Benutzer:Olaf Simons/ET

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Die Erkenntnistheorie ist neben der Ethik, der Staatsphilosophie und der Logik eine der zentralen Disziplinen der Philosophie. Ihr Debattenfeld erstreckt sich bis weit in die benachbarten Disziplinen. Es geht mit ihr darum, wie weit sich gesicherte Erkenntnis erlangen lässt, wie ihre Verteidigung gegenüber Alternativoptionen funktioniert; und was aus einzelnen der Erkenntnisse theoretisch folgen würde.

Erkenntnistheorie greift, betrachtet man sie als Diskussion, beliebig in Wissenschaften, Rechtsbegründungen, religiöses Denken, und staatliche Verfassungen aus. Darin liegt sowohl ein kritisches Potential: Oft bietet sie, da sie Verlagerungen ins Abstrakte, Grundsätzliche und Theoretische erlaubt, Diskussionen Raum, die in den zur Debatte stehenden Bereichen nicht geführt werden können – Diskussion, in denen kritisch gefragt werden kann, mit welcher Gewissheit Religionen, Politik und Wissenschaften „Erkenntnisse“ verbreiten. Sie kann dabei genauso gut als die Lieferantin von neuen Begründungen auftreten, als Unterstützerin von Systemen, deren Grundlagen in Kritik geraten. Sie verspricht Wissenschaftlichkeit, Unparteilichkeit, Schlüsse, die allen vernünftig nachdenkenden nachvollziehbar sein sollen, und Bereitschaft, sich beliebigen Gegenargumenten zu stellen. Solange es Einsprüche gibt, will sie sich mit der Formulierung von Erkenntnissen zurückhalten – so die Selbstbeschränkung, die sie vom Glauben abgrenzen soll.

Im alltäglichen Umgang mit Dingen und Anschauungen mutet die Erkenntnistheorie oft als eigenartige Wissenschaft an: Ihre Teilnehmer stellen sich Fragen, die man sich erst stellt, wenn man an seiner Vernunft zweifelt, und sie tun dabei nicht, was jeder gesunde Mensch im Alltag tut. Sie vertrauen sich nicht einfach der „normalen“ Sicht an – stattdessen rekapitulieren sie vorangegangene Diskussionen und testen subtile Argumente dabei aus, oft unter Verweis darauf, dass ihnen selbst nicht klar sei wozu. Erkenntnistheoretisch betrachtet ist das eine legitime Wahrnehmung, da sie aufzeigt, dass hier tatsächlich eine gegenüber der alltäglichen Wirklichkeit eingegrenzte Diskussion größere Tragweite in ausgewählten Bereichen behauptet.


Das eingegrenzte Sprachspiel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ich sitze mit einem Philosophen im Garten; er sagt zu wiederholten Malen „Ich weiss, dass das ein Baum ist“, wobei er auf einen Baum in der Nähe zeigt. Ein Dritter kommt daher und hört das, und ich sage ihm: „Dieser Mensch ist nicht verrückt: Wir philosophieren nur.“ Vorlage:Lit

Wittgensteins letzte Reflexionen über das Thema „Gewissheit“, postum veröffentlicht 1969 boten eine dritte Wendung des erkenntnistheoretischen Projektes, das den Autor seit Anfang des Jahrhunderts beschäftigte. Mit dem Tractatus hatte er 1922 maßgeblich den „linguistic turn“ des Faches bestimmt, mit den Philosophischen Untersuchungen, 1936-1946 (postum veröffentlicht 1953) hatte er sich vom Projekt der Abbildung der Welt mittels Sachverhaltsaussagen und Aussagenlogik wegbewegt zu einem weitaus freieren Nachdenken über das Funktionieren von Sprache. Mit Über Gewissheit fragte er nach dem eigentlichen Ort er erkenntnistheoretischen Probleme. Die Erkenntnistheorie widmet sich Fragen, die man sich im Alltag nicht stellt – sehr banalen Fragen: Ob man wissen kann, dass man nicht gerade träumt? Ob man sich sicher sein kann, dass eine Außenwelt existiert. Wie man das Bild beurteilen soll, das man von dieser Außenwelt gewinnt? Kann man ermessen, wo unser Bild die Außenwelt gut abbildet, und wo unser Verstand und unsere Wahrnehmungsorgane es bestimmen? Wie sieht die Welt eigentlich aus?

Ein erkenntnistheoretisches Problem hat in der weiteren Perspektive unser gesamtes moralisches Nachdenken. Ein gutes Bild der Welt, stimmt mit dieser überein, erlaubt Aussagen über sie. Mit welchen Teil dieser Welt stimmt aber das Gute einer moralischen Handlung überein? Was wird mit einem Satz von der Sorte „diese Handlung ist gut“, wahrheitsgetreu abgebildet?

Im Alltag muten die Fragen der Erkenntnistheorie seltsam an. Sie sind nur im engen Bereich der Fachdebatte mit ihren ausgetüftelten Regeln – im „Sprachspiel“, so Wittgenstein, das hier gelernt sein will – verständlicher. „Steht dort wirklich ein Baum?“ Im Alltag antwortet man: „Zwick Dich in den Arm, dann weisst Du, ob Du wach bist oder das gerade träumst!“, da man natürlich durchaus weiss, dass einem im Traum of alles so real vorkommt wie im „wirklichen Leben“. Der Traum vergeht, so die Alltagslogik, die Wirklichkeit besteht dagegen unabhängig von ihm. Kinder lernen das zu begreifen. Fragen von Gut und Böse, darüber diskutiert man im Alltag schon eher, doch meistens erst im Moment, in dem man sich über jemandes Verhalten ärgert – und dann sind die nächsten Fragen, warum er sich nicht an die Regeln hielt, keine erkenntnistheoretischen Fragen.

Erkenntnistheoretiker interessieren sich mit Vorliebe für Fragen, die nach kurzer Erwägung als unlösbare im Raum stehen. Sie interessiert dabei kein konkretes Problem:

Es käme mir lächerlich vor, die Existenz Napoleons bezweifeln zu wollen; aber wenn Einer die Existenz der Erde vor 150 Jahren bezweifelte, wäre ich vielleicht eher bereit aufzuhorchen, denn nun bezweifelt er unser gesamtes System der Evidenz. Es kommt mir vor, als sei das System sicherer als eine Sicherheit in ihm. Vorlage:Lit

Das Interesse gilt Fragen, die als möglicherweise prinzipiell unbeantwortbare von größerer Tragweite sind.

Die beliebig brisante Debatte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jacques-Louis Davids Der Tod des Sokrates (1787)

Brisanz gewinnt die erkenntnistheoretische Debatte, da sie in der Regel in der Lage ist, mit wenigen Fragen die Begründung ganzer Systeme als labil zu erweisen. Sie ist im selben Moment keine ungefährliche Debatte. Die Geschichte des Todesurteils das Sokrates 399 v. Chr. akzeptierte, gehört zu ihren Gründungsmythen. Verurteilt wurde mit Sokrates ein Mann, der eine Schule gegründet hatte, an der man sich mit wenig mehr befasste als mit Dialogen, in denen grundlegende Gewissheiten hinterfragt wurden. Die Anklage lautete auf Jugendgefährdung und wurde im Blick auf den Schutz formuliert, unter den die Stadt Athen ihre Götter stellte. Es schien unklar, ob die unter Sokrates geführten Debatten nicht zur Gottlosigkeit aufriefen.

Sprengkraft entfaltete die Erkenntnistheorie wiederholt, dort wo Institutionen sich selbstbewusst auf „Gewissheiten“ gründeten. Totalitäre Regime versuchten ihr Grenzen zu setzen, die Inquisition observierte die philosophische Diskussion bis weit in die Neuzeit hinein. In festgefahrenen wissenschaftlichen Debatten bot ein grundlegender erkenntnistheoretischer Zweifel auf der anderen Seite mehrfach gangbare Auswege an: die Chance durchzudiskutieren, ob man nicht auch mit einem wesentlich unsichereren Gebäude der Wissenschaft arbeiten könnte. Der Befund war ein um das andere Mal, dass Theorien, die der Alltagslogik widersprachen und eher als Rechenmodelle taugten – sich als die bei weitem tragfähigeren erwiesen. Die moderne Physik geht kaum noch von den Gewissheiten aus, auf die sich die Physik des 16. Jahrhunderts zurückzog, als sie selbst auf bestimmte theologische Gewissheiten verzichtete.

