Diskussion:Christian Felix Weiße

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Mitunter groß im Kleinen


Zu den von Anne-Kristin Mai veröffentlichten biographischen Skizzen über den “Kinderfreund“ Christian Felix Weiße (1726-1804) aus Annaberg

Von Gotthard B. Schicker

Am 16. Dezember diesen Jahres sind es 200 Lenze her, dass Christian Felix Weiße in Stötteritz bei Leipzig gestorben ist. Getreu seinem mahnenden Wahlspruch und dem von ihm verfassten Kinderreim “Morgen, morgen, nur nicht heute...“, wollte Anne-Kristin Mai offenbar nicht zu den “trägen Leuten“ gehören und hat deshalb biografische Skizzen mit einer Werkauswahl bereits mehrere Monate vor dem Todestag des als Kinderfreund in die Literatur eingegangen Weiße vorgelegt.


Um es gleich vorweg zu sagen, das 192 Seiten umfassende Buch ist eine gewaltige Fleißarbeit, zumal über den so genannten Freund von Gotthold Ephraim Lessing Veröffentlichungen kaum vorhanden sind. So musste sich die Leipziger Kirchenmusikerin und ehemalige Sängerin durch etliche Archive, Bibliotheken und Sammlungen - hauptsächlich im sächsischen Raum – wühlen, um die spärlichen Überreste von, bzw. Hinweise auf das 78jährige Leben eines in mehrfacher Hinsicht bescheidenen Philosophen, Theologen, Übersetzer, Redakteur, Ästheten, Poeten und Dramatikers sowie des auch kürfürstlich-sächsischen Kreissteuereinnehmers, Erb-, Lehn- und Gerichtsherren Christian Felix Weiße ans Licht zu bringen.

Und nach einem etwas deplazierten fiktiven Brief der Autorin an den “Herrn auf Stötteritz“, den sie mit “Gruß ins Licht“ überschreibt, und bei der ihr eine “Vernetzung“ zwischen Stockhausen und Weiße gründlich misslingt, beginnt die Mai dann auch ihre nahezu akribische Auflistung der von ihr gemachten Funde von und über den längst vergessenen “Leipziger Literat zwischen Amtshaus, Bühne und Stötteritzer Idyll“ wie sie ihr Werk untertitelt.

Da das Buch über kein Inhaltsverzeichnis verfügt, ist der Rezensent gezwungen, sich durch alle Seiten zu arbeiten und dabei auch die zahlreichen und teilweise erstmals veröffentlichte Illustrationen zu betrachten. Und da es darin, außer ein paar Anmerkungen zum Text, weder ausführliche Quellenangaben (“alle anderen Vorlagen befinden sich im Besitz der Autorin“ – welche???) noch ein Namensregister gibt, wird der wissenschaftliche Wert – auch der populärwissenschaftliche – der Texte stark in Frage gestellt.

Wer also über das Leben dieses erzgebirgischen Zwillingskindes Weiße erfahren möchte, dass es am 28. Januar 1726 in Annaberg zu Welt kam und dort am 31. Januar in der Annenkirche (gemeinsam mit seiner Schwester) getauft wurde, eine sittsame Frau namens Christiane, geboren Platner, heiratete, mehrer Kinder mit ihr hatte..., und vieles mehr, der wird durchaus auf seine faktischen Kosten kommen. Wer allerdings eine Einordnung oder gar kulturkritische Bewertung von Leben und Werk eines Zeitgenossen des “Sturm und Drang“ erwartet, der wird das Buch enttäuscht zur Seite legen. Der Rettungsanker, dass es sich hierbei nur um biographische Skizzen handele, kann allerdings die womöglich wissenschaftlich überforderte Autorin nicht davon freisprechen, nicht den geringsten Versuch unternommen zu haben, Christian Felix Weiße und sein Werk auch sozial- und literaturkritisch sowie ästhetisch zu werten.

