Benutzer:Jens Burkhardt-Plückhahn/Artikelrampe

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Waisen von Thomas Kennington, 1885 (Tate, London)

Als Waise (immer fem.) oder Waisenkind wird ein Kind bezeichnet, das einen oder beide Elternteile verloren hat. Hierbei wird zwischen Vollwaisen (bei dem beide Eltern gestorben sind) und Halbwaisen (bei dem ein Elternteil gestorben ist) unterschieden.

Dieses Kind wird aber nur "Waise" genannt, wenn der Verlust der Eltern in der Periode der Kindheit oder des Jugendalters liegt. Verliert ein Mensch im Erwachsenenalter seine Eltern, spricht man nicht mehr von einer Waise.

In umgekehrter Fall bezeichnet man Eltern, die ein Kind verloren haben, als verwaiste Eltern.
Im Sprachgebrauch gibt es weiterer Abwandlung des Begriffs, beispielsweise die Sozialwaise (gemeint ist eine Kindheit ohne elterliche Fürsorge) oder die AIDS-Waise (benannt nach der Krankheit als relevante Ursache für Verwaisung).

Wenn sich bei Vollwaisen weder die Großeltern, Tanten, Onkel oder andere Verwandte um die Erziehung der Kinder kümmern (können), gibt es in Deutschland verschiedene andere Möglichkeiten. In Absprache mit dem Jugendamt werden die Kinder entweder bei einer Pflegefamilie, in einem Kinderheim (früher: Waisenhaus oder Säuglingsheim) und - bei Jugendlichen - im betreuten Jugendwohnen (manchmal Jugendheim genannt) untergebracht. Die Eltern können im Testament bestimmen, zu wem im Falle eines frühen Todes die Kinder kommen sollen. Dafür benennen sie einen Vormund, der die Aufgaben der elterlichen Sorge übernehmen soll. Das Vormundschaftsgericht ist an die Entscheidung der Eltern gebunden, solange sie dem Wohl des Kindes bzw. der Kinder dient.

Einige der in den deutschsprachigen Ländern bekanntesten Träger von Kinderheimen sind die Organisation SOS-Kinderdorf, das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie, Pro Juventute und viele weitere freie Träger der öffentlichen Jugendhilfe.

Eine verlässliche Gesamtzahl aller Waisenkinder weltweit gibt es nicht. Die Gründe die zum Verwaisen von Kindern führen können, sind u.a. Krieg, Natur- und Industriekatastrophen, technisches- und menschliches Versagen bei Unfällen, Epidemien, Krankheit sowie Armut.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das einstige Waisenhaus des ehemaligen Klosters Oetenbach in Zürich

Im Alten Orient ist der Schutz von Waisen bereits in vorbiblischen Zeiten ein theologisch begründetes, sozialrechtliches Anliegen. Eine Vielzahl ägyptischer und mesopotamischer Texte aus dem dritten und zweiten Jahrtausend v. Chr. machen deutlich, dass u.a. Waisen als besonders hilflos und bedürftig betrachtet wurden.[1] In einer 1951 entdeckten sumerischen Hymne erfolgt die Anrufung der Göttin Nasche von Lagasch mit den folgenden Worten[2]:

„Sie welche die Waise kennt, welche die Witwe kennt, die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen kennt, Mutters der Waise ist. Nansche, welche für die Witwe sorgt … Die Königin nimmt den Flüchtling in ihrem Schoß, Gibt dem Schwachen Schutz.“

Im Alten Testament bedeutet der Begriff „Waise“ (hebr. יָתוֹם jatôm) das vaterlose Kind (Ex 22,23; Hi 24,9) oder das Kind ohne Eltern. Die Septuaginta übersetzt das hebräische Wort mit ὀρφανός orphanos. Die schwierige soziale Lage von Waisenkindern zeigt sich darin, dass sie keinen Helfer hatten (Hi 29,12). Nirgendwo im Alten Testament wird eine konkrete Einzelperson als Waise genannt.[3]

Die Stellung der Waisen im alten Israel unterschied sich kaum von der im Alten Orient oder in der Antike im Allgemeinen. In einer patriarchalisch bestimmten Gesellschaft gehörte ein Kind, das den Vater verloren hatte, zu den in mehrfacher Hinsicht sozial und wirtschaftlich, rechtlich und religiös Benachteiligten und oft Bedrückten. Sie waren am stärksten von Ausbeutung bedroht, weil sie keinen Rechtsschutz und keine wirtschaftliche Absicherung hatten.[4]

