Ayalon-Institut

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Ayalon-Institut (2013)

Das Ayalon-Institut (hebräisch מָכוֹן אַיָּלוֹן Machōn Ajjalōn, deutsch ‚Ajjalon-Institut‘, Plene: מכון איילון) war eine unterirdische Munitionsfabrik im Hügel Givʿat ha-Qibbuzim (גִּבְעַת הַקִּבּוּצִים), heute im Weizmann-Wissenschaftspark der Stadt Nes Zionah nahe der Grenze zu Rechovot (Israel).

Die unterirdische Fabrik wurde 1945 errichtet, getarnt durch einen Kibbuz darüber, der eine Wäscherei betrieb, und stellte bis 1948 Munition her. Heute ist das Gelände ein Museum und eine historische Gedenkstätte. Die Fabrik wurde heimlich und innerhalb von weniger als einem Monat erbaut, befand sich acht Meter unter Tage und wurde von der Haganah betrieben.[1]

Historischer Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den 1930er Jahren entschied die zionistische Führung im unter Britischen Mandat stehenden Palästina (Völkerbundsmandat für Palästina), dass Waffen beschafft werden sollten für Selbstverteidigung und den Kampf für die Unabhängigkeit. Daraufhin wurden Pläne zu Waffenschmuggel und den Bau geheimer Waffenfabriken entworfen und umgesetzt. Die simple Maschinenpistole (Sten Gun), die als persönliche Waffe in der Palmach eingesetzt wurde, war auch im Untergrund relativ einfach herzustellen. Die Haganah hatte jedoch Schwierigkeiten, die zugehörige 9-Millimeter-Munition dafür zu bekommen.[2] Der Chef der im Untergrund tätigen Israel Military Industries, Yosef Avidar – später Leiter der territorialen Kommandobehörde der Israelische Streitkräfte, des Israelischen Zentralkommandos –, entwickelte einen Plan, wonach Maschinen für eine geheime Munitionsfabrik eingeschmuggelt werden sollten. Daraufhin wurden 1938 zwölf entsprechende Industriemaschinen zum Stanzen, Bohren, Schneiden etc. von Messing in Polen erworben. Aufgrund der Weltlage gelang es jedoch nur, sie bis nach Beirut (Libanon) einzuschiffen. In einem Lagerhaus der Haganah wurden sie für fast vier Jahre eingelagert. Mithilfe jüdischer Militärangehöriger in der britischen Armee im Mandatsgebiet gelangten die Maschinen schließlich nach Palästina.

Der Standort für die Fabrik – der Kibbuzhügel in Rechovot – war eine Region, in der Neuankömmlinge eine Einführung in das Kibbuzleben bekamen. Mit diesen Kenntnissen und Fertigkeiten verteilten sich die Gruppen über das Land, um neue Kibbuzim zu gründen. Dieser Ort hatte mehrere Vorteile: Die britischen Mandatstruppen waren vertraut mit den Kibbuzaktivitäten, die hier stattfanden. Zudem handelte sich um einen Hügel, was das Arbeiten auf ihm ermöglichte, ohne von der Umgebung gesehen zu werden; in ihm können Dinge untergebracht werden, ohne das Aussehen der Oberfläche zu verändern. Zudem führt in direkter Nähe die Sinai-Bahn vorbei; vorbeifahrende Dampflokomotiven überdeckten den Lärm der geheimen Fabrik.

Die Haganah trat an eine Gruppe junger einwandernder Menschen mit der Frage heran, ob sie bereit wäre, statt ihres ursprünglichen Traums, einen eigenen Kibbuz zu errichten, die Verantwortung für ein Staatsgeheimnis zu übernehmen. Erst als die Gruppe ohne Gegenstimmen eingewilligt hatte, wurden den 45 jungen Frauen und Männern Details der Mission anvertraut. Diese Rekrutierung bedeutete auch die Akzeptanz der Verantwortung für eine lebensbedrohliche Situation nicht nur für sie selbst, sondern für deutlich mehr Menschen: Die Gruppe dieser 45 jungen Erwachsenen würde absolutes Stillschweigen – auch gegenüber ihren Familien – bewahren müssen, andernfalls würden sämtliche Betroffenen dem sicheren Tod durch die britischen Armee anheimfallen. Die Armee hatte ihr nächstgelegenes Quartier in Laufentfernung vom Kibbuzhügel.[2]

