Amnesty International

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Amnesty International
Logo
Gründung 28. Mai 1961 in Vereinigtes Königreich
Gründer Peter Benenson
Sitz London
Motto  
Umsatz 309.000.000 Euro (2018)
Mitglieder 7.000.000 (2023)
Website www.amnesty.org

Amnesty International (von englisch amnesty, Begnadigung, Straferlass, Amnestie) ist eine nichtstaatliche (NGO) und Non-Profit-Organisation, die sich weltweit für Menschenrechte einsetzt. Grundlage ihrer Arbeit sind die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und andere Menschenrechtsdokumente, wie beispielsweise der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Die Organisation recherchiert Menschenrechtsverletzungen, betreibt Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit und organisiert unter anderem Brief- und Unterschriftenaktionen für alle Bereiche ihrer Tätigkeit.

Gründungsgeschichte

Gründung der Internationalen Organisation

Die Skulptur Bogside ’69 schuf Hans-Jürgen Breuste anlässlich des 20-jährigen Bestehens von AI 1981

Amnesty International wurde 1961 in London von dem englischen Rechtsanwalt Peter Benenson gegründet. Ihm soll die Idee zur Gründung gekommen sein, als er in der Zeitung zum wiederholten Mal von Folterungen und gewaltsamer Unterdrückung las, mit der Regierungen gegen politisch andersdenkende Menschen vorgingen. In einem 1983 geführten Interview erinnerte sich Benenson, dass der Artikel von zwei portugiesischen Studenten gehandelt habe, die in einem Restaurant in Lissabon auf die Freiheit angestoßen hatten und daraufhin zu Haftstrafen verurteilt worden waren. Nachträgliche Recherchen ergaben, dass es sich möglicherweise um eine Notiz in The Times vom 19. Dezember 1960 handelte, die allerdings keine Details über die „subversiven Aktivitäten“ der Verurteilten enthielt.[1] Am 28. Mai 1961 veröffentlichte Benenson in der britischen Zeitung The Observer den Artikel „The Forgotten Prisoners“ („Die vergessenen Gefangenen“), in dem er mehrere Fälle nennt, darunter Constantin Noica, Agostinho Neto und József Mindszenty, und die Leser aufrief, sich durch Briefe an die jeweiligen Regierungen für die Freilassung dieser Gefangenen einzusetzen.[2] Er schrieb: „Sie können Ihre Zeitung an jedem beliebigen Tag der Woche aufschlagen und Sie werden in ihr einen Bericht über jemanden finden, der irgendwo in der Welt gefangen genommen, gefoltert oder hingerichtet wird, weil seine Ansichten oder seine Religion seiner Regierung nicht gefallen.“ Die aus diesem Artikel entstandene Aktion Appeal for Amnesty, 1961 gilt als der Anfang von Amnesty International. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Eric Baker und der irische Politiker Seán MacBride, der von 1961 bis 1974 auch Präsident der Organisation war.

Obwohl sich Amnesty International als Organisation beschreibt, die für Menschen aller Nationalitäten und Religionen offensteht, kamen die Mitglieder anfangs vor allem aus der englischsprachigen Welt und Westeuropa. Diese Beschränkung ließ sich mit dem Kalten Krieg erklären. Versuche, Amnesty-Gruppen in Osteuropa zu gründen, stießen auf große Schwierigkeiten. Das lag nicht nur an der staatlichen Repression, sondern auch an unterschiedlichen Interessen, die westliche und osteuropäische Menschenrechtsaktivisten verfolgten.[3]

Altes Logo der Organisation
70-Pf-Sondermarke der Deutschen Bundespost (1974) für amnesty international

Das Logo ist eine mit Stacheldraht umwickelte Kerze. Es wurde von der englischen Künstlerin Diana Redhouse geschaffen, die sich durch das Sprichwort Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als sich über die Dunkelheit zu beklagen inspirieren ließ.

Die deutsche Sektion hatte bereits in den 1970er Jahren beschlossen, dieses Logo für sich nicht mehr zu verwenden. Stattdessen wurde bis 2008 ein blau-weißes Logo mit Kleinbuchstaben genutzt. In Deutschland, Österreich und der Schweiz wurde bis Mitte 2008 eine heute nicht mehr verwendete Schreibweise mit Kleinbuchstaben und Abkürzungen verwendet: amnesty international, ai oder amnesty. Mitte 2008 wurde international ein neues, einheitliches Layout eingeführt, das die Farben Gelb und Schwarz verwendet. Das Logo enthält den Schriftzug Amnesty International in Großbuchstaben und die mit Stacheldraht umwickelte Kerze.