Waisen waren auf die Barmherzigkeit von Einzelpersonen oder öffentlicher Fürsorge angewiesen.[5] Für Waisen wurden im Mittelalter einzelne eigene Stuben oder Findelhäuser eingerichtet, in denen sie versorgt wurden. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618−1648) kam es vermehrt zur Gründung von Waisenhäusern. Diese sollten für eine ganze Reihe sozialer Problemfelder gleichzeitig zuständig sein. So macht das 1677 in Braunschweig gegründete „Armen-, Waysen-, Zucht- und Werkhaus“ die Absichten schon in seinem Namen deutlich. Ähnliche Anstalten wurden 1679 in Frankfurt, 1702 in Bamberg, 1716 in Waldheim oder 1736 in Ludwigsburg gegründet. Das 1702 in Berlin gegründete Große Friedrichshospital war vorrangig ein Unterbringungsort für Waisen, Bettler, Invaliden, geistig Gestörte, Aussätzige und erst nachrangig Krankenanstalt.[6]

Vorwiegend musikalisch begabte Waisenkinder, conservati, erhielten im 17. und 18. Jahrhundert, so auch in Italien, Musikunterricht. Die überreiche Produktivität Vivaldis ist zu einem Gutteil dem Ospedale della Pietà, den weiblichen Waisen und Mädchen aus gutem Hause, zu verdanken.[7]

"Die gotische Anna" (Porträt des Dienstmädchens), Otto Leiber 1904

Die meisten Waisen mussten immer hart arbeiten, damit ihr Lebensunterhalt einigermaßen gesichert war. Selten waren die Arbeitsbedingungen gut. In manchen Waisenhäusern wurde auf die Ausbildung der Jungen noch Wert gelegt, damit sie als Handwerker später ein Auskommen hatten. Die Mädchen waren grundsätzlich schlechter dran - eine klassische Waisenbiografie mündete in einer Existenz als Dienstmädchen.[8]

Kolonialmächte, wie Frankreich und Großbritannien, versuchten mit der Überführung der den Waisenhäusern entwachsenen Mädchen die "Frauenfrage" in Südafrika oder Kanada zu lösen. Jene einfach und religiös erzogenen, hauswirtschaftlich ausgebildeten Mädchen haben ein vortreffliches Ehefrauenmaterial abgegeben. Im Weiteren versuchte auch Deutschland in seinen Kolonien, Waisen als Hilfskräfte mit Niedriglohn für Geschäftsleute und Gewerbetreibende zu gewinnen. Die für Deutsch-Südwestafrika bestimmten Jugendlichen sollten nur bei solchen Kolonisten untergebracht werden, die vertrauenswürdig erschienen und es an nichts fehlen ließen bei der sittlichen und beruflichen Ausbildung ihrer Schutzbefohlenen. Vorrang erhielten die aus Waisenhäusern zu entlassenen Jünglinge und Mädchen, keinesfalls solche aus den Besserungsanstalten und sogenannten Rettungshäusern.[9][10]

Seit dem 20. Jahrhundert wurden in vielen Industriestaaten Säuglingsheime für Waisen unter dem dritten und Kinderheime für Waisen über dem dritten Lebensjahr eingerichtet. Ab den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die Säuglingsheime vielerorts nach und nach geschlossen, Schweiz Ende der 60er Jahre, Deutschland-West Mitte der 70er Jahre, Deutschland-Ost Anfang der 90er Jahre. Gründe dafür waren: u.a. Erkenntnisse aus der Säuglings- und Kleinkindforschung, Veröffentlichungen von Filmaufnahmen aus den Heimen sowie öffentliche Proteste. Heute findet man diese Form der Einrichtung für Waisen unter 3 Jahren als Kleinsteinrichtung (auch als "Säuglingsnest" bezeichnet, 10 - 15 Plätze[11]) in Industrieländern. In osteuropäischen Ländern oder in Ländern der Dritten Welt ist das klassische Säuglingsheim oder Waisenhaus für Waisen im Kleinstkindalter noch anzutreffen.

