Meine Erstlinge

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Textdaten
Autor: Ossip Schubin
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Titel: Meine Erstlinge
Untertitel:
aus: Die Geschichte des Erstlingswerks, Selbstbiographische Aufsätze, S. 261–268
Herausgeber: Karl Emil Franzos
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Leipzig
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: E-Text von ngiyaw-ebooks und Djvu auf Commons
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[261]
Meine Erstlinge.
Von
Ossip Schubin.
Ornament


Es war nach einem Konzert von Rubinstein und ich war gerade 15 Jahre alt. Die herrliche Musik hatte mich aufgeregt, in meinen Nerven schrieen alle Melodien durcheinander, die ich mir von dem Konzert gemerkt.

Da, mit einem Mal legte sich der Aufruhr – die musikalischen Reminiscenzen verschwammen alle in einem langsam verklingenden Mollakkord, und über diesen sich irgendwie in Farben auflösenden Akkord hinüber, ja aus ihm heraus schwebten ein paar menschliche Figuren zu mir. Ich sah sie deutlich, ich hörte sie sprechen, ein kleines Stück fremden Lebens rollte sich vor mir auf. Ich schlich mich in ein entlegenes Zimmer, um nicht bei meiner Missethat er­tappt zu werden (denn ich hatte das Bewußtsein, meine Zeit in [262] einer unverantwortlichen Weise zu verlieren), und dann schrieb ich, bis ich ganz steife Finger hatte vor Kälte. Es war nämlich Februar und das Zimmer ungeheizt.

Da entdeckte man mich; ich wurde gescholten wegen der Erkältung, der ich mich ausgesetzt, und gezwungen, heißen Thee zu trinken, aber – „Niklas Z.“ war fertig.

Es war eine sehr kurze traurige Geschichte von einem Schul­meisterssohn, der zugleich ein großes Genie und ein großer Tölpel war; – nebstbei war er auch ein Klaviervirtuose, „er prügelte das Klavier, aber er prügelte es wie ein Gott, und was bei andern ordinäre Tastenabschlachterei gewesen wäre, blieb bei ihm stets noch olympischer Donner.“

Und er verliebte sich in eine Komtesse, die seine Jugendgespielin gewesen und ihm sehr ungeniert schöne Augen machte, weil er eben nur ein Künstler war, und die schließlich sich mit einem Husaren­leutnant verlobte, dem sie nie schöne Augen gemacht, sondern sie stets fein sittsam vor ihm niedergeschlagen, weil er eben ihres­gleichen und sie in ihn verliebt war.

Und dann brachte sich der arme, täppische, warmfühlende Künstler um, und die Komtesse erschrak darüber und weinte bitterlich, da sie ein gutes Herz hatte, und ihm gegenüber nur die besten Absichten gehabt, indem sie so lieb und nett mit ihm gewesen war – aber wie hätte sie sich’s denn träumen lassen können, daß er unvernünftig (ihre Umgebung sagte unverschämt) genug sein würde, sich ernstlich in eine Komtesse zu verlieben. Das war wirklich etwas so Un­geheuerliches, außerhalb ihres Lebensprogramms stehendes, daß sie sich zum Schluß noch ganz naiv die Frage stellte:

[263] „Wo lag mein Unrecht?“

Mit diesem Glanzeffekt endigte die Geschichte – ich hatte ihn eben niedergeschrieben, als mich meine Mutter in dem kalten Zimmer entdeckte, mich ausschalt und zwang, heißen Thee zu trinken.

So, – das ist die Geschichte von der Entstehung meiner Erst­lingsarbeit.

Sie wurde in der „Bohemia“ gedruckt. Der Stil war holprig und die Orthographie hatte der Redakteur nachgebessert, aber es kam eine Beschreibung des Böhmerwaldes drin vor, die sehr gelobt wurde, und auch etwas Aphoristisches über den Apoll vom Belve­dere – was es war, weiß ich nicht mehr genau. – –

So hatte es angefangen, mein Schreibfieber nämlich – und die späteren Anfälle meldeten sich ziemlich in derselben Weise – immer ein von irgend einem starken Eindruck hervorgerufener angenehmer oder unangenehmer (meist letzteres) Nervenaufruhr, der sich plötzlich in einer, auf ein spezielles Ziel gerichteten Thätigkeit der Phantasie erst zuspitzte, dann klärte und löste. – Eine neue Arbeit war immer ein Gebilde, das aus einem Chaos überreizter Empfindung emporstieg – immer eine Art Fiebertraum! –