Gründung in Deutschland

Die bundesdeutsche Sektion wurde Ende Juni 1961,[4] zwei Monate nach Gründung der internationalen Organisation, von Gerd Ruge, Carola Stern und Felix Rexhausen in Köln gegründet und im Juli 1961 als erste Sektion anerkannt. Damals hieß sie „Amnestie-Appell“.[5] Sie setzte sich zum Beispiel für in der DDR inhaftierte politische Gefangene ein.[6] Nach dem Fall der Mauer wurde die Organisation auch in den neuen Bundesländern aktiv, wo sie bis dahin verboten war.

Gründung in Österreich

Amnesty International Österreich wurde am 4. Mai 1970 gegründet. AI Österreich gehörte am 14. November 2001 zu den ersten 44 Organisationen, die das Österreichische Spendengütesiegel verliehen bekamen. Generalsekretär ist Heinz Patzelt (Stand Januar 2016).

Gründung in der Schweiz

Offiziell gegründet wurde die Schweizer Sektion 1970. Doch schon 1964 gab es die erste Sektion in Genf, deren Initiator Seán MacBride war, damaliger Generalsekretär und Mitbegründer von Amnesty International. Der erste Mitarbeiter wurde 1976 eingestellt, im Jahre 1987 waren es 14, und im Jahr 2000 schon deren 28. Derzeitige Geschäftsleiterin ist Manon Schick.[7]

Aufbau der Organisation

International

Zahlen und andere Daten zur Organisation

Weltweit existierende Sektionen von Amnesty International, 2005 (52)
Der ehemalige Generalsekretär Salil Shetty

Amnesty International zählt nach eigenen Angaben mehr als sieben Millionen Mitglieder und Unterstützer in mehr als 150 Staaten.[8] In 53 Staaten gibt es Sektionen, die eine kontinuierliche Menschenrechtsarbeit garantieren. Die größeren Sektionen unterhalten in der Regel ein Sekretariat mit hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Sektion koordiniert die Arbeit der Mitglieder und ist die Verbindungsstelle zwischen den Gruppen und dem Internationalen Sekretariat in London. Die Sektionen entsenden Vertreter in die Global Assembly (bis 2017 Internationale Ratstagung bzw. englisch International Council Meeting (ICM)[9]), das oberste Gremium von Amnesty auf internationaler Ebene, das alle zwei Jahre zusammentritt. Die Global Assembly legt Strategie und Arbeitsweise von Amnesty fest und wählt den internationalen Vorstand, dem die Führung der laufenden Geschäfte der Organisation obliegt. Unter der Verantwortung des Internationalen Vorstandes steht auch das Internationale Sekretariat in London, an dessen Spitze der Internationale Generalsekretär steht. Von 2010 bis August 2018 war dies Salil Shetty, der aus Indien stammt. Er initiierte eine Veränderung der Organisation, indem die Präsenz in Ländern des globalen Südens durch Einrichtung von Büros und dort verankerte Recherchearbeit verstärkt wurde, während das Hauptquartier in London verkleinert wurde. Sein Nachfolger seit 2018 ist Kumi Naidoo aus Südafrika, vormaliger Direktor von Greenpeace.[10]

Generalsekretäre

Name Amtszeit
Peter BenensonVereinigtes KonigreichVereinigtes Königreich Peter Benenson 1961–1966
Eric BakerVereinigtes KonigreichVereinigtes Königreich Eric Baker 1966–1968
Martin EnnalsVereinigtes KonigreichVereinigtes Königreich Martin Ennals 1968–1980
Thomas HammarbergSchwedenSchweden Thomas Hammarberg 1980–1986
Ian MartinVereinigtes KonigreichVereinigtes Königreich Ian Martin 1986–1992
Pierre SanéSenegal Pierre Sané 1992–2001
Irene KhanBangladesch Irene Khan 2001–2010
Salil ShettyIndien Salil Shetty 2010–2018
Kumi NaidooSudafrika Kumi Naidoo seit 2018

