Piemontesische Sprache

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Piemontesisch (Piemontèis)

Gesprochen in

Italien (Piemont)
Sprecher ~2 Millionen
Linguistische
Klassifikation

Indogermanische Sprachen

Italische Sprachen
Romanische Sprachen
  • Piemontesisch
Sprachcodes
ISO 639-2

ISO 639-3

pms

Linguistische Landkarte des Piemont
Das Vaterunser auf Piemontesisch in der Paternosterkirche zu Jerusalem

Die piemontesische Sprache (auch das Piemontesische; Piemontèis im Piemontesischen, Piemontese im Italienischen) ist eine galloromanische Varietät, die von über 2,1 Millionen Menschen im Piemont gesprochen wird. Seit 1981 erkennt sie der Europarat offiziell als Minderheitensprache an. Sie gehört zu den gefährdeten Sprachen und wurde von der UNESCO in den Atlas der gefährdeten Sprachen aufgenommen.

Als Schriftsprache wurde das Piemontesische seit dem Ende des 12. Jahrhunderts benutzt. Im 16. Jahrhundert entwickelte sich eine Literatur, die alle literarischen Formen, sowohl Gedichte als auch Romane, Dramen und Epik umfasste. Allerdings verlor das Piemontesische schon um diese Zeit seinen Rang als Sprache der Verwaltung und höheren Bildung an das Italienische, die auf dem Dialekt der Toskana, besonders dem florentinischen, beruhende Sprache Dantes. Das 19. Jahrhundert brachte auch eine eigene wissenschaftliche Literatur und Literaturkritik hervor. Mit der Gründung eines italienischen Nationalstaates 1861 verstärkte sich der Niedergang des Piemontesischen aber weiter, obwohl die Einigungsbewegung vom politisch und wirtschaftlich weit fortgeschrittenen Piemont ausging. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es unter dem Einfluss der Urbanisierung und der Massenmedien größtenteils auch aus der mündlichen Kommunikation in den Familien verdrängt.

Die heutig verbreitete Schreibweise wurde vom Autor und Literaten Pinin Pacòt entworfen, vorher gab es keine vereinheitlichte Schreibweise. Infolge der gemeinsamen galloromanischen Grundlage zeigt das Lautsystem Parallelitäten mit dem Französischen und dem Okzitanischen, so existieren die Palatale ​[⁠y⁠]​ (ü) und ​[⁠ø⁠]​ (ö).

  • è: offenes e (ɛ) in wie in „essen“: enèrgich [ɛ'nɛʒik]
  • é: geschlossenes e wie in „eben“: [fe]
  • ë: Schwa, etwa wie in dt. '„Affe“, jedoch betont: vënner ['vəner]
  • o, ó: wie ein dt. „u“: Piemont [pjɛ'munt], róndola ['rundula]
  • ò: offenes o wie in „offen“: fòrt [fɔrt]
  • u: wie das deutsche „ü“ oder das französische „u“ ​[⁠y⁠]​; vor Vokalen wird es zu einem sanften ​[⁠w⁠]​: butir [by'tir], guèra ['gwɛra]
  • ù: wie ein dt. „u“, nur „ü“, wenn ein Vokal folgt: lùnes ['lunɛs], crùa [krya]
  • eu: wie ein dt. „ö“ ​[⁠ø⁠]​ (vgl. französisch „eu“): reusa [røza]; eine Ausnahme sind manche Fremdwörter, z. B. Euròpa [ɛu'rɔpa]
  • c, cc: vor e und i und am Wortende wie dt. „tsch“, sonst wie dt. „k“: cel ['t͡ʃɛl], baricc ['ba'rit͡ʃ]
  • ch: wie dt. „k“: chila ['kila]
  • g, gg: vor e und i und am Wortende je nach Region französisches „j“ ​[⁠ʒ⁠]​ oder „dsch“ ​[⁠d͡ʒ⁠]​, sonst wie dt. „g“: assagg [as'ad͡ʒ], gat [gat]
  • gh: wie dt. „g“: ghil [gil]
  • gl: „lj“, wie im Italienischen: figl [fiʎ]
  • gn: „nj“, wie im Italienischen: soagnà [swa'ɲa]
  • h: stumm
  • j: wie dt. (nicht frz.) „j“: avèj [a'vɛj]
  • n: am Wortende nasaliert, etwa wie das deutsche „ng“: pan [paŋ], wenn die Aussprache eines Wortes auf ​[⁠n⁠]​ endet, wird das n verdoppelt: ann [an]
  • n-: nasaliert, etwa wie das deutsche „ng“: galin-a [ga'liŋa]
  • s: am Wortbeginn stimmlos (scharf), wie in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz: sol [sul]
  • s-c vor e und am Wortende „s-tsch“: s-cet [st͡ʃɛt]
  • sch: „sk“ wie im Italienischen: casché [ka'ske]
  • v: weiches „w“: vitura [vi'tyra]
  • z: stimmhaftes (weiches) s: monze ['munzɛ]

Anders als im Italienischen wird nicht zwischen kurzen (einfach geschriebenen) und langen (doppelt geschriebenen) Konsonanten unterschieden.