Man könnte die Erkenntnistheorie an dieser Stelle als eine sehr eng umzirkelte und dabei in sehr verschiedene Wissensgebiete ausgreifende, Sicherheiten untergrabende, in jedem Falle kritische, „aufklärerische“ Debatte erachten. Das trifft sicherlich einen Teil des Bildes, das sie von sich selbst hat. Gerecht wird man ihr als Wissenschaft damit jedoch nicht: Sie schuf fast immer gleichzeitig in Teilbereichen ihrer Diskussion die Sicherheiten, die sie in anderen Teilbereichen kritisch hinterfragte. Diktaturen wie der Nationalsozialismus oder der Stalinismus setzten ihr Grenzen, doch beriefen gerade sie sich auf Positionen der Erkenntnistheorie, da die Erkenntnistheorie am besten tauglich schien, um Traditionen, Vorgaben der Religionen, Setzungen des klassischen Humanismus und der „guten Sitten“ radikal und nach sehr kurzen grundlegenden Erwägungen außer Kraft zu setzen.

Eine Wissenschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Wissenschaft ist die Erkenntnistheorie in zweierlei Hinsicht: Wer erkenntnistheoretisch argumentiert, von dem ist verlangt, dass er sich halbwegs der Argumente und Positionen bewusst zeigt, die in den letzten dreitausend Jahren durchgespielt wurden. Debattenverläufe sollte man abkürzen können wie ein Schachspieler, der auf historische Spiele verweisen kann, in denen man bestimmte Züge durchprobierte. Die wissenschaftliche Erkenntnistheorie ist zudem mit der Logik ein an die Mathematik angrenzendes Fach. Unter ihren Teilnehmern besteht Übereinkunft darin, was ein möglicher Zug im Spiel ist – wann eine Aussage als Gegenargument taugt.

Eine Geschichte der Erkenntnistheorie wird erfassen, wie man sich ihren Fragen zu verschiedenen Zeiten stellte. Interessant wird sie, wo sie im Auge behält, wo Erkenntnistheorie größere Debatten veränderte. Drei größere Entwicklungen wird man dabei in der historischen Perspektive skizzieren können:

  • Unter Augustinus und den Kirchenvätern erfolgte eine Integration der erkenntnistheoretischen Debatte der Antike in eine größere theologische Diskussion. Der Monotheismus wurde zur Debattengrundlage der philosophischen Auseinandersetzung von Arabien bis Irland. Die bis dahin in ganz verschiedenen Akademien und privaten Schulen geführte erkenntnistheoretische Debatte fand im Verlauf dieser Entwicklungen in der Scholastik ihre heutige Beheimatung im System universitärer Wissenschaften.
  • Im Lauf der Neuzeit übernahm eine erkenntnistheoretische Diskussion, die der Bibel keinen Rang als Letztbegründung einräumte, zentrale Fragestellungen der Theologie. Erkenntnistheoretiker boten an, Frage wie die, ob es Gott gibt mit logischen, allein vernünftigen Beweisgründen auszustatten. Das Ergebnis war im späten 18. Jahrhundert eine Entmachtung der Offenbarungsreligion und mit ihr der Theologie als zentraler Diskussionsplattform. Die Philosophie begründete im 18. und 19. Jahrhundert plötzlich Rechts- und Staatssysteme, wo bislang die Theologie der weltlichen Macht die Legitimationsangebot machte.
  • Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert mischten sich Mathematiker Physiker mit großem Einfluss in die erkenntnistheoretische Debatte. In einer Übernahme erkenntnistheoretischer Diskussionen verabschiedeten sie sich von der These einer materiellen dreidimensionalen Welt, um als Alternative mit neuen punktuelleren Modellannahmen zu hantieren.

Eine Geschichte der Erkenntnistheorie wird fragen, welche Rolle dieser Zweig der Philosophie zu verschiedenen Zeiten spielte. Sie wird eine kontinuierliche Auseinandersetzung skizzieren und notieren, wer Interessen an ihr entwickelte – wie groß zu verschiedenen Zeiten das Feld wurde, auf dem man die im Alltag eher ausgeklammerten Fragen diskutierte.

Ein Diskurs der politisch pluralistischen Stadtstaaten: Erkenntnistheorie in der Antike[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

(Siehe eingehender den Artikel Philosophie der Antike).

Der Kulturraum der Antike – der Raum der Staaten rund um das Mittelmeer – war entschieden pluralistischer als der abendländische, christliche, der aus ihm in den ersten drei nachchristlichen Jahrhunderten hervorging.

Die großen Reiche der Antike waren letztlich Stadtstaaten, denen es gelang, ihre Macht auszudehnen. Es gab religiöse Kulte von überregionaler Ausstrahlung. Delphi war weithin als Tempelstädte berühmt. Andere Kulte breiteten sich mit dem Sklavenhandel aus und konnten mühelos aus Kleinasien nach Rom gelangen. Die Stadtstaaten hatten eigene fast durchweg pluralistische religiöse Ausrichtungen, die es nicht ausschlossen, dass Individuen neben Festen des Gemeinwesens auch noch andere Riten zelebrierten.

Der Bereich westlich abendländischer Philosophie ging in dieser Gemengelage im wesentlichen von den Stadtstaaten Griechenlands und dann von Rom als nachfolgendem intellektuellem Orientierungspunkt aus. Die Organisationsform der Akademien und berühmten einzelnen Philosophen ist bezeichnend. Es gab eine Nachfrage nach rhetorische Unterweisung und dieser antwortend, Angebote von Schulen mit Lehrmeistern, die den argumentativen Wettstreit als Kunst ausübten. Die Politik Athens und Roms fand in öffentlichen Arenen statt. Man trainierte die Kunst der Debatte. Man kann das negativ ausdrücken: Das System europäischer Universitäten, das System der Lehrpläne, der Studienabschlüsse, der einander anerkennenden Institutionen, zwischen denen Gelehrte wie Studenten wechseln konnten, wurde die Errungenschaft des Mittelalters.

Die Antike kannte Naturwissenschaften und technologischen Fortschritt, doch war auch hier die Anbindung an die Philosophie eher dürftig und zufällig. Die Mathematik bediente die Baukunst und die Astronomie; mit ihr verband sich in Griechenland ein eigener Zweig der Erkenntnistheorie. Was die Neuzeit in Nordeuropa hervorbrachte: Ein internationales Erkenntnisprojekt mit der Einrichtung miteinander korrespondierenden wissenschaftlichen Institutionen, mit der Sammlung von Reiseberichten, mit eigener Kartographie, mit der systematischen Erforschung des Sichtbaren mit Mikroskopen und Teleskopen, mit dem Aufbau der experimentellen Physik und Chemie brachte die Antike nicht zuwege, auch wenn sie Philosophien formulierte, die im Rückblick Denkoptionen moderner Erkenntnistheorie begründeten.

Die einzelnen Denkoptionen zwischen Empirikern, Skeptikern und Idealisten florierten in Konkurrenz miteinander, jedoch kaum im Abgleich mit einem technologischen Fortschritt – hier war die Philosophie, wie sie sich im 17. Jahrhundert ausrichtete gänzlich anders strukturiert, selbst die Neuzeitlichen Philosophen im selben Moment gerade von Philosophen der Antike Denkoptionen bezogen. Das rhetorische Gefecht, der Dialog, die Verbindung von Ethik und Erkenntnistheorie, eine Erkenntnistheorie die oft in erster Linie Anschauungsmaterial für letztlich in die Politik ausgreifende Behauptungen liefert, zeichnet die platonischen Dialoge aus.

Roms berühmteste Philosophen waren am Ende durch die Bank nicht Erkenntnistheoretiker, sondern Moralisten, Staatsmänner und Rhetoriker. Roms technologischer Fortschritt lag in einem handwerklichen Ingenieurwesen, nicht in einer Verquickung von Erkenntnistheorie und Grundlagenforschung.

Platon (428 – 347 v. Chr.)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die beiden Philosophen der Antike, die das erkenntnistheoretische Nachdenken nachhaltig prägten, sind rückblickend betrachtet Platon und Aristoteles. Mit Platons Wiedergabe der Dialoge, die sein Lehrer Sokrates angeblich führte, wurde der fundamentale Zweifel der Erkenntnistheorie wie ihr Argumentationsspiel fixiert. Platon etablierte im selben Erzählzusammenhang ein erkenntnistheoretisches System, das auf dem Zweifel aufbaute, um die Welt einer ganz anderen Erkenntnis zugänglich zu machen...

Aristoteles (384 – 322 v. Chr.)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Teilgebiet der Theologie: Erkenntnistheorie im Mittelalter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

(Siehe eingehender den Artikel Philosophie des Mittelalters.)

Das Christentum bedeutete philosophiegeschichtlich und erkenntnistheoretisch eine Revolution. Weniger seine Glaubenssätze machten sie aus als der Universalitätsanspruch, der mit ihm aufkam.

