Sunniten

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Verteilung muslimischer Volksgruppen:
Grün: sunnitische Gebiete; Rot: schiitische Gebiete; Blau: Ibaditen (Oman)
Islamische Konfessionen und Rechtsschulen

Die Sunniten (bis zum 19. Jahrhundert auch: Sonniten)[1][2] bilden die größte Glaubensrichtung im Islam. Ihre Glaubensrichtung selbst wird als Sunnitentum oder Sunnismus bezeichnet. Eine Eigenbezeichnung ist ahl as-sunna (أهل السنة ‚Volk der Tradition‘) oder im Türkischen Ehl-i Sünnet bzw. Sünnilik. Die Bezeichnung Sunniten stammt demnach von dem Wort Sunna (سنة ‚die Tradition des Propheten des Islam, Mohammed‘). Sunnitische Muslime werden auch als أهل السنة والجماعة ahl as-sunna wal-dschamāʿa ‚Volk der Tradition und der Einheit (der Muslime)‘ zusammengefasst, was darauf hinweisen soll, dass die Sunniten vereinigt sind. Heute gelten die Schiiten als die wichtigste Gegengruppe zu den Sunniten, allerdings hat sich das sunnitische Selbstbewusstsein im Mittelalter nicht nur in Absetzung zu den Schiiten, sondern auch zu den Muʿtaziliten und Charidschiten herausgebildet.

Verbreitung

Sunniten stellen in den meisten islamischen Ländern die Mehrheit der Muslime, mit Ausnahme von Iran, Irak, Oman, Libanon, Aserbaidschan sowie Bahrain. In Bahrain sind ca. 75 Prozent der Bevölkerung schiitisch, doch wird das politische Leben seit dem 18. Jahrhundert von wenigen tribalen sunnitischen Familien beherrscht.[3]

Lehrrichtungen

Im Bereich der Normenlehre (Fiqh) gibt es bei den Sunniten vier verschiedene Lehrrichtungen, die Madhhab genannt werden. Je nach Zugehörigkeit zu einer dieser Lehrrichtungen werden die Sunniten in Hanafiten, Malikiten, Hanbaliten und Schafiiten unterteilt. Unterschiede zwischen diesen Lehrrichtungen zeigen sich nicht nur bei rechtlichen Fragen, sondern auch auf ritueller Ebene, so zum Beispiel beim rituellen Gebet und den Reinheitsbestimmungen. Daneben gibt es mit den Salafisten und Ahl-i Hadīth andere sunnitische Strömungen, die die Madhhab-Zugehörigkeiten allgemein ablehnen.

Auf dogmatischer Ebene sind die wichtigsten sunnitischen Richtungen die Māturīdīya, die Aschʿarīya und die Salafīya. Während Māturīditen und Aschʿariten rationale Spekulation im Sinne des Kalām befürworten, wird diese von den Salafis abgelehnt. Für die Salafīya wird auch der Begriff Atharīya verwendet.

Glaubenslehren nach Abū l-Hasan al-Aschʿarī

Die Glaubenslehren der Sunniten werden in verschiedenen Bekenntnisschriften festgehalten, wobei sich die einzelnen Lehrpunkte je nach Zugehörigkeit des Autors zu einer bestimmten Lehrtradition unterscheiden. Abū l-Hasan al-Aschʿarī, der Begründer der aschʿaritischen Lehrrichtung, nennt in seinem Werk Maqālāt al-islāmīyīn die folgenden Lehrpunkte als kennzeichnend für die Sunniten (ahl al-ḥadīṯ wa-s-sunna):