Deutsche Sektion

Mitgliedschaft und Strukturen sind in der Satzung und einem Arbeitsrahmen geregelt.[11] Mitglieder können sich einer Gruppe anschließen. Von Gruppen wird aktiver Einsatz durch gezielte Aktionen vor Ort, Briefeschreiben, Öffentlichkeitsarbeit und Spendeneinwerbung erwartet. Alle Mitglieder erhalten auch unabhängig von Gruppenaktivitäten Mitmachangebote. In Deutschland gibt es rund 30.000 Mitglieder, davon ca. 9000 in über 600 lokalen Gruppen, die in 43 Bezirke aufgeteilt sind.[12] Daneben gibt es sogenannte Koordinationsgruppen, die die Arbeit zu einzelnen Ländern oder bestimmten Menschenrechtsthemen sektionsweit koordinieren. Etwa 70.000 Förderer unterstützen die Organisation durch regelmäßige Beiträge. Geleitet und nach außen vertreten wird die deutsche Sektion durch einen ehrenamtlichen Vorstand, der aus sieben Mitgliedern besteht.[13] Vorstandssprecherin ist Gabriele Stein, die gemeinsam mit dem Vorstandsmitglied für Finanzen, Roland Vogel, den Verein gesetzlich vertritt.[14]

1999 bezog Amnesty International Deutschland Räume im „Haus der Demokratie und Menschenrechte“ in der Greifswalder Straße in Berlin. 2012 gab das Sekretariat seinen Sitz in Bonn endgültig auf. Aus Platzgründen sind aber nur noch das Büro des Bezirks Berlin-Brandenburg sowie das Regionalbüro Ost im „Haus der Demokratie und Menschenrechte“ ansässig, das Sekretariat der Sektion befindet sich nun in der Zinnowitzer Straße. Darüber hinaus gibt es Regionalbüros in München (seit 2011) und in Düsseldorf (seit 2016), welche die Mitglieder im Süden bzw. Westen Deutschlands unterstützen.[15]

Das Sekretariat erledigt administrative Aufgaben für die Mitglieder, macht Öffentlichkeitsarbeit und übernimmt Lobbyismusarbeit. Es beschäftigt über 60 Teil- und Vollzeitkräfte und wird von Markus N. Beeko als Generalsekretär geleitet, der zum September 2016 Selmin Çalışkan abgelöst hat.[16]

Einmal jährlich findet über zweieinhalb Tage zu Pfingsten die Jahresversammlung der deutschen Sektion statt. Alle Mitglieder sind antrags- und stimmberechtigt, Gruppen haben zusätzliches Stimmrecht. Förderer haben kein Stimmrecht und können nicht teilnehmen. Die Jahresversammlung wählt den siebenköpfigen, ehrenamtlichen Vorstand und beschließt Schwerpunkte der inhaltlichen Arbeit der Sektion. Die Diskussionen sind vertraulich („intern“), nur auf Beschluss der Jahresversammlung können einzelne Beschlüsse öffentlich gemacht werden.

Die deutsche Sektion finanziert sich überwiegend aus Mitglieds- und Fördererbeiträgen und Spenden, zu einem geringeren Teil aus Erbschaften, Verkaufserlösen, Geldbußen und Sammlungen. Seit etwa 2010 führt die Organisation „Direktdialoge“ in Städten durch, um Förderer zu gewinnen; teils werden Fremdfirmen dafür engagiert.[17] Im Jahr 2016 wurden ca. 20,3 Millionen Euro eingenommen. Davon wurden etwa 5,9 Millionen Euro an das internationale Sekretariat abgeführt.[18] Zur Unterstützung der Arbeit von Amnesty International wurde im Mai 2003 die Stiftung Menschenrechte – Förderstiftung Amnesty International mit Sitz in Berlin gegründet.

Jährlich erscheint der Amnesty International Annual Report, der die Menschenrechtslage in ca. 160 Ländern und Territorien beschreibt. Die deutsche Version erscheint jeweils einige Monate später im S. Fischer Verlag.[19]

Ziele und Arbeitsweise

Die Organisation recherchiert fortlaufend zur Menschenrechtssituation weltweit und führt Aktionen gegen spezifische Menschenrechtsverletzungen durch. Der Jahresbericht der Organisation (Amnesty International Report) enthält einen Überblick über die Lage der Menschenrechte in fast allen Ländern der Erde.