Der Monotheismus des Judentums war die Religion des auserwählten Volks gewesen, eines Volks, das sich entschied, allein einem Gott zu huldigen, von dem es im Gegenzug besonderen Schutz genießen sollte. Das Christentum breitete sich dagegen mit der Verkündigung der göttlichen Wahrheit und der Taufe aus, zuerst unter Juden dann und Heiden. Es erreichte noch während die Bücher des Neuen Testaments geschrieben wurden, das antike Griechenland und bewies sich dabei als mit der griechischen Philosophie überraschend kompatibel, sobald man die idealistischen Strömungen des Platonismus einer neuen Interpretation unterzog und Gottes Bewusstsein mit dem Bereich der Ideen und der Transzendenz verband. Das Johannesevangelium wurde auf griechisch formuliert und beginnt mit seinem Rückgriff auf das „Wort“ als den Beginn aller Dinge – das konnte als Rückgriff auf die Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments so gut wie als Öffnung gegenüber der griechischen Philosophie verstanden werden, in der „Λόγος“ „Logos“, „Vernunft“ genauso gut wie „Wort“ bedeutet. Mit der Anfangszeile des Johannesevangeliums, „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort“ war nach greichischer Philosophie der Gott des Christentums effektiv mit der Vernunft und dem Wort gleichgesetzt, das war erheblich mehr als das Alte Testament vorgab. Das frühe Christentum verband sich mit einer Neuausrichtung des Platonismus und mit einem Siegeszug durch die Welt der südlichen Mittelmeer-Anrainerstaaten, deren philosophische Debatten von gnostischen Gruppierungen bestimmt wurden. AugustinusConfessiones (397/98) skizzieren im autobiographischen Rückblick die Verbindungslinien mit ihrem Autor, der der Reihe nach von den manichäistischen Diskussionsforen und dem Neuplatonismus angezogen wurde bevor er das Christentum als Weltanschauung viel größerer Totalität entdeckte. Das Christentum gewann eine dualistische Erkenntnistheorie, einen Kosmos, in dem es nicht nur Gottes Ideen und die Welt gab, sondern nicht minder einen Kampf in der Schöpfung zwischen Gottes Plan und einer Verunreinigung, die mit der Materie bestand. Die Gnostiker gingen von einem Weltlauf der Klärung aus, die christliche Philosophie konnte hieraus ein Erkenntnisprojekt formulieren.

Es konnte neben dem Gott des Christentums keine anderen Götter geben. Letztlich konnte es so wenig gegenüber der Lehre des Christentums noch andere Philosophien geben. Das Christentum selbst spaltete sich und entwickelte seine eigene Geschichte an Schismen und Ketzerbewegungen, Konzilen und Kanonisierungen verbindlicher Texte und Dogmen. Zwischen den Strömungen blieb bis zum Moment der Spaltung im argumentativen Wettstreit zu vermitteln. Die Auslegung einzelner Bibelpassagen zog dabei eine komplexe Argumentationskunst auf sich die bis in die Auseinandersetzungen zwischen den drei Konfessionen der Nachreformationszeit – bis weit in das 18. Jahrhundert hinein – fortbestehen sollte.

Die Septem artes liberales aus Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg (um 1180)

Der Kulturraum, der mit dem Beginn des Mittelalters unter eine einheitliche Weltanschauung geriet, kannte in seiner Größe keinen Vorgänger. Er benötigte eine komplexe hierarchische Infrastruktur theologischer Gelehrsamkeit, um von Skandinavien bis Nordafrika reichen zu können – in der Hierarchie der katholischen Kirche fand er sie. Er benötigte im selben Moment ein Ausbildungssystem, das gleiche Standards der Lehre an allen Orten Europas gewährleistete. Im Aufbau der Universitäten entstand diese Infrastruktur. Man sieht das Mittelalter oft als Phase der Barbarei und des Kulturverfalls. Überlegenheit der Organisation sollte man ihm gegenüber dem Modell der antiken Staaten bescheinigen. Die zentrale religiöse Macht der katholischen Kirch legitimierte Herrschaft in ihrem ganzen Ausstrahlungsbereich – Herrschaft, die nicht von Stadtstaaten ausging, sondern von Regenten, die Territorien nach mit der flexiblen Infrastruktur des Gefolgschaftswesens einigten und eine ganz neue flächendeckende Herrschaft einführten – eine der Privilegien, denen Stadtgründungen folgten und mit ihnen der Aufbau der Universitäten, an denen Philosophie am Ende das Grundstudium wurde. Was für die römische Kirche zu beobachten ist, ist für den Einflussbereich der Ostkirche zu beobachten und für den Ausbreitungsbereich des Islam.

Mit dem expansiven Monotheismus des Christentums und des Islam entstand eine flächendeckende Infrastruktur der Auseinandersetzung mit Wissen unter dem Dach eines einheitlichen weltanschaulichen Modells. Die Einheitlichkeit selbst war dabei vor allem eine spannende Fiktion: Nach ihr wurde in theologisch-philosophischen Seminaren mit einer Anstrengung gesucht, die einen wachsenden Pluralismus der Optionen hervorbrachte. Das Gebiet der Erkenntnistheorie stärkte dabei in seiner Verfassung als allein von Vernunft bestimmtes Forschungsfeld, die Hoffnung auf eine übergreifende Verständigung über Wahrheit. Das Mittelalter wurde in Nordeuropa wie im arabischen Raum die hohe Zeit der Integration antiker Philosophie in das neuzeitliche, Geschlossenheit, Universalität anvisierende Denken. Aristoteles wurde kommentiert und zum Kern der philosophischen Auseinandersetzung.

Man kann hier eine Korrumpierung der Antike beklagen, und die Jahrhunderte, in denen die Kirche die Philosophie unter ihre Macht brachte unter das Wirt „Mittelalter“ bringen. Das Gegenteil wird aus Sicht der damit zusammengefassten Zeit zu sagen sein: Das Projekt einer universellen, Glauben und Wissen vereinenden, theologisch fundierten Philosophie konnte und kann als Gipfelpunkt der Aufklärung betrachtet werden. Hier wurde an Kathedralen des Nachdenkens gearbeitet, an Denkgebäuden maximaler Größe und gleichzeitig maximaler Integration aller Details. Eine eigene Ästhetik durchdrang die Philosophie des Mittelalters. „Subtilität“, nur noch nach langem Studium beherrschbare Feinheit und Komplexität des Arguments bestach mit den Arbeiten Thomas von Aquins (1225-1274), Duns Scotus’ (1266-1308), Wilhelm von Ockhams (1285-1349). Der Philosophie der Neuzeit übernahm hier letztlich zentrale Zielvorgaben des Nachdenkens.

Die Verlagerung theologischer Debatten: Erkenntnistheorie in der Frühen Neuzeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den Vorlesungssälen der europäischen Universitäten gaben bis weit in das 18. Jahrhundert hinein theologische Debatten die erkenntnistheoretischen Fragen vor. Es ging dabei nicht primär um Gottesbeweise und vergleichbar elementare Probleme. Diskutiert wurden Bibelstellen, die verschiedene Interpretationen zuließen – unter Blick auf logische Prämissen, die für Europas drei Konfessionen unterschiedliche Bedeutung hatten. Das wird verständlicher, wenn man bedenkt dass noch die großen politischen Konflikte des 17. Jahrhunderts, der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) und der englische Bürgerkrieg (1649-1660) unter Vorzeichen der konfessionellen Debatte stattfanden. Die „freien Niederlande“ waren bis in das frühe 18. Jahrhundert nicht so frei, dass ein Baruch Spinoza (1632-1677) hier außerhalb des Freundeskreises freier hätte sprechen können.

Unsere heutigen historischen Darstellungen der erkenntnistheoretischen Debatte pflegen das Feld im Rückblick zu lichten. Unsere Perspektive gibt vorrangig dem Aufkommen der Naturwissenschaften – sie wurden jedoch tatsächlich erst mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert das zentrale Thema der erkenntnistheoretischen Diskussion.