Oberhalb der geheimen Munitionsfabrik wurde ein Kibbuz gebaut, um die Fabrik vor den Augen der britischen Armee zu tarnen. Nicht einmal allen Kibbuzangehörigen war bewusst, dass unter ihren Füßen eine Patronenschmiede lag. Die Nichteingeweihten wurden von der Arbeitern „Giraffen“ genannt.[3] Während dieser Zeit wurden Tiere für den neu entstandenen Zoo in Tel Aviv vom einzigen Hafen in Haifa mit dem Zug, der an Rechovot vorbeiführte, transportiert. Die Giraffen hatten spezielle Waggons mit einem Loch im Dach, durch das sie ihren Kopf stecken konnten. Damit konnten sie zwar hervorragend die Gegend überblicken, jedoch nicht sehen, was sich unter ihren Füßen befand.

Die Gruppe, die in der geheimen Fabrik arbeitete, produzierte zwischen 1945 und 1948 etwa 2,25 Millionen Patronen – das entspricht einem Schnitt von 40.000 Patronen am Tag – direkt unter den Augen der britischen Armee.[4]

Fabrikbetrieb und Risiken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Risszeichnung der Anlage

Innerhalb von nur drei Wochen wurde der Hügel aufgegraben und eine 250 Quadratmeter große Betonwanne acht Meter unter der Erde konstruiert. Sie hatte etwa einen halben Meter dicke Wände und eine Betondecke. Darüber wurde ein regulärer Kibbuz angelegt – Speisesaal, Versammlungsraum, Kinderhaus etc. Zusätzlich wurden eine Wäscherei und eine Bäckerei gebaut.[3] Der zugrundeliegende Plan war detailliert, musste er doch vollständig Risiken vorhersehen und abzuwenden versuchen, die dem Bau und Betrieb einer geheimen Munitionsfabrik entgegenstehen könnten: Um in die Fabrik zu gelangen, war ein Eingang nötig, ebenso wie eine Öffnung, um schwere Stahlmaschinen in den Raum abzusenken. Die Frage der Luftzirkulation war überlebensnotwendig, genauso wie glaubhafte und plausible Tarngeschichten für die Arbeiter der Patronenfabrik. Folgende Lösungen wurden gefunden: Das große Loch, um die Maschinen in den Untergrund zu bringen, wurde durch den zehn Tonnen schweren Ofen der Bäckerei überdeckt. Dieser konnte auf Schienen bewegt werden, wurde jedoch einbetoniert, um jeglichen Lichtschein aus dem Untergrund zu verhindern. Der Schornstein der Bäckerei diente als Teil des Ventilationssystems. Sein Gegenstück – eine Seite, um Frischluft anzuziehen, die andere Seite, um die Abluft abzutransportieren – wurde im technischen System der Wäscherei untergebracht. Deren Industriewaschmaschine war ebenfalls auf einem Schienensystem montiert und tarnte den geheimen Einstieg in die Fabrik.

Die Waschmaschine, deren Betrieb sowohl Lärm als auch Geruch der Fabrik zu überdecken hatte, war in ununterbrochenem Einsatz. Das barg jedoch die Gefahr des auffälligen Verschleißens der Wäsche. Auch für dieses Problem wurde eine Lösung gefunden: Der Kibbuz eröffnete einen Wäschereidienst. Gegen ein geringes Entgelt brachten Menschen der umliegenden Kibbuzim ihre Wäsche. Sogar die Britische Armee brachte ihre Uniformen zum Waschen. Um zu vermeiden, dass die Soldaten in den Kibbuz kamen, wurde der Wäschereiservice um einen Hol- und Bringedienst erweitert. Ein weiteres ernsthaftes Problem – der unverdächtige Erwerb des Messings, das als Rohmaterial für die Patronen benötigt wurde – wurde auf ebenso elegante Art gelöst: Der Kibbuz erklärte der Britischen Armee, dass sie als Handwerk die Herstellung der Hüllen für hochwertige Lippenstifte (koscher) betrieben. Die Britische Armee akzeptierte die Erklärung – auch wegen ihrer Bekräftigung durch einige hochwertige koschere Lippenstifthüllen für höherrangige Britische Offiziere – und ließen den Kibbuz arbeiten.