  • Sie bekennen sich zu Gott, seinen Engeln, seinen (heiligen) Schriften, seinen Propheten, dem was von Gott (als Offenbarung) gekommen ist und dem, was zuverlässige (Gewährsmänner) vom Propheten überliefert haben […]
  • Sie bekennen, dass Gott ein einziger, ewiger Gott ist […] und dass Mohammed sein Diener und Prophet ist, dass das Paradies Wahrheit ist und die Hölle Wahrheit ist, dass die Stunde (d. h. der jüngste Tag) unzweifelhaft kommen wird und Gott die Insassen der Gräber auferwecken wird.
  • Sie bekennen, dass Gott auf seinem Throne sitzt, wie Er es gesagt hat: „Der Rahmān sitzt auf dem Throne“ (Sure 20:5) […]
  • Sie bekennen, dass man von den Namen Gottes nicht sagen darf, dass sie etwas anderes sind als Gott, wie es Muʿtaziliten und Charidschiten behaupten […]
  • Sie halten am Hören und Sehen fest und sprechen es Gott nicht ab, wie es die Muʿtaziliten tun […]
  • Sie lehren, dass es auf der Erde nichts Gutes und nichts Schlechtes gibt außer dem, was Gott will […]
  • Sie lehren, dass niemand imstande ist, etwas zu tun, bevor er es wirklich tut […] Sie bekennen ferner, dass es keinen Schöpfer außer Gott gibt, dass Gott die schlechten Taten der Menschen schafft, dass Gott überhaupt die Handlungen der Menschen schafft und dass die Menschen nichts zu erschaffen vermögen […]
  • Sie bekennen, dass Gott den Gläubigen hilft, ihm zu gehorchen, aber sich von den Ungläubigen zurückzieht […]
  • Sie lehren, dass der Koran die unerschaffene Rede Gottes ist […]
  • Sie lehren, dass Gott am jüngsten Tage mit den Augen gesehen wird, so wie man den Mond in der Vollmondnacht sieht […]
  • Sie erklären niemanden von denen, die sich nach der Qibla wenden, für ungläubig, wegen einer Sünde, die er begeht wie Zinā, Diebstahl und ähnlicher schwerer Sünden […]
  • Sie bekennen, dass Gott der Wandler der Herzen ist.
  • Sie bekennen sich zur Fürsprache (šafāʿa) des Gottesgesandten sowie dazu, dass sie sich auf diejenigen aus seiner Umma erstreckt, die schwere Sünden begangen haben […]
  • Sie bekennen, dass der Glaube aus Wort und Tat besteht und zunehmen und abnehmen kann, und sie behaupten weder, dass er geschaffen noch dass er unerschaffen ist […]
  • Sie lehren, dass Gott das Schlechte nicht befohlen, sondern verboten hat, und dass er das Gute befohlen hat und an dem Schlechten kein Gefallen hat, auch wenn hinsichtlich dessen ein Wollender ist.
  • Sie erkennen das Recht der Altvorderen (salaf) an, die Gott erwählt hat, aufgrund ihrer Gefährtenschaft zu seinem Propheten. Sie halten sich an ihre Vortrefflichkeiten und enthalten sich eines Urteils hinsichtlich dessen, was den Kleinen und Großen unter ihnen strittig ist. Sie stellen Abū Bakr voran, dann ʿUmar, dann ʿUthmān, dann ʿAlī und bekennen, dass sie die rechtgeleiteten Kalifen und die vorzüglichsten aller Menschen nach dem Propheten sind […]
  • Sie halten die Hadithe für wahr, die über den Gottesgesandten überliefert sind, dass Gott zum untersten Himmel herabsteigt und fragt, ob es jemanden gibt, der um Vergebung bittet. […]
  • Sie bekennen, dass Gott am jüngsten Tage kommen wird, wie Er gesagt hat: „Und es kommt Dein Herr und die Engel reihenweise“ (Sure 89:22)
  • Sie befinden es für gut, am Fest, am Freitag und in Gemeinschaft hinter jedem Imam zu beten, sei er fromm oder sündhaft, bekräftigen das Überstreichen der Schuhe als Sunna sowohl bei dauerndem Aufenthalt als auch auf der Reise und bekräftigen die Pflicht zum Dschihad gegen die Beigeseller, seit der Zeit, da Gott seinen Propheten entsandt hat, bis zur letzten Schar, die gegen den Daddschāl kämpft, und (noch) weiter.
  • Sie befinden es für gut, für die Imame der Muslime um Wohlergehen zu bitten, nicht gegen sie mit dem Schwert zu Feld zu ziehen und nicht in der Fitna zu kämpfen. Sie halten ferner das Auftreten des Daddschāl für wahr, und das Jesus, der Sohn der Maria, ihn töten wird.
  • Sie glauben an Munkar und Nakīr, an die Himmelfahrt Mohammeds (miʿrāǧ), an das Traumgesicht im Schlaf, und dass das Bittgebet für die verstorbenen Muslime und das Almosen für sie nach ihrem Tode ihnen zugutekommt.
  • Sie glauben, dass es auf der Welt Zauberer gibt, dass der Zauberer ein Kāfir ist, wie Gott gesagt hat, und der Zauber etwas Innerweltliches ist.
  • Sie befinden es für gut, für jeden, der von den Leuten der Qibla gestorben ist, das Totengebet zu sprechen, sowohl den Frommen als auch den Sündhaften, und erkennen erbrechtliche Beziehungen mit ihnen an.
  • Sie bekennen,
    • dass das Paradies und das Höllenfeuer erschaffen sind,
    • dass derjenige, der stirbt, zu dem für ihn bestimmten Termin stirbt, auch wenn er getötet wird,
    • dass der Lebensunterhalt von Gott kommt, sowohl der Erlaubte als auch der Verbotene,
    • dass der Satan dem Menschen einflüstert, ihm Zweifel eingibt und ihn schlägt (vgl. Sure 2:275),
    • dass Gott die Frommen durch Wunderzeichen, die er an ihnen zeigt, auszeichnen kann,
    • dass die Sunna nicht durch den Koran abrogiert wird,
    • dass das Schicksal der Kinder bei Gott liegt, der, wenn er will, sie bestraft und, wenn er will, mit ihnen tut, was er will […]
  • Sie befinden es für gut, den Ratschluss Gottes geduldig zu ertragen, sich an das zu halten, was Gott geboten, zu meiden, was er verboten hat, und mit Rat und Tat aufrichtig für die Muslime zu wirken.
  • Sie üben die Religion, durch Gottesdienst gemeinsam mit anderen, durch guten Ratschlag für die Gemeinschaft der Muslime sowie durch Vermeidung von schweren Sünden, von Zinā, Lüge, Eiferertum, Stolz, Hochmut, Herabsetzung der Menschen und Selbstgefälligkeit.
  • Sie befinden es für gut, sich von jedem, der zu einer Bidʿa aufruft, fernzuhalten, sich mit der Rezitation des Korans und Niederschreiben der Traditionsnachrichten zu beschäftigen, sich mit dem Fiqh zu beschäftigen, in Bescheidenheit, Demut und Anstand, indem man reichlich Gutes tut, Schädigung vermeidet, Verleumdung und üble Nachrede unterlässt und Speise und Trank (sc. hinsichtlich ihrer Erlaubtheit) prüft.[4]