Die Adoptionsverfahren für Waisen sind in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich geregelt oder unterliegen mitunter einer willkürlichen Anwendung, wie z.B. in Rußland.[12] Immer wieder sorgen Adoptionen von Waisenkindern durch Prominente für Aufsehen, so auch die Adoption von zwei Waisen aus Malawie durch die Sängerin Madonna in den Jahren 2006 und 2009.[13]

Sozialwaise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Sozialwaise ist ein Kind, um das sich weder Eltern noch Verwandte kümmern.[14] Soziale Verwaistheit ist ein Zustand, dass durch Nichtwahrnehmung elterlicher Pflichten gegenüber dem minderjährigen Kind verursacht wird. Sozialwaisen verlieren infolge diverser sozialer, wirtschaftlicher, moralischer und psychischer Ursachen ihre Eltern und werden zu Waisen bei leiblichen Eltern, die noch am Leben sind. Diese Kinder bilden in unserer heutigen Gesellschaft eine besondere soziale Gruppe.

Begriffliche Einordnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Heutzutage gibt es keine festgelegte Definitionen und Beurteilungen dieser Kategorie der Kinder.
Massenmedien, psychologische und pädagogische Arbeiten sowie Sozialbefragungen verwenden folgende Termini: obdachlose Kinder, Nichtbetreute, Straßenkinder, Sozialwaisen, minderjährige Risikogruppen u.a..

UNICEF zählt folgende Gruppen zu den Sozialwaisen :

  • Kinder, die keinen Kontakt zu ihren Familien halten und in Zufluchtsorten leben;
  • Kinder, die Kontakt zu ihren Familien halten, aber wegen Armut, Ausnutzung und Missbrauch in der Familie untertags, aber auch nachts auf der Straße leben;
  • Kinder, die in Heimen aufgewachsen sind, diese aber wegen diverser Ursachen verlassen haben und auf der Straße leben.

Durch die Sensibilisierung über die Folgen einer Heimbetreuung von Sozialwaisen in den ersten Lebensjahren (wie z.B. psychischen Hospitalismus oder Deprivation) versuchte man vermehrt ab den 1970er Jahren (in den westlichen Ländern) die Entwicklungschancen von Sozialwaisen durch die Aufnahme in Pflegefamilien oder SOS Kinderdörfer zu verbessern.[15]

In den Fachdiskursen der Pädiatrie, Sozialmedizin, Psychologie, Sozialen Arbeit und Pädagogik finden die Auswirkungen der sozialen Verwaistheit seit den 1990er Jahren kaum oder keine Beachtung mehr.

Gegenwart[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine dramatische Zunahme der Sozialwaisen ist insbesondere nach der politischen Wende in vielen Ländern des ehemaligen Ostblocks zu beobachten. Insgesamt schätzt UNICEF im Jahr 2012 allein in der Ukraine die Zahl der Straßenkinder auf rund 100.000. Sie sind Gewalt, sexueller Ausbeutung und HIV-Infektionen schutzlos ausgesetzt. Bei Befragungen berichteten viele dieser Heranwachsenden, dass sie sich prostituieren müssen. Rund 100.000 Mädchen und Jungen leben in Heimen. Die meisten dieser Kinder sind Sozialwaisen. Das bedeutet, dass Eltern ihre Kinder aus Not oder Ausweglosigkeit einem Heim überlassen.[16]

AIDS-Waisen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

AIDS-Waisen, Südafrika, 10.07.2004, Foto: Paul Weinberg

Als AIDS-Waisen werden solche Kinder bezeichnet, die ihre Eltern aufgrund des HI-Virus verloren haben und deshalb vorrangig in afrikanischen Ländern wie Südafrika oder Simbabwe[17] vorkommen. Pro Jahr werden ca. 70.000 Kinder durch AIDS zu Waisen.[18]

2004 stieg die Zahl der AIDS-Waisen weltweit auf 15 Millionen. Viele weitere Kinder und Jugendliche leben mit kranken oder sterbenden Eltern, werden ausgegrenzt und seien damit wiederum anfälliger für Infektionen mit dem Aidsvirus, heißt es in dem auf der Weltaidskonferenz in Bangkok vorgestellten Bericht der Vereinten Nationen: „Kinder am Rande des Abgrunds“.[19]

