Zwiesel (Botanik)

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Dreistämmige Eiche (Drilling)
V-Zwiesel bei einem Ahorn

Als Zwiesel (auch Zwille) wird die Aufgabelung eines dominanten Pflanzentriebs (z. B. eines Baumstamms) in zwei kodominante, also etwa gleich starke, Arme („Stämmlinge“) bezeichnet.

Zwiesel bilden sich entweder aus den zusammengewachsenen Stämmen nah beieinander stehender Bäume oder infolge der Ablösung eines dominanten Grundtriebs durch zwei oder mehr kodominante Triebe, welche meist durch eine Beschädigung der Terminalknospe bzw. des Spitzentriebs verursacht wird. Im Gegensatz zur Zwieselbildung erfolgt die Ast­bildung, indem aus einem bereits bestehenden dominanten Grundtrieb seitlich neue Triebe heraussprießen.

Verzwieselungen treten nicht nur im Stammbereich auf. Der Verzwieselung eines Asts wird aber von vielen (z. B. in der forstwirtschaftlichen Praxis) keine gesonderte Aufmerksamkeit geschenkt und diese wird schlicht als Astgabel bezeichnet.

Liegt der Zwiesel oberhalb der Brusthöhe, gilt ein Baumstamm üblicherweise als ein einzelner Stamm; liegt er darunter, gelten die Stämme als eigenständig.

Grundformen und Ursachen der Entstehung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kandelaberstamm (Fichte)

Echte und unechte Zwiesel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es gibt zwei Grundformen des Zwiesels, die sich hinsichtlich der Einheitlichkeit ihres Erbmaterials (Genom) unterscheiden:

„Echte Zwiesel“ oder „Verwachsungszwiesel“ bilden sich, wenn mindestens zwei verschiedene Sämlinge so nahe beieinander stehen, dass sie im unteren Stammteil zusammenwachsen und dort gemeinsame Jahresringe bilden. Am gefällten Baum sind solche Verwachsungszwiesel an ihrem Doppelkern kenntlich. Weiter oberhalb trennen sich die einzelnen Anteile wieder und wachsen jeder für sich weiter; die einzelnen Stämmlinge (das sind die kronenbildenden Triebe)[1] des echten Zwiesels haben somit unterschiedliches Erbmaterial. Meist besteht ein Zwiesel aus zwei Stämmlingen (Zwilling), daneben gibt es seltener auch Drillinge und gelegentlich sogar Garbenbäume, die aus vier oder mehr Stämmlingen bestehen.

„Unechte“ oder „falsche Zwiesel“, auch „Gabelungszwiesel“ genannt, gehen hingegen aus einem einzigen Stamm hervor und verfügen daher über ein einheitliches Erbmaterial.

Traumatische und physiologische (unechte) Zwiesel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die (gegenüber den echten Zwieseln sehr viel häufigeren) unechten Zwiesel teilt man nach ihrer Entstehungsursache in zwei Gruppen ein:

Bei den traumatischen (von griechisch τραύμα trauma „Wunde, Verletzung“) Zwieselbildungen ist eine Beschädigung der Terminalknospe (Endknospe) bzw. des Spitzentriebes ursächlich. Gründe hierfür können unter anderem Fraß durch Insekten (z. B. die Eschen-Zwieselmotte), Wildverbiss, Fegeschäden, Spätfrost oder Pilzbefall sein. Bei Baumarten, die gegenständige (d. h. abwechselnd um 180° um die Stielachse versetzte) Knospen austreiben, bilden sich daraufhin zwei gegenüberstehende, gleichwertige Ersatztriebe.

