Anne-Barb Hertkorn

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Anne-Barb Hertkorn (* 28. Juni 1955 in Stuttgart; † 28. Januar 2023) war eine deutsche Autorin. Sie setzte sich für die Aufarbeitung der NS-Zeit vor allem in München ein. Für diesen Einsatz erhielt sie 2008 die Bayerische Verfassungsmedaille in Silber.

Leben

Anne-Barb Hertkorn wuchs in Stuttgart auf. Von 1976 bis 1981 studierte sie Philosophie und Literaturwissenschaft in Heidelberg und München. Für ihre anschließende Promotion erhielt sie ein Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung. 1986 promovierte sie an der LMU München im Fach Philosophie bei Lorenz Bruno Puntel. Ihre Arbeit trug den Titel Kritik und System : vergleichende Untersuchung zu Programm und Durchführung von Kants Konzeption der Philosophie als Wissenschaft.[1]

Seit 1987 war Anne-Barb Hertkorn freiberuflich als wissenschaftliche Autorin tätig.[2] Von 2010 bis 2012 arbeitete sie im Münchner Kulturreferat für das NS-Dokumentationszentrum München, das sich in dieser Zeit im Aufbau befand. Dort bereitete sie Tagungen[3][4][5] und Gedenkveranstaltungen[6] vor und vertrat das NS-Dokumentationszentrum in wissenschaftlichen Arbeitskreisen[7]. Seit 2017 schrieb sie drei Kriminalromane, die in Stuttgart spielen.

Am 28. Januar 2023 verstarb Anne-Barb Hertkorn im Alter von 67 Jahren. Ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem Neuen Friedhof Stuttgart-Degerloch in Stuttgart.[8][9]

Gesellschaftliches Engagement

Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.

Anne-Barb Hertkorn war seit 1994 Mitglied bei Gegen Vergessen – Für Demokratie. Im Jahr 1995 gründete sie zusammen mit weiteren Personen auf Anregung von Hans-Jochen Vogel die Regionalgruppe München.[10] In ihrer 13-jährigen Tätigkeit als Sprecherin der Regionalgruppe München prägte sie die Münchner Stadtkultur mit Initiativen und Projekten:[11]

  • Seit 1998 findet in München jährlich die Namenslesung „Jeder Mensch hat einen Namen.“ zur Erinnerung an das nationalsozialistische Pogrom am 9. November 1938 statt.[12] Anne-Barb Hertkorn war Mitglied der „Arbeitsgruppe 9. November“, der u. a. Andreas Heusler, Charlotte Knobloch, Helga König, Ellen Presser und Abi Pitum angehörten.[13] Die Gruppe recherchierte Namen aus den jeweiligen Stadtvierteln Münchens für das Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933–1945. Auf dieser Grundlage konnten ab 2010 Namenslesungen auch in den einzelnen Stadtvierteln Münchens gehalten werden.[14]
  • Die Regionalgruppe München war eine von vielen Bürgerinitiativen, die sich für eine Aufarbeitung der NS-Geschichte der Stadt München einsetzten. Zusammen bildeten diese Initiativen den „Initiativkreis für ein NS-Dokumentationszentrum München“. Anfang 2003 trug Anne-Barb Hertkorn in einem Symposium des Münchner Kulturreferats zum Thema „Ein NS-Dokumentationszentrum für München“ über die Entstehung des Initiativkreises vor und übernahm in der darauf folgenden Diskussion die Moderation.[15]
  • Die Ausstellung „Jüdisches Leben in Au und Haidhausen“ (2004/2005) im Foyer der Münchner Stadtbibliothek entstand aus einem Bürgerprotest gegen eine geplante Veranstaltung der NPD im Münchner Stadtteil Au.[16] Träger des Projektes waren neben der Regionalgruppe München das Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde St. Johannes und die Münchner Stadtbibliothek.[17]
  • Im Jahr 2007 holte die Regionalgruppe München zusammen mit dem Bayerischen Staatsministerium für Justiz und dem Weisse-Rose-Institut die Ausstellung „Auschwitz-Prozess 4 Ks 2/63 in Frankfurt am Main“ in den Lichthof des Münchner Justizpalastes.[18] Anne-Barb Hertkorn hatte im Vorfeld einen Vertrag mit den Ausstellungsmachern des Fritz-Bauer-Instituts abgeschlossen.[19]