Dass Weiße heute so gut – und nur teilweise zu Unrecht – vergessen ist, hat schließlich seinen Grund auch darin, dass er sich zeitlebens in Leben und Werk anpasslerisch verhalten hat. Er wird durchweg als ein freundlicher, höflicher und frommer Mensch gekennzeichnet, dem Familie, Kinder, Obrigkeit und Gottesfurcht näher standen als alle reformerischen oder gar revolutionären Gedanken, wie sie in seinem literarischen Umfeld gedacht und nach denen geschrieben und gehandelt wurde.

Er war ein “Mittelstands-Dichter“ im mehrfachen Wortsinne, und er hat diesen für sich erstrebenswerten Zustand auch noch selbst besungen: “Selig bist du, Mittelstand!/ Ist mir soviel zugewandt,/ da ich als ein braver Mann/ Gott und Welt einst dienen kann...“

Dabei hatte Weiße durchaus Kontakte zu den Stürmern und Drängern seiner Zeit, wenn diese auch nicht ausgeprägt waren und er sich nicht zu dieser Bewegung bekannte, sondern mehr geistige, aber auch persönliche Beziehungen, zum eher “konservativen“ Lager um Gleim, Nicolai, Ramler, Gellert, Iffland, Paul u.a. unterhielt. Dennoch wäre es interessant gewesen, aus den Dokumenten zu ermitteln, welchen Einfluss das “stürmende und drängende“ Umfeld auf ihn, bzw. welche Meinung er zu seinen Dichterkollegen aus dem anderen Lager hatte. Gab es dort zeitweilig Berührungspunkte, mutige Versuche etwa seitens Weiße sich mit den aufklärerischen Gedankengut eines Rousseaus zu befassen, gar in sein Werk einfließen zu lassen? Hat doch der Philosoph und Musikästhetiker - laut Frau Mai - “magnetische Strahlen versendet“ als sich die beiden Männer (wohl 1759) in Paris trafen. Oder: Wie hat sich Weiße zur Tatsache verhalten, dass Goethes “Leiden des jungen Werther“ in Leipzig, dem Druckort des Werkes, zunächst nur anonym erscheinen konnte? – und das nicht etwa nur wegen der angestiegenen Selbstmorde, dafür hatte Goethe bekanntlich 1775, in die zweite Auflage, einen entschärfenden Satz eingefügt.

Wenn auch solche Leute wie Klinger, Voß, Lenz oder Hölty mehr die literarischen Kreise in Straßburger, Göttingen und Frankfurt beeinflussten, dürften doch ganz bestimmt gewisse Wellenbewegungen auch bis nach Leipzig gedrungen und hier nachzuweisen sein. Literarischer Treibsand also, der die Aufklärung vorbereitete und nicht allein nur den jungen Goethe an die Ufer der Pleiße gespült hat. Aber als kurfürstlich-sächsischer Steuereintreiber wäre eine Ablehnung der bestehenden gesellschaftlichen Normen, - wie die Stürmer und Dränger es taten - oder gar der aktive Einfluss auf Veränderung der so genannten praktischen Vernunftsregeln, vermutlich mit seinem sozialen Abstieg einhergegangen. Darüber hinaus war Weiße eben viel mehr angepasst evangelisch als nachdenklich protestantisch...

Und wie stand es um die so oft zitierte “Freundschaft“ zum stürmisch-drängenden Aufklärer Lessing? Man kannte sich aus der Studentenzeit in Leipzig. Die Jugendfreundschaft hatte gerade mal zwei Jahre (1746-1748) Bestand, die dann in eine sehr lockere, aber lebenslange Verbindung einmündete – wird immer wieder behauptet, ohne dafür Belege vorzuweisen. Zu einem Briefwechsel zwischen den beiden kam es nach der kurzen Studienbekanntschaft kaum noch. “Missverständnisse, üble Rezensionen oder Klatschereien von dritter Seite hatten Bitterwasser in den Rebensaft einer glücklichen Studentenzeit gegossen“ – meint die Autorin als die Hintergründe der starken Zurückhaltung Lessings gegenüber Weiße ausgemacht zu haben, ohne jedoch auch nur im Ansatz konkret zu werden. Natürlich gab es Angriffe auf Weißes künstlerisches Werk sowie mehrere Plagiat-Vorwürfe. Insbesondere gegenüber seinen Dramenschöpfungen wie sie z.B. die Shakespeare-Adaption “Richard der III.“ oder die “Amalia“, musste er kritische Wertungen - nicht nur vom damaligen Schweizer Literaturpapst Johann Jakob Bodmer - über sich ergehen lassen.

