Germanische Sprachen

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Die germanischen Sprachen sind ein Zweig der indogermanischen Sprachfamilie. Sie umfassen etwa 15 Sprachen mit rund 500 Millionen Muttersprachlern, fast 800 Millionen einschließlich der Zweitsprecher. Ein charakteristisches Phänomen aller germanischen Sprachen gegenüber den anderen indogermanischen Sprachen sind die Veränderungen im Konsonantismus durch die Germanische Lautverschiebung.

Dieser Artikel dient der Gesamtdarstellung der germanischen Sprachen. Auf Untergruppen und einzelne Sprachen und ihre Dialekte wird verwiesen. Die urgermanische Sprache wird in einem separaten Artikel behandelt.

Gegenwärtige Verbreitung germanischer Sprachen

Die großen germanischen Sprachen

Insgesamt zehn germanische Sprachen besitzen jeweils mehr als eine Million Sprecher.

  • Englisch ist die sprecherreichste germanische Sprache mit rund 330 Millionen Muttersprachlern und mindestens 500 Millionen Zweitsprechern.
  • Deutsch wird von etwa 100 Millionen Muttersprachlern und mindestens 80 Millionen Zweitsprechern gesprochen.
  • Niederländisch (25 Millionen)
  • Schwedisch (10 Millionen)
  • Afrikaans (6,7 Millionen, mit Zweitsprechern 16 Millionen)
  • Dänisch (5,5 Millionen)
  • Norwegisch (5 Millionen; Bokmål und Nynorsk)
  • Niederdeutsch (ca. 5 Millionen Erst- und Zweitsprecher; Stellung als eigenständige Sprache umstritten)
  • Jiddisch (1,5 Millionen)
  • Scots (1,5 Millionen; Stellung als eigene Sprache umstritten)

Die West-Nord-Ost-Gliederung der germanischen Sprachen

Die germanischen Sprachen werden in der Regel in West-, Nord- und Ostgermanisch eingeteilt (siehe unten die ausführliche Klassifikation). Die Sprachgrenze zwischen Nord- und Westgermanisch wird heute durch die deutsch-dänische Grenze markiert und lag früher etwas weiter südlich an der Eider.

Zu den westgermanischen Sprachen gehören: Englisch, Deutsch, Niederländisch, Afrikaans, Niederdeutsch, Jiddisch, Luxemburgisch, Friesisch und Pennsylvania Dutch.

Dazu gehören: Schwedisch, Dänisch, Norwegisch, Färöisch und Isländisch.

Alle ostgermanischen Sprachen sind ausgestorben. Die bestüberlieferte ostgermanische Sprache ist Gotisch.

Die Klassifikation der germanischen Sprachen

Einteilung der heutigen germanischen Sprachen

Der germanische Zweig des Indogermanischen umfasst heute 15 Sprachen mit insgesamt rund 500 Millionen Sprechern. Einige dieser Sprachen werden von manchen Forschern nur als Dialekte betrachtet (siehe unten). Diese 15 Sprachen können nach dem Grad ihrer Verwandtschaft wie folgt klassifiziert werden (die Sprecherzahlen beziehen sich auf Muttersprachler):

Germanisch (15 Sprachen mit insgesamt 490 Millionen Sprechern):

1. Westgermanisch:
  • Deutsch-Niederländisch:
  • Deutsch:
Deutsch (100 Millionen; 180 Millionen inkl. Zweitsprecher)
Jiddisch (1,5 Millionen)
Luxemburgisch (Lëtzebuergesch) (300.000)
Pennsylvania Dutch (100.000)
  • Niederdeutsch:
Niederdeutsch (ca. 5 Millionen Erst- und Zweitsprecher)
Plautdietsch (500.000)
  • Niederländisch:
Niederländisch (25 Millionen) (Holländisch, Flämisch)
Afrikaans (6 Millionen; 16 Millionen inkl. Zweitsprecher)
  • Anglo-Friesisch:
Friesische Sprachen (720.000) (Westfriesisch, Nordfriesisch, Ostfriesisch [Saterländisch])
Englisch (340 Millionen; mind. 850 Millionen inkl. Zweitsprecher)
2. Nordgermanisch:
  • Skandinavisch: (Festlandskandinavisch)
Dänisch (5,5 Millionen)
Schwedisch (10 Millionen)
Norwegisch (5 Millionen) (Bokmål und Nynorsk)
  • Isländisch-Färöisch: (Inselskandinavisch)
Isländisch (300.000; 350.000 inkl. Zweitsprecher)
Färöisch (65.000)
3. Ostgermanisch:
  • Sämtliche ostgermanischen Sprachen sind ausgestorben