Im Jahr 2000 rief Anne-Barb Hertkorn als Sprecherin der Regionalgruppe München zusammen mit Initiatorin Hildegard Kronawitter und Franz J. Müller zur Initiative „Sophie Scholl in die Walhalla!“. Es folgten eine Unterschriftenaktion und eine breite Medienberichterstattung. 2003 wurde die Büste von Sophie Scholl in der Walhalla aufgestellt.[20]

Am 1. Dezember 2008 wurde Anne-Barb Hertkorn als ehemalige Sprecherin der Regionalgruppe München von „Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.“ mit der Bayerischen Verfassungsmedaille[Anm. 1] in Silber geehrt.[21] Besonders hervorgehoben wurde der Beitrag der Regionalgruppe zum Kampf gegen Rechtsextremismus und für die Erinnerung an das nationalsozialistische Unrecht. Damit verbunden war auch der jahrelange Einsatz für den Bau eines NS-Dokumentationszentrums in München.[22]

Weisse Rose Institut e.V.

Anne-Barb Hertkorn war Gründungsmitglied und Mitglied des Vereinsrats des Weisse Rose Instituts, das u. a. die Aufarbeitung der Nachlässe der Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose fördert.[23][24]

Als Nachlassverwalterin von Marie-Luise Schulze-Jahn veröffentlichte sie 2018 die Erinnerungen von Schulze-Jahn an ihr Engagement im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.[25]

Im Oktober 2020 wurde das „Sonderpädagogische Föderzentrum Bad Tölz“ in Marie-Luise-Schulze-Jahn-Schule umbenannt. Anne-Barb Hertkorn begleitete dieses Vorhaben und unterstützte als Vertreterin des Weisse-Rose-Instituts diesen Prozess auch finanziell.[26]

in.puncto ZUKUNFT e.V.

Anne-Barb Hertkorn initiierte 2016 zusammen mit ihren Geschwistern den „in.puncto ZUKUNFT e.V. Förderverein“, zu dessen Gründungsmitgliedern sie gehörte. Der Verein fördert im Rahmen verschiedener Projekte sozial benachteiligte Kindern und Jugendliche und bietet pädagogische und therapeutische Unterstützung.[27]

Schriften

Monografien

  • Kritik und System : vergleichende Untersuchung zu Programm und Durchführung von Kants Konzeption der Philosophie als Wissenschaft. Phronesis, München 2009, Zugl.: München, Univ., Dissertation, 1986, ISBN 978-3-00-019509-9.
  • mit Jürgen Sydow, Edmund Mikkers: Die Zisterzienser. 2., durchgesehene Auflage. Belser, Stuttgart u. a. 1991, ISBN 3-7630-1741-0.
  • mit Marie-Luise Schultze-Jahn: … und ihr Geist lebt trotzdem weiter! 2. Auflage. Metropol Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-936411-25-5.
  • mit Alexa Busch: Erinnerungen an Alexander Schmorell. Buchfeld Verlag, Au/Hallertau 2017, ISBN 978-3-9813380-3-4.

Herausgeberschaften

  • mit Sibylle Wieland und Franziska Dunkel: Heinrich Wieland. Naturforscher, Nobelpreisträger und Willstätters Uhr. WILEY-VCH Verlag, Weinheim 2008, ISBN 978-3-527-32333-3.
  • „Wir wollten aufklären!“ : Marie-Luise Jahn und ihr Widerstand im Zeichen der Weißen Rose. Buchfeld Verlag, Au/Hallertau 2018, ISBN 978-3-9813380-4-1.