Die Organisation hat sich sieben Ziele unter dem Motto Gerechtigkeit globalisieren! gesetzt:

  1. Aufbau von gegenseitigem Respekt und Kampf gegen Diskriminierung
  2. Forderung nach Gerechtigkeit
  3. Sicherstellung der körperlichen und geistigen Unversehrtheit aller Menschen
  4. Schutz der Menschenrechte in bewaffneten Konflikten
  5. Schutz der Rechte von Flüchtlingen, Asylsuchenden, Binnenflüchtlingen und Migranten
  6. Schutz der Rechte von Frauen und Mädchen
  7. Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte

Von 2005 bis 2009 lief die internationale Kampagne „Gewalt gegen Frauen verhindern“, die sich gegen die vielfältigen Formen von Gewalt gegen Frauen, sowohl staatlicherseits als auch im häuslichen Umfeld, wandte. Nach einer schwierigen und kontroversen internen Diskussion beschloss die internationale Ratstagung der Organisation 2007 in Morelos, Mexiko, eine begrenzte Position zum Schwangerschaftsabbruch. So soll die völlige Entkriminalisierung gefordert werden sowie Staaten aufgefordert werden, Abtreibung im Falle von Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Inzest und bei schwerwiegender Gefahr für das Leben einer Frau zu legalisieren. Die Organisation bekräftigt, dass viele gesellschaftliche Faktoren und Zwänge zu ungewollten Schwangerschaften beitragen und damit auch zu der – weltweit jährlich in ca. 26 Millionen Fällen illegalen – Entscheidung der Frauen.

Im Mai 2016 nahm die Organisation, inklusiver aller ihrer Landesverbände, die Forderung auf, Prostitution zu legalisieren. Man setze sich für die Menschenrechte der Sexarbeiter ein, nicht für ein Recht auf käuflichen Sex.[20] Der Entscheidung waren drei Jahre Sichtung von Forschungsberichten verschiedener Institutionen wie der WHO, UNAIDS und dem UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf physische und mentale Gesundheit und ein Beschluss des Entscheidungsgremiums International Council Meeting vorausgegangen.[21]

Zu den typischen Aktionsformen der Organisation zählen:

  • Fallarbeit: Diese wird seit Gründung der Organisation betrieben und beinhaltet die langfristige Betreuung eines gewaltlosen politischen Gefangenen (prisoner of conscience) durch eine oder mehrere Amnesty-Gruppen, im Idealfall bis zu dessen Freilassung. Ein Grundsatz dabei war, dass Amnesty-Gruppen nicht zu Vorgängen im eigenen Land arbeiten.
  • Urgent Actions (Eilaktionen): Diese wurden 1973 eingeführt, um auf drohende Menschenrechtsverletzungen schnell reagieren zu können. Dabei werden möglichst innerhalb von 48 Stunden Mitglieder und Unterstützer mobilisiert, um bei den verantwortlichen staatlichen Stellen zu appellieren. Im Jahr 2005 gab es 326 dieser Aktionen.
  • Briefe gegen das Vergessen: Pro Monat werden drei Fälle aus verschiedenen Ländern vorgestellt, dabei geht es oft um Fälle des gewaltsamen staatlichen Verschwindenlassens von Menschen, Langzeitinhaftierungen oder Verurteilungen aufgrund unfairer Gerichtsverfahren.
  • Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit: Vielfältige Aktionen der Gruppen und die Arbeit des nationalen Sekretariats zielen darauf ab, das Bewusstsein für Menschenrechtsverletzungen in der Öffentlichkeit zu schärfen und Menschenrechtsverletzungen bekannt zu machen und so Unterstützung für die Anliegen zu gewinnen. Auf die Arbeit von Amnesty macht die jährlich vergebene Auszeichnung Botschafter des Gewissens aufmerksam.
  • Menschenrechtsbildung: Aktionen in Schulen, öffentliche Vorträge etc. zur Verankerung von Wissen über die Menschenrechte.
  • Onlinekampagnen: Mit e-collecting-Aktionen und Onlinepetitionen nutzt Amnesty verstärkt das Internet als Protestmedium für ihre Kampagnenarbeit.

Aktionen und Kampagnen

Die Organisation führt immer wieder große und kleine, internationale Themenkampagnen durch, die teilweise über mehrere Jahre angelegt sind.