Andererseits gibt es auch sogenannte physiologische Zwiesel, bei denen keinerlei Verletzung im Spiel ist und die somit als eine Art Normvariante anzusehen sind. Für Buchen konnte z. B. gezeigt werden, dass eine Verzwieselung als Extremform eines besonders kurzen Internodiums zwischen Terminalknospe und dem nächsten Seitentrieb verstanden werden kann.[2][3][4] Solche besonders kurzen Internodien kommen gehäuft vor, wenn Knospen vorzeitig ausgetrieben werden (sog. Prolepsis). Auch die Belichtungsverhältnisse können eine bedeutsame Rolle bei der Zwieselbildung spielen, da sie sich auf den Rhythmus des Knospenwachstums auswirken.[5]

Ausprägung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kandelaber-Linde von Dorla (2015, inzwischen stark gestutzt)

Bei der Zwieselung unterscheidet man je nach der Verzweigungsform bzw. dem Winkel, in dem die beiden Stämmlinge zueinander stehen, U- und V-Zwiesel.

Bei den U-Zwieseln ist die Vergabelung eher rundlich (u-förmig) oder zumindest relativ stumpfwinklig. In diesen Fällen bildet der Baum auf der Oberseite (= der Innenseite) der Aufzweigungsstelle sogenanntes Zugholz aus, das sind Holzfasern, die den Zug der nicht mehr in der Hauptstammachse wachsenden Stämmlinge aufnehmen und so normalerweise für eine gute Stabilität sorgen.[6][7] Daher spricht man in diesen Fällen auch von Zugzwieseln. Sie entstehen eher in Bodennähe. Zumindest für Buchen lässt sich sagen, dass Zwiesel in den ersten Jahren bis Jahrzehnten nach ihrer Entstehung zumeist eine U-Form präsentieren.[8]

Als eine Extremform des U-Zwiesels kann der Kandelaberstamm[9] angesehen werden. Er weist mehrere Wipfel auf, die armleuchterförmig angeordnet sind. Solche Formen entstehen meist nach Verlust und Beschädigung des Wipfeltriebes, also als falsche Zwiesel: Die Seitenäste des obersten verbliebenen Astquirls richten sich auf und bilden jeweils eigene Stämmlinge. Solche Erscheinungen treten hauptsächlich bei Fichten und Zirben auf.

Wenn hingegen unechte Zwiesel in etwas größerer Höhe entstehen, etwa durch Windbruch oder Insekten, aber auch erbanlagenbedingt, verzweigen sich die daraus hervorgehenden Stämmlinge oftmals spitzwinklig, weswegen man in solchen Fällen anschaulich von V-Zwieseln spricht. Hierbei sind die beiden Stämmlinge auch oberhalb der ursprünglichen Aufzweigung noch durch eine Naht miteinander verbunden. Eine solche Vergabelung nennt man auch „Waldbraut“ (aufgrund der Formähnlichkeit der – umgekehrt oder auch liegend gedachten – Aufzweigungsstelle mit einem weiblichen Unterleib).[10] Eine weitere Bezeichnung ist „Druckzwiesel“, weil die (falsche) Vorstellung naheliegt, dass sich die beiden Stämmlinge, wenn sie dicker werden, gegenseitig wegdrücken. Dabei sollen entweder die Rinde oder der Holzzuwachs diesen Druck ausüben. Ein solcher Druck wurde jedoch nie nachgewiesen; theoretisch mögliche Spannungen liegen um Größenordnungen unterhalb der in Bruchversuchen gemessenen. Andere Herleitungen des Begriffs begründen ihn damit, dass sich die Stämmlinge durch Holzzuwachs an der Außenseite, oder aber durch ihr eigenes Gewicht zusammendrücken würden. Zwischen den beiden Stämmlingen von V-Zwieseln, seltener aber auch U-Zwieseln, kann Rinde eingeklemmt sein, sodass dort kein Holzzuwachs mehr möglich ist. Als Ursache der spitzwinkligen Vergabelung wird der verschärfte Konkurrenzdruck um das Licht durch seitliche Abschattung bei dichtem Baumbestand diskutiert, sodass beide Stämmlinge möglichst senkrecht nach oben in Richtung des Lichteinfalls wachsen.[8]

Kindelbildung bei einer Lärche; der linke Stämmling ist deutlich dominant

Bleibt bei der Zwieselbildung hingegen einer der Stämmlinge im Wuchs zurück, wird er als „Kindel“ bezeichnet.