Hätte sich Anne-Kristin Mai etwas genauer in Lessings 1767 erschienene “Hamburgische Dramaturgie“ (dieses Hauptwerk im Bezug auf Weiße wird nicht ein einziges Mal im Buch erwähnt) vertieft, könnte sie auch besser Auskunft über die Distanz des Schöpfers (neben Schiller) des deutschen Tendenzdramas (“Minna von Barnhelm“, 1767 Erstausgabe) gegenüber einem literarischen Apologeten vom Schlage Weißes geben, der von der Autorin als “Wegbereiter des klassischen deutschen Dramas“ (S. 39) stark überschätzt wird.

Am “achtundvierzigsten Abend (mittwochs, den 22. Julius)“, schreibt Lessing in der “Hamburgischen Dramaturgie“, “ward das Trauerspiel des Herrn Weiße ´Richard der Dritte´ aufgeführt“. Nach einigen umständlichen Sätzen zur Shakespeare-Rezeption bemerkt er dann schroff: “Shakespeare will studiert, nicht geplündert sein. Haben wir Genie, so muß uns Shakespeare das sein, was dem Landschaftsmaler die Camera obscura ist: er sehe fleißig hinein, um zu lernen, wie sich die Natur in allen Fällen auf eine Fläche projektieret; aber er borge nichts daraus.“ Auch zur ebenfalls in Hamburg aufgeführten “Amalia (am vierundzwanzigsten Abend, montags, den 25. Mai)“ merkt Lessing kritisch an: “(...) Dergleichen Verkleidungen überhaupt geben einem dramatischen Stücke zwar ein damenhaftes Ansehen, dafür kann es aber auch nicht fehlen, daß sie nicht sehr komische, auch wohl sehr interessante Szenen veranlassen sollten. Von dieser Art ist die fünfte des letzten Akts, in welcher ich meinem Freunde einige allzu kühn kroquierte Pinselstriche zu lindern und mit dem übrigen in eine sanftere Haltung zu vertreiben wohl raten möchte.“ Der Begriff des Freundes hat hier nicht die Bedeutung, die ihm mitunter beigemessen wird, er kann eher ironisch oder wenigstens leger gemeint sein. Wie Weiße mit solcher und anderer Kritik umgehen konnte, erfährt man leider auch nicht aus dem vorliegenden Buch, obwohl es dazu Quellenmaterial geben dürfte. Auf alle Fälle ist es eine Leistung für jeden Schreiber der damaligen Zeit gewesen, überhaupt in der “Hamburgischen Dramaturgie“ aufzuscheinen. Und die sanfte bis herbe, vor allem aber unterschwellige Kritik eines Lessing dürfte auch auf den sonst so bescheidenen Weiße wie Balsam gewirkt haben und für den Dramatiker keine schlechte Werbung gewesen sein. Wer sich mit Lessings Formen der Kritik (nicht nur in der “Hamburgischen Dramaturgie“) näher befasst, wird wissen, dass auch so manches Lob von ihm letztendlich einer Hinrichtung gleichkommen kann. Und Weiße wurde von ihm nicht selten auch “gelobt“...

Christian Felix Weiße ist dort relativ groß, wo er sich mit dem Kleinen befasst: Sowohl mit der kleinen Form, dem Gedicht, oder den Kindern und deren Heranführung an die Welt per Verslein. Er wird allerdings – auch nach solchen lobenswerten Wiederbelebungsversuchen wie durch dieses Buch – hauptsächlich als relativ unbedeutender romantischer Lyriker künstlerisch sowie als “mittelständiger“ Zeitcolorist menschlich überleben. Über viele seiner Reimereien, seiner Trinksprüche und Romanzen (die alle in der Buchauswahl leider kein Entstehungsdatum haben!) hat die literarische Welt ihr Urteil längst gesprochen, dort ist auch eine Wiederbelebung kaum mehr möglich, es sei denn, man benötigt einen Stammbuchvers oder ein Geburtstagsgedicht für eine verblassende romantische Liebe. Diese Distanz ist notwendig, damit man auch dann nicht ins Schwärmen gerät, wenn sich zeitgenössische Musikanten an dem einen oder anderen Text des Herrn Weiße aus Mangel an Besserem versuchen oder gar “Die Schamhaftigkeit“ (vertont von Christian Schmidt) der Autorin zueignen, damit diese blondierte musikalische Peinlichkeit dann auch im Buche ja nicht fehle!

