Cimetière des Innocents

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Zeitgenössische Darstellung des Cimetière des Innocents um 1570

Der einst im Quartier des Halles gelegene Cimetière des Innocents (deutsch „Friedhof der Unschuldigen“) war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts der größte innerstädtische Friedhof von Paris. Seinen Namen erhielt er von der ehemals benachbarten Kirche „Aux Saints-Innocents“, benannt nach dem Fest der „unschuldigen Kinder“, das in der katholischen Liturgie am 28. Dezember gefeiert wird.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Cimetière des Innocents im 18. Jahrhundert, Stich
Féodor Hoffbauer: Der Cimetière des Saints-Innocents um 1550, Stich vom Ende des 19. Jahrhunderts

Mittelalter und Frühe Neuzeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit der Zeit der Merowinger diente das Gelände des späteren Cimetière des Innocents als Bestattungsort. Philipp II., von 1180 bis 1223 König von Frankreich, der Paris zu seiner Residenz ausbaute, ließ den Friedhof erweitern und 1186 durch eine Umfassungsmauer einfrieden.

Vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert wurden dort die Verstorbenen aller 22 Pariser Pfarreien beerdigt, außerdem die des Hôtel-Dieu, die Pestopfer, die in der Seine Ertrunkenen und die auf den Straßen gefundenen unbekannten Toten.[1] Je nachdem, ob man für die sechs Jahrhunderte von 1186 bis zur Schließung 1780 mit durchschnittlich 2000 Bestattungen jährlich rechnet (so Henri Bayard 1842) oder mit mindestens 3000 jährlich (so neuere Hochrechnungen) kommt man auf bis zu 2 Millionen Pariser, die auf dem Cimetière des Innocents beigesetzt wurden.[2]

Seit dem 14. Jahrhundert mussten bei Hungersnöten und Seuchen Massenbegräbnisse vollzogen werden. Trotz Hungersnöten und Seuchen stieg die Bevölkerungszahl von Paris bis zum Ende des 17. Jahrhunderts auf etwa 720.000 Einwohner.[3] Die Kapazität des Friedhofs reichte bei weitem nicht mehr aus. Es wurden Beinhäuser installiert, und die Liegezeit der Toten auf dem Friedhof wurde schließlich soweit verkürzt, dass die Leichen nicht mehr vollständig verwesen konnten. Als 1779 in der anliegenden Rue de la Lingerie einige Anwohner an den austretenden Faulgasen erstickt waren, wurde der Friedhof zum 1. November 1780 auf Geheiß des Polizeidirektors für immer geschlossen.[4] Zu diesem Zeitpunkt lag das Niveau des Friedhofgeländes bereits zweieinhalb Meter über dem der umliegenden Straßen.

Die Aufhebung des Friedhofs[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Féodor Hoffbauer: Saints-Innocents in Paris, 1850
Die Gebeine des Friedhofs in den Katakomben von Paris

In der darauf folgenden Zeit wurden die verbliebenen Gebeine von ca. 500.000 Toten während vierzehn Jahren quer durch die Stadt in die Katakomben von Paris verbracht,[5] wo sie, gehäuft zu Stapeln, noch heute zu besichtigen sind.

Nach der vollständigen Räumung wurde auf dem stark belasteten Gelände ein Viktualienmarkt, also ein Markt für Lebensmittel, abgehalten. Dieser wurde später in die großen Pariser Markthallen (Les Halles) integriert, die zur Zeit des Pariser Stadtumbaus unter Napoleon III. durch überdachte Pavillons erweitert wurden. In den 1970er Jahren wurden diese wieder abgerissen und das riesige Einkaufszentrum Forum des Halles eingerichtet. Am Ort des ehemaligen Friedhofs an der Kreuzung von Rue Berger und Rue Saint-Denis erinnern noch der Place des Innocents und die Fontaine des Innocents an die Vergangenheit.

Folgewirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Beispiel der Aufhebung dieses innerstädtischen Friedhofs machte Schule. Es läutete das Ende vieler weiterer innerstädtischer Friedhöfe ein, besonders in den schnell wachsenden Metropolen. In Hamburg wurden Mitte des 19. Jahrhunderts die Dammtorfriedhöfe aufgehoben, an ihrer Stelle wurde die Parkanlage Planten un Blomen (Pflanzen und Blumen) angelegt. Die dabei freigelegten Gebeine wurden auf den Ohlsdorfer Friedhof verbracht, der noch heute am östlichen Stadtrand liegt und der größte Parkfriedhof der Welt ist.