Internationale größere Schwerpunkte sind derzeit (2018/19):[22]

  • Mut braucht Schutz!
  • 70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Bis 2013, zum Abschluss des Vertrags über den Waffenhandel am 2. April 2013 war Amnesty an der Kampagne Control Arms beteiligt.

1988 gab es eine internationale Amnesty-Konzerttour unter dem Titel Human Rights NOW!. Am 10. Dezember 2005 – dem Internationalen Tag der Menschenrechte – wurde ein neues Musikprojekt unter dem Titel Make Some Noise gestartet. Dabei veröffentlichten bekannte internationale Künstler, darunter The Black Eyed Peas, Serj Tankian und The Cure, Coverversionen von John-Lennon-Songs exklusiv auf der Website von Amnesty. Parallel zur Musik werden dort konkrete Kampagnen und Fälle vorgestellt.

Botschafter des Gewissens

Seit 2003 verleiht Amnesty International den undotierten Preis Botschafter des Gewissens (englisch Ambassador of Conscience). Vaclav Havel war der erste Preisträger, 2019 ging der Preis an Greta Thunberg und Fridays for Future.[23]

Menschenrechtspreis

Die deutsche Sektion vergibt seit 1998 alle zwei Jahre den Amnesty International Menschenrechtspreis. 2016 wurde der Preis an den indischen Rechtsanwalt Henri Tiphagne vergeben.[24] 2018 wurde der Preis an das Nadeem-Zentrum für die Rehabilitierung von Opfern von Gewalt und Folter in Kairo verliehen.[25]

Kritik

Kritik am strategischen Vorgehen

Regierungen und nahestehende Kommentatoren, die von Amnesty International in ihren Berichten kritisch beurteilt werden, haben verschiedentlich Kritik an Amnesty geübt. So wurde Amnesty z. B. aus China,[26] Russland und dem Kongo Einseitigkeit gegen nicht-westliche Länder bei seinen Beurteilungen vorgeworfen sowie, dass die Sicherheitsbedürfnisse (z. B. bei der Bekämpfung von Rebellen) nicht genügend beachtet würden. Umgekehrt wurde Amnesty z. B. nach der Kritik an der israelischen Politik im Gazastreifen vom American Jewish Congress angegriffen. Als im Mai 2005 ein Amnesty-Bericht den USA eine Spitzenstellung bei Menschenrechtsverletzungen zuwies (siehe hierzu: Gefangenenlager der Guantanamo Bay Naval Base), bezeichnete ein Pressesprecher des Weißen Hauses dies als lächerlich und behauptete, die Angaben entsprächen nicht den Tatsachen.[27]

Neben Vorwürfen der Einseitigkeit gab es kritische Stimmen, die bemängelten, Amnesty sei zu sehr auf Öffentlichkeitsarbeit ausgerichtet. Im Jahr 2002 warf der Jura-Professor Francis Boyle (ehemaliges AI-Exekutivkomiteemitglied in den USA) Amnesty vor, an erster Stelle stünde die öffentliche Aufmerksamkeit (publicity), dann würden Spendengelder und Mitglieder angeworben, es fänden interne Machtkämpfe statt, und die Menschenrechte als Ziel kämen erst am Schluss.[28]

Auf der internationalen Ratstagung in Dakar im August 2001 wurde eine Ausweitung des Mandats auf den Einsatz auch für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte[29] beschlossen. Danach äußerten einige Mitglieder, AI verliere an Profil und dehne sein Betätigungsfeld zu sehr aus. AI könne zu einem „Menschenrechts-Gemischtwarenladen“ mutieren und an Glaubwürdigkeit verlieren. AI solle sich weiterhin auf bürgerliche und politische Rechte konzentrieren.[30] Diese Bedenken wurden im Jahre 2010 in einem BBC-Beitrag zum 50. Geburtstag der Organisation aufgegriffen.[31] Darin wurde behauptet, Amnesty International habe es bis dato nicht geschafft, eine nennenswerte Anzahl von Mitgliedern außerhalb von Europa, den Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Neuseeland zu gewinnen.