Eine Etage darunter arbeiten 45 Frauen und Männer mehr als drei Jahre in der Munitionsfabrik. Sie arbeiteten in zwei Schichten, stanzten Messing, bogen, bohrten und walzten es, schnitten es, füllten Patronen mit Schießpulver und schlossen die Fertigstellung mit dem manuellen Aufpressen der in einer anderen Fabrik gefertigten Deckel ab. Vor allem beim letzten Schritt durfte nicht zu viel Kraft eingesetzt werden, um eine Explosion der Patrone zu vermeiden. Durch das Befolgen eines strikten Arbeitsprotokolls für jeden Fertigungsschritt sowie Kontrollschleifen taten die Menschen in der Fabrik, was sie konnten, um Unfälle oder Schlimmeres zu vermeiden. Beeindruckenderweise war der schlimmste Unfall, der in der gesamten Zeit passierte, in der mehr als zwei Millionen Patronen per Hand mit Schießpulver gefüllt wurden, das Abtrennen eines Fingerglieds an einer Säge. Da die Qualität des geschmuggelten Schießpulvers zum Teil schlecht war, gab es im Untergrund eine Teststation. Um sicherzustellen, dass ihr Produkt einsetzbar war, wurden nach dem Zufallsprinzip Patronen ausgewählt und im Schießstand verschossen. In exakt den Minuten, in denen draußen schwere Züge vorbeirumpelten, konnte der tarnende Lärm für die Schusstests genutzt werden.

Die Gruppe hatte jedes Mal weniger als drei Minuten Zeit, um in der Fabrik zu „verschwinden“, ohne gesehen zu werden. Klimaanlagen gab es nicht, und obwohl die Luft in der Fabrik sechsmal in der Stunde umgewälzt wurde, waren die Arbeitsbedingungen in dem kleinen Raum unter Tage hart. Bei Temperaturen von mehr als 40 °C musste die Produktion gedrosselt werden, da die Gefahr der Selbstentzündung des Schießpulvers zu groß wurde. Der Mangel an Sonnenlicht ließ die Haut der Menschen bleich werden, was ihre Tarngeschichten – die Arbeit auf entfernter liegenden Feldern – fragwürdig erscheinen ließ. Außerdem erhöhte er die Gefahr von Vitamin-D-Mangel und Krankheiten. Auf Anraten eines Arztes wurden zusätzliche Essensrationen organisiert und eine Höhensonne in der Fabrik installiert, unter der die Arbeiter täglich eine UV-Bestrahlung ausgesetzt worden. Nach jeder Schicht musste sichergestellt werden, dass keine Spur der Arbeit auf Kleidung, in Haaren oder an Schuhen zu sehen war. Daher gab es eine strenge Kontrolle von Taschen, Schuhsohlen und Haaren, um keine Messingspäne zu übersehen. Um den Anschein zu erwecken, normale Kibbuzmitglieder zu sein, nahmen alle Arbeiter am gemeinsamen Mittagessen im Speisesaal teil: Mittags verließen sie daher die Fabrik, bildeten kleine Gruppen in der Umgebung, um danach zum Essen zu kommen, als ob sie gerade vom Feld zurückwären.

Im ersten Jahr der Existenz der Fabrik wurden die fertiggepackten Boxen mit einsatzbereiten Patronen in doppelten Böden von Milchkannen – einem alltäglichen und unverdächtigen Gegenstand in der damaligen Landwirtschaft – aus dem Kibbuz gebracht. Allerdings war die Gefahr der Entdeckung hoch, da die patronengefüllten Kannen schwerer waren als mit Milch gefüllte Kannen. Daher musste ein Weg gefunden werden, der es ermöglichte, Patronen an sämtliche Orte in Palästina zu bringen, die sich auf eine Verteidigung vorbereiteten. Die Lösung war kühn: Nachts kam von Zeit zu Zeit ein Diesel-Tankwagen; der Fahrer war nur der wachhabenden Person des Kibbuz bekannt. Er kam in den Kibbuz, klopfte einen Code an die Tür der Bäckerei, stieg in die Fabrik, brachte neues Rohmaterial, holte fertig gepackte Kisten ab und verstaute sie im Hohlraum des Lasters. Da die Menschen in der Fabrik nie dem Fahrer begegneten, bekam er den Spitznamen "Elfe", weil das notwendige Material morgens einfach so dalag. Für die Haganah war es von enormer Bedeutung, dass sich die einzelnen Untergrundgruppen auf keinen Fall kannten. So konnten im schlimmsten Fall – der Enttarnung und Verhaftung durch die britische Armee – nur Mitglieder der eigenen Gruppe verraten werden.