Man konnte an den Universitäten des 17. und 18. Jahrhunderts keine naturwissenschaftlichen Fächer im Hauptstudium belegen. Einzelne Forschergesellschaften trugen die Experimentalphysik, die Astronomie und die Mathematik bis in das 19. Jahrhundert voran und veränderten dabei kaum die Lebensbedingungen mit ihren Arbeiten. Die wissenschaftliche Revolution begann erst im späten 18. Jahrhundert den Alltag massiver zu verändern. Unsere Überblicke gelten zweitens im Rückblick der Frontenteilung, die sich im späten 18. Jahrhundert zwischen einer (vor allem englischen) Strömung des Empirismus und einer (eher deutschen) des Idealismus Immanuel Kants (1724-1804) abzeichnete. Im Blick auf diese Frontenverteilung und ihre Themen wurde im späten 18. Jahrhundert nach einem Beginn der aktuellen Auseinandersetzung gesucht. Dabei kam es zur rückwirkenden Behauptung eines Bruchs der Neuzeit mit dem Mittelalter, der in heutiger Sicht quer durch das 16. Jahrhundert, das Jahrhundert der „kopernikanischen Wende“ verläuft und mit Giordano Bruno (1548-1600) und Galileo Galilei (1564-1642) zentrale Protagonisten hat. Der Bruch fand tatsächlich nicht statt. Das heliozentrische Weltbild setzte sich durchaus nicht schlagartig durch. Es wurde erst einmal zu einer Rechenoption. Lehrbücher des frühen 18. Jahrhunderts führten es noch selbstverständlich neben dem ptlolemäischen Weltbild. Debatten scholastischer Probleme beschäftigten bis in das 18. Jahrhundert hinein. Die Kirchenhistorie wandte sich um 1700 fasziniert den Ketzerbewegungen und ihren erkenntnistheoretischen Diskussionen zu, um von hier aus neuen Pluralismus der Optionen zu beziehen ( Gottfried Arnolds 1699 veröffentlichte Unparteyische Kirchen- und Ketzer-Historie wurde Meilenstein dieser Entdeckungsreise). Die von uns um 1500 vermutete epochale Wende ergibt sich auf der rückblickenden Suche nach ersten Belegen der uns heute interessierenden Diskussion, sie deckt sich nicht mit dem, was wir bei einem Besuch von Universitäten noch um 1700 erleben würden.

Rationalismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Bruch mit der Scholastik setzte im 17. Jahrhundert mit dem Rationalismus ein. Der bedeutendste Philosoph des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts wurde dabei René Descartes, dem man nicht unbedingt folgen mochte, der jedoch die meisten Auseinandersetzungen einforderte. Unter den prominenten Gegenpositionen entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in England der Empirismus heraus. Fast noch wichtiger wurde der Eklektizismus, der Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts als Antwort auf die strengen Optionen Mode wurde: die Position, dass man mit Vernunft aus den konsequenten Modellen den Mittelweg des Wahrscheinlichen nehmen sollte. Der Eklektizismus wurde die Mode der eleganten, galanten Kreise, die sich der Philosophie als Teilgebiet der belles lettres zuwandten und selbst nicht publizierten, genauso wie der Universitätsdozenten, die eine eindeutige Anbindung an ein System scheuten, jedoch eben die Systeme zur Kenntnis nahmen und sie als verschiedene Denkmöglichkeiten ihren Studenten vorstellten.

René Descartes (1596-1650)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Lichte der Erkenntnis: eine aus lauter kleinen Kügelchen zusammengesetzte seelenlose Welt, Renati Descartes Epistolae (Londini: 1668), Bd. 1, S. 147

Macht über die Scholastik gewann der Rationalismus vor allem als eine Philosophie, die Argumentationsformen der theologischen Debatte aufnahm. Wie die Scholastiker drangen die Rationalisten auf ein Philosophieren in logischen Schlüssen, das auf Definitionen aufbaut. Der große Unterschied zu den Scholastikern bestand im Umgang mit Autoritäten. Thomas von Aquin gab Aristoteles heraus – René Descartes verband seine Philosophie stattdessen mit den Naturwissenschaften und einem neuen Materialismus. Er plädierte für eine Welt, die sich im nach ihm benannten kartesischen Koordinatensystem unterbringen ließ, und die den Menschen mit einem Körper ausstattete, in dem die Nervenstränge mit Druck und Zug mit dem Gehirn kommunizierten. Autoritäten hatten in dieser Welt keine Beweiskraft mehr.

Die Beweisführungen, die Descartes für die mit Mathematik, Geometrie und moderner Physik übereinkommende Philosophie aufbot, argumentierte vom strengsten Zweifel her. Diesem widerstand nur ein Faktum: Dass wir im Moment des Zweifels noch dächten und demnach existierten („cogito ergo sum“). Auf dem puren Beweis der Existenz ließ sich ein Beweis der Welt und Gottes aufbauen, sobald man Gott logisch konsistent als das vollkommene Wesen definierte. Mit seiner Definition war unvereinbar, dass Gott nicht existierte, Nichtexistenz wäre Unvollkommenheit gewesen. Gott konnte im selben Moment nicht betrügen – ein vollkommenes Wesen muss sich nicht mit einem Betrug begnügen. Ein Betrug wäre es aber gewesen, wenn Gott uns glauben ließe, wir wären wach und gingen mit materiellen Gegenständen um, während wir in der Realität schliefen und eben zu dieser Realität keinen Zugang erhielten. Aus der puren Existenzgewissheit ließ sich postulieren, dass es Gott gab und eine materielle Welt.

Die eröffneten Positionen brachten die theologische Debatte in eine missliche Lage. Das Bekenntnis zu einem betrügerischen und unvollkommenen Gott stand gegenüber der neuen Philosophie nicht zur Wahl. Ließ man sich auf dieses Philosophieren ein, war jedoch unklar, was man riskierte: Mit Thomas Hobbes (1588-1679) taten sich die Kirchenvertreter aller Konfessionen leicht. Er behauptete, die Verderbtheit des Menschen gründe darin, dass der er aus Materie zusammengesetzt sich seiner Existenz bewusst werde und seine materielle Existenz nun mit aller Konsequenz verteidigte (siehe den ausführlicheren Artikel zum seinem Leviathan von 1651). Für die Kirche blieb die Lehre der Erbsünde bestimmend. Hobbes argumentierte als Atheist. Weitaus schwerer ließ sich auf Hobbes’s Gegner Shaftesbury (1671-1713) antworten, wenn der postulierte, dass die bestehende Welt die beste aller möglichen sei (da Gott nicht weniger als eine vollkommene Welt schaffen konnte), und wenn er von hier aus schloss, dass der Mensch für diese Welt geschaffen von Natur aus Harmonie mit Gottes Schöpfung suche. Die gegenwärtige Verderbtheit des Menschen müsste, so Shaftesbury, ihre Gründe in der Organisation des gegenwärtigen Lebens habe, für die Kirche und Staat verantwortlich seien. Die rationalistischen Erwägungen gingen von Prämissen aus, von denen sich Theologen nicht gefahrlos verabschieden konnten. Sie schlossen „vernünftig“ – nach Methoden, von denen sich die Theologie nur verabschieden konnte, wenn sie sich zur Irrationalität des Glaubens bekennen wollte. Dies wiederum war in der gegenwärtigen Debatte gerade den etablierten Konfessionen verwehrt, die gegen „schwärmerische“ Strömungen wie den Pietismus (im Protestantismus) und den Quietismus (in der katholischen Religion) in den eigenen Reihen antraten. Ging die Theologie auf die Schlüsse und Schlussverfahren der rationalistischen Philosophie ein, so brachte sie das jederzeit in Widersprüche zu eigenen Lehrmeinungen. Verweigerte sie sich der neuen Philosophie, so verwischte sie Grenzen gegenüber den mystischen und irrationalistischen Strömungen, die ihr intern fortwährend neue Sekten bescherten. Die Folge war für das 17. Jahrhundert eine immense Durchdringung der philosophischen Debatte mit Zielvorgaben theologischer Diskussionen – und eine Situation, in der sich die Theologie kaum noch vor der Philosophie schützen konnte.

Baruch Spinoza (1632-1677)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Extrempositionen der rationalistischen Erkenntnistheorie vertraten Baruch Spinoza und Gottfried Wilhelm Leibniz – Spinoza mit einem Denken, das in logischen Schlüssen den Dualismus in Frage stellte, den die Transzendenz voraussetzte: Wenn man von zwei getrennten Substanzen (Gott und Natur, Körper und Geist) ausginge, müsse man postulieren, dass sie nicht eine Eigenschaft teilten, da sie sonst partiell identisch und damit nicht getrennt seien. Eine Substanz, die bestehe, müsse im selben Moment für sich selbst bestehen können. Benötigte sie eine andere Subtanz, um zu existieren, verletzte sie ihre Definition als isolierbare Substanz. Eine Substanz könne im selben Moment nicht mehr eine andersgeartete hervorbringen, die hervorgebrachte wäre nicht mehr unabhängig. Die bestehende Substanz müsse mithin ungeschöpft existieren. Sie müsse unendlich sein – denn wäre sie endlich, so müsse eine andere Substanz ihr die Grenze setzen, was erneut eine Abhängigkeit in ihre Existenz brächte, die gegen den Begriff verstieße. Zwei verschiedene Substanzen Gott und Natur, eine schöpfende und eine von ihr geschaffene, könnten nach diesen Prämissen nicht bestehen. Die Wahl lautete „entweder Gott oder die Natur“ – „Deus sive Natura“ – eine atheistische Wahl, die sich letztlich gerade aus der Definitionen Gottes ergeben sollte.

