Lutetium(177Lu)vipivotidtetraxetan
Strukturformel | |||||||||||||
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Lutetium(177Lu)vipivotidtetraxetan | |||||||||||||
Allgemeines | |||||||||||||
Freiname | Lutetium(177Lu)vipivotidtetraxetan[1] (mod. INN) | ||||||||||||
Andere Namen |
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Summenformel | C49H68177LuN9O16 | ||||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | |||||||||||||
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Arzneistoffangaben | |||||||||||||
ATC-Code | |||||||||||||
Eigenschaften | |||||||||||||
Molare Masse | 1216,06 g·mol−1 | ||||||||||||
Sicherheitshinweise | |||||||||||||
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Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). |
Lutetium(177Lu)vipivotidtetraxetan (177Lu-PSMA-617) ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Radiotherapeutika. Unter dem Namen Pluvicto (Hersteller: Novartis) ist er seit 2022 in den USA und in der EU zur Behandlung einer bestimmten Form von Prostatakrebs zugelassen.
Eigenschaften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]177Lu-PSMA-617 ist ein Radioliganden-Therapeutikum. Der biologisch aktive Teil ist das Radionuklid Lutetium-177.
Die DOTA-Chelator-Verbindung PSMA-617 (Vipivotidtetraxetan,[3] DOTA-trans-Amc-Nal-(1→6)-Lys-(N2→)-CO-Glu-OH) vermag das strahlentherapeutisch wirksame 177Lutetium-Kation durch Komplexierung zu binden. Mit dem anderen Ende bindet PSMA-617 an das prostataspezifische Membranantigen (PSMA), ein Transmembranprotein, das bei Prostatakrebs, einschließlich mCRPC, exprimiert wird. Die von Lutetium-177 abgegebene Beta-Minus-Strahlung induziert an den PSMA-exprimierenden und den umliegenden Zellen DNA-Schäden, die zum Zelltod führen.[4]
Das Glu-CO-Lys-Strukturmotiv ist ein Baustein, der sich gut für die Entwicklung wirksamer PSMA-Inhibitoren eignet und stellt ein gemeinsames Merkmal vieler PSMA-spezifischer Radiotracer dar. Das aktive Zentrum von PSMA enthält zwei Zn2+-Ionen, zwei Untertaschen (S1 und S1′) und eine hydrophobe S1-Hilfstasche. Der PSMA-Bindungshohlraum hat einen trichterförmigen Eingangstunnel von etwa 20 Å Länge und eine Aren-Bindungsstelle an der Außenfläche des Proteins. Die hohe Affinität der Glu-CO-Lys-Einheit für PSMA beruht auf Wechselwirkungen des Glutaminsäurerests mit der S1-Bindungstasche sowie auf der Bindung der Harnstoff-Funktionalität an das aktive Zn2+-Zentrum.[5]
Therapeutische Verwendung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Anwendungsgebiet von 177Lu-PSMA-617 umfasst die Behandlung erwachsener Patienten mit PSMA-positivem metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakrebs (mCRPC), bei denen Therapieoptionen wie Taxan-basierte Chemotherapie und Behandlung mit Androgenrezeptor-Signalweg-Inhibitoren ausgeschöpft sind. Das Mittel wird als intravenöse Infusion in mehreren Zyklen verabreicht.[4]
Klinische Prüfung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Zulassung beruht auf den Ergebnissen der Phase-3-Studie VISION.[6] In dieser prospektiven, unverblindeten, aktiv kontrollierten und multizentrisch angelegten Studie wurden Patienten mit progressivem PSMA-positiven mCRPC, welche 177Lu-PSMA-617 zuzüglich zur Standardtherapie (Best Standard of Care, BSoC) erhielten, verglichen mit Patienten, die nur mit der Standardtherapie behandelt wurden.