Kritik an einzelnen Punkten

Amnesty International fiel vor dem Zweiten Golfkrieg (1990–1991) auf die Brutkastenlüge – die von einer US-amerikanischen PR-Firma fabrizierte Geschichte, irakische Truppen hätten Babys aus Brutkästen eines kuwaitischen Krankenhauses gerissen, herein.[32]

Amnesty wurde 2002 vorgeworfen, das Apartheid-System in Südafrika nie als Ganzes verurteilt zu haben.[28][33]

Im April 2007 machte AI bekannt, von nun an für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruches in gewissen Grenzen sowie für ein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch im Falle von Vergewaltigung, Inzest oder schwerwiegender Gefahr für Gesundheit oder Leben der Mutter einzutreten. Der Kurienkardinal der römisch-katholischen Kirche, Renato Raffaele Martino, äußerte in einem Interview, Katholiken und kirchliche Organisationen sollten überlegen, ob sie AI weiter unterstützen könnten.[34] Amnesty International erwiderte darauf, sich nicht für ein universelles Recht auf Abtreibung einzusetzen, sondern für die Entkriminalisierung von Frauen in einer Notlage. In der Umsetzung dieser Politik bezeichnete AI im Jahre 2009 ein völliges Verbot des Schwangerschaftsabbruchs als Folter im Sinne der Anti-Folterkonvention.[35] 2018 beschloss Amnesty, dass Schwangerschaftsabbruch nicht nur entkriminalisiert sein müsse, sondern dass der Zugang zur Abtreibung legal sein müsse für Frauen, Mädchen und „Personen, die schwanger werden können“.[36] In diesem Kontext lobbyierte Amnesty auch gegen ein Recht auf Leben vor der Geburt, indem sie ein entsprechendes Schreiben an den UN-Menschenrechtsausschuss schickten und darin argumentierten, dass ein Recht auf Leben vor der Geburt nicht menschenrechtskompatibel sei[37][38]. („Amnesty International recommends that the General Comment makes clear that the right to life protection under the Covenant extends only after birth.“)

2014 führte Amnesty International eine interne Konsultation dazu durch, ob die Prostitution und ihr Umfeld entkriminalisiert werden sollen. Die internen Dokumente gerieten an die Öffentlichkeit und lösten international eine heftige Debatte aus. In Deutschland kritisierte u. a. die feministische Zeitschrift Emma die Überlegungen, auch Bordelle und die Arbeitgeber von Prostitution zu entkriminalisieren.[39] Ein entsprechendes Dokument, das auf dem Treffen des Internationalen Rates der Menschenrechtsorganisation vom 7. bis 11. August 2015 in Dublin beschlossen wurde,[40][41] erregte erneut internationales Aufsehen.[42] Kritik an der Amnesty-Position zur Prostitution kommt u. a. aus katholischen und feministischen Kreisen, sowie von ehemaligen Prostituierten, wobei in diesem Zusammenhang auch die Bezeichnung „Menschenrechtsorganisation“ in Frage gestellt wird.[43][44][45][46]

Anfang 2017 kritisierte Amnesty International die operativen Maßnahmen der Kölner Polizei zur Silvesternacht 2016/17 als rassistisch („Racial Profiling“), während die Polizei und die meisten Politiker solchen Vorwürfen widersprachen und die Verhinderung einer Wiederholung von gruppenweisen sexuellen Übergriffen wie Silvester 2015/16 lobten.[47][48][49]

Interne Führungsprobleme

Nach Berichten, die die Führung von AI für teilweise "toxische Arbeitsbedingungen" in der eigenen Verwaltung verantwortlich machten, hat Generalsekretär Kumi Naidoo intern angekündigt, dass fünf der sieben Mitglieder der Generaldirektion bis Oktober 2019 AI verlassen werden. Die Berichte waren von AI nach dem Suizid eines Mitarbeiters in Genf und einer Mitarbeiterin in Paris 2018 in Auftrag gegeben worden.[50]