Die Zahl der AIDS-Waisen in Afrika steigt weiter - auch in Ländern, in denen die Immunschwäche inzwischen erfolgreich bekämpft wird. Bis 2010 werden auf dem Kontinent voraussichtlich 15,7 Millionen ihre Mutter, ihren Vater oder beide Eltern verloren haben. Häufig müssen die Kinder ihre erkrankten Eltern allein bis zum Tode pflegen. Weltweit leben in Asien die meisten AIDS-Waisen, wenngleich die Zahl der bekannten Fälle seit 1990 rückläufig ist, gefolgt von Afrika und Lateinamerika.[20]

Kriegswaisen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Frau mit Waisenjunge - Berlin, November 1945

In allen Kriegen sterben auch Väter und Mütter; ihre Kinder werden dadurch zu Halbwaisen oder Vollwaisen.
Wenn die späteren Waisen bei Heimaturlauben ihrer Väter gezeugt wurden und ihre Väter bald darauf im Krieg starben, hatten die Kinder oft keine Erinnerung an die Väter. Zum Beispiel bekam der Vater des späteren Bundeskanzlers Gerhard Schröder seinen Sohn nie zu Gesicht.
Auch Roger Waters von Pink Floyd wurde durch seine Lieder als Kriegswaise bekannt.

Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren zehntausende Kinder allein unterwegs - sie sind traumatisiert, ausgehungert und häufig schwer krank. Viele dieser Kriegswaisen kommen in Mecklenburg-Vorpommern an, das ein wichtiger Durchgangsort für die Flüchtlinge aus den Ostgebiete des Deutschen Reiches ist. Allein 1945 sind dort 30.000 elternlose Flüchtlings- und Vertriebenenkinder registriert. Der Strom der Kriegswaisen endet auch in den Jahren nach dem Krieg nicht: An einem einzigen Tag im Mai 1947 kommen in Pasewalk in Vorpommern 3.000 Kinder aus Ostpreußen an.[21]

Tausende von deutschen Kriegswaisen sind nach dem 2. Weltkrieg zwischen Ostpreußen und dem Baltikum unterwegs. Viele, die später als Erwachsene in Polen, Litauen, Lettland oder Estland lebten, nahmen eine falsche Identität an - man gab ihnen den Namen Wolfskinder.[22]

England[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gemeinsam gründeten Anna Freud und Dorothy Tiffany Burlingham zusammen mit Josefine Stross, [23][24] die Hampstead Nurseries, ein Heim, indem sie Kriegskinder und Kriegswaisen betreuten. 1945 holte Anna Freud eine kleine Gruppe von Kindern aus Theresienstadt nach London. Sie wurden unter ihrer Aufsicht (Supervision) versorgt und betreut. Die Erinnerungen einiger Kinder wurden mit deren Erlaubnis veröffentlicht. Anna Freud selbst schrieb einen Artikel über sie, der 1951 in der von ihr gegründeten Zeitschrift veröffentlicht wurde.[25]

Syrien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien Anfang 2011 gibt es, nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks UNICEF, mehr als eine Million Flüchtlingskinder. Viele der Flüchtlingskinder sind zu Waisen geworden und traumatisiert, da sie mit ansehen mußten, wie Familienmitglieder getötet worden sind. Sie sind - nach diesen Angaben - außerdem Opfer von sexueller Gewalt, Folter und willkürlicher Haft und werden häufig als Kindersoldaten rekrutiert.[26][27]

Soziologische Auswirkungen durch das Verwaisen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wer Mutter oder Vater verliert, hat - statistisch gesehen - weniger Chancen auf eine höhere Schulbildung oder qualifizierte Ausbildung. Dies zeigt eine Studie aus dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin.[28]
Auch wenn nur ein Elternteil stirbt, hat dies einschneidende Folgen für die Kinder. Zusätzlich zu der Trauer um den Verlust müssen die Kinder auch damit zurechtkommen, dass sie im Lauf ihrer Ausbildung weniger Unterstützung für ihre Bildungslaufbahn erwarten können - und zwar in emotionaler und kognitiver, aber auch sozialer und finanzieller Hinsicht.