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Leibniz besuchte Spinoza 1676 und argumentierte in intensiver Auseinandersetzung mit dem Monismus (der Theorie der Einheit der gesamten Materie) Spinozas. In seinen eigenen philosophischen Annahmen ging er von einem aus dem Nichts von Gott geschaffenen Kosmos aus. Mit dem Blick auf die kleinsten Einheiten dieses Kosmos, die „Monaden“, für deren Eigenschaften er logische Postulate bereit hielt, holte er Spinoza jedoch wieder ein. Jede einzelne „Monade“ unterscheide sich von allen anderen in der Art, wie sie von ihrer Position aus den gesamten Kosmos widerspiegele. Die gesamte Materie bestehe aus Teilchen dieser letztlich geistigen Komponente ihrer Existenz. Die Welt müsse als gesamte betrachtet, nach der bisherigen Schlussfolgerung die beste aller möglichen Welten sein. Aus der Tatsache, dass der Planet, auf dem wir leben, Mängel aufweise, könne im selben Moment jedoch geschlossen werden, dass es im Kosmos unzählige andere bewohnte und weit glücklichere Planeten gebe, mit denen der kosmische Gesamtplan sich erfülle, und in dem die Erde mit ihren objektiven Mängeln ihren sinnvollen Platz zum besten des Gesamts einnehme. (Siehe eingehender den Artikel Theodizee.)

Zu den Paradoxien der rationalistischen Erkenntnistheorie gehörte, dass sie in den extremen Postulaten die Beschränktheit des menschlichen Verstandes voraussetzte – eben des Verstandes, den sie zum Schließen beanspruchte. Unsere Wahrnehmung zeigte Grenzen, unser „Verstand“ erwies sich als nicht minder begrenzt. Die „Vernunft“, die letztlich im Schließen begründet lag, wies dieselben Grenzen nicht auf. Sie gehörte niemandem, war an kein Individuum gebunden, war in der Logik und der Mathematik gegeben, den beiden Wissenschaften, die es uns allein erlauben konnten, zu erahnen, wie der Kosmos aufgebaut sein müsse.

Empirismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unser Bild der Welt ist nur ein mögliches. „Das ist es, was Mikroskope uns klar zeigen: Dinge, die für das bloße Auge eine bestimmte Farbe haben, geben bei größerer Sinnenschärfe ein ganz anderes Bild von sich [...] die Verschmelzung verschiedenfarbiger kleiner Teile eines Objekts in unserer normalen Sicht, schafft von den selben Dingen ganz abweichende Farbeindrücke...“ Locke, Essay (1690), II.xxiii,§.11

Aus Sicht der Empiristen wagten sich die Rationalisten weit in Bereiche vor, über die durchaus kein Wissen erlangt werden konnte. Die sehr unterschiedlichen Endergebnisse, zu denen sie gelangten, ließen zweifeln, dass ihre Beweisverfahren trugen. Argumentierte man gegenüber den Rationalisten streng, konnte man fordern, bei den Sinnesdaten zu bleiben und bestimmte Schlüsse nicht zu wagen. So massiv die Empiristen die Rationalisten auch kritisierten, so nahe standen sie ihnen auf der anderen Seite, wo es um die Naturwissenschaften und den Umgang mit Autoritäten ging. Descartes und Leibniz waren Wissenschaftler der neuen Zeit, sie waren physikalischen Experimenten aufgeschlossene Mitglieder renommierter wissenschaftlicher Akademien, wie sie im Mittelalter keine Pendant hatten.

Die wesentlichen Schritte in den Empirismus – in die Philosophie, die sich streng zur Rückführung aller Erkenntnisse auf Sinneswahrnehmungen bekannte – geschahen in England.

Das hat zum Teil mit der Arbeit der Royal Society zu tun, die Europas führende Institution naturwissenschaftlicher Forschung wurde. Das hat zum anderen innenpolitische Gründe. Die neue Philosophie verband sich eng mit einer staatstheoretischen Debatte. Hobbes und Locke schrieben Erkenntnis- und Staatstheorie in einem, und sie taten dies in einer komplexeren Situation als ihre Kollegen auf dem Kontinent. Wie die Staatstheoretiker der absolutistischen Kontinentalstaaten suchten diejenigen Englands nach einer Philosophie, die letzte Begründungen ohne Rückgriff auf die Theologie anbot – es ging in ganz Europa darum, die Kirche politisch dem Staat unterzuordnen (und gerade dadurch dem Einzelnen von jetzt an staatlich garantierte Freiheit in der konfessionellen Orientierung zu sichern). Anders als auf dem Kontinent gab es dabei jedoch in England zwei Optionen der Entmachtung der Kirche. Hobbes plädierte für den Monarchen als den absoluten Souverän, Locke und die Anhänger der Whigs, die 1688 an die Macht kamen, standen dagegen für das Parlament als das Zentrum der Staatsmacht. Der Empirismus machte in England nicht unwesentlich als Antwort auf den Materialismus innerhalb des Parteiengefüges Karriere. Auf dem Kontinent wurde er zwar unverzüglich rezipiert, mit allen Zusatzdebatten des Menschenbilds drang er jedoch hier nicht sofort in die laufenden Diskussionen ein. In England übernahmen 1688 die Parlamentsanhänger die Macht, die sie mit kurzen Unterbrechungen bis weit in das 18. Jahrhundert hielten. Ihr erster Philosoph, Locke, machte weit nach seinem Tod noch 1776 der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung die Vorgaben. Auf dem Kontinent entwickelte sich eine andere Formation der Lager in der Philosophie und in der Erkenntnistheorie.

John Locke (1632-1704)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Projekt, zu dem John Locke mit dem Essay concerning Humane Understanding (1690) ansetzte, war an zwei Stellen brisant, der Autor notierte sie beide auf den ersten Seiten: Wenn er behauptete, alles was wir wüssten, wüssten wir durch Sinneswahrnehmungen, dann zog er bereits an dieser Stelle den Verdacht des Atheismus auf sich, da nun erst einmal erklärt sein wollte, wie Gott uns dann Gegenstand des Bewusstseins werden sollte. Locke riskierte mit seinem Beharren auf Sinneswahrnehmungen als Wissensquelle zudem ein Paradox: „The Understanding, like the Eye, whilst it makes us see, and perceive all other Things, takes no notice of itself“ – Unser Verständnis kann so wenig beurteilen, wie es zustande kommt, wie das Auge, einen Blick auf seine eigene Sicht werfen kann. (Zu diesem Problem eingehend der Artikel Abbild.)

Tatsächlich schrieb Locke ein Buch, das sich gegenüber vielen der Entwürfe der Rationalisten durch grösste Ordnung auszeichnete wie dadurch, dass sein Autor über Konsistenzbehauptungen kaum hinaus kam. Der erste Teil wischte alle angeblich „angeborenen Ideen“ vom Tisch. Nichts war angeboren, sonst müssten wir auf dem Gebiet der angeborenen Ideen weltweit Vorstellungen – von Gott, der Materie, Gut und Böse – teilen. Wir sehen Dinge, erhalten von Ihnen Ideen, setzten unsere Ideen zusammen, abstrahieren von ihnen, verfügen über sie in der Erinnerung, entwickeln Vorstellungen von Kausalität (Wachs schmilzt bei Hitze, Momente wie dieses machen Kausalität erfahrbar). Wenn wir eine Wahrnehmung wiederholen, zählen wir bereits, wenn wir zählen, folgte die gesamte Mathematik daraus. Wir gehen, so Locke, im Bewusstsein mit Ideen um und erfahren im selben Moment, dass es eine materielle Außenwelt und unser Bewusstsein gibt. Wenn wir etwas neues erfinden setzen wir Bilder zu diesem neuen zusammensetzen und begeben uns dann an die Konstruktion. Es sei uns demnach so klar wie die Winkelsumme im Dreieck, dass das Bewusstsein nicht von der Materie produziert sein könne, nachdem wir schließlich auch dann Bilder im Bewusstsein verschieben können, wenn ihnen gerade nichts materielles entspricht. Das Bewusstsein müsse ewig und ungeschöpft existieren, da es die Materie nicht benötige. Die Idee Gottes ließ sich so aus einem Umgang mit Wahrnehmungen gewinnen. Man müsse es im selben Moment dahingestellt sein lassen, was aus einer Definition Gottes folge. Die Idee seiner Existenz hätten wir indes, bevor wir aus seiner Definition Schlüsse zögen, mit den Dingen und unserem Nachdenken bereits erlangt.

