Elke Kahr
Elke Kahr (* 2. November 1961 in Graz) ist eine österreichische Politikerin der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ). Seit 17. November 2021 ist sie Bürgermeisterin der steirischen Landeshauptstadt Graz.
Ausbildung und Beruf
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Elke Kahr wurde als Dreijährige von der Verkäuferin Edith Kahr und dem Schlosser Otto Kahr adoptiert und wuchs in einem Grazer Arbeiterbezirk auf. Nach der Volksschule und der Hauptschule besuchte sie die Handelsschule in der Grazbachgasse. Während einer Beschäftigung bei der Oesterreichischen Kontrollbank besuchte sie die Abend-Handelsakademie, die sie 1984 mit der Matura abschloss.[1]
Politisches Wirken
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Seit 1983 ist Kahr Mitglied der KPÖ. Von 1985 bis 2004 war sie in deren Bezirksleitung Graz beschäftigt. In den Jahren 2003 und 2004 war sie stellvertretende Bundesvorsitzende der KPÖ, und 2005 wirkte sie als Wahlkampfleiterin bei der steirischen Landtagswahl. Im Jahr 1993 trat Kahr als Gemeinderätin erstmals aktiv in der Politik auf. 1998 übernahm sie die Funktion der Klubobfrau der Grazer KPÖ. Sie ist in zahlreichen Bürger-, Sozial- und Friedensinitiativen aktiv, vor allem ihre Tätigkeit im Mieternotruf erhöhte ihre Popularität in Graz.[2]
Die Grazer KPÖ hatte bereits unter Kahrs Vorgänger Ernest Kaltenegger einen vom Rest der Partei verschiedenen Weg beschritten und sich nicht auf große weltanschauliche Fragen fokussiert, sondern eine sehr niederschwellige, bürgerorientierte Politik verfolgt.[3] Auf Kaltenegger geht die auch von Kahr weiterverfolgte und medial vielbeachtete Praxis zurück, einen Großteil des Nettogehaltes zur unbürokratischen Unterstützung bedürftiger Bürger zur Verfügung zu stellen.[4] Bei der Gemeinderatswahl 2003 konnte Kaltenegger die KPÖ mit einem Plus von rund 13 Prozentpunkten der Stimmen zu einem Rekordergebnis von 20,8 Prozent führen. Nachdem der Partei bei der Landtagswahl in der Steiermark 2005 erstmals seit 35 Jahren wieder der Einzug in den Landtag gelungen war, übernahm Kahr Kalteneggers Agenden in der Grazer Stadtregierung, insbesondere das Referat für Wohnungsangelegenheiten, das sie bis 2017 führte.[5][6]
Bei der Gemeinderatswahl 2008 konnte Kahr nicht unmittelbar an die Popularität ihres Vorgängers anknüpfen, die KPÖ verlor 9,6 Prozentpunkte der Stimmen. Kahr behielt jedoch ihren Sitz im Stadtsenat und hatte somit vier weitere Jahre Zeit, ihr Profil zu entwickeln. Bei der Gemeinderatswahl 2012 belegte ihre Partei mit knapp zwanzig Prozent den zweiten Platz, was ein österreichweit einzigartiges Ergebnis bedeutete.[7] Nach dem Rücktritt der bisherigen Grazer Vizebürgermeisterin und Sozialstadträtin Martina Schröck (SPÖ) wurde Elke Kahr im Juni 2016 mit 38 von 46 abgegebenen Stimmen im Gemeinderat zur neuen Stellvertretenden Bürgermeisterin gewählt, sie hatte das Amt bis zur Wahl im folgenden Jahr inne.[8] Bei dieser Gemeinderatswahl 2017 konnte die KPÖ das Ergebnis von 2012 leicht verbessern und knapp einen zweiten Stadtratssitz gewinnen. In der folgenden Stadtregierung wurde Kahr nicht mehr mit den Wohnungsangelegenheiten betraut, sondern sie erhielt das als unpopulär eingeschätzte Verkehrsressort.[9][10]
