Eine Pivotstatistik, auch Pivot-Größe genannt, kurz ein Pivot, ist eine spezielle Funktion in der mathematischen Statistik. Es handelt sich um Statistiken mit bestimmten Invarianzeigenschaften, die zur Konstruktion von Konfidenzbereichen verwendet werden. Der Name leitet sich ab vom französischen pivot (deutsch Anker, hier im Sinne von Dreh- und Angelpunkt)[1] und beruht auf den Invarianzeigenschaften.
Gegeben sei ein statistisches Modell
Ein Pivot ist eine Zufallsvariable
als Funktion von der Stichprobenvariable
und
, deren Verteilung unabhängig von
ist.[2]
Streng formell wird eine Pivotstatistik wie folgt definiert:
Gegeben seien ein Entscheidungsraum
und eine zu schätzende Funktion
.
Meist ist
. Dann heißt eine messbare Abbildung
![{\displaystyle T\colon {\mathcal {X}}\times \Gamma \to \Gamma }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/89820a4b04316e93d4c5756d9d419aa60eb64da8)
eine Pivotstatistik für
, wenn sie folgende Eigenschaften erfüllt:[3]
- Für alle
und alle
ist die Menge
in
enthalten.
- Es existiert eine Wahrscheinlichkeitsverteilung
auf
, so dass für alle
stets
gilt.
Gegeben sei ein festes
und sei
die Normalverteilung mit Erwartungswert
und Varianz
. Sei
das n-fache Produktmaß.
Betrachtet wird als statistisches Modell das Produktmodell
bei fester Varianz und unbekanntem Erwartungswert.
Dann ist eine Pivot-Statistik gegeben durch
.
Hierbei ist
![{\displaystyle {\overline {X}}={\frac {1}{n}}\sum _{i=1}^{n}X_{i}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/4bba8c8160cf89fc97efe65f1c8c47126eded5c1)
das Stichprobenmittel. Dass es sich um ein Pivot handelt, folgt direkt aus den Rechenregeln für normalverteilte Zufallsvariablen (siehe Invarianz der Normalverteilung gegenüber Faltung), denn es ist
. Durch Normierung mit der Standardabweichung
erhält man, dass
immer standardnormalverteilt ist, also
für alle
.
Existiert eine Pivotstatistik
und ist eine Menge
gegeben, so wird durch
![{\displaystyle C_{B}(x)=\{\gamma \in \Gamma \mid T(x,\gamma )\in B\}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/eac373e8b5daa337e2112da0b9d9eeaae4875833)
ein Bereichsschätzer definiert.[3] Aufgrund der Definition des Bereichsschätzers ist dann
![{\displaystyle \{x\in {\mathcal {X}}\mid g(\vartheta )\in C_{B}(x)\}=\{x\in {\mathcal {X}}\mid T(x,g(\vartheta ))\in B\}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/ec0ebaf7e7758e6c0026748f38b2d286ae3ca391)
und somit
![{\displaystyle P_{\vartheta }(\{x\in {\mathcal {X}}\mid g(\vartheta )\in C_{B}(x)\})=P_{\vartheta }(\{x\in {\mathcal {X}}\mid T(x,g(\vartheta ))\in B\})=Q(B)}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/e7f53a156df42f1374b6f3e38deb5915fea1e29c)
für alle
aufgrund der Pivoteigenschaft von
. Der Bereichsschätzer
liefert also einen Konfidenzbereich zum Konfidenzniveau
. Die Wahl der Menge
bestimmt somit Konfidenzniveau und Geometrie des Konfidenzbereiches.
Unter denselben Rahmenbedingungen wie im obigen Beispiel soll ein Konfidenzbereich für den Mittelwert zum Konfidenzniveau
bestimmt werden. Da
ist, muss zuerst eine Menge
gewählt werden, so dass
.
Die Wahl von
hängt im Wesentlichen von der Anwendung ab. Gängig sind einseitige Konfidenzintervalle
oder ![{\displaystyle B_{2}=(-\infty ,a_{2}]}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/1a6f4eb08fad9e2b5acd3ba152df70418f67be71)
oder zweiseitige Konfidenzintervalle
.
Dabei müssen
nun so gewählt werden, dass
für
ist. Dafür wählt man die passenden
-Quantile
der Standardnormalverteilung aus und erhält
sowie
und
.
Damit ergibt sich für den Bereichsschätzer mit der Menge
,
da aufgrund der Symmetrie der Standardnormalverteilung
gilt.
Als einseitiges Konfidenzintervall zum Konfidenzniveau
für den Erwartungswert erhält man somit
.
Durch analoges Vorgehen mit den Mengen
und
erhält man als zweites einseitiges Konfidenzintervall
![{\displaystyle C_{B_{2}}(X)=\left(-\infty ,{\overline {X}}+{\frac {\sigma _{0}u_{1-\alpha }}{\sqrt {n}}}\right]}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/12b6485b2811bc3073465bf365cfdc98e892b5f1)
und als beidseitiges Konfidenzintervall
.
Eng mit den Pivotstatistiken sind die approximativen Pivotstatistiken verwandt. Sie dienen der Konstruktion von approximativen Konfidenzbereichen und beruhen auf Grenzwertbetrachtungen.
- ↑ Hans-Otto Georgii: Stochastik. Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. 4. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 2009, ISBN 978-3-11-021526-7, S. 234, doi:10.1515/9783110215274.
- ↑ Claudia Czado, Thorsten Schmidt: Mathematische Statistik. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2011, ISBN 978-3-642-17260-1, S. 142, doi:10.1007/978-3-642-17261-8.
- ↑ a b Ludger Rüschendorf: Mathematische Statistik. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-41996-6, S. 231, doi:10.1007/978-3-642-41997-3.