Steffen Hillmert vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung hat die Bildungsverläufe von Halbwaisen der Geburtsjahrgänge zwischen 1950 und 1978 angesehen und mit denen von Menschen verglichen, welche bis zur Volljährigkeit in vollständigen Familien aufwachsen konnten. Kinder, die vor dem zehnten Lebensjahr einen Elternteil verloren, hatten schlechtere Chancen, das Abitur zu erreichen, als Kinder, die ihn einige Jahre später verwaisten.
Bei beiden Gruppen (Waise vor/nach dem 10. Lebensjahr) waren die Abiturquoten im Vergleich zu Kindern aus vollständigen Familien deutlich reduziert.

Starb der Elternteil erst nach dem zehnten Lebensjahr, dann blieben die meisten Kinder im Gymnasium - trotz der besonderen Belastungen. Der frühe Tod eines Elternteils verringert aber die Chance des Kindes, das Abitur zu machen, um fast zwei Drittel. Das bedeutet: wenn in einer vergleichbaren sozialen Gruppe von Kindern aus vollständigen Familien zehn Kinder das Abitur machen, dann sind es in einer gleich großen Gruppe von Waisenkindern nur drei bis vier Kinder.

Rezeption in der Kunst[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Leben und das Schicksal von Waisen inspirierte Künstler/innen auf vielfältige Weise und fand seinen Zuspruch bei den Kunstliebhabern. Die künstlerischen Arbeiten spiegel jeweils das Geschehen ihrer Zeit wieder.

Waisen in der Literartur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Parabel der Chronica Salimbenis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im 13. Jahrhundert führt der Chronist Salimbene von Parma über die Frage des Kaisers Friedrich II. aus: In welcher Sprache Kinder sich auszudrücken beginnen würden, die niemals vorher irgendein Wort sprechen gehört haben?

Sein lebhaftes Interesse veranlasste Friedrich II. zu einem seltsamen Experiment. Er übergab Wärterinnen und Ammen eine Anzahl verwaister Neugeborener zur Aufzucht mit dem Auftrag, ihnen die Brust zu reichen, sie zu reinigen, zu baden, etc. aber mit dem strengsten Verbote, sie jemals zu liebkosen und mit ihnen oder vor ihnen ein Wort zu sprechen. Es geschah nach des Kaisers Willen; aber dessen brennende Neugierde fand keine Befriedigung, denn alle Kinder starben im frühesten Alter.[29]

Nathan der Weise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In dem Drama Nathan der Weise, von Gotthold Ephraim Lessing, sind die Protagonisten Tempelherr (Curd von Stauffen, alias Leu von Filnek) und Recha (Blanda von Filnek) Waisen. Ihr gemeinsamer Vater Assad (Bruder Saladins, alias Wolf von Filnek) und ihre Mutter (geborene Stauffen) sind früh verstorben. Beide Kinder wachsen bei Pflegeeltern auf. In der Figur Nathan der Weise setzte Lessing seinem Freund Moses Mendelssohn, dem Begründer der jüdischen Aufklärung, ein literarisches Denkmal.

Nach ihm wird die am 01.07.1836 eröffnete Moses Mendelssohn'sche Waisen-Erziehungs-Anstalt der jüdischen Gemeinde zu Berlin benannt.[30]

Märchen und moderne Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In literarischen Werken sind Protagonisten in der Gestalt von Waisen besonders in der Fantasy-, Jugend- und Volksliteratur sehr beliebt. Dies erlaubt den Autoren eine Ausgestaltung ihrer Werke beispielsweise ohne langwierig komplizierte familiäre Strukturen erklären zu müssen und ihre Helden von familiären Obliegenheiten und Kontrollen freizustellen. Nebenbei erregt eine Waise beim Leser auch Gefühle von Mitleid und führt zu leichterer Identifikation mit dem Protagonisten, wobei auch eine schnellere und prosaischere Charakterentwicklung möglich ist.

Tatsächlich verloren Kinder früher eher ihre Mütter. Sie verstarben bei der Geburt, im Wochenbett oder später aus Krankheit und Entkräftung. Die Väter, so wollen es Märchen und volksgeschichtliche Überlieferungen, heirateten eine andere Frau, die ihre Stiefkinder ablehnte und als Mägde und Knechte missbrauchte. Diese Erzählungen waren ein Spiegel der Gesellschaft. Eine bekannte Halbwaise aus dem Märchen ist das Aschenputtel, eine Vollwaise das kleine Mädchen aus "Die Sterntaler" (Gebrüder Grimm).