Die Betonung eines Wortes liegt auf der letzten Silbe, wenn diese auf einen Konsonanten endet, und auf der Vorletzten, wenn das Wort auf einen Vokal ausgeht. Wird das Wort auf einer anderen Silbe betont, wird dies durch einen Gravis-Akzent zum Ausdruck gebracht. Akut in den Fällen é und ó verweist hingegen auf einen geschlossenen Vokal.

Die Nomen lassen sich wie in allen romanischen Sprachen zwei Geschlechtern zuordnen: maskulin, feminin. Feminine Nomen enden im Singular für gewöhnlich auf -a, während maskuline häufig auf einen Konsonanten enden.

Die Bildung des Plurals ist vielgestaltiger als im Italienischen: Zwar kennen feminine Nomen die Endung -e, der maskuline Plural hingegen ist entweder mit dem Singular identisch oder erhält die Endung -i. Im ersteren Fall lässt sich der Plural wie in der benachbarten lombardischen Sprache am Artikel erkennen.

Typ Geschlecht Nummer Artikel Beispiel
Determinativ Maskulin Singular ël (’l)
lë (l’)
ël can; ciamé’l can
lë scolé; l’aso
Plural ij (’j)
jë (j’)
ij can; ciamé’j can
jë scolé; j’aso
Feminin Singular la
(l’)
la farfala; la stòria
l’ongia
Plural le
(j’)
le farfale; le stòrie
j’onge
Indeterminativ Maskulin Singular un (’n)
në (n’)
un can; ciamé’n can
në scolé; n’aso
Plural ëd (’d)
dë (d’)
ëd can; ciamé’d can
dë scolé; d’aso
Feminin Singular na
na (n’)
na farfala
na stòria; n’ongia
Plural ëd (’d)
dë (d’)
ëd farfale; ciapé’d farfale
dë stòrie; d’onge

Wie im Venezianischen wird zwischen Subjekt und Prädikat ein Pronomen gestellt:

  • Gioann a trambla –- Johannes zittert.
  • Mi, i canto na canson -- Ich, ich singe ein Lied.

Die Konjugation der Verben lässt sich in drei Gruppen einteilen, daneben existieren zahlreiche irreguläre Verben.

Pronom Gruppe I Gruppe II Gruppe III Irregular Irregular
-e - -
canté (singen) lese (lesen) finì (beenden) èsse (sein) avej (haben)
Mi i canto i leso i finisso i son i l’hai \ l’heu
Ti it cante it lese it finisse it ses it l’has
Ël a canta a les a finiss l’é a l’ha
Noi i cantoma i lesoma i finioma i soma l’oma
Voi i cante i lese i finisse i seve l’eve
Lor a canto a leso a finisso a son l’han
(Partizip) canté finì avì

Charakteristisch sind die im Vergleich zum Italienischen recht stark verkürzten Wörter:

Piemontèis Italienisch Latein
fnoj finocchio fenuculum
maslè macellaio camellarius
plè pelare pilare
taiè tagliare taliare
Piemontesisch Italienisch Französisch Spanisch Rumänisch Katalanisch Latein Deutsch
cadrega sedia chaise silla scaun cadira sella/cathedra Stuhl
pijé prendere prendre tomar a lua prendre capere/prendere nehmen
surtì uscire sortir salir a ieşi sortir exire herausgehen
droché/casché/tombé cadere tomber caer a cădea caure cadere fallen
ca/mison casa maison casa casă casa casa Haus
brass braccio bras brazo braţ braç bracchium Arm
nùmer numero numéro número număr nombre numerus Zahl
pom mela pomme manzana măr poma malum Apfel
travajé lavorare travailler trabajar a lucra treballar laborare/operari arbeiten
crava capra chèvre cabra capră cabra capra Ziege
scòla scuola école escuela şcoală escola schola Schule
bòsch legno bois madera lemn bosc lignum Holz
monsù signore monsieur señor domn senyor dominus Herr (Anrede)
madama signora madame señora doamnă senyora domina Frau (Anrede)
istà estate été verano vară estiu aestas Sommer
ancheuj oggi aujourd’hui hoy astăzi avui hodie heute
dman domani demain mañana mâine demà cras morgen
jer ieri hier ayer ieri ahir heri gestern
lùnes lunedì lundi lunes luni dilluns dies Lunae Montag
màrtes martedì mardi martes marţi dimarts dies Martis Dienstag
mèrcol/merco mercoledì mercredi miércoles miercuri dimecres dies Mercurii Mittwoch
giòbia giovedì jeudi jueves joi dijous dies Iovis Donnerstag
vënner venerdì vendredi viernes vineri divendres dies Veneris Freitag
saba sabato samedi sábado sâmbătă dissabte dies Saturnis Samstag
dumìnica domenica dimanche domingo duminică diumenge dies Solis Sonntag
  • Mauro Tosco, Emanuele Miola, Nicola Duberti: A Grammar of Piedmontese. A Minority Language of Northwest Italy (= Grammars and Sketches of the World’s Languages. Band 19). Brill, Leiden 2023, ISBN 978-90-04-54405-5.