Die Grundlage dieser Klassifikation ist der Weblink „Klassifikation der indogermanischen Sprachen“,[1] der für das Germanische vor allem auf Robinson 1992 basiert. Die aktuellen Sprecherzahlen entstammen Ethnologue 2005 und offiziellen Länderstatistiken.

Da die Grenzen zwischen Sprachen und Dialekten fließend sind, werden z. B. Luxemburgisch, Plautdietsch, Pennsylvanisch und Niederdeutsch nicht von allen Forschern als Sprachen betrachtet, Schwyzerdütsch und Schottisch (Scots) dagegen von anderen als weitere eigenständige westgermanische Sprachen angesehen. Ein weiteres Beispiel: Die beiden Varianten des Norwegischen (Bokmål und Nynorsk) werden von einigen Skandinavisten als separate Sprachen betrachtet, wobei dann Bokmål in die Nähe des Dänischen, Nynorsk in die Nähe des Isländisch-Faröischen rückt.

Historische Klassifikation

Während die obige Klassifikation lediglich eine Gliederung der heute existierenden germanischen Sprachen bietet, soll folgende Darstellung einen historischen Einblick vermitteln, da auch die ausgestorbenen germanischen Sprachen aufgeführt werden. Nicht belegte, aber erschließbare Zwischenglieder sind durch * gekennzeichnet. Insbesondere über die historische Gliederung der westgermanischen Sprachen gibt es bisher keinen vollständigen Konsens, die folgende historisch orientierte Darstellung (nach Maurer 1942, Wiesinger 1983, dtv-Atlas Deutsche Sprache 2001) gibt aber die mehrheitlich vertretene Forschungsrichtung wieder. Dabei wird das Westgermanische nicht als ursprüngliche genetische Einheit aufgefasst, es hat sich erst später aus seinen Komponenten Nordseegermanisch, Weser-Rhein-Germanisch und Elbgermanisch durch Konvergenz herausgebildet. Aus dieser Darstellung wird auch klar, dass die Dialekte des Deutschen verschiedenen Zweigen des „Westgermanischen“ angehören, Deutsch also nur in Form seiner Dialekte in einen historischen germanischen Stammbaum integrierbar ist.

Entwicklung des Deutschen

Die drei historischen Stadien des Hochdeutschen – Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch – sind nur als Vereinigung von Dialekten greifbar, die verschiedenen Zweigen der obigen Klassifikation angehören.

So ist Althochdeutsch eine Zusammenfassung altmitteldeutscher und altoberdeutscher Dialekte und Dialektgruppen:

  • Althochdeutsch
    • Altmitteldeutsch
      • Rheinfränkisch
      • Mittelfränkisch
    • Altoberdeutsch

Mittelhochdeutsch setzt sich ebenfalls aus mittel- und oberdeutschen Dialekten zusammen:

  • Mittelhochdeutsch
    • Mittelmitteldeutsch
      • Rheinfränkisch
      • Mittelfränkisch
      • Thüringisch
      • Obersächsisch
      • Schlesisch
    • Mitteloberdeutsch

Das Neuhochdeutsche entwickelte sich aus mittel- und oberdeutschen Dialekten; Details im Artikel Deutsche Sprache.