Folgen von Zwieselwuchs[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auswirkungen auf die Stabilität[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hinsichtlich der Stabilität eines Baumes gilt die Bildung eines U-Zwiesels als eher unbedenklich, während bei V-Zwieseln bis heute vielfach ein größeres Sicherheitsrisiko gesehen wird, und zwar hauptsächlich aufgrund der von den Stämmlingen vermeintlich aufeinander ausgeübten Druckbelastungen. Als weitere Probleme werden die Bildung von Wassertaschen und Frostsprengungen in der Kerbe gesehen. Indes konnte keines dieser Phänomene wissenschaftlich abgesichert werden. Bäume reagieren auf Stabilitätsverluste mit Kompensationswachstum, und auch wenn im Bereich der eingewachsenen Rinde kein Holzzuwachs mehr möglich ist, so versuchen sie stattdessen, gemeinsame Jahresringe um die Verzweigungsstelle herumzubauen; dies zeigt sich dann in der Ausbildung sogenannter Ohren (auch Rippen genannt).[7] Entgegen einer weitverbreiteten Annahme belegen Experimente an Buchenzwieseln, dass es zumindest bei dieser Baumart keinen signifikanten Unterschied in der Bruchfestigkeit von U- und V-Zwieseln gibt[11][12][13]. Auch zeigen weitere aktuelle Untersuchungen, dass – wiederum entgegen landläufiger Meinung – die Größe der Ohren keinen Rückschluss auf die Festigkeit des Zwiesels zulässt.[14]

Eine „Waldbraut“ (umgestürzte Buche)
Eine im Bereich einer Verzwieselung auseinandergebrochene Esche. Beachte die Faulstelle im Berstungsbereich.

Aus Sicht der Verkehrssicherheit sind Zwiesel dann bedenklich, wenn sie Risse oder Fäulnisstellen aufweisen. Im Gefolge eines Anrisses oder gar Abrisses können leicht holzzersetzende Pilze eindringen und die Stabilität weiter vermindern, so dass die Restbäume dann vielfach binnen kurzem gänzlich zusammenbrechen.[15] Als Zeichen für eine drohende Bruchgefahr gelten Formänderungen der Ohren oder der Austritt von schwarzem Saft entlang der „Nahtstelle“, denn er lässt auf Bewegungen in der Vergabelung schließen.[7]