Locke bot ein Buch, das kaum zu Beweisen durchdrang. Er lieferte eher ein Plädoyer, nachdem denkbar sein musste, dass durchaus alles, was uns beschäftigte, genauso gut über Sinneswahrnehmung und den Umgang mit ihr in unser Bewusstsein gelangte. Die Gliederung seines Buches frappiert, aus heutiger Sicht, mit ihren Problemverlagerungen: Im ersten Zug verbannt er alle „angeborenen Ideen“ aus dem Bewusstsein, im zweiten baut er die Welt wieder auf – mit einem Blick darauf, wie Kinder sie verstehen lernen. Im dritten Argumentationsschritt wendet er sich der Sprache als dem Medium zu, in dem wir unsere Erkenntnisse formulieren. Das vierte Buch seines „Versuchs“ gilt den komplexeren Ideen und der Wissenschaft. Weit vor dem „linguistic turn“, den die Erkenntnistheorie mit Wittgenstein im 20. Jahrhundert vollführte, ist hier auf das Problem der Sprache verwiesen, in der die Formulierung von Erkenntnis abläuft – und die wiederum auf Erkenntnis erhebliche Rückwirkung habe. Locke rief dazu auf, das menschliche Bewusstsein zu untersuchen und zu verstehen, mit welchen Konzepten es umging – dabei müsse man den Wahrnehmungsapparat, genauso wie unsere von Denktraditionen behaftete Sprache untersuchen, um zu verstehen, warum Menschen verschiedener Kulturen, die Welt in manchen Aspekten ähnlich in anderen sehr unterschiedlich wahrnähmen. All dies ist bei Locke weit vor dem Aufkommen der Wahrnehmungspsychologie und der Kulturanthropologie formuliert. Locke inspirierte die Kunst. Laurence Sternes Tristram Shandy (1759-67) sollte das Essay concerning Humane Understanding mit subtilem Humor als eines der wichtigsten Bücher der Weltliteratur feiern, da hier erstmals erwogen war, wie wir recht eigentlich denken: eher assoziativ, in einer Verkettung von Ideen, die leider gerade nicht immer den Ratschlägen der Vernunft folgt. Der Naturwissenschaft, war endlich ein neues Projekt vorgegeben: das einer konstanten Selbstkritik. Ein neues Fach der Wissenschaftstheorie war vonnöten, um der fortwährende Verunreinigung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch sich etablierende Konzepte zu begegnen.

David Hume (1711-1776)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Den weit konsequenteren Versuch, auf den Prämissen, die Locke setzte, aufzubauen und die Erkenntnis kritisch zu befragen, bot David Hume mit seinen moralischen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen. Wo Locke ohne große Differenzierung von „Ideen“ gesprochen hatte, trennte Hume zukunftweisend „Wahrnehmungen“ von „Ideen“. Wo Locke erklärte, dass das Wahrgenommene uns befähigte, Kausalität anzunehmen, ging Hume einen Schritt weiter: Wir sahen allenfalls, dass auf ein Ereignis A. ein Ereignis B. folgte. Dass dabei Kausalität im Spiel war, sahen wir nicht. Wir müssten streng genommen konstatieren, dass hier eine Abfolge von Ereignissen beobachtet wurde. Gingen wir hier wissenschaftskritisch einen Schritt weiter, so hatte das Konsequenzen für unser gesamtes Formulieren von Naturgesetzen: Wir mögen, so Hume, allenfalls gesehen haben, dass bislang immer nach A. auch B. geschah – was aber berechtigte uns zur Annahme, dass das auch in Zukunft so sein sollte? Die Theorie eines geordneten Universums war ein zirkulärer Schluss aus gemachten Wahrnehmungen. Es war ansonsten mindestens so möglich, dass das Universum chaotisch war, wir so zu sagen nur eine Glückssträhne wiederkehrender Ereignisse observiert hatten. Dem widerspreche auch nicht, dass Tiere mit ihrem Instinkt auf gewisse Regularitäten eingerichtet seien.

Auch die Identität von Dingen und Personen musste nach Hume neu bedacht werden. Wir könnten nicht beweisen, dass dieses die „selbe“ Person ist, der wir vor Jahren begegneten – es gebe da allenfalls ein „Bündel“ von Wahrnehmungen, mit dem wir Identität behaupteten, während andere Wahrnehmungen immer auch von Unterschieden sprächen. Das war eine massive Attacke auf die Reste platonischen Nachdenkens, die beliebigen Gegenständen ein „Wesen“, ein „Selbst“ beimaßen und davon ausgingen, dass wir wenigstens im Denken mit diesem reineren Wesentlichen umgehen könnten.

Hume entwertete die Vernunft schließlich im Blick auf alle moralischen Urteile. Die Vernunft rate uns wohl zu bestimmten Handlungen im Blick auf bestimmte Ziele, doch wenn wir uns andere Ziele setzten, rate sie uns im selben Moment zu anderen Handlungen. Das Projekt der Erkenntnistheorie endete auf empiristischem Boden nicht mit neuen Sicherheiten, sondern eher mit Unsicherheiten und einem reichlich pragmatischen Umgang mit ihnen. Logik war nicht die letzte Prämisse unseres Umgangs mit der Realität. Gingen wir davon aus, dass Menschen mit freien Willensentscheidungen handelten? Wieso sollten wir dann Strafen für bestimmte Fehlverhalten ankündigen? Wir handelten allenfalls versuchsweise im Blick auf gewünschte Entwicklungen. Die Prämissen, nach denen wir handelten, waren weitgehend ungedeckt. Das Projekt einer strengen Erkenntnistheorie taugte, sobald man es gründlich betrieb, am ehesten, um die Unbeweisbarkeit unserer Grundannahmen zu beweisen.

Idealismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Man kann im Idealismus eine Gegenposition zum Empirismus sehen – im Idealismus steht eine Abbildung der Welt über Sinnesorgane nicht im Vordergrund des Nachdenkens. Man kann genauso gut darauf verweisen, dass beide Positionen einander berühren. Je erkenntniskritischer Empirismus betrieben wird, desto weiter bewegt er sich vom Nachdenken über die Außenwelt zum Nachdenken über das Bild, das wir von ihr erlangen. Mit dem Empirismus steht immer noch im Raum, dass das Bild nachvollziehbar mit der Außenwelt verknüpft ist. Verstehen wir die Sinnesorgane und unser Bewusstsein richtig, dann verstehen wir, wie die Außenwelt sich in unserem Bewusstsein abbildet und können präzise erkennen, wie dieses Bild gegenüber der Welt selbst beschaffen ist. Idealisten gehen dagegen davon aus, dass wir eben mit den Dingen an sich demnach nie umgehen, bei Bildern bleiben, und darum den Dingen an sich eine grundlegend andere Existenz als die uns vertraute, zugestehen müssen.

George Berkeley (1685-1753)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Immanuel Kant (1724-1804)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aufgabenstellungen zwischen Politik und Wissenschaften: Erkenntnistheorie in der Moderne[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit der Wende ins 19. Jahrhundert wurde das Wissenschaftssystem neu organisiert. Bislang gab es an den Universitäten die drei Fakultäten Theologie, Jurisprudenz und Medizin sowie das philosophische Grundstudium, zu dem die Sprachen genauso gehörten wie die Naturwissenschaften, die bis dahin als „Naturphilosophie“, „natural philosophy“ firmierte.

Mit dem 19. Jahrhundert wurden die Geisteswissenschaften, die Naturwissenschaften, die Gesellschaftswissenschaften und die technischen Ingenieurwissenschaften begründet. Die Philosophie kam zu den Geisteswissenschaften, deren Aufgabenfeld sich nun weitete.

Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein wurden nahezu alle politische und gesellschaftliche Debatten auf dem Gebiet der Theologie geführt. Mit der Wende ins 19. Jahrhundert übernahm der Staat als neue Ordnungsmacht die Vorherrschaft in den gesellschaftsweiten Diskussionen. Er garantierte seinen Bürgern gleiche Rechte. Fast überall in Europa kam Religionsfreiheit zu diesen – sie bedeutete für die jeweils bislang in jedem Territorium privilegierten Konfessionen die Rückstufung. Die Debattenkultur des Nationalstaats wurde von den Geisteswissenschaften bestimmt. Ihre Ausbildung durchläuft, wer in den Medien zu Wort kommt, Kunst und Literatur bespricht, an den Universitäten in den Fächern unterrichtet, in denen diskutiert wird.