Dass einige seiner Gedichte durchaus Qualität besitzen belegt die Tatsache, dass selbst Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn – und andere Komponisten wie Johann Adam Hiller auch – ein paar seiner Gedichte vertont hat, und vielleicht erst dadurch das Überleben von “Eine sehr gewöhnliche Geschichte“ und “Der Zauberer“ sicherten. Hiller galt als Hauskomponist des Dichters, der neben Libretti zu Opern und Operetten – und insbesondere Singspielen - auch zahlreiche Gedichte Weißes vertonte, die meist idyllenhafte Züge trugen, die Natur als Gottes Schöpfung bewunderten oder Belehrungsinhalte und Erziehungstipps vermitteln sollten. Unter seinen lyrischen Ergüssen findet sich nicht ein Text, der über die Individualkritik hinaus in gesellschaftskritische Bereiche verweist. Vorsichtige Ansätze in seinen Fabeln bleiben selbst dort, wo er dies durchaus mit diesem Genre vermocht hätte, eben nur bescheiden “fabelhaft“.

Wichtige Verdienste hat sich Weiße unstrittig erworben, indem er von 1757 bis 1765 als Herausgeber der “Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste“ (12 Bände) sowie seit 1765 als Herausgeber der “Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste“ (72 Bände; bis 1806) wirkte. Literarische Fundgruben ohnegleichen, aber auch Auskunfteien über die kulturpolitische und ästhetische Ausrichtung ihres Herausgebers, deren Sichtung und Auswertung unter diesem Aspekt lassen noch auf sich warten. Sie könnten mit dazu beitragen, das noch immer – und nun wieder - verklärte Weiße-Bild zukünftig realistischer zu betrachten.

Gesichert werden sollte allerdings auch Weißes moralische Haltung, die aus seiner christlichen Ethik herrührt und die häufig in soziales Engagement mündete, das schon zu seinen Lebzeiten nicht nur Stötteritzer und Leipziger Einrichtungen zu Gute kam, sondern auch seiner Heimatstadt Annaberg, der er lebenslang aktiv verbunden blieb und die ihn mehrfach würdigte (siehe dazu auch zwei Texte zu Weiße vom Autor dieser Rezension auf dieser Seite) Wenn in Stötteritz eine Straße, ein Platz und eine Schule den Namen des “Kinderfreundes“ (Bezeichnung, die auf ein von Weiße 1781 herausgegebenes Wochenblatt gleichen Namens zurückgeht) trägt und sich die “Weiß´sche Truppe“, deren “Prinzipalin“ Frau Mai ist, um die Verbreitung des Werkes von Weiße kümmert, dann sollte doch wenigstens in seiner Geburts- und Vaterstadt Annaberg die einstige “Weiße-Stiftung“ wiederbelebt oder zumindest der Name des Dichters auf dem diesbezüglichen Straßenschild richtig geschrieben werden. Neuerdings trägt übrigens die Annaberger Förderschule – zum Teil auf Anregung von Frau Mai – den Namen von Christian Felix Weiße.

Ansonsten können wir der Autorin für ihre Skizzen zum unbekannten Dichter nur dankbar sein, sie hat etwas begonnen, was nun fortgesetzt werden kann und muss, will man dem Mann in seiner Zeit umfassender gerecht werden.