Germanische Schriften

Seit ungefähr dem 2. Jahrhundert n. Chr. haben die germanischen Stämme eigene Schriftzeichen verwendet, die Runen. Es entstand das sogenannte „ältere Futhark“, eine frühe Form der Runenreihe, die bis ca. 750 n. Chr. in Gebrauch war. Die überlieferte Gotische Bibel des 4. Jahrhunderts hat ihre eigene Schrift, nämlich das vom Bischof Wulfila entwickelte Gotische Alphabet.[2] Später wurden die germanischen Sprachen mit lateinischen Buchstaben geschrieben. Beispiele von modifizierten Buchstaben sind das Yogh (ȝ) und die latinisierten Runen Thorn (þ) und Wunjo (ƿ).

Germanische Wortgleichungen

Die folgenden Tabellen stellen einige Wortgleichungen aus den Bereichen Verwandtschaftsbezeichnungen, Körperteile, Tiernamen, Umweltbegriffe, Pronomina, Verben und Zahlwörter für einige alt- und neugermanische Sprachen zusammen. Man erkennt den hohen Grad der Verwandtschaft der germanischen Sprachen insgesamt, die besondere Ähnlichkeit der westgermanischen und nordgermanischen Sprachen untereinander, die stärkere Abweichung des Gotischen von beiden Gruppen und letztlich die Beziehung des Germanischen zum Indogermanischen (letzte Spalte, hier sind die Abweichungen natürlich größer). Hier können auch die Gesetze der germanischen (ersten) und hochdeutschen (zweiten) Lautverschiebung überprüft werden (ausführliche Behandlung im nächsten Abschnitt). Da die germanischen und indogermanischen Formen nur rekonstruiert sind, sind sie mit einem * versehen.

Gesamtgermanische Nomina

Folgende Nomina sind in fast allen germanischen Sprachen vertreten und können auch für das Urindogermanische rekonstruiert werden:

Deutsch Althochdeutsch Luxemburgisch Niederländisch Afrikaans Altsächsisch Altenglisch Englisch Altnordisch Gotisch Germanisch Urindogermanisch
Vater fater - vader vader fadar fæder father faðir fadar *fađer *pətér
Mutter muoter - moeder moeder modar modor mother móðir *mōđer *mater
Bruder bruoder Brudder broe(de)r broer brođar brođor brother bróðir broþar *brōþer *bhrater
Schwester swester Schwëster zus(ter) suster swestar sweostor sister systir swistar *swester *suesor
Tochter tohter Duechter dochter dogter dohtar dohtar daughter dóttir dauhtar *duχter *dhugəter
Sohn sunu - zoon seun sunu sunu son sunr sunus *sunuz *suənu
Herz herza Häerz hart hart herta heorte heart hjarta hairto *χertōn *kerd
Knie knio Knéi knie knie knio cneo knee kné kniu *knewa *genu
Fuß fuoz Fouss voet voet fot fot foot fótr fotus *fōt- *pod
Aue** ouwi ooi ooi ewwi eowu ewe ær aweþi *awi *owi
Kuh kuo Kou koe koei ko cu cow kýr *k(w)ou *gwou
Elch elaho, eliho eland elaho eolh, eolk elk elgr *elhaz, *algiz *h₁élḱis, *h₁ólḱis
Mähre meriha merrie merge mere, miere mare merr *marhijō *marḱ-
Schwein swin Schwäin zwijn swyn swin swin swine svín swein *swina *sus/suino
Hund hunt Hond hond hond hund hund ° hound hundr hunds *χundaz *kuon
Wasser wazzar Waasser water water watar wæter water vatn vato *watōr *wódr̥
Feuer fiur Feier vuur vuur fiur fȳr fire fúrr *fōr, *fuïr *péh₂ur
(Baum) (Bam) (boom) trio treo(w) tree tré triu *trevam *deru
(Rad) (Rad) wiel wiel hweol wheel hvél *hwehwlą *kʷékʷlo-
neu niuwi nei nieuw nuwe niuwi niwe new nýr niujis *neuja *neujo

** Aue = Mutterschaf (veraltend, landschaftlich)

Es gibt jedoch auch einige germanische Nomina, welche nicht aus dem Urindogermanischen ererbt zu sein scheinen, da sich keine verwandten Wörter in außergermanischen Sprachen finden lassen:

Deutsch Althochdeutsch Luxemburgisch Niederländisch Altsächsisch Altenglisch Englisch Altnordisch Gotisch Urgermanisch
Pflug Plou ploeg plōh plough, plow plógr *plōgaz, *plōguz
Silber sil(a)bar Sëlwer zilver siluvar seol(o)for silver silfr, sylfr silubr *silubrą

Gesamtgermanische Pronomina

Deutsch Althochdeutsch Luxemburgisch Niederländisch Afrikaans Altsächsisch Altenglisch Englisch Altnordisch Gotisch Germanisch Urindogermanisch
ich ih ech ik ek ik ic I ek ik *ek *eg(om)
du du du . . thu þu thou þú þu *þu *tu
wer? (h)wer wien wie wie hwe hwa who hvat hwas *χwiz *kwis

Gesamtgermanische Verben

Deutsch Althochdeutsch Luxemburgisch Niederländisch Afrikaans Altsächsisch Altenglisch Englisch Altnordisch Gotisch Germanisch Urindogermanisch
essen ezzan iessen, eessen eten eet etan etan eat eta itan *etaną *ed
(tragen)** beran (droen) baren beran beran bear bera bairan *beraną *bher-
trinken trinkan drénken drinken drink drinkan drincan drink drekka drigkan *drinkaną *dʰrenǵ-
(er) weiß weiz wees weet weet wēt wāt . veit wait *wait *woida

**verwandt ist das Deutsche Verb gebären

Gesamtgermanische Zahlwörter

Fast alle germanischen Zahlwörter sind aus dem Urindogermanischen ererbt:

Deutsch Althochdeutsch Luxemburgisch Niederländisch Afrikaans Altsächsisch Altenglisch Englisch Altnordisch Gotisch Germanisch Urindogermanisch
ein(s) ein een(t) één een en an one einn ains *aina *oino
zwei zwa/zwo/zwei zwee twee twee twa/two/twe twa/tu two tveir/tvær twai/twos *twajina *dwou
drei dri dräi drie drie thria þri three þrír þreis *þrejes *trejes
vier fior véier vier vier fi(u)war feower four fjórir fidwor *feđwōr *kwetwor
fünf fimf fënnef vijf vyf fif fif five fim(m) fimf *femf(e) *penqwe
sechs sehs sechs zes ses sehs siex six sex saihs *seχs *seks
sieben sibun siwen zeven sewe sibun seofon seven sjau sibun *sebun *septṃ
acht ahto aacht acht agt ahto eahta eight átta ahtau *aχtau *oktou
neun nium ning, néng negen nege nigun nigon nine níu ni'un *newun *(e)newṇ
zehn zehan zing, zéng tien tien tehan tien ten tíu taihun *teχun *dekṃ
hund-ert hunt honn-ert hond-erd hond-erd hund hund-red hund-red hund-rad hund *χunđa *kṃtóm

Quelle dieser Tabellen ist der Weblink „Germanische Wortgleichungen“,[3] der wiederum auf der Basis mehrerer etymologischer Wörterbücher zusammengestellt wurde, darunter Kluge 2002, Onions 1966 und Pokorny 1959.

In allen germanischen Sprachen ist 13 die erste zusammengesetzte Zahl (z. B. englisch thirteen), die Zahlen 11 und 12 haben eigene Namen (z. B. englisch eleven und twelve).

Germanische Lautverschiebung

Die germanischen Sprachen unterscheiden sich von anderen indogermanischen Sprachen durch eine charakteristische, eben die „germanische“ Konsonantenverschiebung, die in der Germanistik als „erste“ von einer folgenden „zweiten“ Lautverschiebung unterschieden wird. Die folgende Tabelle bringt Wortgleichungen, die diesen Übergang von den indogermanischen zu den entsprechenden protogermanischen Konsonanten belegen. Da auch die hochdeutschen Parallelen angegeben sind, belegt die Tabelle auch die Zweite Lautverschiebung vom (Ur-)Germanischen zum Hochdeutschen. Rekonstruierte protogermanische und indogermanische Formen sind durch * gekennzeichnet, entsprechende Konsonanten durch Fettdruck hervorgehoben.