Redaktionelle Arbeit

  • 9. November 2003 : Aus der Vergangenheit für die Zukunft, Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern et al., München 2003, OCLC 237814420.
  • Wissenschaft und Zivilcourage : Betrachtungen zu Heinrich Wieland : erscheint zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2004, Bezirksausschuss 3 Maxvorstadt et al., München 2004, OCLC 163165090.
  • Macht und Gesellschaft : Männer und Frauen in der NS-Zeit : eine Perspektive für ein künftiges NS-Dokumentationszentrum in München, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung et al., München 2004, OCLC 163639156.
  • mit Eva König: Jeder Mensch hat einen Namen : Fotodokumentation der Namenslesungen vom 9. November 2008, Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern, München 2009, OCLC 644277731.

Drehbücher

  • mit Katrin Seybold: Nein! Zeugen des Widerstandes in München 1933-1945 (1999)[28]
  • mit Katrin Seybold: Ludwig Koch. Der mutige Weg eines politischen Menschen (2000)[28]

Kriminalromane

Auszeichnungen

Einzelnachweise

  1. Anne-Barb Hertkorn: Kritik und System : vergleichende Untersuchung zu Programm und Durchführung von Kants Konzeption der Philosophie als Wissenschaft. München, Univ., Diss., München 1986, Lebenslauf / Vorbemerkung.
  2. Sibylle Wieland, Anne-Barb Hertkorn, Franziska Dunkel (Hrsg.): Heinrich Wieland. Naturforscher, Nobelpreisträger und Willstatters Uhr. WILEY-VCH Verlag, Weinheim 2008, ISBN 978-3-527-32333-3, Autorenverzeichnis, S. 254.
  3. Annette Eberle: Zwangssterilisation und Euthanasie in München. Die Rolle von Psychiatrie und Fürsorge im Nationalsozialismus. H-Soz-Kult, 4. Oktober 2010, abgerufen am 15. Dezember 2023 (Tagung: Zwangssterilisation und Euthanasie in München).
  4. Tagung: „Frauen und Politik“ – Perspektiven und Beispiele für das NS-Dokumentationszentrum. In: Rathaus Umschau. Nr. 235. Landeshauptstadt München, 8. Dezember 2010, S. 8 (muenchen.de [PDF; abgerufen am 15. Dezember 2023]).
  5. Tagung: Münchner Künstlerinnen und Künstler und der Aufstieg des Nationalsozialismus. In: Rathaus Umschau. Nr. 091. Landeshauptstadt München, 13. Mai 2011, S. 7 (muenchen.de [PDF; abgerufen am 15. Dezember 2023]).
  6. Gedenkveranstaltung: Namenslesung für die deportierten und ermordeten Münchner Juden. In: Rathaus Umschau. Nr. 213. Landeshauptstadt München, 8. November 2008, S. 2 (muenchen.de [PDF; abgerufen am 15. Dezember 2023]).
  7. Aufbereitung des Grauens In: all-in.de – das allgäu online, Allgäuer Zeitungsverlag GmbH, 22. September 2010. Abgerufen am 15. Dezember 2023 „Arbeitskreis NS-Euthanasie und Zwangssterilisation in München“ 
  8. Traueranzeigen von Anne-Barb Hertkorn. In: SZ-Gedenken.de. Süddeutsche Zeitung GmbH, 11. Februar 2023, abgerufen am 15. Dezember 2023.
  9. Traueranzeigen von Anne-Barb Hertkorn. In: Merkur.de. Münchener Zeitungs-Verlag GmbH & Co.KG, 23. Februar 2023, abgerufen am 15. Dezember 2023.
  10. Peter Schmalz: Alt-OB Vogel mahnt zum Erinnern In: Die Welt - welt.de, Axel Springer Deutschland GmbH, 18. Dezember 2000. Abgerufen am 15. Dezember 2023 
  11. Margit Grubmüller: Neue Sprecherin in München. In: Gegen Vergessen, für Demokratie : Informationen zur politischen Bildungsarbeit. Nr. 57. Verein Gegen Vergessen - Für Demokratie, August 2008, ISSN 2364-0251, S. 22–23.