Auszeichnungen

Zeitschrift

Literatur

  • Amnesty International (Hrsg.): Amnesty International Report 2015/2016. S. Fischer, Frankfurt/Main 2016, ISBN 978-3-10-002509-8.
  • Egon Larsen: A Flame in Barbed Wire: The Story of Amnesty International. London, 1978. ISBN 0-393-01213-1
    • Egon Larsen: Amnesty International : im Namen der Menschenrechte. Die Geschichte von amnesty international. Vorw. von Peter Benenson. Kindler, München 1980. ISBN 3-463-00790-8
  • Roland Brauckmann: Amnesty International als Feindobjekt der DDR (PDF; 276 kB) (Schriftenreihe des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Band 3), Berlin 1996.
  • Uta Devries: Amnesty International gegen Folter – eine kritische Bilanz. In: Beiträge zur Politikwissenschaft. Bd. 71, Peter Lang, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-631-32748-X.
  • K. E. Cox: Should Amnesty International Expand its Mandate to Cover Economic, Social, and Cultural Rights? In: Arizona Journal of International and Comparative Law. Vol. 16, T.2, S. 261–284, 1999.
  • Heike Alefsen, Wolfgang Behlert, Stefan Keßler, Bernd Thomsen: 40 Jahre für die Menschenrechte. Neuwied/Kriftel 2001, ISBN 3-472-04738-0, Aufsatzsammlung, hrsg. von Amnesty International
    (darin auch ein Aufsatz: Einmischung, Einseitigkeit und mangelnde Ausgewogenheit – Anmerkungen zur Kritik an amnesty international, S. 34–44).
  • Anja Mihr: Amnesty International in der DDR: der Einsatz für Menschenrechte im Visier der Stasi. Ch. Links, Berlin 2002, ISBN 3-86153-263-8.
  • Stephen Hopgood: Keepers of the Flame. Understanding Amnesty International. Cornell University Press, Ithaca, N.Y. 2006, ISBN 0-8014-7251-2, (Inhaltsangabe: Keepers of the Flame).
  • ai Bibliography – Index: Publications on Health and Human Rights Themes. 1985–2005
  • Ingrid Heinrich-Jost: Abenteuer Amnesty. Freiheit und Menschenwürde. Carl Ueberreuter, Wien 1991, ISBN 3-8000-1458-0.
  • Aryeh Neier: The international human rights movement: a history. Princeton University Press, Princeton 2012.

Weblinks

Commons: Amnesty International – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
 Wikinews: Portal:Amnesty International – in den Nachrichten

