Negride

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Ethnographische Karte. Verbreitung der Menschenrassen – in braunen Farbtönen die „negroide Rasse“ in Afrika und Australien (Meyers Konversations-Lexikon 1885–1892)
Afrikanische Völker (Zeichnung in Meyers Konversationslexikon 1885–1890).

Negride oder Negroide (lateinisch niger „schwarz“) ist eine nicht mehr gebräuchliche rassenkundliche Bezeichnung für eine Reihe dunkelhäutiger afrikanischer Bevölkerungen, die ganz Subsahara-Afrika, also den überwiegenden Teil des afrikanischen Kontinents bewohnen. Auch Melaneside, Negritos und insbesondere Australide (australische Völker) wurden anfangs den Negriden zugeordnet. Bisweilen wurden sie als eigener „Rassenkreis“ behandelt und in späteren Theorien den Mongoliden zugeordnet.[1] Die Einteilung negrid oder negroid ist völkerkundlich unbrauchbar, weil sie nach rein körperlichen Kriterien (siehe Phänotypische Variation) eine angebliche Einheitlichkeit suggeriert. Teilweise wird als Synonym auch der Begriff Schwarze verwendet.

Rassentheoretische Merkmale

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Negride gehörten nach veralteten Rassentheorien neben Europiden und Mongoliden zu den drei grundlegend unterschiedlichen „Großrassen“. Die Klassifizierung als „Großrasse“ erfolgte mehr oder weniger willkürlich anhand (augenfälliger) gemeinsamer Merkmale, von denen man annahm, sie belegten einen gemeinsamen Ursprung oder eine genetische Verwandtschaft. Molekularbiologische Daten zeigen jedoch eine Inhomogenität der als Negriden zusammengefassten Gruppe und widersprechen einer Einteilung in „Großrassen“. Als negrid wurden körperliche Merkmale wie eine wulstige Nase, krauses Haar und eine dunkel pigmentierte Haut angesehen. Der Gesichtsschädel des „typischen Negriden“ weist rundliche Augen- und Nasenhöhlen auf, ausgeprägte Kiefer und häufig einen langgestreckten Schädel.

Noch in den 1970er Jahren wollten durch das soziologische Konzept des Behaviorismus an den wissenschaftstheoretischen Rand gedrängte Rassenkundler die ausgemachten physischen Kriterien („morphologische Merkmale“) mit geistig-psychischen Eigenschaften gleichsetzen. Den Negriden schreibt etwa John Baker (Race, 1974) eine geringere Kulturfähigkeit als den Europiden und den Mongoliden zu.[2]

Die angeblich homogenen Eigenschaften der Negriden im Unterschied zu den anderen angenommenen „Menschenrassen“ wurde molekularbiologisch und bevölkerungsgenetisch eindeutig widerlegt. Jedes Gen hat seinen eigenen geographischen Verbreitungsschwerpunkt. Um die Existenz einer Rasse zu belegen, müssten die Verbreitungsschwerpunkte einer Vielzahl von Genen einer bestimmten Population weitgehend deckungsgleich und unterscheidbar von anderen Populationen sein. Es gibt jedoch keine einheitlichen geographischen Überschneidungen für alle Schwarzafrikaner (oder Äthiopier, Pygmäen, Khoisan usw.). Die äußerlichen Unterschiede zwischen den „Negriden“ und anderen „Rassen“ repräsentieren lediglich einen sehr kleinen Teil der Erbanlagen, die auf die Anpassung an unterschiedliche Klimate zurückgehen.[3]

Rassensystematische Untergliederung

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Die Negriden wurden nach der Rassensystematik – die bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus gebräuchlich war – in verschiedene „Kleinrassen“ untergliedert, deren Abgrenzung natürlich noch weitaus problematischer ist als die der drei „Großrassen“. Trotz der enormen Datenmengen über diverse körperliche Merkmale, die zur Rassenbestimmung zusammengetragen wurden, blieb die Beurteilung immer subjektiv, eurozentrisch und so dermaßen künstlich konstruiert, dass die Ergebnisse den vorher formulierten Erwartungen entsprachen.[4][5]

Auch die folgenden Bezeichnungen solcher angeblicher „Kleinrassen“, die etwa der DDR-Anthropologe Herbert Bach in Anlehnung an seinen Lehrer – den nationalsozialistischen Rassentheoretiker Egon von Eickstedt – noch bis in die 1990er Jahre verwendete,[6] sind heute weitestgehend aus der Literatur verschwunden:

  • Sudanide (Savannenregion Sudan, Guinea-Küste)
  • Nilotide (Oberer Nil)
  • Äthiopide (Äthiopien, Ostafrika, nordafrikanischer Tropengürtel)
  • Palänegride (Regenwaldzone Zentralafrikas)
  • Kafride (südafrikanische Trockenwaldzone, Ost-Afrika)
  • Bambutide (auch: Pygmide) (Regenwälder des Kongo, insbesondere am Ituri)
  • Khoisanide (südafrikanische Trockengebiete, insbesondere Kalahari und Kapland)
  • Luigi Luca Cavalli-Sforza, P. Menozzi, A. Piazza: The history and geography of human genes. Princeton, New Jersey: Princeton University Press 1994 (englisch; Darstellung aus neodarwinistischer Sicht).
  • Susan Arndt (Hrsg.): AfrikaBilder. Studien zu Rassismus in Deutschland. Unrast Verlag, Münster 2001, 2006, ISBN 3-89771-407-8.
  • Susan Arndt und Antje Hornscheidt (Hrsg.): Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Unrast Verlag, ISBN 3-89771-424-8.
  • U. Bitterli: Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“. Die europäisch-überseeische Begegnung. dtv, München 1982.
  • F. Böckelmann: Die Gelben, die Schwarzen und die Weißen. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1999.
  • Erwin Ebermann (ed.).: Afrikaner in Wien: zwischen Mystifizierung und Verteufelung. LIT-Verlag. 2003, ISBN 3-8258-5712-3.
  • Grada Kilomba-Ferreira: Die Kolonisierung des Selbst – der Platz des Schwarzen. In: Hito Steyerl, Encarnación Gutiérrez Rodríguez (Hrsg.): Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik. Unrast Verlag, Münster 2003, ISBN 3-89771-425-6.
  • Grada Kilomba-Ferreira: „Don't You Call Me Neger!“ – Das N-Wort, Trauma und Rassismus. In: ADB & cyberNomads (Hrsg.): TheBlackBook. Deutschlands Häutungen. IKO Verlag, Frankfurt am Main, London 2004.
  • P. Martin: Schwarze Teufel, edle Mohren. Hamburger Edition, Hamburg 2001.
  • Lexikoneintrag: Negriden. In: Meyers Lexikon online 2.0. Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus, 2008, archiviert vom Original am 21. Juni 2008; abgerufen am 19. Juni 2014.
  • Susan Arndt: Kolonialismus, Rassismus und Sprache. Kritische Betrachtungen der deutschen Afrikaterminologie. Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), 30. Juli 2004, abgerufen am 19. Juni 2014.

Einzelnachweise

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  1. H. Ritter: Was sind Rassen? Der Entwurf einer modernen Rassenkunde. In: H. Autrum, U. Wolf (Hrsg.): Humanbiologie: Ergebnisse und Aufgaben. Auflage, Springer Berlin/Heidelberg/New York 1973, ISBN 978-3-540-06150-2. S. 76–82.
  2. Salcia Landmann: Rasse und Kultur / Neue Literatur zur Rassenfrage. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Band 29, Nr. 2, 1977, S. 160–163. „Und speziell in den USA, wo Europide, Negride und Mongolide nebeneinander leben, beharren neuerdings Soziologen und Ethnologen, allen Gegenbeweisen zu Trotz, darauf, daß sich Begabungsunterschiede zwischen den verschiedenen Rassegruppen nur aus Milieugründen erklären.“ (Landmann, S. 160) Landmann bespricht John Randal Baker: Die Rassen der Menschheit. Deutsche Verlagsanstalt, München 1976, englisches Original: Race. Oxford University Press, 1974
  3. Deklaration von Schlaining: Gegen Rassismus, Gewalt und Diskriminierung. (Memento vom 10. Oktober 2020 im Internet Archive) 1995, Abschnitt II: „Zur Obsoletheit des Begriffes der ‚Rasse‘“.
  4. Ulrich Kattmann: Warum und mit welcher Wirkung klassifizieren Wissenschaftler Menschen? In: Heidrun Kaupen-Haas und Christian Saller (Hrsg.): Wissenschaftlicher Rassismus: Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften. Campus, Frankfurt a. M. 1999, ISBN 3-593-36228-7, S. 65–83.
  5. Oliver Trey: Die Entwicklung von Rassentheorien im 19. Jhdt.: Gobineau und sein Essai „Die Ungleichheit der Menschenrassen“. disserta, Hamburg 2014, ISBN 978-3-95425-684-6. S. 13, 28–29, 43.
  6. Jörg Pittelkow: Herbert Bach (1926 – 1996) und sein Beitrag zur Anthropologie und Humangenetik an der Universität Jena. Dissertation, 7. Juli 2015, PDF abgerufen am 29. Dezember 2023, S. 108.