Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik
Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik (Eine Legende.) ist eine Erzählung von Heinrich von Kleist. Sie wurde zuerst in den Berliner Abendblättern vom 15. bis 17. November 1810 veröffentlicht, und zwar mit der Widmung „Zum Taufangebinde für Cäcilie M.“. Die Erzählung wurde verfasst als Patengeschenk für Cäcilie Müller, die älteste Tochter von Adam Müller. Deren Taufpaten waren neben Kleist unter anderen auch Achim von Arnim und Henriette Vogel. Eine erweiterte Fassung, jedoch ohne Widmung, erschien in Erzählungen, Band 2, 1811.
Inhalt
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Den historischen Hintergrund bietet ein Bildersturm in den Niederlanden, bei dem radikale Calvinisten im August 1566 über 400 Kirchen verwüsteten.
Kleist berichtet in der legendenhaften Erzählung von einem Wunder, das sich im Aachener Dom im 16. Jahrhundert ereignete. Ausgangspunkt der Handlung ist das Vorhaben von vier Brüdern aus den Niederlanden zur Zeit des reformatorischen Bildersturms, den Dom zu verwüsten. Als sie sich in dieser Absicht am Vormittag des Fronleichnamsfestes zum Kloster begeben, schließen sich zahlreiche junge Menschen ihnen an. Vergebens versucht die Äbtissin, vom kaiserlichen Offizier Wachen zu bekommen. Auch der Klostervogt, der sich mit einigen Trossknechten am Eingang der Kirche aufstellt, kann erste Belästigungen der eintretenden Nonnen nicht verhindern. Obwohl die Kapellmeisterin, Schwester Antonia, seit Tagen an einem heftigen Nervenfieber darniederliegt, besteht die Äbtissin gegen den dringenden Rat des Klostervogts darauf, die Messe zu begehen. Als gerade das Oratorium beginnen soll, erscheint überraschenderweise Schwester Antonia, frisch und gesund, in der Kirche, verteilt die Partituren und setzt sich, von Begeisterung glühend, an die Orgel. Daraufhin verstummen die gotteslästerlichen Reden der jungen Männer. Sie sind zutiefst gerührt vom Wohlklang der Musik, insbesondere als das Gloria in excelsis Deo ertönt. So bleibt das Kloster verschont und existiert noch bis zum Westfälischen Frieden, wo es per Vertrag säkularisiert wird. Sechs Jahre später taucht die Mutter der vier verschollenen Jünglinge in Aachen auf, weil sie in den Besitz eines Briefes gelangt ist, den einer von ihnen am Vorabend des geplanten Bildersturms an seinen Freund in Antwerpen geschickt hatte und in dem er mit vieler Heiterkeit von den Zerstörungsplänen der Brüder erzählt hatte. Die Aachener Bürger schicken sie in das Irrenhaus der Stadt, wo die Niederländerin tatsächlich ihre vier Söhne erkennt, die ein ganz eigenartiges Verhalten zeigen: Sie sitzen in schwarzen Talaren stumm betend um einen Tisch. Der Vorsteher klärt die Frau auf, dass ihre Söhne seit sechs Jahren dieses „geisterartige Leben“ führen. Sie schweigen den ganzen Tag, schlafen und essen kaum. Nur um Mitternacht erheben sie sich von ihren Sitzen und intonieren das Gloria in excelsis. Dabei seien sie körperlich vollkommen gesund. Am nächsten Tag begibt sich die Frau zu einem bekannten Tuchhändler der Stadt, der damals an dem Zerstörungswerk teilgenommen, sich aber längst davon distanziert hat. Er klärt sie nun über die Einzelheiten auf. Mehr als dreihundert mit Beilen und Pechkränzen bewaffnete Bösewichter hätten vorgehabt, auf ein Zeichen ihrer Söhne den Dom der Erde gleichzumachen. Doch als die Musik einsetzte, hätten die vier Brüder die Hüte abgenommen und in tiefer Rührung die Hände vor ihr Gesicht gelegt. Dann hätten sie allen zugerufen, ebenfalls ihre Häupter zu entblößen. Während das Oratorium auf sie herabrauschte, seien die Anhänger der Brüder verstört aus der Kirche gerannt. Diese selbst hätten im Gasthof ihre stillen Anbetungen fortgesetzt, hätten kaum noch etwas zu sich genommen und um Mitternacht mit einer entsetzlichen Stimme das Gloria in excelsis intoniert. Nachdem dies einige Tage so weitergegangen sei, seien sie auf Befehl des Magistrats ärztlich untersucht und im Irrenhaus untergebracht worden. Auf einem Spaziergang trifft die Frau eine Klosterschwester, die sie zur Äbtissin führt, welche sie um Einsicht in den Brief des Sohnes an seinen Antwerpener Freund bittet. Während die Äbtissin liest, entdeckt die Mutter eine auf einem Pult aufgeschlagene Partitur und erfährt von der Klosterschwester, dass sie gerade auf die Noten des Gloria in excelsis blicke. Daraufhin erklärt ihr die Äbtissin, dass Gott selbst das Kloster gegen den Übermut ihrer Söhne beschirmt habe. Denn die als Schwester Antonia erschienene gesunde Frau, die auf dem Sitz der Orgel an jenem Tag dirigiert habe, müsse die heilige Cäcilia selbst gewesen sein, da Schwester Antonia zur selben Zeit bewusstlos auf ihrem Krankenbett gelegen habe und noch am Abend verschieden sei. Daraufhin kehrt die Frau in ihre Heimat zurück und tritt zum Katholizismus über, während die vier Brüder noch jahrzehntelang bis zu ihrem heiteren Tod auf dieselbe Weise weiterleben.
Werkausgaben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik. (Eine Legende.). In: Erich Schmidt (Hrsg.): H. v. Kleists Werke. Kritisch durchgesehene und erläuterte Gesamtausgabe (= Ernst Elster [Hrsg.]: Meyers Klassiker-Ausgaben). Band 3. Bibliographisches Institut, Leipzig/Wien, DNB 560628935, S. 377–390 (14 S., Scan – Internet Archive [abgerufen am 4. Januar 2022] mit Anmerkungen des Herausgebers, S. 440; undatierte Ausgabe [vor 1913]).
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Stefanie Tieste: Heinrich von Kleist. Seine Werke (= Heilbronner Kleist-Materialien für Schule und Unterricht. Band 2). Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn 2009, ISBN 978-3-940494-15-3.
- Christine Lubkoll: Die heilige Cäcilie und die Gewalt der Musik. Eine Legende. In: Ingo Breuer (Hrsg.): Kleist-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Metzler, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-476-02097-0, S. 137–142.
- Reinhold Steig: Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe. Spemann, Berlin/Stuttgart 1901, S. 530–536: 2. Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik (textkritik.de).
- Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik. (Eine Legende.). In: Erich Schmidt (Hrsg.): H. v. Kleists Werke. Kritisch durchgesehene und erläuterte Gesamtausgabe (= Ernst Elster [Hrsg.]: Meyers Klassiker-Ausgaben). Band 3. Bibliographisches Institut, Leipzig/Wien, DNB 560628935, S. 440 (1 S., Scan – Internet Archive [abgerufen am 4. Januar 2022] Anmerkungen des Herausgebers zur Textgeschichte; undatierte Ausgabe [vor 1913]).