Bekannte Autoren, in deren Büchern Voll- oder Halbwaisen Handlungsträger sind, sind u. a. Charles Dickens (Oliver Twist und David Copperfield), Mark Twain (Tom Sawyer), Johanna Spyri (Heidi), J. K. Rowling (Harry Potter), James Krüss (Timm Thaler), Astrid Lindgren (Rasmus und der Landstreicher), Charlotte Brontë (Jane Eyre), John Irving (Gottes Werk und Teufels Beitrag), Cornelia Funke (Herr der Diebe und Drachenreiter), Henry James (Die Drehung der Schraube), Frances Hodgson Burnett (Sara, die kleine Prinzessin), Suzanne Kaplan (Kinderchirurg Dr. Alfred Jahn und die Waisenkinder von Kigali) oder Adam Johnson (Das geraubte Leben des Waisen Jun Do).

Musik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Reihe von Komponisten des 18. und 19. Jahrhunderts widmeten ihre Kompositionen oder Einnahmen aus Aufführungen Waisenhäusern. Die Messe in c-Moll KV 139 (KV3 114a/KV6 47a) von Wolfgang Amadeus Mozarts wird Waisenhausmesse genannt, in der Annahme, dass sie zur Einweihung der Waisenhauskirche in Wien am 7. Dezember 1768 komponiert wurde.

Im Jahr 1749 erklang im Londoner Waisenhaus, dem Foundling Hospital des Thomas Coram (1668-1751), erstmals ein Benefizkonzert aus der Feder Georg Friedrich Händels. Es erklang ein dreiteiliges Werk, von Händel aus früheren Werken zusammengestellt und durch neue Kompositionen ergänztes einmaliges Konzert, dessen Hymne das Anthem „Blessed are they that considereth the Poor an Needy“ in die Musikgeschichte eingehen sollte.[31]

Der Messias von Händel sollte, Erstaufführung 1742 in Dublin, in der Folgezeit, ein soziales und nichtkommerzielles Werk bleiben. Seit 1750 führte er den Messias einmal im Jahr in der neuerbauten Kapelle des Foundling Hospitals (Findelhaus) als Benefizkonzert auf. In seinem Testament vermachte er dieser Institution auch die handschriftliche Partitur des "Messias".[32] Wie Charles Burney in seinen Nachrichten von Händels Lebensumständen (1785) schreibt, war der "Messias" Händels Hinterlassenschaft, die:

„die Hungrigen speiste, die Nackenden kleidete und die Waisen versorgte.“

Bekannte Waisen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Graeber, H.: Misshandelte Zukunft - Erschütternder Erlebnisbericht eines Heimkindes im Nachkriegsdeutschland 2006
  • Hillmert, S.: Halbwaisen müssen schneller auf eigenen Füßen stehen. In: Zeitschrift für Familienforschung, Heft 1/2002, S. 44-69
  • James, H.: Die Drehung der Schraube (dt. v. Ingrid Rein), Manesse Verlag, Zürich (2010) ISBN 978-3-7175-2330-7
  • Johnson, A.: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do, Suhrkamp Verlag, Berlin 2013 ISBN 3518464256
  • Kaplan, S.: Kinderchirurg Dr. Alfred Jahn und die Waisenkinder von Kigali, Eckstein Iatros Verlag, Nierstein 2004 ISBN 3937439382
  • Plotsidem, M.: Waisen und Sozialwaisen in staatlichen Fürsorgeeinrichtungen in der Ukraine: Rechtliche Lage und verschiedene Modelle
  • Rieländer, M: Sozialwaisen - Kleinkinder ohne Familie Auswirkungen von Hospitalismus. Für eine Zeitschrift der "Gesellschaft für Sozialwaisen" e.V. (GeSo) Münster 1982
  • Spitz, R.: Children with inferior histories: Their mental development in adoptive homes. In: Journal of General Psychology, 72, 1948. S. 283 - 294

