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Elamische Strichschrift

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Inšušinak“ (deutsch „Herr von Susa“) war der Name einer der Haupt­gott­heiten in Elam

Die elamische Strichschrift (auch Linearschrift, englisch Linear Elamite, kurz: LE) ist ein Schriftsystem für die elamische Sprache. Dabei handelt es sich um die ausgestorbene Sprache der Elamer, eines altorientalischen Volkes im Südwesten des heutigen Iran.

Elamische Strichschrift (Iran)
Elamische Strichschrift (Iran)
Susa (19)
Kam Firuz (7)
Marvdascht (?) (1)
Shahdad (1)
Bekannte Fundstellen elamischer Strichschrift, Stand 2021[1]

Die elamische Strichschrift ist neben den ägyptischen Hieroglyphen und der mesopotamischen Keilschrift eines der ältesten bekannten Schriftsysteme der Menschheitsgeschichte.[2] Sie wurde in der Bronzezeit etwa zwischen 2300 v. Chr. und 1880 v. Chr. verwendet.[3]

Danach geriet sie für nahezu 3800 Jahre in Vergessenheit.

Schrift auf der „Löwentafel“ und eine vorgeschlagene Lesart (Carl Frank, 1912)
Liste von elamischen Schrift­zeichen (1912)

20. Jahrhundert

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Erst 1901 wurde die elamische Strichschrift wiederentdeckt, als französische Ausgräber auf dem Akropolishügel von Susa Inschriften fanden, die in einer unbekannten Schrift verfasst waren.

Im Jahr 1905 untersuchte der deutsche Altorientalist Ferdinand Bork (1871–1962) die „Löwentafel“ (Bild), eine akkadisch-elamische Bilingue, die Texte in Keilschrift und in LE aufweist. Da er in der Lage war, die Keilschrift zu lesen, schloss er daraus, was der elamische Text beschrieb. Insbesondere fielen ihm zwei Eigennamen auf: „Inšušinak“, der Gott von Susa, und „Puzur-šušinak“, ein elamischer Herrscher. Beide Namen enden auf „šušinak“. Nun suchte er im elamischen Text nach zwei identischen Zeichenfolgen, die für diese Lautfolge „šu-ši-na-k“ stehen konnten, und wurde fündig (siehe die letzten vier Zeichen im Bild oben). Diese Interpretation wurde allerdings nicht von allen Fachleuten anerkannt.

Es wurden 64 unterschiedliche Schriftzeichen gezählt (Bild), aber es gelang keine allgemein anerkannte Entzifferung. Die Strichschrift blieb insgesamt weiterhin unverständlich. Dies lag vor allem an der geringen Zahl der zur Verfügung stehenden Schriftstücke.[4]

Anfang der 1960er-Jahre wurde die Schrift vom Göttinger Iranisten und Elamisten Walther Hinz (1906–1992) als eigenständiges Schriftsystem erkannt und als elamische Strichschrift bezeichnet.[5][6]

21. Jahrhundert

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Noch im Jahr 2001 waren Texte in der elamischen Strichschrift spärlich und im Wesentlichen auf die Regierungszeit Puzur-šušinaks (Ende des 23. Jahrhunderts v. Chr.) beschränkt. Dabei handelte es sich um einige Steintafeln sowie um Skulpturen wie die des Puzur-Inšušinak, die im Louvre aufbewahrt wird. Gefunden wurden bis dahin etwa vierzig Stein- und Ziegelinschriften, eine auf einer angeblich in der Nähe von Persepolis (Marvdascht) gefundenen Silbervase.[7]

Der Name von Gott Napiriša in Strichschrift
Lautwerttafel (2022)

Erst die Zuordnung des Namens Napiriša (Bild) und anderer Eigennamen brachte neue Erkenntnisse und führte 2019 zur Entzifferung von mehr als dreißig weiteren Zeichen durch den französischen Archäologen François Desset (* 1982), der dann am 27. November 2020 den Durchbruch bei der Lösung bekannt geben konnte.[8][9][10][4] Im Jahr 2022 schließlich legte Desset mit seiner Veröffentlichung The Decipherment of Linear Elamite Writing eine umfassende Deutung der elamischen Strichschrift vor. Dabei stützte er sich auf acht beschriftete Silberbecher (siehe auch: Foto und Artikel unter Weblinks), die er neu als wichtige Textquellen für seine Forschungen nutzen konnte.[4] Inhaltlich handelt es sich bei den Strichinschriften meist um Weihinschriften.

