Lutetium(177Lu)vipivotidtetraxetan

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Strukturformel
Lutetium(177Lu)vipivotidtetraxetan
Lutetium(177Lu)vipivotidtetraxetan
Allgemeines
Freiname Lutetium(177Lu)vipivotidtetraxetan[1] (mod. INN)
Andere Namen
  • {N-[(N6)-{3-(Naphthalin-2-yl)-N-[trans-4-({2-[4,7,10-tris(carboxylato-κ3O4,O7,O10-methyl)-1,4,7,10-tetraazacyclododecan-1-yl-κ4N1,N4,N7,N10]acetamido-κO}methyl)cyclohexan-1-carbonyl]-L-alanyl}-L-lysin-N2-yl)carbonyl]-L-glutaminsäure}(177Lu)lutetium
  • (177Lu)Lutetium 2,2',2''-[10-(2-{[(trans-4-{[(2S)-1-{[(5S)-5-carboxy-5-({[(1S)-1,3-dicarboxy­propyl]carbamoyl}amino)pentyl]amino}-3-(2-naphthyl)-1-oxo-2-propanyl]carbamo­yl}cyclo­hexyl)methyl]amino}-2-oxo­ethyl)-1,4,7,10-tetraazacyclododecan-1,4,7-triyl]triacetat
  • 177LU-PSMA-617
  • PSMA-617-Lu-177
Summenformel C49H68177LuN9O16
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 1703749-62-5
PubChem 122706785
ChemSpider 58828499
Wikidata Q111353661
Arzneistoffangaben
ATC-Code

V10XX05

Eigenschaften
Molare Masse 1216,06 g·mol−1
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
keine Einstufung verfügbar[2]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Lutetium(177Lu)vipivotidtetraxetan (177Lu-PSMA-617) ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Radiotherapeutika. Unter dem Namen Pluvicto (Hersteller: Novartis) ist er seit 2022 in den USA und in der EU zur Behandlung einer bestimmten Form von Prostatakrebs zugelassen.

177Lu-PSMA-617 ist ein Radioliganden-Therapeutikum. Der biologisch aktive Teil ist das Radionuklid Lutetium-177.

Die DOTA-Chelator-Verbindung PSMA-617 (Vipivotidtetraxetan,[3] DOTA-trans-Amc-Nal-(1→6)-Lys-(N2→)-CO-Glu-OH) vermag das strahlentherapeutisch wirksame 177Lutetium-Kation durch Komplexierung zu binden. Mit dem anderen Ende bindet PSMA-617 an das prostataspezifische Membranantigen (PSMA), ein Transmembranprotein, das bei Prostatakrebs, einschließlich mCRPC, exprimiert wird. Die von Lutetium-177 abgegebene Beta-Minus-Strahlung induziert an den PSMA-exprimierenden und den umliegenden Zellen DNA-Schäden, die zum Zelltod führen.[4]

Das Glu-CO-Lys-Strukturmotiv ist ein Baustein, der sich gut für die Entwicklung wirksamer PSMA-Inhibitoren eignet und stellt ein gemeinsames Merkmal vieler PSMA-spezifischer Radiotracer dar. Das aktive Zentrum von PSMA enthält zwei Zn2+-Ionen, zwei Untertaschen (S1 und S1′) und eine hydrophobe S1-Hilfstasche. Der PSMA-Bindungshohlraum hat einen trichterförmigen Eingangstunnel von etwa 20 Å Länge und eine Aren-Bindungsstelle an der Außenfläche des Proteins. Die hohe Affinität der Glu-CO-Lys-Einheit für PSMA beruht auf Wechselwirkungen des Glutaminsäurerests mit der S1-Bindungstasche sowie auf der Bindung der Harnstoff-Funktionalität an das aktive Zn2+-Zentrum.[5]

Therapeutische Verwendung

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Das Anwendungsgebiet von 177Lu-PSMA-617 umfasst die Behandlung erwachsener Patienten mit PSMA-positivem metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakrebs (mCRPC), bei denen Therapieoptionen wie Taxan-basierte Chemotherapie und Behandlung mit Androgenrezeptor-Signalweg-Inhibitoren ausgeschöpft sind. Das Mittel wird als intravenöse Infusion in mehreren Zyklen verabreicht.[4]

Klinische Prüfung

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Die Zulassung beruht auf den Ergebnissen der Phase-3-Studie VISION.[6] In dieser prospektiven, unverblindeten, aktiv kontrollierten und multizentrisch angelegten Studie wurden Patienten mit progressivem PSMA-positiven mCRPC, welche 177Lu-PSMA-617 zuzüglich zur Standardtherapie (Best Standard of Care, BSoC) erhielten, verglichen mit Patienten, die nur mit der Standardtherapie behandelt wurden.