Die Patronen wurden im Land verteilt durch die Weitergabe von ihrem Produktionsort über das Netzwerk der Haganah-Gruppen. Auf diese Art und Weise, d. h. durch die Bereitstellung der Munition für die Kämpfer der Palmach, spielte die Munitionsfabrik mit dem Decknamen Ayalon-Institut eine Rolle in der Geschichte der Gründungsjahre Israels.[5]

Gegenwart[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als die Unabhängigkeit des Staates Israels erreicht war, gab es keine Notwendigkeit mehr, im Untergrund zu fertigen. Daher wurde die Patronenproduktion ans Licht geholt und wurde Teil der zentralisierten Militärindustrie. Die Gruppe der 45 jungen Eingewanderten entschied sich, als Gruppe zusammenzubleiben und ihren Traum, einen neuen Kibbuz zu gründen, umzusetzen. Sie gründeten 1949 den Kibbuz Ma'agan Micha'el nahe Sichron Jaʿaqov. Aber das Wissen um die geheime Munitionsfabrik, das sie so bewahrt hatten, wurde nicht weitergegeben. Erst 1975 wurde das Geheimnis darum aufgehoben, und die Geschichte wurde allgemeiner bekannt.

Heute ist das Ayalon-Institut ein Museum. 1987 wurde die Fabrik restauriert, um den Kibbuz und die Produktionsanlage der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.[6] Das Gelände gehört zu den gelisteten Israelischen Geschichtsdenkmalen.[7] Dabei spielt der Jüdische Nationalfonds eine bedeutende Rolle; er unterstützte Restaurierung und Erhaltung des Ortes. Auf dem Gelände gibt es einen Eukalyptushain mit Picknicktischen und große Zelte für Gruppenveranstaltungen sowie geführte Touren durch die bestehenden Gebäude und die Fabrik.[8] Die US-Fernsehproduzentin Laurel Fairworth entschied 2015, einen Film über die Geschichte der Fabrik zu drehen.[9][4] Zusätzlich zum Film entstand eine kürzere Version des Doku-Dramas, die als Einführung zu den geführten Touren im Museum gezeigt wird.[2]

Die geführte Tour führt durch die Wäscherei und zeigt den geheimen Eingang in die Fabrik unter der Waschmaschine. Die Tour selbst führt auf einem alternativen Weg – einer eigens dafür angelegten Wendeltreppe in der Bäckerei – acht Meter in den Untergrund. Dort ist der Hauptraum der Fabrik zu besichtigen – die Maschinen funktionieren noch. Die Elektrizität, um die Transmissionsriemen der Maschinen anzutreiben, wurde in den 1940er Jahren unbemerkt und illegal von einem Betriebshaltepunkt der Eisenbahn abgezweigt. Davon zeugt heute ein kleines „Danke dafür!“-Schild an der Wand des Museums. Die Tour zeigt ebenfalls den Raum mit der Höhensonne, Toiletten – deren Inhalt nach oben gepumpt und dem regulären Abwassersystem des Kibbuz zugeführt wurde – sowie die Packstation für die Patronen. Sie endet mit einem Spaziergang über das Gelände, das mit seinen Gebäuden auch deswegen so gut erhalten ist, weil es nach der Unabhängigkeit militärisch weiter genutzt wurde. In einem kleinen Empfangsraum gibt es Snacks und Eis.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Ayalon-Institut – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. SPIHS – Israel Heritage Sites – The Ayalon Institute (Machon Ayalon): Kibbutz Hill in Rehovot. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 27. Dezember 2010; abgerufen am 10. Dezember 2010 (englisch).
  2. a b c JNF Impact: Dramatic story of top-secret pre-state bullet factory headed to big screen In: blogspot.com, abgerufen am 5. Dezember 2018.
  3. a b The Ayalon Institute In: jewishvirtuallibrary.org, abgerufen am 5. Dezember 2018.
  4. a b Jessica Steinberg: Secret bullet factory aims at big screen | The Times of Israel In: timesofisrael.com, abgerufen am 5. Dezember 2018.
  5. Declaration of Establishment of State of Israel In: mfa.gov.il, abgerufen am 5. Dezember 2018.
  6. Ayalon Institute Museum In: touristisrael.com, abgerufen am 5. Dezember 2018.
  7. Ayalon Institute – Bullet Factory Rehovot – המועצה לשימור אתרי מורשת בישראל In: shimur.org, abgerufen am 5. Dezember 2018.
  8. Heritage Site Preservation In: jnf.org, abgerufen am 5. Dezember 2018.
  9. The Secret Beneath the Hill In: ayalondocumentary.com, abgerufen am 5. Dezember 2018.