E-b-r-t, F. Desset: zwei historische Könige des alten Elam: Ebarat/Ebarti I, Dynastie von Schimaschki und Ebarat (II), Dynastie der Ebartiden
Shi-il-ha-ha, F. Desset: Šilhaha, Herrscher von Elam

Die Schrift besitzt mindestens 103 Grapheme, von denen vierzig jeweils nur ein einziges Mal belegt sind. Es zeigte sich, dass die Strichschrift phonetisch ist, die einzelnen Symbole also Laute beziehungsweise Silben repräsentieren (Bild). Damit ähnelt sie vom Prinzip her den (deutlich jüngeren) japanischen Kana. Die elamische Strichschrift ist damit die früheste bekannte reine phonographische Schrift,[11] also eine allein auf Lautdarstellung, nie auf Wortzeichen beruhende Schrift. Damit ist sie mehr als sechs Jahrhunderte älter als die protosinaitische Schrift, die bis dahin als früheste galt und auf etwa 1700 v. Chr. datiert wird. Allerdings gilt die protosinaitische Schrift weiterhin als die älteste reine Alphabetschrift, bei der ein Zeichen immer nur einen Laut repräsentiert; die elamische Strichschrift ist im Gegensatz dazu eine gemischte Laut- und Silbenschrift, siehe Abugida.

  • Simon Plachtzik, Michael Mäder, Nicolai Rawyler: Das Syllabar der elamischen Strichschrift: Eine Zeichenanalyse. Sprachwissenschaftliches Institut der Universität Bern, 25. Januar 2017, 27 Seiten; Academia:33206579.
  • Jacob L. Dahl: Proto-Elamite and Linear Elamite, a Misunderstood Relationship? Faculty of Asian and Middle Eastern Studies, University of Oxford, Oxford 2023 (Volltext als PDF).

Fotos

Commons: Elamische Strichschrift – Sammlung von Bildern
  • Foto eines der acht Silberbecher.

Artikel

Videos

Einzelnachweise

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  1. François Desset, Kambiz Tabibzadeh, Matthieu Kervran, Gian Pietro Basello, Gianni Marchesi: The Decipherment of Linear Elamite Writing. In: Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie, Band 112, Nr. 1, 2022, S. 11–60 (englisch), hier S. 16–18.
  2. Arte zeigt Film über die Entschlüsselung der elamischen Strichschrift in deutscher Erstausstrahlung. In: Archaeologie42. 25. August 2025, abgerufen am 28. September 2025.
  3. François Desset, Kambiz Tabibzadeh, Matthieu Kervran, Gian Pietro Basello, Gianni Marchesi: The Decipherment of Linear Elamite Writing. In: Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie. Band 112, Nr. 1, 2022, S. 11–60 (englisch), hier S. 11.
  4. a b c François Desset, Kambiz Tabibzadeh, Matthieu Kervran, Gian Pietro Basello, Gianni Marchesi: The Decipherment of Linear Elamite Writing. In: Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie. Band 112, Nr. 1. De Gruyter, Berlin 1. Juli 2022, ResearchGate:361675439, S. 11–60, doi:10.1515/za-2022-0003 (englisch).
  5. Walther Hinz: Zur Entzifferung der elamischen Strichschrift. In: Iranica Antiqua. Band 2, Leiden, 1. Januar 1962, S. 1–21; ProQuest:1818624.
  6. Walther Hinz: Problems of linear Elamite. In: Journal of the Royal Asiatic Society. Band 107, Nr. 2, April 1975, S. 106–115; doi:10.1017/S0035869X00132782, JSTOR:25203649 (englisch).
  7. Erika Bleibtreu: Iran in prähistorischer und frühgeschichtlicher Zeit. In: Wilfried Seipel (Hrsg.): 7000 Jahre persische Kunst. Meisterwerke aus dem Iranischen Nationalmuseum in Teheran: Eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums Wien und des Iranischen Nationalmuseums in Teheran. Kunsthistorisches Museum, Wien 2001, S. 76–185, ISBN 3-85497-018-8; hier: S. 77. Dazu:
  8. Bernadette Arnaud: EXCLU. Un Français "craque" une écriture non déchiffrée de plus de 4000 ans, remettant en cause la seule invention de l'écriture en Mésopotamie. Auf: Sciences et avenier (sciencesetavenir.fr) vom 7. Dezember 2020 (französisch, abgerufen am 29. September 2025).
  9. L'archéologue François Desset est parvenu à déchiffrer l'élamite linéaire, une des plus anciennes écritures. In: Breizh-Info (www.breizh-info.com) vom 8. Februar 2021 (französisch, abgerufen am 13. März 2021).
  10. Iranian plateau gave birth to writing: French archeologist. In: Tehran Times (www.tehrantimes.com) vom 11. Dezember 2020 (englisch, abgerufen am 13. März 2021).
  11. George Lasry: Elamische Strichschrift aus der Bronzezeit entschlüsselt. In: Cipherbrain. 17. August 2022, abgerufen am 28. September 2025.