Sunniten in Deutschland

In Deutschland leben ungefähr 2,6 Millionen Sunniten.[5] Die meisten der in Deutschland lebenden Sunniten stammen ursprünglich aus der Türkei sowie aus Marokko, Albanien, Mazedonien, Kosovo, Afghanistan, Syrien, Irak, Tunesien, Bosnien und Herzegowina, Libanon, Ägypten, Palästina und Pakistan. Die Sunniten stellen mit einem Anteil von etwa 74 % die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime dar. Neben den nach Deutschland eingewanderten Sunniten sowie ihren Nachkommen, geht man von mehreren Tausend in Deutschland lebenden Konvertiten (einerseits gebürtige Deutsche, andererseits Einwohner mit Migrationshintergrund – nicht islamisch geprägter Länder –, wie beispielsweise Italien, Polen, Griechenland, Russland, Spanien etc.) aus.

Die bekanntesten Deutschen, die zum sunnitischen Islam konvertierten, sind Ayyub Axel Köhler (Funktionär und ehemaliger Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland), Murad Wilfried Hofmann (Autor und ehemaliger deutscher Botschafter), Frank Bubenheim (deutscher Übersetzer islamischer Texte), Kristiane Backer (Autorin und ehemalige Fernsehmoderatorin des englischsprachigen Fernsehsenders MTV Europe), Danny Blum (Fußball-Bundesliga Profi), Kollegah (deutscher Rapper), die beiden islamistischen Prediger Pierre Vogel (ehemaliger Profiboxer) und Sven Lau (rechtskräftig verurteilter Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung namens Dschaisch al-Muhadschirin wal-Ansar) sowie Bernhard Falk (verurteilter ehemaliger linksextremistischer Terrorist und späterer islamistischer Aktivist).

Organisationen

Die vier bedeutendsten und mitgliederstärksten muslimisch-sunnitischen Vereine und Dachverbände in Deutschland sind:

Diese vier Dachverbände haben sich 2007 zum Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) zusammengeschlossen und verstehen sich als offizieller Ansprechpartner für den deutschen Staat. Eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft oder Körperschaft des öffentlichen Rechts steht jedoch noch aus. Es ist umstritten, ob der Koordinationsrat der Muslime als Dachorganisation die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt.[6]

Literatur

  • Edward Badeen: Sunnitische Theologie in osmanischer Zeit. Würzburg, 2008.
  • Muhammad Qasim Zaman: Religion and politics under the early ʿAbbāsids: the emergence of the Proto-Sunnī elite. Brill, Leiden, 1997.
  • Matthew Kuiper: „The Roots and Achievements of the Early Proto- Sunni Movement: A Profile and Interpretation“ in Muslim World 104 (2014) 71–88.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Brockhaus von 1809
  2. Pierer von 1859
  3. Vgl. Pierre-Jean Luizard: Histoire politique du clergé chiite, xviiie-xxie siècle. Fayard, Paris, 2014. S. 256.
  4. Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī: Kitāb Maqālāt al-islāmīyīn wa-iḫtilāf al-muṣallīn. Ed. Hellmut Ritter. 2. Aufl. Steiner, Wiesbaden, 1963. S. 290–297. Digitalisat – Vgl. die Übersetzung bei Joseph Schacht: Der Islām mit Ausschluss des Qur'āns. Mohr/Siebeck, Tübingen 1931, S. 54–61. Digitalisat
  5. Mitgliederzahlen: Islam, in: Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V. (Abkürzung: REMID), abgerufen am 30. Januar 2016.
  6. Was muslimischen Verbänden die Anerkennung als Religionsgemeinschaft bringt, in: Berliner Zeitung vom 27. August 2016, abgerufen am 17. Februar 2017