Astroten-Experiment

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das sogenannte Astroten-Experiment,[1] in der englischsprachigen Literatur als Hofling (hospital) experiment oder Hofling study bekannt, war ein 1966 durchgeführtes Feldexperiment einer Forschergruppe um den Psychiaters Charles K. Hofling. Es beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Ärzten und Krankenschwestern und gehört zu den klassischen Experimenten zu abweichendem Verhalten in Organisationen.

Versuchsaufbau[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

22 Krankenschwestern wurden von einem fiktiven Arzt („Dr. Smith“) telefonisch dazu aufgefordert, zu überprüfen, ob das Medikament „Astroten“ (ein Placebo) im Medikamentenschrank vorhanden sei. Laut Etikett liegt die Maximaldosis des Medikaments bei 10 mg. Dr. Smith hat die Krankenschwestern darum gebeten 20 mg des Medikaments einem Patienten zu verabreichen. Die Unterschrift, die zur Vergabe notwendig sei, würde er nachreichen. Es wurde beobachtet, wie sich die Krankenschwestern verhalten. Bei Verabreichen des Medikamentes würden sie drei Regeln des Krankenhauses brechen: 1. Anweisungen telefonisch anzunehmen. 2. Eine Überdosis zu verabreichen und 3. Die Verabreichung eines nicht zugelassenen Medikamentes. 95 % der Krankenschwestern befolgten die Anweisung von Dr. Smith und brachen somit die Regeln des Krankenhauses.

Als Kontrollgruppe wurden 22 Auszubildende befragt, wie sie sich in der Situation verhalten würden. 21 sagten, sie würden der Anweisung nicht nachgehen. Hier wurde deutlich, dass es eine große Diskrepanz zwischen Selbsteinschätzung und faktischem Verhalten gibt.[2]

Interpretation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Krankenschwestern den Anweisungen von Ärzten eher Folge leisten als ihrem eigenen Urteilsvermögen, da sie ihnen eine höhere fachliche Kompetenz zurechnen. Organisationstheoretisch interpretiert zeigt das Experiment, dass in Krankenhäusern die hierarchischen Kommunikationswege die Programme so stark dominieren, dass auch ohne Kenntnisse der konkreten Person von den formalen Programmen bereitwillig abgewichen wird.[3] Es scheint in dem Krankenhaus eine Organisationskultur zu herrschen, in der die Abweichung von formalen Programmen aufgrund einer hierarchischen Anweisung durch einen Arzt die Regel ist.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Experiment gehört zu den klassischen Feldexperimenten in Organisationen. Ähnlich wie bei dem Milgram-Experiment konnte nachgewiesen werden, dass es eine große Differenz zwischen der Selbsteinschätzung von Personen über ihr vermutliches Verhalten und dem faktischen Verhalten von Versuchspersonen gibt.[4]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Charles K. Hofling u. a.: An Experimental Study of Nurse physician Relations. In: Journal of Nervous and Mental Disease. 143, 1966, S. 171–180.
  • Annamarie Krackow, Thomas Blass: When Nurses Obey or Defy Inappropriate Physician Orders. Attributional Differences. In: Journal of Social Behavior and Personality. 10 (1995), S. 585–594.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. z. B. B. Deichmann, Chr. Ryffel: Soziologie im Alltag: eine Einführung. Juventa Verlag, 2008, S. 179.
  2. Annamarie Krackow, Thomas Blass: When Nurses Obey or Defy Inappropriate Physician Orders. Attributional Differences. In: Journal of Social Behavior and Personality. 10 (1995), S. 585–594.
  3. Stefan Kühl: Organisationen. Eine sehr kurze Einführung. VS-Verlag, Wiesbaden 2013, S. 78ff.
  4. Stanley Milgram: Das Milgram-Experiment. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2009, S. 237.