Wirtschaftliche Gesichtspunkte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Forstwirtschaftlich stellt die Zwieselbildung als Holzfehler eine erhebliche Wertminderung dar, und zwar um so mehr, je tiefer die Verzweigung am Stamm ansetzt, da die schnittholztaugliche kaliberstarke Stammlänge entsprechend verkürzt ist. Bei der Stammholzverwendung muss die Zwieselstelle aufgrund ihrer verminderten Festigkeit (bedingt durch Rindeneinwüchse und Faserverwirbelungen) herausgeschnitten werden, was zu Mengenverlusten führt. Während jedoch Zwieselansätze beim Schnittholz unerwünscht sind, können sie andererseits – nicht zuletzt bei exotischen Hölzern – aufgrund ihrer Zeichnung für Schmuck- und Dekorationszwecke Verwendung finden.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gerhard Stinglwagner, Ilse Haseder, Reinhold Erlbeck: Das Kosmos Wald- und Forst-Lexikon. 5. Auflage. Franckh-Kosmos, Stuttgart 2016, ISBN 978-3-440-15219-5, S. 1032.
  • J.-Ph. Schütz: Die Prinzipien der Waldnutzung und der Waldbehandlung. In: Professur Waldbau. 2003, S. 20–21 (ethz.ch – Skript zur Vorlesung Waldbau I).
  • Bernd Wittchen, Thomas Reiche, Elmar Josten: Holzfachkunde für Tischler, Schreiner und Holzmechaniker. 4., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage. B. G. Teubner Verlag (Springer Science+Business Media), Wiesbaden 2006, ISBN 978-3-519-35911-1, S. 48 (Google-Bücher).
  • Heinz Frommhold: Zwiesel. In: Holzkunde. Vorlesungsbegleitende Materialsammlung für das 3. Semester Forstwirtschaft. Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (FH), Fachbereich Wald und Umwelt. 7. Auflage. Eberswalde Mai 2013, S. 63 (yumpu.com).
  • Marko Wäldchen: Die Beurteilung von Zwieseln. In: AFZ-Der Wald. August 2007, S. 406–407 (marcwilde.de [PDF]).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Zwiesel – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Stämmling. In: Naturschutz und Landschaftsplanung. Zeitschrift für angewandte Ökologie. 22. Oktober 2003, abgerufen am 25. Januar 2022.
  2. Alfred Kurth: Untersuchungen über Aufbau und Qualität von Buchendickungen. Verlagsanstalt Buchdruckerei Konkordia Winterthur, Zürich 1946, doi:10.3929/ethz-a-000324223 (Dissertation).
  3. M. Bolvansky: Niektore priciny vidlicovosti kmena mladych bukovych jedincov v rastovej faze hustin. In: Acta dendrobiologica. 1980, ISSN 0231-5335, S. 197–245 (slowakisch).
  4. P. Barnola, A. Crochet, E. Payan, M. Gendraud, S. Lavarenne: Modifications du métabolisme énergétique et de la perméabilité dans le bourgeon apical et l'axe sous-jacent au cours de l'arrêt de croissance momentané de jeunes plants de chêne. In: Physiologie végétale. Band 24, 1986, S. 307–318 (französisch).
  5. P. Barnola, D. Alatou, C. Parmentier, C. Vallon: Approche du déterminisme du rythme de croissance endogène des jeunes chênes pédonculés par modulation de l’intensité lumineuse. In: Ann. Sci. For. Band 57, 1993, S. 257–272 (französisch, afs-journal.org [PDF]).
  6. Marc Überla, Jan Böhm: Symptome und Gefahren durch Zwiesel - Baumpflegeportal.de. 20. Januar 2017, abgerufen am 25. Januar 2022 (deutsch).
  7. a b c Bruchsicherheit von Bäumen (V-Vergabelung) - Baumpflege, Baumfällung und mehr - probaum München. Probaum-München, 7. September 2021, abgerufen am 25. Januar 2022.
  8. a b Karsten Funke, Manuel Schuster, Ulrich Weihs, Steffen Rust: Zur zeitlichen Entwicklung kodominanter Vergabelungen (Zwieseln) bei Buche (Fagus sylvatica L.). In: Dirk Dujesiefken (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege. Haymarket Media, 2011, S. 223–231.
  9. Gerhard Stinglwagner, Ilse Haseder, Reinhold Erlbeck: Das Kosmos Wald- und Forst-Lexikon. 4. Auflage. Franckh-Kosmos, Stuttgart 2009, ISBN 3-440-12160-7.
  10. Zwiesel (Botanik). In: Biologie-Seite. Abgerufen am 24. Januar 2022.
  11. Karsten Funke, Manuel Schuster: Untersuchungen zur mechanischen Bruchfestigkeit von kodominanten Vergabelungen (Zwieseln) an Buche. Göttingen 2009.
  12. M. Bentler, M. Oertel: Vergleich der Belastbarkeit von kodominanten Vergabelungen unterschiedlicher morphologischer Ausprägungen an der Rot-Buche. Göttingen 2019.
  13. F. Gerstner, C.-H. Natrup: Vergleich der Belastbarkeit von U- und V-Zwieseln der Rot-Buche. Göttingen 2021.
  14. Duncan Slater: The mechanical effects of bulges developed around bark-included branch junctions of hazel (Corylus avellana L.) and other trees. In: Trees. Band 35, Nr. 2, April 2021, ISSN 0931-1890, S. 513–526, doi:10.1007/s00468-020-02053-z (springer.com [abgerufen am 20. Juni 2021]).
  15. Zwiesel und Zwieselabriss. In: Naturschutz und Denkmalpflege in historischen Parkanlagen. TU Berlin, abgerufen am 25. Januar 2022.