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Molnár-Hídvégi, N.: Witwen und Waisen im Alten Orient. In: Das wissenschaftliche Bibelportal der Deutschen Bibelgesellschaft 04/2010
  2. Kramer, S.N., Geschichte beginnt mit Sumer, München, 1959, S.86ff.
  3. Molnár-Hídvégi, N.: Witwe und Waise. In: Das wissenschaftliche Bibelportal der Deutschen Bibelgesellschaft 04/2010
  4. Molnár-Hídvégi, N.: Witwen und Waisen im alten Israel. In: Das wissenschaftliche Bibelportal der Deutschen Bibelgesellschaft 04/2010
  5. Markus Meumann: Findelkinder, Waisenhäuser, Kindsmord: Unversorgte Kinder in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Wissenschaftsverlag Oldenbourg 1995, ISBN 3-486-56099-9, S. 180f.
  6. Notker Hammerstein, Christa Berg: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. C. H. Beck, 2005, ISBN 3-406-32464-9, S. 430/31
  7. Rosenberger, H.-P.: Berühmte und Orte, 2. korrigierte Auflage, Verlag Books on Demand GmbH, Norderstedt 2009
  8. Braun, L.: Die Frauenfrage, Europäischer Literaturverlag, 1. Auflage, Bremen 4.05.2011, ISBN 3862674223
  9. Der Farmer. In: WINDHUKER NACHRICHTEN,Winhhuk 08.09.1908
  10. Dornseif, G.: Waisen-Import und Dienstmädchen-Anwerbung für Südwest, 11.05.2010
  11. B. Leiber, M. Radke, M. Müller: Das Baby-Lexikon. ABC des frühen Kindesalters. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001.
  12. Lielischkies, Udo: Russland: Waisen als politische Waffe, Weltspiegel, ARD Stand 20.06.2013
  13. Madonna darf Waisenkind Mercy doch adoptieren, DIE WELT 12.06.2009
  14. Duden Sozialwaise
  15. Plotsidem, M.: Waisen und Sozialwaisen in staatlichen Fürsorgeeinrichtungen in der Ukraine: Rechtliche Lage und verschiedene Modelle
  16. UNICEF: Kinderrechte in der Ukraine stärken
  17. AIDS-Waisen bei Avert.org (en)
  18. AIDS Orphan's Preventable Death Challenges Those Left Behind (en)
  19. 15 Millionen Aids-Waisen. In: Ärzte Zeitung, 14.07.2004
  20. CHILDREN AFFECTED BY AIDS. Africa’s Orphaned and Vulnerable Generations, PRE - Publikation, United Nations Children's Fund (UNICEF) 14.08.2006
  21. Das traurige Schicksal der Kriegswaisen, NDR, Stand 19.11.2012
  22. Wolfskinder Geschichtsverein e. V., Internetseite aufgerufen am 24.  Mai 2012
  23. Angaben über Josefine Stross (1901–1995) im Biografischen Lexikon Psychoanalytikerinnen in Europa.
  24. Kurzbiographie
  25. nach der Biographie von Erna Furman S. 107, Fußnote 66, Anna Freud in collaboration with Sophie Dann, An experiment In Group Upbringing, in: 'The Psychoanalytic Study of the Child', VI, 1951. A group of six three-year-old former Terezin children is observed as regards group behavior, psychological problems and adaption.
  26. Helfen Sie den Flüchtlingskindern. UNICEF Stand 02.08.2013
  27. Über zwei Millionen syrische Kinder in Not. In: Zeitgeschehen, ZEIT ONLINE 12. März 2013
  28. Hillmert, S.: Halbwaisen müssen schneller auf eigenen Füßen stehen. In: Zeitschrift für Familienforschung, Heft 1/2002, S. 44-69
  29. Cronica Salimbenis, Scan des kompletten Textes nach der Ausgabe von Ferdinando Bernini, 1942 (lateinisch)
  30. Die Moses Mendelssohn'sche Waisen-Erziehungs-Anstalt der hiesigen jüdischen Gemeinde Berlin, 1841, Online-Ausg., Univ.-Bibliothek, Frankfurt am Main 2013
  31. Lippold, F.: Händels Waisen, Das erste Benefizkonzert Händels zugunsten des Londoner Foundling Hospital 1749
  32. Lemfrid, W.: Gedanken zum christlichen Gehalt des "Messias" von Georg Friedrich Händel. In: Programmheftbeitrag zum Europäischen Musikfest der Internationalen Bachakademie, Stuttgart 29.8.1988

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