Obzwar ich, kurz nachdem ich meinen Niklas Z. zu Papier ge­bracht, eine schöne Singstimme an mir entdeckte, deren allzu eifrige Pflege den baldigen Untergang derselben herbeiführte, – so blieb mir doch stets noch die Zeit, hie und da eine Novelle niederzukritzeln, und es entstanden zwischen meinem fünfzehnten und fünfundzwan­zigsten Jahr eine ganze Reihe teils von Entwürfen, teils von aus­geführten Erzählungen, von denen damals aber höchstens zwei böh­mische Provinzblätter etwas wissen wollten – die „Bohemia“ und [264] das „Prager Abendblatt“, obzwar ich mich weidlich bemühte, selbe an irgend ein größeres deutsches Blatt anzubringen.

Meine Anstrengungen in der Richtung blieben gänzlich erfolg­los. Gewöhnlich erhielt ich die sorgfältig verpackten Manuskripte postwendend zurück – manchmal dauerte es etwas länger – das war der einzige Unterschied. – Später änderten die Verleger ihren Geschmack und druckten mit viel Vergnügen die ehemals verstoßenen Erzeugnisse meiner Feder, wie z. B. „Die Galbrizzi“ – „Mal’occhio“ – „Memento mori“ – den „Frühlingstraum“ etc. etc.

Damals aber ging’s mir schlecht, und als eines schönen Tages auch die beiden Provinzblätter mir die Freundschaft kündigten und nichts mehr von mir wissen wollten, – da wurde ich sehr traurig und fing an, mich dafür zu schämen, so viel Papier und Tinte zu verderben. Vielleicht hätte ich die schlechte Gewohnheit ganz ab­gelegt, wenn nicht durch die Vermittlung meines mir damals persön­lich gänzlich unbekannten Landsmanns, Herrn Fritz Mauthner, eine kleine Erzählung von mir in der „Deutschen Lesehalle“, einem Beiblättchen des „Berliner Tageblatts“, angenommen worden wäre.

Inzwischen hatte ich auch meine schöne Stimme endgiltig be­graben, nachdem ich mit Mutter und Schwester durch halb Europa von einem berühmten Singlehrer zum andern gewandert war.

Ich sah ein, daß kein Singlehrer mir mehr zu etwas verhelfen konnte – was nicht mehr existierte! – Müde, elend zog ich in’s alte liebe Nest zurück – das alte, liebe Lochkow, in dem ich auf­gewachsen bin, mit dem meine ganze geistige Entwickelung eng ver­bunden ist, und von dem wir uns im vorigen Herbste trennen mußten.

[265] Die erste Jugend war vorbei – ich war fünfundzwanzig Jahre alt - über mich kam ein Gefühl von: „Was anfangen mit dem Leben?“ Glauben an meinen Stern, an ein allenfalsiges doch noch durchdringen können mit meinen litterarischen Erzeugnissen, hatte ich gar keinen, – dazu kam noch, daß die Quelle meiner Einbildungs­kraft gänzlich versiegt schien, daß ich nicht im stande war, irgend ein neues Motiv zu formulieren! –

Da riet mir meine Mutter eines Tages – mehr um mich zu beschäftigen, zu zerstreuen, als aus irgend einem andern Grund – einen meiner bereits im „Prager Abendblatt“ erschienenen Romane umzuarbeiten und zu versuchen, denselben in Buchform zu verwenden. Der Roman war unter dem Titel: „Der gewisse Baron Riedheim“ von „Erich Rheinau“ erschienen. –

Ohne die geringste Begeisterung machte ich mich an’s Werk. Die Feder in der Hand blätterte ich in den aus dem Abendblatt herausgeschnittenen Feuilletons. Meine Umarbeitung des Romans bestand erst aus einfachen Nachbesserungen, die ich auf die weißen Ränder der Zeitung schrieb. –