Lassen wir Lessing noch einmal bezüglich der Verarbeitung von Kritik durch seinen “Freund“ Weiße zu Wort kommen, wie er dies anlässlich seiner Bemerkungen zu dessen “Richard der Dritte“ in der “Hamburgischen Dramaturgie“ formulierte: “Gleichwohl wird er nicht ungehalten sein, sie auch von andern machen zu hören: denn er hat es gern, daß man über sein Werk urteilet; schal oder gründlich, links oder rechts, gutartig oder hämisch, alles gilt ihm gleich; und auch das schalste, linkste, hämischste Urteil ist ihm lieber als kalte Bewunderung.“

Nach dem Studium des vorliegenden “Bewunderungen“ und im Hinblick auf die weitere Weiße-Forschung sowie als ein anderer “Gruß ins Licht“ könnten die Schlusszeilen aus seiner Fabel “Der Maulwurf und die Brille“ beinahe zum Programm geraten:

“Wie mancher Philosoph verschafft sich eine Brille, durch die er sich die Wahrheit ganz enthülle, und sieht geblendet von so vielem Licht die simple, lautre Wahrheit nicht. Der Weise, der nun tappt, umhüllt von Finsternissen, lernt wenigstens so viel, dass wir hier gar nichts wissen.“


Gotthard B. Schicker


Christian Felix Weiße - Leipziger Literat zwischen Amtshaus, Bühne und Stötteritzer Idyll, Biographische Skizzen und Werkauswahl von Anne-Kristin Mai, Sax-Verlag Beucha, 2003, ISBN 3-934544-53-3


Kinderfreund



Christian Felix Weiße aus Annaberg - Lessings Literaturgefährte

Auch im Zuge der neuerlichen Annaberger Straßen-Schilder-Umbenennung ist es nun zum wiederholten Male vergessen worden, jenes kleine, seit Jahrzehnten falsch geschriebene Straßen-Hinweis-Schild auf den Annaberger Kinderfreund - Christian Felix Weiße (mit ß). Sein berühmt gewordener Ausspruch" Morgen,morgen, nur nicht heute, sprechen immer träge Leute !" - könnte in diesem Zusammenhang hoffen lassen, daß die Annaberger Stadtväter zumindest übermorgen eine längst überfällige Korrektur veranlassen werden.

Am 28.Januar 1726 ist unser nachmaliger Dramatiker, Lyriker, Librettist und Kinderfreund in Annaberg geboren worden und hat nicht mehr als ein Jahr hier gelebt. Seine spätere Berühmtheit war es, die den Geburtsort immer wieder ins Gespräch brachte, - zu dem er lebenslange Bindungen hatte. Sein Vater, "...der hochgelahrte Rector der Lateinschule zu St Annaberg" und Lehrer für orientalische und neuere europäische Sprachen, Christian Heinrich Weiße, tat alles dafür, um diese Beziehungen zur Heimat nie ganz abreißen zu lassen. Auch dann nicht, als die Eltern erst nach Altenburg und später nach Leipzig zogen. Aber auch von Mutters Seite her, einer Tochter des Archidiakon Cleemann aus Chemnitz, Christiane Elisabeth, und deren Vorfahren, scheint reichlich "Erbgut" aus dem Erzgebirge und dem näheren Umland bei Felix verinnerlicht worden zu sein.

Gern erinnerte er sich an die Besuche bei seinem Chemnitzer Großvater, der Rektor einer Schule war und dort Komödien mit seinen Schülern zur Aufführung brachte, die Felix mit Staunen verfolgte. Erste lyrische Versuche sind aus seiner Altenburger Gymnasialzeit bekannt. Damals begannen auch die späterhin dann weiter ausgebauten und ein Leben lang gepflegten Kontakte zu Lessing und zu den Männern des "Sturm und Drang" sowie den Aufklärern Kleist, Bodner, Gleim, Uz, Gellert und Nicolai, - die sowohl literarische Freunde und Verehrer, aber auch Kritiker seines künstlerischen Werkes waren. Besonders Gotthold Ephraim Lessing war es, der Weißes Werk in seiner "Hamburgischen Dramaturgie" sowohl mit Lob ("Amalie") aber auch mit herber Kritik ("Richard der Dritte") bedacht hat. Die teilweise vernichtenden Bemerkungen die Lessing für Weißes unkritische Shakespeare -Adaptionen fand, akzeptierte dieser gelassen und wandte sich nunmehr verstärkt der Oper und dem Singspiel zu. Eine enge und produktive Zusammenarbeit mit dem Komponisten Johann Adam Hiller (1728-1804), für dessen Singspiele er zahlreiche Libretti schuf, schließt sich an. Mit diesen Werken leistet Chr. F. Weiße durchaus einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des volksnahen deutschen Singspiels, der eine nachhaltige Wirkung auf dieses musikalische Genre haben sollte.