Nr *Idg. Latein Griech. *German. Englisch Deutsch
1 *pəter pater πατήρ
patḗr
*fađer father Vater
2 *bhratar frater phratér *brōþer brother Bruder
3 *kerd cord- kard- *χertōn heart Herz
4 *dheub . . *deup deep tief
5a *ed- ed- ed- *itana eat essen
5b *sed- sed- . *sitana sit sitzen
6 *ego ego ego *ek I ich
7 *bher fer- pher- *bairana bear ge-bären
8 *udhar uber thar *udar udder Euter
9 *wegh- veh- . *wega- weigh wiegen

Während z. B. das Lateinische und Griechische die „indogermanischen“ Konsonanten weitgehend erhalten, erfährt das Germanische einen lautgesetzlichen Wandel der Tenues /p, t, k/, Mediae /b, d, g/ und Mediae-Aspiratae /bh, dh, gh/. Das Englische und das Niederdeutsche konservieren bis heute diese „germanischen“ Konsonanten, dagegen erfolgt beim Übergang zum Hochdeutschen eine zweite Lautverschiebung dieser Konsonantengruppe. Insgesamt ergeben sich folgende Lautgesetze:

Germanische und hochdeutsche Lautverschiebung

Nr Indogerm. → Germanisch → Hochdeutsch
1 p → f → f
2 t → þ (th) → d
3 k → h (ch) → h
4 b → p → ff / pf
5 d → t → ss / tz
6 g → k → hh / ch
7 bh → b → b (alem./bair. p)
8 dh → d → t
9 gh → g → g (bair. k)

Bemerkungen zur Sprachgeschichte

Protogermanisch und seine Abspaltungen

Einige Forscher vermuten, dass das Protogermanische mit den Vorläufern der baltischen und slawischen Sprachen eine Dialektgruppe innerhalb der west-indogermanischen Sprachen bildete. Diese Annahme wird nicht zuletzt durch eine neuere lexikostatistische Arbeit gestützt.[4] Diese Vorformen des Germanischen könnten bereits im späten 3. und frühen 2. Jahrtausend v. Chr. entsprechend ihrer geographischen Lage eine Zwischenstellung zwischen den vermuteten Sprachgruppen Italo-Keltisch im Südwesten und Baltoslawisch im Südosten eingenommen haben.

Das Protogermanische habe sich dann aus dieser Gruppe gelöst, wonach es deutliche Wechselwirkungen mit frühfinnischen Sprachen zeige.

Bezüglich einer sogenannten germanischen „Urheimat“ bringt der Onomast Jürgen Udolph das Argument, dass sich germanische Orts- und Gewässernamen mit Schwerpunkt im weiteren Umkreis des Harzes nachweisen lassen. Diese Beobachtung belegt jedoch im Grunde nur eine seit der Benennung ungestörte germanische Besiedlung, nicht deren Zeitrahmen. Einen Zeitrahmen bieten dagegen archäologische Funde auf Grund gleichartiger, ungebrochener Traditionen im Raum zwischen dem von Udolph vorgeschlagenen Harzumland bis Südskandinavien seit etwa dem 12. Jahrhundert v. Chr.

Die protogermanische Sprache (auch „Urgermanisch“ oder „Gemeingermanisch“) konnte durch sprachwissenschaftliche Vergleiche weitgehend rekonstruiert werden. Diese erschlossene Vorform soll bis etwa 100 v. Chr., in der sogenannten gemeingermanischen Sprachperiode relativ einheitlich geblieben sein. Als Eigenheit fällt auf, dass das Germanische einige indogermanische Erbwörter recht eigenwillig verwendet (Beispiel: sehen = „[mit den Augen] folgen“, vgl. lateinisch sequi). Nach Euler (2009) spaltete sich als erste Sprache das ausgestorbene, fast nur durch das Gotische überlieferte Ostgermanische ab. Im 1. Jahrhundert n. Chr. hätten sich dann die westgermanischen von den nordgermanischen Sprachen getrennt.