Die Philosophie entwickelte sich zur integrativen Wissenschaft innerhalb der Geisteswissenschaften. In ihr finden die grundlegenden Methodendebatten statt. Philosophische Erkenntnistheorien erlaubten es am Ende Rechtssysteme überkonfessionell zu definieren, den Naturwissenschaften Vorgaben zu machen wie dem Bildungssystem. Erkenntnistheorie verband sich mit der Geschichtsphilosophie und schuf dabei den Rahmen, in dem eine vollkommen neue Debatte der Zukunft aufkam. Bislang hatte es keine solche gegeben – mit dem späten 18. Jahrhundert änderte sich dies: Die Staaten entwickelten ein Interesse an Entwicklungsspielräumen. Im Bereich der Philosophie fanden um 1800 die wichtigsten Diskussionen der Weichenstellungen statt.

Deutschland und Frankreich gaben dabei jetzt den Ton an. Frankreich war mit der Revolution von 1789 in die neue Situation geraten, die Zukunft jetzt im Bruch mit der Vergangenheit planen und organisieren zu müssen – der Positivismus als große Vorstellung einer von den Wissenschaften geordneten Welt entwickelte sich aus der französischen Revolution heraus. In Deutschland gewann die Zukunft eines weltlichen, säkularen Nationalstaats Anfang des 19. Jahrhunderts eine sehr viel idealere Komponente. Gesucht wurde das Gegenmodell zu Frankreich und zur heimischen Zersplitterung in Territorialherrschaften, ein großer Staat, der die einzelnen Länder bei unterschiedlicher kultureller Tradition integrierte. In den eröffneten Bereichen versorgte die Philosophie das 19. Jahrhundert primär mit Denkoptionen und Diskussionsforen. Die Erkenntnistheorie bot sich dabei als Traditionen neu setzende wie Brüche erlaubende Disziplin an mit ihrem Versprechen, das allgemein für vernünftig erachtete Weltbild zu realisieren.

Rezeption und Zersplitterung des Idealismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hegel und die Rezeption Hegels

Dialektischer Materialismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Positivismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Positivismus wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts als erkenntnistheoretische Position interessanter, und dabei fand sich das schon länger kursierende Wort anfänglich eher gemieden. Zu sehr war es verbunden mit dem französischen Beginn der positivistischen Philosophie als eines wissenschaftlichen Religionsersatzes (siehe eingehender den Artikel Positivismus).

Empiriokritizismus“ war das Wort das Ernst Mach für die neue Strömung zu prägen suchte. Gegenüber den Empirismus entfiel mit der neuen Theorie das Insistieren auf der Abbildung der Außenwelt im Bewusstsein. Gegenüber dem marxistischen Materialismus entfiel die Setzung, dass alles, womit wir umgingen, eine materielle Basis haben sollte, gegenüber den Idealisten die Suche nach Wahrheit hinter den Erscheinungen. Die Einstufung „Positivismus“ verdienten die neuen in der Physik beheimateten Denkrichtungen, da sie von lediglich einer „gegebenen“ Materie ausgingen: Wir gingen mit Wahrnehmungen – wobei offen bleiben konnte, ob sie geträumt oder von Materie erzeugt würden. Was unsere Wahrnehmungen verursachte, war Gegenstand der Modellbildung. Physik würde unter der neuen Theorie mit „als ob“-Setzungen betrieben: Das Ausgangsmaterial unseres Forschens, die Wahrnehmungen, verhält sich „als ob“ es da Materie gebe. Was Materie wiederum sei? Man würde sie Versuchen unterwerfen und letztlich wiederum nur zu Modellen gelangen. Was Atome sind, entzieht sich der einfachen Wahrnehmung. Wir machen Versuche mit Testmaterial und bauen Atommodelle darauf auf. Unsere Modelle sind dabei so beschaffen, dass sich befriedigend mit ihnen rechnen lässt.

Die erkenntnistheoretischen Erwägungen, die Heinrich Rudolf Hertz und Ernst Mach ihren physikalischen Arbeiten mit auf den Weg gaben, gingen in der Chronologie den Revolutionen voran, die mit Niels Bohrs Atommodell, mit Albert Einsteins Relativitätstheorie und mit der Heisenbergschen Unschärferelation folgten. Albert Einstein schrieb Ernst Mach spät noch, dass die Relativitätstheorie kaum ohne dessen Philosophie denkbar gewesen wäre. Mit dem neuen Positivismus stand die Option im Raum, nicht länger nach einem uns plausiblen anschaulichen Bild der Welt zu suchen, sondern strikt Rechen- und Modellräume zu konzipieren, in denen sich Datenlagen „ökonomisch“, mit geringem Aufwand an Annahmen, verarbeiten ließen.

Aus traditionell erkenntnistheoretischer Sicht blieben die Darlegungen, die Hertz und Mach veröffentlichten, prekär. Damit, dass unser Bild der Welt aus Modellannahmen bestünde, konnten Empiristen wie Idealisten umgehen. Die Frage nach dem Subjekt, das ein Prinzip wie das der „Denkökonomie“ beherzigte, blieb ungeklärt. Das Subjekt machte sich doch erst als Teil der Wahrnehmungsmasse bemerkbar, es war selbst Ergebnis und Gegenstand der Interpretation. Hier beurteile also eine Interpretation die Interpretation, und wie sollte man da beweisen, was gerade an einer irgendeiner Erklärung „denkökonomisch“ sei? Das empfand das Subjekt und seine Empfindung musste es wieder denkökonomisch interpretieren. Das alles war aus dialektisch materialistischer Sicht unbefriedigend durchdacht, schlechter als jede klare Entscheidung – so die marxistischen Materialisten rund um Lenin, die im Empiriokritizismus einen verkappter Rückfall in eine Form von Solipsismus und „bürgerlichen Relativismus sahen.

Der „Linguistic Turn“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Die Linguistische Wende“ fand Anfang des 20. Jahrhunderts in der Erkenntnistheorie ihren Startpunkt; sie breitete sich von hier aus weit in die Geisteswissenschaften aus, die sie schließlich mit dem Poststrukturalismus und der Postmoderne durchdrang. Vorbereitet hatten die Wende auf dem Gebiet der Logik Gottlob Frege und Bertrand Russell; mit Entschiedenheit vollzog sie Ludwig Wittgenstein mit dem Tractatus Logico-Philosophicus (1922). Sie bestand kurz formuliert in eine Verlagerung der bisherigen Fragestellungen der Erkenntnistheorie auf das Gebiet der Aussagenlogik im besonderen und der Sprache im allgemeinen.

Bild A.
Bild B.
Bild C.

Es musste erstaunen, dass eine solche Verlagerung möglich sein sollte. Wir klagen darüber, dass unsere Sprache kaum hinreicht, um auszudrücken, was wir ausdrücken wollen. Ein „Bild sagt mehr als tausend Worte“, heisst es landläufig. Mit dem Tractatus verwies Wittgenstein darauf, dass wir alles, was uns ein Bild sagt, in Aussagen fassen können.

Warum ist Bild A. in der nebenstehenden Reihe ein Bild des Kölner Doms? Warum ist Bild B. das nicht? In dem Moment, in dem wir Antworten auf diese Fragen geben, verweisen wir auf Aspekte der Bilder, die für uns Aussagen des Bildes über Sachverhalte gleich kommen. „Nach Bild B. dürfte der Kölner Dom nur einen Turm haben, das ist jedoch nicht der Fall.“, so mag die erste Feststellung lauten. Der Architekturkenner wird nachsetzen und in Detailaussagen auf all die Aspekte verweisen, anhand derer er erkennen kann, das Bild B. tatsächlich das Straßburger Münster zeigt. Warum ist Bild C. mit Bild A. identisch? Kurz gesagt: „Weil auf Bild C. alles ebenso der Fall ist wie auf Bild A.“ Wir könnten jeden Bildpunkt, in den sich Bild C. zerlegen lässt, als Aussage über einen Sachverhalt formulieren. „Pixel 1 in Bild C. hat Farbwert #123456 – was das korrespondiere Pixel 1 in Bild A. anbetrifft, erweist sich dasselbe der Fall.