Der Totentanz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ausschnitt der Danse macabre von Guyot Marchant

Bekannt wurde der Friedhof unter anderem durch eine der ältesten Darstellungen einer Danse macabre in ein Fresko, das zwischen 1424 und 1425 unter den Arkaden auf die Innenseite der Friedhofsmauer aufgetragen wurde. Auf einer Länge von etwa 35 Metern waren 30 fast lebensgroße tanzende Paare dargestellt: Der als Skelett auftretende personifizierte Tod geleitete die wichtigsten Vertreter der geistlichen und der weltlichen Stände mit Tanzschritten aus diesem Leben. Obwohl das Wandgemälde 1669 wegen einer Straßenverbreiterung zerstört wurde, sind die einzelnen Szenen weitgehend bekannt durch den 1485 von dem Pariser Drucker Guyot Marchant herausgegebenen Zyklus La Danse macabre, eine Holzschnittfolge nach dem Vorbild des Totentanzes Aux Innocents mit den zugehörigen Dialogversen.

Bestattete Persönlichkeiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Cimetière des Innocents als literarischer Schauplatz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Im Roman Das Parfum von Patrick Süskind (1985) erblickt die Hauptfigur Jean-Baptiste Grenouille auf einem unmittelbar an den Cimetière des Innocents angrenzenden Fischmarkt das Licht der Welt und stirbt am Ende des Buches auf dem Friedhof.
  • Im Vampirroman Der Fürst der Finsternis von Anne Rice (1985) haust der alte Vampirorden unter der Führung Armands auf dem Cimetière des Innocents.
  • Im historischen Roman Friedhof der Unschuldigen von Andrew Miller (im Original Pure, 2011) wird der junge Ingenieur Jean-Baptiste Baratte beauftragt, den Cimetière des Innocents abzuräumen: „Wir werden die Vergangenheit beseitigen. Die Geschichte hat uns lange genug behindert.“[6]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Christophe Girot: Zwischen Raum und Ort, Vortrag in Stuttgart 1998 (von der DVA-Stiftung im September 2000 als Broschüre veröffentlicht, nicht im Buchhandel erhältlich).
  • Hans Georg Wehrens: Der Totentanz im alemannischen Sprachraum. „Muos ich doch dran – und weis nit wan“. Schnell & Steiner, Regensburg 2012, insbesondere S. 19ff. ISBN 978-3-7954-2563-0.

Zitat[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Hier fand eine dauerhafte Entwurzelung statt. […] Das Besondere dieser ,Fontaine des Innocents‘ besteht darin, dass ihr einstiger Untergrund, die Bodenschicht des alten Friedhofs Cimetière des Innocents weggeschafft wurde und an ihrer Stelle die Betonschichten für ein Einkaufszentrum und die RER-Station ,Les Halles‘ eingefügt wurden. […] Man befindet sich an einem zerstörten Ort. […] Alle Menschen, gleich welcher Herkunft, haben instinktiv gespürt, dass der Ort seiner Geschichte beraubt war, dass es keine Achtung mehr gab vor den Toten, dass alles nur Fiktion, ja, künstlich Erschaffenes war. […] Ein Stadtviertel, wo die Lebenden vertrieben und die Toten verspottet werden, scheint dem Menschen keine große Bedeutung mehr beizumessen. […] Die Epoche ,des Innocents‘ steht so für den Untergang eines Stücks Pariser Leben, das in erster Linie auf dem kollektiven Gedächtnis eines Ortes und seiner Menschen gründete.“[7]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Cimetière des Innocents – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Jean-François Large: Des Halles au Forum. Métamorphose au coeur de Paris. Editions L’Harmattan, Paris 1992. ISBN 2-296-27120-0. S. 19.
  2. Henri Bayard: Mémoires sur la topographie médicale du 4e arrondissement de Paris, recherches historiques et statistiques sur les conditions d’hygiéniques des quartiers qui composent cet arrondissement. Baillière, Paris 1842. S. 54.
  3. Julien Philippe de Gaulle: Nouvelle histoire de Paris et de ses environs. Bd. 4, Pourrat, Paris 1839. S. 430.
  4. Antoine Cadet de Vaux: Mémoire historique et physique sur le Cimetière des Innocents. In: Journal de physique, de chemie, d’histoire naturelle et des arts, Jg. 22 (1783), S. 409–417.
  5. Jean Eugène Dezeimeris: Dictionnaire historique de la médecine ancienne et moderne, ou précis de l'histoire générale, technologique et littéraire de la médecine. Bd. 4, Béchet Jeune et Labé, Paris 1839. S. 264.
  6. Martin Halter: Abrissbirnen der Aufklärung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Juli 2013, S. 33.
  7. Christophe Girot: Zwischen Raum und Ort, S. 11ff.

Koordinaten: 48° 51′ 38″ N, 2° 20′ 52″ O