Wortschatz, Lehnwörter

Der protogermanische Wortschatz enthält eine Reihe von Lehnwörtern nicht-germanischen Ursprungs. Auffallend sind z. B. Entlehnungen im Bereich von Schiffbau und Navigation aus einer bisher unbekannten Substratsprache, vermutlich im westlichen Ostseeraum. Diese germanische Substrathypothese wird allerdings inzwischen stark bestritten. Dagegen werden Entlehnungen im Bereich sozialer Organisation vor allem keltischem Einfluss zugeschrieben. Diese Beobachtungen legen eine Entstehung des Germanischen als Einwanderersprache nahe. Wertvolle Hinweise sowohl auf die germanischen Lautformen als auch vorgeschichtliche Nachbarschaftsverhältnisse geben noch heute in ostsee-finnischen Sprachen erhaltene Entlehnungen aus dem Germanischen, wie z. B. finnisch kuningas (König) aus Germanisch: *kuningaz, rengas (Ring) aus Germanisch: *hrengaz (/z/ steht für stimmhaftes /s/).

Artikel

Das Germanische kannte ursprünglich weder den bestimmten noch den unbestimmten Artikel, ebenso wie das Lateinische und die meisten slawischen und baltischen Sprachen. Das Westgermanische bildete dann die bestimmten Artikel „der“, „die“ und „das“ aus den Demonstrativpronomen. Die unbestimmten Artikel wurden in den westgermanischen und in den meisten nordgermanischen Sprachen (wie in den romanischen Sprachen) aus dem Zahlwort für „1“ gebildet. Das moderne Isländisch hat keinen unbestimmten Artikel entwickelt.

Siehe auch

Literatur

Allgemeines

  • Wayne Harbert: The Germanic Languages. Cambridge University Press, Cambridge 2007, ISBN 978-0-521-01511-0.
  • Claus Jürgen Hutterer: Die germanischen Sprachen. Ihre Geschichte in Grundzügen. 4. Auflage. VMA-Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-928127-57-8.
  • Ekkehard König und Johan van der Auwera (Hrsg.): The Germanic Languages. Routledge, London / New York 1994, ISBN 0-415-05768-X.
  • Werner König und Hans-Joachim Paul: dtv-Atlas Deutsche Sprache. 15. Auflage. dtv, München 2005, ISBN 3-423-03025-9.
  • Orrin W. Robinson: Old English and Its Closest Relatives. A Survey of the Earliest Germanic Languages. Stanford University Press, Stanford (Calif) 1992, ISBN 0-8047-1454-1.

Etymologische Wörterbücher

  • Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Auflage. De Gruyter, Berlin/Boston 2011, ISBN 978-3-11-022364-4.
  • C. T. Onions (Hrsg.): The Oxford Dictionary of English Etymology. Oxford University Press, Oxford 1966.
  • Marlies Philippa u. a.: Etymologisch woordenboek van het Nederlands. 4 Bände. Amsterdam University Press, Amsterdam 2003–2009, ISBN 978-90-8964-184-7.
  • Julius Pokorny: Indogermanisches etymologisches Wörterbuch. Francke Verlag, Bern/München 1959.

Weblinks

Commons: Germanische Sprachen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Ernst Kausen: Die Klassifikation des Indogermanischen und seiner Zweige. (MS Word; 220 kB)
  2. Fausto Cercignani: The Elaboration of the Gothic Alphabet and Orthography. In Indogermanische Forschungen. 93, 1988, S. 168–185.
  3. Ernst Kausen: Germanische Wortgleichungen. (MS Word; 40 kB)
  4. Hans J. Holm (2008): The Distribution of Data in Word Lists and its Impact on the Subgrouping of Languages. link.springer.com In: Christine Preisach, Hans Burkhardt, Lars Schmidt-Thieme, Reinhold Decker (Hrsg.): Data Analysis, Machine Learning, and Applications. Proc. of the 31th Annual Conference of the German Classification Society (GfKl), University of Freiburg, March 7–9, 2007. Springer-Verlag, Heidelberg/Berlin.