7]

Werke (Auswahl)

  • 1910: Der Bauern-Bruegel (sein erstes Buch); Monografie über den Maler
  • 1911: Der nackte Mensch in der Kunst aller Zeiten
  • 1911: Rokoko, Französische und deutsche Illustratoren des achtzehnten Jahrhunderts, R.Piper & Co. Verlag München, 3.Aufl.1918
  • 1912: Soziologie der Kunst. Bild und Gemeinschaft
  • 1914: Malerei, Plastik, Zeichnung. Die bildende Kunst der Gegenwart
  • 1914: Vom Künstler und seiner Seele
  • 1918: Albert Weisgerber, ein Gedenkbuch, Herausgegeben von der Münchener Neuen Sezession
  • 1919: Der Isenheimer Altar des Matthias Grünewald
  • 1919: Geist des Barock
  • 1919: Über Expressionismus in der Malerei
  • 1920: Exoten
  • 1921: Kairuan oder eine Geschichte vom Maler Klee und von der Kunst dieses Zeitalters
  • 1922: Barbaren und Klassiker. Ein Buch von der Bildnerei Exotischer Völker
  • 1923: Giotto
  • 1928: Kunstgeschichte
  • 1932: Europäische Hauptstädte
  • 1936: Buch einer Kindheit
  • 1947: Begegnungen mit Bildern
  • 1947: Lux Perpetua. Summe eines Lebens aus dieser Zeit
  • 1949: Was bedeutet die moderne Kunst
  • 1948: Zwiegespräch über Don Quijote
  • 1958: Liebe zu München
  • 1961: Pariser Erinnerungen
  • 1968: Friedrich Bentmann (Hrsg.): Jugenderinnerungen und Reiseskizzen

Ehrungen

Literatur

  • Laurence Blanc: Wilhelm Hausenstein (1882–1957). Un médiateur culturel et politique entre l'Allemagne et la France. (= Annales Littéraires de l'Université de Franche-Comté, 642). Paris 1997.
  • Ulrich Lappenküper: Wilhelm Hausenstein - Adenauers erster Missionschef in Paris. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Jg. 43 (1995), Nr. 4, S. 635–678. (Online; PDF; 2,0 MB)
  • Walter Migge: Wilhelm Hausenstein. Wege eines Europäers. Katalog einer Ausstellung. Marbach am Neckar 1967.
  • Robert MinderHausenstein, Wilhelm. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 8, Duncker & Humblot, Berlin 1969, ISBN 3-428-00189-3, S. 113–115 (Digitalisat).
  • Peter Matthias Reuss: Die Mission Hausenstein (1950–1955). Sinzheim 1995, ISBN 3-930747-20-0.
  • Martin Schieder: Im Blick des anderen. Die deutsch-französischen Kunstbeziehungen 1945–1959 (= Passagen/Passages. Bd. 12). Mit einem Vorwort von Werner Spies und einem Gedicht von K. O. Götz. Akademie-Verlag, Berlin 2005, ISBN 978-3-05-004148-3, S. 74-88.
  • Dieter Sulzer: Der Nachlass Wilhelm Hausenstein. Ein Bericht. Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar 1982, ISBN 3-928882-43-0.
  • Johannes Werner: Wilhelm Hausenstein. Ein Lebenslauf. Iudicium, München 2005, ISBN 3-89129-177-9.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Beleg
  2. Beleg
  3. Beleg
  4. zu damaligen Umgestaltungen im Polizeiapparat siehe z.B. Michael Bollmann: Die Deutsche Polizei im Nationalsozialismus – Eine Entwicklungsgeschichte
  5. Beleg
  6. Michael Assmann, Herbert Heckmann (Hrsg.): Zwischen Kritik und Zuversicht. 50 Jahre Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Wallstein, Göttingen 1999, S. 22.
  7. Eva-Maria Herbertz: »Das Leben hat mich gelebt«. Die Biografie der Renée-Marie Hausenstein. Allitera, München 2012, ISBN 978-3-86906-172-6 (Leseprobe (pdf)).
  8. Helga Pfoertner: Mit der Geschichte leben. Bd. 1, Literareron, München 2001, ISBN 3-89675-859-4, S. 194 (PDF; 1,1 MB)