Bei der Gemeinderatswahl 2021 übernahm die KPÖ überraschend Platz eins von der ÖVP und löste damit den langjährigen Bürgermeister Siegfried Nagl ab.[11] Das Ergebnis sorgte international für Aufsehen.[12] Da der mandatsstärksten im Gemeinderat vertretenen Partei das Vorschlagsrecht für den neu zu wählenden Bürgermeister zusteht,[13] wurde Kahr nun als wahrscheinliche neue Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Graz gehandelt.[14] Die Aussicht auf eine kommunistische Bürgermeisterin führte zu mitunter emotionalen Reaktionen – die nach eigenen Angaben „überzeugte Marxistin“[15] musste sich vielfach von totalitären Regimen distanzieren.[16][17] Kurzfristig sorgte eine Reportage von RTL Hrvatska für Aufsehen, in der Kahr sich positiv über Josip Broz Tito äußerte, sie relativierte ihre Aussagen jedoch infolgedessen und meinte, ihr Lob habe vor allem seiner Politik der Blockfreien Staaten gegolten.[18] Nach längeren Sondierungen begann sie Ende Oktober 2021 Verhandlungen zu einer linken Koalition mit Grünen und SPÖ,[19] am 13. November 2021 stellten die drei Parteien schließlich ihr Koalitionsprogramm vor.[20] Am 17. November 2021 folgte ihre Wahl zur Bürgermeisterin durch den Gemeinderat. Kahr wurde folglich die erste Frau an der Spitze der Grazer Stadtregierung und die erste kommunistische Bürgermeisterin einer Landeshauptstadt.[21] Auszeichnungen wie der World Mayor Prize, den Elke Kahr 2023 verliehen bekommen hat, zeigen, dass sie nach wie vor internationales Medieninteresse auf sich zieht.[22] Insbesondere, dass Elke Kahr große Teile ihres Gehalts spendet, wird in Interviews und Berichten hervorgehoben.[23]
Privates
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Elke Kahr lebt seit 1988 mit dem ehemaligen KPÖ-Landesparteivorsitzenden Franz Stephan Parteder in einer Lebensgemeinschaft. Das Paar hat einen 1990 geborenen Sohn.[24][1]
Publikationen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 2023: Es geht auch anders gemeinsam mit Silvia Jelincic, edition a, Wien 2023, ISBN 978-3-99001-622-0.
Auszeichnung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- World Mayor Prize 2023 (Bürgermeisterin des Jahres 2023); vergeben von der City Mayors Foundation.[25]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Jonas Vogt: Der Kernöl-Kommunismus- Wo der Erfolg der steirischen KPÖ herkommt und wo sie hin will – Eine Biographie, Ampuls Verlag, New edition, Unteraichwald 2022, ISBN 978-3-9519818-9-5
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Lebenslauf Stadträtin Elke Kahr auf der Website der Stadt Graz
- Lebenslauf Elke Kahr auf der Website der KPÖ Graz
- Lucien Scherrer: Die lustigen Kommunisten aus «Leningraz» – deutsche Medien verklären österreichische Diktatoren-Bewunderer und Putin-Versteher NZZ.com vom 7. Februar 2024.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b Elke Kahr. In: kpoe-graz.at. Abgerufen am 31. Oktober 2021.
- ↑ Gerald Winter-Pölsler: Phänomen KahrPÖ: Eine Marxistin ist die beliebteste Politikerin von Graz. In: Kleinezeitung.at. 5. September 2021, abgerufen am 31. Oktober 2021.
- ↑ Helmut Konrad: Streifzug durch die Geschichte der KPÖ: Vom Trabanten Moskaus zur Graswurzelbewegung. In: Kleinezeitung.at. 2. Oktober 2021, abgerufen am 31. Oktober 2021.
- ↑ David Pesendorfer: Elke Kahr: Mehr als eine Linkspopulistin? In: News.at. 25. September 2021, abgerufen am 1. November 2021.
- ↑ Klaus Höfler: Ernest Kaltenegger: „KPÖ ist die Partei der Zukunft“. In: DiePresse.com. 21. August 2010, abgerufen am 31. Oktober 2021.
- ↑ Lebenslauf Stadträtin Elke Kahr. In: Graz.at. Abgerufen am 31. Oktober 2021.