Einzelnachweise

  1. Bill Shipsey: The „Toast to Freedom“ That Led to Amnesty International, Huffington Post, 22. September 2011
  2. The Guardian: The Forgotten Prisoners
  3. Benjamin Nathans: Moskauer Menschenrechtler an Amnesty International. In: Quellen zur Geschichte der Menschenrechte. Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Mai 2015, abgerufen am 11. Januar 2017.
  4. Carola Stern im Gespräch (Memento vom 25. August 2010 im Internet Archive), abgerufen am 22. November 2012
  5. 40 Jahre amnesty international, abgerufen am 22. November 2012
  6. 1961-1970: Wie alles begann. In: www.amnesty.de. Abgerufen am 4. Januar 2017.
  7. Wechsel an der Spitze der Schweizer Sektion von Amnesty International (Memento vom 10. November 2011 im Internet Archive), 22. Dezember 2010
  8. About ai, abgerufen am 21. März 2011
  9. Outcomes from the International Council Meeting. 30. August 2017, abgerufen am 20. August 2018.
  10. https://chrismon.evangelisch.de/nachrichten/40143/suedafrikaner-kumi-naidoo-uebernimmt-als-neuer-amnesty-generalsekretaer
  11. Satzung und Arbeitsrahmen von Amnesty Deutschland www.amnesty.de (Memento vom 8. Dezember 2016 im Internet Archive)
  12. Liste der AI-Bezirke in Deutschland, abgerufen am 21. Juni 2013
  13. Der ehrenamtliche Vorstand auf amnesty.de
  14. Jahresversammlung wählte neuen Vorstand
  15. Amnesty International – Rechenschaftsbericht 2015 (Memento vom 5. Juli 2016 im Internet Archive)
  16. Markus Beeko wird Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, 1. September 2016
  17. Kundenliste bei dialogdirect.de, abgerufen am 16. August 2018
  18. Rechenschaftsbericht 2016
  19. Vorstellung des Reports 2015/16, abgerufen am 3. September 2016
  20. Owen Bowcott: Amnesty International in global programme to decriminalise sex work. In: theguardian.com. 26. Mai 2016, abgerufen am 26. Mai 2016 (englisch).
  21. Global movement votes to adopt policy to protect human rights of sex workers. In: amnesty.org. 11. August 2015, abgerufen am 26. Mai 2016 (englisch).
  22. http://www.amnesty.de/kampagnen?destination=startseite
  23. Climate activists Greta Thunberg and the Fridays for Future movement honoured with top Amnesty International award. Amnesty International, 7. Juni 2019, abgerufen am 7. Juni 2019 (englisch).
  24. zeit.de: Menschenrechtspreis für indischen Anwalt
  25. https://www.amnesty.de/menschenrechtspreis-2018
  26. The U.S. and China This Week, U.S.-China Policy Foundation, 16 February 2001.
  27. Press Briefing By Scott McClellan, The White House, 25. Mai 2005
  28. a b Dennis Bernstein: Interview: Amnesty on Jenin – Dennis Bernstein and Dr. Francis Boyle Discuss the Politics of Human Rights. Covert Action Quarterly, 2002, archiviert vom Original am 5. August 2009; abgerufen am 28. Dezember 2010.
  29. Jahresbericht Ai 2004, Abschnitt Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte
  30. Nina Streeck: Kann mal einer Amnesty helfen, bitte. Die Weltwoche, Nr. 1/2006
  31. To enlarge the campaign to concern itself with "prisoners of poverty" makes it so large and all-embracing as to be virtually meaningless. John Tusa: Mid-life crisis for Amnesty?, BBC News, 28. Dezember 2010
  32. How PR sold the war in the Persian Gulf. prwatch.org (englisch), abgerufen am 1. Januar 2018
  33. Originalzitat: „AI never condemned apartheid per se
  34. Radio Vatikan: Vatikan: Abrücken von Amnesty International? (Memento vom 26. September 2007 im Internet Archive) 13. Juni 2007
    Spiegel Online: Vatikan ruft zum Boykott von Amnesty International auf
  35. www.amnesty.org (Memento vom 7. Juli 2014 im Internet Archive)
  36. https://www.amnesty.org/en/latest/news/2018/07/amnesty-international-adopts-abortion-and-drug-control-stance/
  37. https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/CCPR/Discussion/2015/AI.pdf, Seite 21ff
  38. https://www.ohchr.org/en/hrbodies/ccpr/pages/gc36-article6righttolife.aspx - siehe Liste von eingereichten Beiträgen von NGOs darin.
  39. Amnesty International für Frauenhändler. Emma, abgerufen am 27. März 2014
  40. 32 nd International Council Meeting Circular No. 18 (Memento vom 23. Juli 2015 im Internet Archive)
  41. tagesschau.de (Memento vom 14. August 2015 im Internet Archive)Vorlage:Webarchiv/Wartung/Linktext_fehlt
  42. Prostitution: Prominente protestieren gegen Amnesty. In: sueddeutsche.de. ISSN 0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 4. Januar 2017]).
  43. Frauenrechtsorganisation Solwodi gegen die Legalisierung von Prostitution | domradio.de. In: www.domradio.de. Abgerufen am 4. Januar 2017.
  44. Amnesty International ist keine Menschenrechtsorganisation mehr. (kath.net [abgerufen am 4. Januar 2017]).
  45. Administratorin Ines Holthaus: TERRE DES FEMMES - Menschenrechte für die Frau e.V. - Aktuelles zu Prostitution: TDF in Abgrenzung zu Amnesty International. Abgerufen am 15. Mai 2018.
  46. Prostitution: Breiter Protest gegen Amnesty! | EMMA. Abgerufen am 15. Mai 2018.
  47. Peter Berger, Steven Geyer: Vorwürfe nach Silvester-Einsatz: Grünen-Chefin für Polizei-Schelte in der Kritik. In: Kölner Stadt-Anzeiger. (ksta.de [abgerufen am 4. Januar 2017]).
  48. Schwere Vorwürfe wegen Massen-Kontrollen bei Nordafrikanern: Jetzt wehrt sich die Polizeigewerkschaft. In: The Huffington Post. Abgerufen am 4. Januar 2017.
  49. Amnesty fordert unabhängige Überprüfung von Polizeikontrollen. In: www.evangelisch.de. Abgerufen am 4. Januar 2017.
  50. "Toxische Arbeitsbedingungen." Amnesty International tauscht Führungspersonal aus. 29.05.2019. (faz.net)
  51. Hans-Böckler-Preis. In: Hans Böckler Stiftung. (boeckler.de [abgerufen am 4. Januar 2017]). Hans-Böckler-Preis (Memento vom 6. Oktober 2014 im Internet Archive)