  12. Margit Grubmüller: „Jeder Mensch hat einen Namen“ : Gedenkveranstaltung am Tag der Eröffnung der neuen Hauptsynagoge Ohel Jakob in München. In: Gegen Vergessen, für Demokratie : Informationen zur politischen Bildungsarbeit. Nr. 51. Verein Gegen Vergessen - Für Demokratie, Dezember 2006, ISSN 2364-0251, S. 45.
  13. Miryam Gümbel: Achtung, Vorzeichen! In: juedische-allgemeine.de, Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R., 22. November 2007. Abgerufen am 15. Dezember 2023 
  14. Monika Maier-Albang: Reichspogromnacht: „Wer weiß, ob wir heute mutiger wären“ In: sueddeutsche.de, Süddeutsche Zeitung GmbH, 17. Mai 2010. Abgerufen am 15. Dezember 2023 
  15. Ein NS-Dokumentationszentrum für München. Ein Symposium in zwei Teilen. Kulturreferat der Landeshauptstadt München / Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 2003, S. 242–243.
  16. Natasha Klein: Früchte des Protest. In: Gegen Vergessen, für Demokratie : Informationen zur politischen Bildungsarbeit. Nr. 44. Verein Gegen Vergessen - Für Demokratie, April 2005, ISSN 2364-0251, S. 37.
  17. Für Demokratie - Zukunft der Erinnerung. In: Gegen Vergessen, für Demokratie : Informationen zur politischen Bildungsarbeit. Nr. 41. Verein Gegen Vergessen - Für Demokratie, Juni 2004, ISSN 2364-0251, S. 38.
  18. Miryam Gümbel: AUSCHWITZ-PROZESS »Meilenstein der Justizgeschichte« In: juedische-allgemeine.de, Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R., 21. Juni 2007. Abgerufen am 15. Dezember 2023 
  19. Margit Grubmüller: Auschwitz-Prozeß 4Ks 2/63 Frankfurt am Main : Ausstellung im Münchner Justizpalast. In: Gegen Vergessen, für Demokratie : Informationen zur politischen Bildungsarbeit. Nr. 53. Verein Gegen Vergessen - Für Demokratie, September 2007, ISSN 2364-0251, S. 32–33.
  20. Martha Schad: Frauen gegen Hitler. Schicksale im Nationalsozialismus. Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München 2001, ISBN 3-453-19420-9, S. 291.
  21. Liste der Träger der Bayerischen Verfassungsmedaille
  22. Margit Grubmüller: Bayerische Verfassungsmedaille für Dr. Anne-Barb Hertkorn. In: Gegen Vergessen, für Demokratie : Informationen zur politischen Bildungsarbeit. Nr. 57. Verein Gegen Vergessen - Für Demokratie, Dezember 2008, ISSN 2364-0251, S. 35.
  23. Weisse-Rose-Institut - Unsere Zielsetzung. Weisse Rose Institut e.V., 28. Mai 2003, abgerufen am 15. Dezember 2023.
  24. Sebastian Heilemann: Hinrichtung vor 75 Jahren: Was wir von der „Weißen Rose“ lernen können In: schwäbische.de, Schwäbischer Verlag, 16. Februar 2018. Abgerufen am 15. Dezember 2023 
  25. Benjamin Engel: Marie-Luise Schultze-Jahn: Erinnern und Aufklären gegen Gewalt In: sueddeutsche.de, Süddeutsche Zeitung GmbH, 29. Mai 2018. Abgerufen am 15. Dezember 2023 
  26. Schule in Bad Tölz bekommt den Namen einer Widerstandskämpferin In: merkur.de, Münchener Zeitungs-Verlag GmbH & Co. KG, 1. Juli 2020. Abgerufen am 15. Dezember 2023 
  27. Über uns - in.puncto Zukunft e.V. In: in.puncto ZUKUNFT e.V. FÖRDERVEREIN. Abgerufen am 15. Dezember 2023.
  28. a b Die Widerständigen. Zeugen der Weißen Rose & Nein! Zeugen des Widerstandes in München 1933-1945. In: Edition Filmmuseum. Abgerufen am 15. Dezember 2023.

Anmerkungen

  1. Seit dem 1. November 2021 ist der Bayerische Verfassungsorden der rechtliche Nachfolger der Bayerischen Verfassungsmedaille.