Primäre Endpunkte für die Wirksamkeit waren das – mittels radiografischer Bildgebung ermittelte – progressionsfreie Überleben (rPFS) nach den Kriterien der Prostate Cancer Working Group 3 (PCWG3) durch eine verblindete unabhängige zentrale Überprüfung (Blinded Independent Central Review, BICR), das 8,7 Monate in der BSoC+177Lu-PSMA-617-Gruppe betrug gegenüber 3,4 Monate in der BSoC-Gruppe, sowie das Gesamtüberleben (OS) (15,3 vs. 11,3 Monate). Ein zusätzliches Maß für die Wirksamkeit war die Gesamtansprechrate (ORR) gemäß den RECISTv1.1-Kriterien.[4]
Nebenwirkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die häufigsten Nebenwirkungen, die bei mindestens 20 % der Behandelten auftraten, sind Müdigkeit, Mundtrockenheit, Übelkeit, Anämie, Appetitlosigkeit und Verstopfung. Die häufigsten Laboranomalien waren verminderte Lymphozyten, vermindertes Hämoglobin, verminderte Leukozyten, verminderte Blutplättchen sowie verminderte Calcium- und Natriumspiegel.[4]
Entwicklung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Wirkstoff wurde im Deutschen Krebsforschungszentrum und im Universitätsklinikum Heidelberg entwickelt. Zur präklinischen Entwicklung wurde er an die ABX GmbH in Radeberg auslizenziert. 2017 hat die US-amerikanische Firma Endocyte Inc. die exklusiven Lizenzrechte für die Entwicklung und Vermarktung des Wirkstoffs von ABX erworben. Am 18. Oktober 2018 gab Novartis dann bekannt, Endocyte für 2,1 Milliarden US-Dollar übernehmen zu wollen.[7]
Sonstiges
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Arzneimittel hatte im September 2021 von der FDA einen „Priority Review“-Status erhalten und konnte somit in einem beschleunigten Verfahren im März 2022 zugelassen werden.[8] In Deutschland kann es im Rahmen eines Härtefallprogramms (Compassionate Use) zur Anwendung kommen.[9] Für die Länder des europäischen Wirtschaftsraumes erfolgte die Zulassung im Dezember 2022.[10]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- O. Sartor et al.: Lutetium-177–PSMA-617 for Metastatic Castration-Resistant Prostate Cancer. In: The New England Journal of Medicine. Band 385, 2021, S. 1091–1103, doi:10.1056/NEJMoa2107322.
- M. Lenzen-Schulte: Radioligandentherapie: Die Ultima Ratio beim Prostatakrebs. Deutsches Ärzteblatt, Bd. 114, Nr. 44, 2017; A-2036 / B-1718 / C-1683.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ INN Recommended List 82, World Health Organisation (WHO), 9. September 2019.
- ↑ Dieser Stoff wurde in Bezug auf seine Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
- ↑ Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu Vipivotidtetraxetan: CAS-Nr.: 1702967-37-0, PubChem: 122706786, ChemSpider: 107563259, Wikidata: Q111365727.
- ↑ a b c d Label Pluvicto, Novartis, Stand März 2022.
- ↑ S. Martin, R. Tönnesmann, I. Hierlmeier, S. Maus, F. Rosar, J. Ruf, J.P. Holland, S. Ezziddin, M.D. Bartholomä: Identification, Characterization, and Suppression of Side Products Formed during the Synthesis of [177Lu]Lu-PSMA-617. In: Journal of Medicinal Chemistry. Band 64, Nr. 8, S. 4960–4971, doi:10.1021/acs.jmedchem.1c00045.
- ↑ Klinische Studie (Phase 3): Study of 177Lu-PSMA-617 In Metastatic Castrate-Resistant Prostate Cancer (VISION) bei Clinicaltrials.gov der NIH
- ↑ Helga Blasius: Novartis kauft Rechte an viel versprechendem Prostatakrebs-Wirkstoff. In: Deutsche Apotheker Zeitung. 13. November 2018, abgerufen am 17. Dezember 2022.
- ↑ FDA Approves 177Lu-PSMA-617 for Pretreated PSMA+ Metastatic Castration-Resistant Prostate Cancer, www.cancernetwork.com, 23. März 2022.
- ↑ Aktuell laufende und bestätigte Arzneimittel-Härtefallprogramme, (genehmigtes Programm 7. Juni 2021 bis 7. Juni 2022), BfArM, abgerufen am 24. März 2022.
- ↑ Eintrag EU/1/22/1703 im EU-Register für Humanarzneimittel, Europäische Kommission. Abgerufen am 16. Dezember 2022.