So genau wie wir die Eigenschaften irgendeines Dinges wahrnehmen, hantieren wir mit Aussagen zu ihm – das merken wir, wenn man uns einen Ersatz unterschiebt. Wir können sofort sagen: „Das ist nicht meine Hose, die hatte dort ein Etikett, hier eine Naht mehr, daran würde ich sie wiedererkennen.“ Wenn wir unter zwei Hosen die unserige in einer Wäscherei nicht mehr identifizieren können, dann ist genau dies das Problem: „Soweit ich sie bewusst wahrnahm, kann es diese oder die andere sein, in allen Sachverhalten, die ich mir merkte sind beide gleich.“

Wir produzieren ein Raster an Aussagen. In diesem formulieren wir unsere Erkenntnis. Der Jahrhunderte alte Streit zwischen Empiristen und Idealisten stürzte im selben Moment in sich zusammen. Aussagen, so hielt Wittgenstein fest, sind für uns nur so weit sinnvoll, wie wir wissen, was der Fall sein soll, wenn sie wahr sein sollen. Um Aussagen zu produzieren, benötigen wir damit durchaus keine Empirie. „Auf dem Mond hat man nur ein Sechstel seines Gewichts.“ Die Aussage erwies sich als der Fall, als man dort war, sie war jedoch sinnvoll bereits zuvor formuliert. Wittgenstein war Empiriker, wenn es um die Tatsachen ging, aber Idealist, wenn es um die Aussagen ging, die für uns erst einmal sinnvoll sein müssen, bevor wir im Blick auf die Dinge sagen, ob sie wahr oder unwahr sind.

Idealisten, Empiristen und Materialisten hatten sich die Frage gestellt, wo die Grenzen unserer Erkenntnis lägen. Wittgenstein konnte sie im Blick auf Aussagen sehr glatt definieren: Wo wir Aussagen produzieren, bei denen wir nicht wissen, bei welcher Lage der Dinge wir sie für wahr der falsch erachten wollen, bewegen wir uns nicht mehr im Bereich für uns sinnvoller Aussagen. Soweit die Welt Gegenstand unserer Erkenntnis wird, tut sie dies im Bereich der Sachverhalte, die sich uns als gegeben erweisen (man konnte darum im Blick auf die Aussagen zu möglichen Sachverhalten sagen „Die Welt ist alles was der Fall ist“). Man konnte im selben Moment aus der Erkenntnistheorie Projekte ausklammern: Aussagen über Kausalität boten, wie Hume bereits postuliert hatte, gegenüber Aussagen von der Art „wenn x geschieht, dann geschieht danach y“ keinen Mehrwert and Information dazu, was der Fall sein soll, wenn sie wahr sind. Moralische Aussagen ließen sich sinnvoll im Blick auf Zielvorgaben machen, doch blieben sie für sich genommen unverifizierbare Aussagen. Wittgenstein notierte, dass diese Endergebnisse banal waren – weshalb aber sollten sich, so fragte er in der Vorrede des Tractatus, hinter den unlösbaren Problemen der Erkenntnistheorie besonders tiefe Wahrheiten verbergen? Man war letztlich Jahrhunderte lang damit umgegangen, dass sie in so weit lösbar waren, wie man das Projekt nicht mit den falschen Fragen belastete. Einige Zeit würde es, so mutmaßte er, dauern, bis man die Probleme der Erkenntnistheorie entmystifiziert hätte. Die Wissenschaft ging zu diesem Zeitpunkt längst mit Aussagen um, wie er es skizziert hatte.

Vom aktuellen Ort erkenntnistheoretischer Debatten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bis zum Ende des Kalten Kriegs in den 1980ern gab es zumindest noch eine staatlicherseits vertretene philosophische Erkenntnistheorie, die des dialektischen Materialismus der Marxistisch-Lenininistischen Philosophie. Mit ihr korrespondierte nur bedingt eine westliche linke Erkenntnistheorie. Das Projekt philosophischer Erkenntnistheorie geriet im Lauf des 20. Jahrhunderts im Westen in der öffentlichen Wahrnehmung in den Schatten der Experimentalphysik, der Astronomie und der von ihr ausgehenden Theorien über das Entstehen des Kosmos. Philosophen wurden hier gemeinsam mit der breiten Öffentlichkeit zu Zuschauern von Theoriebildungen, die Fachleuten aus den einzelnen Naturwissenschaften selbst nicht mehr in geschlosseneren Modellen begreifbar sind. Einzelne, verwirrende Theoreme drangen in die Philosophie ein. Man liest vom Welle-Teilchen-Dualismus wie von einem modischen Accessoire, wo immer die spektakuläre Relativität heutiger Sichtweisen belegt werden soll. Eine Loslösung der ethischen von der erkenntnistheretischen Debatte ging mit der naturwissenschaftlichen Forschung einher. Die Ethik entspringt nicht mehr einer Erkenntnis der Welt, sie ist eher gefragt, da unklar ist, ob der Welterkenntnis nicht Grenzen gesetzt werden müssen, wo die Forschung und ihre Folgen unser Leben bedrohen können. Diskutiert wird hier, ob wir mit menschlichlichem Erbgut, waffentauglichen Krankheitserregern und explosiven Prozessen unter dem Ziel neutraler Wissenschaft beliebig experimentieren dürfen, wenn wir einen verheerende Anwendung der Erkenntnisse nicht ausschließen können. Eine erkenntnistheoretische Frage ist das nur indirekt. Fragte sich Wittgenstein ob die Ethik noch im gebiet der Erkenntnistheorie liegt, so fragt die moderne Ethikdebatte, ob sie nicht tatsächlich außerhalb der Erkenntnistheorie liegt, und deren Spielräume eindämmen muß.

Das Studium der Erkenntnistheorie ist jenseits solcher Fragen an heutigen Universitäten ein eher historisch ausgerichtetes Fach, bei dem Kantianer, Vertreter der analytischen Philosophie, Neo-Marxisten und Wissenschaftshistoriker verschiedenste Angebote machen, die historische Traditionen wahren und kalkuliert damit umgehen, dass die verschiedenen Optionen nicht wirklich widerlegbar sind.

War in den 1970ern und 1980ern unklar, welchen Stellenwert die Angebote der Esoterik in einer modischeren Debatte womöglich gewinnen könnten, so ist heute weit unklarer, welchen Stellenwert religiöser Fundamentalismus im Bereich des Protestantismus und des Islam gewinnen können, falls staatliche Einrichtungen die Wissenschaften auf religiöse Fundamente verpflichten sollten. Die Leugnung der Evolution und der Urknalltheorie wirft erkenntnistheoretisch betrachtet enorme Probleme auf: Vertreter der streng biblischen Schöpfungsgeschichte müssen mit einem historischen Kontinuum von einigen tausend Jahren auskommen. Die Befunde der Wissenschaften, die auf längere historische Zeiträume verweisen, müssen sie in ihr System integrieren. Hier liest man in den theologisch prekäreren Publikationen des Feldes, dass Gott die Welt durchaus so geschaffen haben könnte, dass sie sich uns als viel ältere darstellte. Die strenge philosophisch theologische Debatte, die hierauf antworten müsste, ist unter Erkenntnistheoretikern bekannt: Gott wäre demnach ein Betrüger – ein Widerspruch zu essentiellen Anschauungen des von Kreationisten vertretenen Gottesbildes. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass wir zu vergleichbaren Debatten wieder zurückfinden werden. Bislang stellen die fundamentalistischen Denkangebote noch nicht die Herausforderung dar, die eine Rückkehr zu den Argumentationsspielen des 17. und 18. Jahrhunderts interessant machen. Interessanter ist im Moment die Frage, ob es ethisch und politisch legitim ist, dass religiöse Gruppen die Chance erhalten, ihre Sichtweisen als alternative und angeblich unwiderlegbare staatlicherseits sanktionieren zu lassen. Die ethische-politische Debatte ist politisch interessanter als die erkenntnistheoretische, deren Argumente Insidern klar sind. Der Streit geht um Wissenschaft und Glaube und Macht über das Erziehungssystem, er geht im Interesse aller die an ihm teilen nicht um die erkenntnistheoretischen Implikationen, die für die Theologie verheerend wären.

Das Projekt der philosophischen Erkenntnistheorie dürfte sich im gegenwärtigen Moment unter diesen Perspektiven eher in einem Wartezustand befinden. Es entfaltet seine Brisanz vor allem gegenüber festgefügten und Diskussionen auf ihrem Terrain ausschließenden Erkenntnismodellen. Es fungiert ansonsten als generelle Diskussionsplattform, auf der sich vor allem die Theorien der Geistes-, Geschichts- und Sozialwissenschaften der Diskussion ihrer Prämissen aussetzen.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • John Locke, An Essay concerning Humane Understanding (London: Printed for Tho. Basset/ Sold by Edw. Mory, 1690).

Hier bitte die Titel, die man nach dem Text als Meilensteine der ET ansehen kann - mir am liebsten: Erstausgaben mit Verweis auf praktischste aktuelle Ausgabe. Chronologisch sortiert.