Weiße ist uns weniger hinsichtlich seiner oftmals fatalen Dramen und kaum wegen seiner Singspieltexte als wertvoller Literat und Künstler bekannt. Eher vielleicht noch durch seine Natur - und Liebeslyrik, die in wohltuender sprachlicher Leichtigkeit und Gedankenklarheit daherkommt. Diese Eigenschaften sind es dann auch, die ihn zu hoher Meisterschaft in seinem eigentlichen literarischen Metier finden ließen. Wir verdanken ihm eine einmalige Hinterlassenschaft von Kinder - und Jugendliteratur, die einen entscheidenden Wendepunkt im literarischen Schaffen des 18.Jahrhunderts für diesen Leserkreis in Deutschland darstellte. Mit Weiße vollzog sich somit die Vereinigung von Pädagogen u n d Literaten, wie sie in den Jahren zuvor aufklärerisch angestrebt wurde und für die Ausbildung und Verbreitung des humanistischen Bildes vom freisinnigen Menschen notwendig war. In solchen Werken wie "Kleine Lieder für Kinder" (1766), "Der Kinderfreund - Ein Wochenblatt" (1775 begonnen) oder die "Beiträge zu kleinen Schauspielen für die Jugend" (1779) hatten über die Entstehungszeit hinaus bedeutenden Einfluß auf die Ausformung der aufgeklärten Kinder - und Jugendliteratur schlechthin. Nicht nur im bekannten Reim "Morgen, morgen . . .", der aus seinen "Kinderliedern" stammt, die er schrieb, als sein erstes Kind etwa ein Jahr alt war, sind offensichtliche Reflexionen zu seiner Familie und besonders zu seinen Kindern nachweisbar. Sein "A-B-C Buch", das zu jedem Buchstaben ein Bild, eine Erzählung, ein Lied und einen Sittenspruch hatte, gab er heraus als seine Tochter sechs Jahre alt war. Besonders aber im "Kinderfreund" - eine der ersten deutschen Kinderzeitungen - die zunächst in Wochen- und später in Monatsnummern herausgegeben wurde, oder im "Briefwechsel der Familie des Kinderfreundes", - der von 1784-1792 in zwölf Bänden erschien -, ist viel Erlebtes aus der eigenen Familie eingeflossen.

Immer wieder zog es den Dichter hinauf in die Landschaft seiner erzgebirgischen Vorfahren und besonders in seine Geburtsstadt Annaberg. Im Jahre 1788 begleitete Weiße seine Tochter zu einem Kuraufenthalt nach Karlsbad. In seiner "Selbstbiographie" berichtet er darüber:"Um die Reise über das steinige Erzgebirge so angenehm wie möglich zu machen, sollte sie über das herrlich Lichtenwalde. das vortrefflicher Thal der Zschopau und meinen Geburtsort Annaberg gehen". In Annaberg selbst mußte die Reise dann unterbrochen werden. Ob der Anlaß dafür der "dichte Augustnebel" oder die Stillung des Heimwehs war, - Weiße deutet nur an. Man nahm Quartier beim Annaberger Postmeister Reiche und dessen Gattin, einer geborenen Eisenstuck. Und beide machten ihnen, so berichtet Weiße weiter, "....durch Liebenswürdigkeiten den Annaberger Nebel vergessen." Am 16. Dezember 1804 starb der Kinderfreund, der weitbekannte Aufklärer und Humanist, der wahrscheinlich erste deutsche Kinderbuchautor, der gebürtige Annaberger in der Stadt Leipzig.