Mit einemmal warf meine Phantasie die alte Form der Er­zählung um - auf dasselbe Motiv baute ich einen andern Roman – die Hallucinationen hatten sich eingestellt, ich hörte die Figuren um mich herum sprechen, lachen, weinen – ich hätte nach ihnen greifen können – ich brauchte nur die bunten Bilder abzuschreiben, die mir durch die Seele glitten. –

Im Herbste desselben Jahres war aus dem „gewissen Baron Riedheim“ von „Erich Rheinau“ – „Ehre“ von „Ossip Schubin“ geworden. –

[266] Inzwischen hatten drei oder vielleicht vier Menschen meine No­velle in der „Deutschen Lesehalle“ gelesen und bebeifallt – Mein Jubel sowie mein Erstaunen waren groß, als Herr Fritz Mauthner daraufhin einen großen Roman bei mir für das „Berliner Tage­blatt“ verlangte – viel größer als die Enttäuschung, welche kurz darauf die Nachricht mit sich brachte, daß das Berliner Tageblatt den oben erwähnten Roman „Ehre“ ablehne.

An derlei Enttäuschungen war ich gewöhnt, die nahm ich als etwas ganz Selbstverständliches hin.

Als endlich ein heroischer junger Verleger, Heinrich Minden in Dresden, sich dazu herbeiließ, den Roman zu drucken, faßte ich das Glück als eine unverdiente Gnade Gottes auf! –

Und nun zum Schluß! –

Minden setzte alles daran, den Roman in einer Zeitung er­scheinen zu lassen, ehe er ihn in Buchform verlegte. In appetit­lichen Aushängebogen, bereits gedruckt, wurde „Ehre“ so ziemlich an alle halbwegs anständigen Redaktionen von Deutschland geschickt – und überall abgewiesen. So entschloß sich Heinrich Minden im Dezember 1882, „Ehre“ in Buchform in die Welt hinauszuschicken.

Das deutsche Lesepublikum kennt das Schicksal desjenigen meiner Romane, welcher offiziellermaßen für meinen Erstling gilt. –

Mir bleibt nicht viel darüber zu sagen als – daß niemand, nicht einmal eine der vielen Redaktionen, welche dem Roman einen Tritt versetzt hatten, erstaunter über den Erfolg desselben sein konnten – als ich selbst –

Noch heute erinnere ich mich dessen, wie am 17. Jänner 1883, während wir beim Frühstück saßen, in unserem kleinen Speisezimmer [267] in Rom, meine Mutter den Posteinlauf sichtend, mir einen Brief Heinrich Mindens aus Dresden reichte.

Es war ein Sonntag. Ein bläulich heller Sonnenstrahl lag quer über dem Frühstückstisch, und die ganze Morgenluft war me­lodisch von katholischem Glockengeschwirr.

Der Sonnenstrahl und das Glockengeschwirr thaten mir weh – ich war gänzlich mutlos und traurig. – Nichts weniger als einer freudigen Überraschung gewärtig, öffnete ich den Brief Mindens. Er enthielt eine höfliche Karte von Julius Rodenberg und eine von ihm verfaßte, auf drei Rundschauseiten eng gedruckte Kritik von „Ehre“.

Und was für eine Kritik! … Sie fing an mit den Worten: „Wer Ossip Schubin auch sein möge – des einen sind wir gewiß, daß er kein junger Mann mehr sein kann!“ … Das Übrige mögen die, welche sich dafür interessieren, in der Februar-Nummer der „Deutschen Rundschau“ von 1883 nachlesen.

Ich begriff nicht, daß das Lob sich wirklich auf mich beziehen könne – ich wurde ganz dumm und verwirrt von nicht begreifen können – ich fing an zu schluchzen – meine Mutter nahm mir die beiden Rundschaublätter aus der Hand und las sie mir vor.

Von einem Augenblick zum andern war ich zum Rang eines deutschen Schriftstellers erhoben, eines Schriftstellers, den man ernst nimmt – das Avancement war unheimlich rasch! –

Als meine Mutter mir die durchlesenen Blätter zurückgab, schüttelte sie den Kopf, – dann mit einem sehr ernsten Gesicht, die berühmten Worte Annas von Österreich an Maria von Gonzaga zitierend, sagte sie:

„Ah ma pauvre fille! Te voilà reine de Pologne! …“