Primäre Endpunkte für die Wirksamkeit waren das – mittels radiografischer Bildgebung ermittelte – progressionsfreie Überleben (rPFS) nach den Kriterien der Prostate Cancer Working Group 3 (PCWG3) durch eine verblindete unabhängige zentrale Überprüfung (Blinded Independent Central Review, BICR), das 8,7 Monate in der BSoC+177Lu-PSMA-617-Gruppe betrug gegenüber 3,4 Monate in der BSoC-Gruppe, sowie das Gesamtüberleben (OS) (15,3 vs. 11,3 Monate). Ein zusätzliches Maß für die Wirksamkeit war die Gesamtansprechrate (ORR) gemäß den RECISTv1.1-Kriterien.[4]

Die häufigsten Nebenwirkungen, die bei mindestens 20 % der Behandelten auftraten, sind Müdigkeit, Mundtrockenheit, Übelkeit, Anämie, Appetitlosigkeit und Verstopfung. Die häufigsten Laboranomalien waren verminderte Lymphozyten, vermindertes Hämoglobin, verminderte Leukozyten, verminderte Blutplättchen sowie verminderte Calcium- und Natriumspiegel.[4]

Der Wirkstoff wurde im Deutschen Krebsforschungszentrum und im Universitätsklinikum Heidelberg entwickelt. Zur präklinischen Entwicklung wurde er an die ABX GmbH in Radeberg auslizenziert. 2017 hat die US-amerikanische Firma Endocyte Inc. die exklusiven Lizenzrechte für die Entwicklung und Vermarktung des Wirkstoffs von ABX erworben. Am 18. Oktober 2018 gab Novartis dann bekannt, Endocyte für 2,1 Milliarden US-Dollar übernehmen zu wollen.[7]

Das Arzneimittel hatte im September 2021 von der FDA einen „Priority Review“-Status erhalten und konnte somit in einem beschleunigten Verfahren im März 2022 zugelassen werden.[8] In Deutschland kann es im Rahmen eines Härtefallprogramms (Compassionate Use) zur Anwendung kommen.[9] Für die Länder des europäischen Wirtschaftsraumes erfolgte die Zulassung im Dezember 2022.[10]

Einzelnachweise

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  1. INN Recommended List 82, World Health Organisation (WHO), 9. September 2019.
  2. Dieser Stoff wurde in Bezug auf seine Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  3. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu Vipivotidtetraxetan: CAS-Nr.: 1702967-37-0, PubChem: 122706786, ChemSpider: 107563259, Wikidata: Q111365727.
  4. a b c d Label Pluvicto, Novartis, Stand März 2022.
  5. S. Martin, R. Tönnesmann, I. Hierlmeier, S. Maus, F. Rosar, J. Ruf, J.P. Holland, S. Ezziddin, M.D. Bartholomä: Identification, Characterization, and Suppression of Side Products Formed during the Synthesis of [177Lu]Lu-PSMA-617. In: Journal of Medicinal Chemistry. Band 64, Nr. 8, S. 4960–4971, doi:10.1021/acs.jmedchem.1c00045.
  6. Klinische Studie (Phase 3): Study of 177Lu-PSMA-617 In Metastatic Castrate-Resistant Prostate Cancer (VISION) bei Clinicaltrials.gov der NIH
  7. Helga Blasius: Novartis kauft Rechte an viel versprechendem Prostatakrebs-Wirkstoff. In: Deutsche Apotheker Zeitung. 13. November 2018, abgerufen am 17. Dezember 2022.
  8. FDA Approves 177Lu-PSMA-617 for Pretreated PSMA+ Metastatic Castration-Resistant Prostate Cancer, www.cancernetwork.com, 23. März 2022.
  9. Aktuell laufende und bestätigte Arzneimittel-Härtefallprogramme, (genehmigtes Programm 7. Juni 2021 bis 7. Juni 2022), BfArM, abgerufen am 24. März 2022.
  10. Eintrag EU/1/22/1703 im EU-Register für Humanarzneimittel, Europäische Kommission. Abgerufen am 16. Dezember 2022.