Weiße-Stiftung



Dichters Geburtstag - soziales Annaberg

Es war Winter in Annaberg. Richtiger Winter, wie es ihn vor vielen Jahren im Erzgebirge scheinbar regelmäßiger gegeben haben soll , als heute. Man schrieb den 28. Januar des Jahres 1826. Der 100. Geburtstag des Annaberger Dramatikers, Librettisten, Lyrikers und Kinderfreundes - Christian Felix Weiße. Schulfrei! Aus allen Annaberger, Buchholzer und Frohnauer Schulen waren an diesem Tag die Kinder mit ihren Lehrern zum Annaberger Marktplatz gezogen, um sich dort zusammen mit "achtenswerten Kinderfreunden", - wie der Chronist zu berichten weiß -, zu einem überdimensionalen W zu formieren.

Über 50 Pferdeschlitten standen bereit, um mit der bunten Schar im weiten Bogen durch die Straßen und Gassen von Annaberg und Buchholz zu fahren. Im Schießhaus gab es dann für jeden ein Mittagessen und bis gegen fünf Uhr konnte getanzt werde. Aller Wahrscheinlichkeit fand die darauf folgende "ernste Feier " im Friedrichsaal des Museum, also im großen Saal des "Erzhammer", statt. Nach einer Reihe von Gesängen und Reden zur Würdigung von Chr. F. Weiße hatte der Diakonus Schumann reichlich Geschenke an die anwesenden Waisenkinder und Pflegeeltern verteilt. An den Ausgängen des Friedrichsaales wurde am Ende der Veranstaltung eine Sammlung durchgeführt, die mehr als 150 Taler für die "Vergrößerung der Menschenwürdigen Anstalt" eingebracht haben soll.

Aus den spärlichen Quellen zur Annaberger Weiße-Stiftung konnte bisher nicht eindeutig ermittelt werden, ob es sich bei dem hier genannten stadtweiten Fest um die Gründungs-Veranstaltung gehandelt haben könnte oder ob es eine Jubel-Feier anläßlich des 100. Geburtstages von Weiße war, wobei die Stiftung das Patronat inne hatte. Es ist zu vermuten, daß die Stiftung bereits vor dem Jahre 1826 in Annaberg bestanden haben wird, da die Verehrung für den Sohn unserer Stadt - in der er allerdings nur ein reichliches Jahr weilte - groß gewesen sein muß. Es wäre auch denkbar, daß sich aus einem aufklärerischen literarischen Salon heraus der Gedanke zur Bildung einer Waisenversorgungsanstalt entwickelt hat, die später zur Stiftung wurde. Hier könnten dann die Hinweise von Wildenhahn in "Das Obererzgebirge und seine Hauptstadt Annaberg" (1892) zutreffend sein, wenn er von der Gründung der Weiße- Stiftung im nämlichen Jahr spricht. Die Heimatforschung hat hier also noch ein interessantes und wichtiges Forschungsfeld vor sich.

Im Hinblick auf die soziale Situation und manch kultureller Defizite vieler Kinder und Jugendlicher im heutigen Annaberg und seiner Umgebung sowie in Anknüpfung an bewährte Traditionen sollte geprüft werden, ob eine Wiederbelebung der Weiße-Stiftung in der Heimatstadt des Kinderfreundes nicht angeraten wäre. Für die erzgebirgischen Kinderfreunde könnte Chr. F. Weißes Wahlspruch dabei vielleicht ein anregender Denk - und Leitspruch sein: " Wer das kann, was er will, ist ein glückseelger Mann. Doch weis ' und groß ist der, der das will, was er kann ! "

Gotthard B. Schicker

Weiße kann nicht Heinrich von Kleist während des Studiums kennengelernt haben, denn der war zu der Zeit noch nicht einmal geboren. Gemint ist wohl Ewald Christian von Kleist (1715-1759), der 1757 Direktor eines Feldlazaretts in Leipzig war. Werde das ändern.

--drtekolf 18:04, 15. Jul. 2007 (CEST)

Wenn sich Weisse selbst mit "s" und nachgestelltem Verdoppelungszeichen unterschreibt - warum wird er hier "Weiße" genannt (mit scharfem s)? --217.149.171.162 23:08, 31. Jan. 2023 (CET)[Beantworten]