- ↑ Gerald Winter-Pölsler: KPÖ. Elke Kahr: Die rote Revolution von Graz. In: Kleinezeitung.at. 25. November 2012, abgerufen am 31. Oktober 2021.
- ↑ KPÖ-Stadträtin Elke Kahr neue Vizebürgermeisterin in Graz. In: SN.at. Salzburger Nachrichten, 16. Juni 2016, abgerufen am 28. September 2021.
- ↑ Marcus Staiger: „Das ist ein Marathon und kein Sprint“: Der Weg zum kommunistischen Wahlsieg in Graz. In: Heise.de. 19. Oktober 2021, abgerufen am 31. Oktober 2021.
- ↑ Machtwechsel in Graz: KPÖ vor ÖVP, Bürgermeister Nagl tritt zurück. In: DiePresse.com. 26. September 2021, abgerufen am 17. November 2021.
- ↑ Graz-Wahl. „Mehr als überraschend“. In: Steiermark.ORF.at. 26. September 2021, abgerufen am 26. September 2021.
- ↑ Grazer KPÖ-Sieg. Auch Medien im Ausland staunen. In: ORF.at. 27. September 2021, abgerufen am 31. Oktober 2021 (internationale Medienberichte im Artikel verlinkt).
- ↑ § 21 Statut der Landeshauptstadt Graz 1967 (St. LGBl. Nr. 130/1967 idF St. LGBl. Nr. 114/2020).
- ↑ Grazer Bürgermeisterin-Sessel für Kahr möglich. In: Steiermark.ORF.at. 26. September 2021, abgerufen am 26. September 2021.
- ↑ Florian Gasser: Elke Kahr. Die nette Marxistin. In: Zeit.de. 26. Januar 2017, abgerufen am 1. November 2021.
- ↑ Maria Zimmermann: Die Utopie der Kommunistin Elke Kahr. In: SN.at. Salzburger Nachrichten, 27. September 2021, abgerufen am 1. November 2021: „«Wir wollen keinen Würstelstand vergesellschaften», versichert die mögliche künftige Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr.“
- ↑ Colette M. Schmidt: Elke Kahr: „Ich habe von einem Stalin nie etwas gehalten“. Interview. In: derStandard.at. 28. September 2021, abgerufen am 1. November 2021.
- ↑ Elisabeth Holzer, Mirad Odobašić: Wie Elke Kahr das Blut der Jugo-Nostalgiker in Wallung brachte. In: Kurier.at. 5. Oktober 2021, abgerufen am 1. November 2021.
- ↑ Linke Koalitionsverhandlungen in Graz gestartet. In: SN.at. Salzburger Nachrichten, 23. Oktober 2021, abgerufen am 31. Oktober 2021.
- ↑ Steffen Arora: KPÖ-geführte Linkskoalition stellt ihr „Programm für Graz“ vor. In: derStandard.at. 13. November 2021, abgerufen am 15. November 2021.
- ↑ Elke Kahr wird Grazer Bürgermeisterin. In: Steiermark.ORF.at. 17. November 2021, abgerufen am 17. November 2021.
- ↑ Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr erhielt World Mayor Award. Abgerufen am 18. April 2024 (österreichisches Deutsch).
- ↑ dpa: An Menschen in Not: Kommunisten in Salzburg spenden große Teile ihres Gehalts. In: Die Zeit. 27. Dezember 2023, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 18. April 2024]).
- ↑ Colette M. Schmidt: Elke Kahr: „Sonny“ tritt aus Kalteneggers Schatten. In: derStandard.at. 25. November 2012, abgerufen am 1. November 2021.
- ↑ World-Mayor-Preis geht an Elke Kahr. In: steiermark.orf.at. 30. Januar 2024, abgerufen am 30. Januar 2024.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Siegfried Nagl | Bürgermeisterin von Graz seit 17. November 2021 |
Personendaten | |
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NAME | Kahr, Elke |
KURZBESCHREIBUNG | österreichische Kommunalpolitikerin (KPÖ), Grazer KPÖ-Stadträtin |
GEBURTSDATUM | 2. November 1961 |
GEBURTSORT | Graz |