Eranos

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Eranos (griechisch ἔρανος) bezeichnete im antiken Griechenland eine Vereinigung, die Beiträge zu einem bestimmten Zweck leistet, zum Beispiel zum Loskauf aus Gefangenschaft oder Sklaverei, Bezahlung einer Geldstrafe oder für ein gemeinsames Festmahl. Eranos hieß auch das gesammelte Vermögen und der Zweck der Sammlung (zum Beispiel die Bezahlung).

Homer benutzte in der Odyssee ἔρανος zur Bezeichnung eines einfachen, gewöhnlichen Mahles mit regelmäßigen Teilnehmern, die dazu ihren Beitrag leisteten (Od. 1, 226).[1]

Der έρανος im heutigen Griechisch bedeutet eine konkrete Spendensammlung oder Fundraising-Aktion.[2]

Eranos-Verein[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der klassischen athenischen Demokratie stellte der Eranos-Verein ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. eine eigenständige juristische Person dar. Der Verein hatte die Funktion eines Kreditvereins und war satzungsgemäß für die Versorgung Bedürftiger eingerichtet. Wirtschaftshistoriker sehen daher darin einen Prototyp des Versicherungswesens. Der Eranos-Verein umfasste Bestimmungen des Personen-, Prozess- und Vermögensrechts. Zudem hatte er das aktive und passive Prozessrecht, das heißt, er konnte klagen und verklagt werden.[3]

Es war die niederländische Künstlerin und Theosophin Olga Fröbe-Kapteyn die schon etwa dreißig Jahren in Ascona lebte die Patin der Tagung wurde. Angeregt von Hermann Keyserlings Gründung der „Schule der Weisheit“[4] im Jahre 1920 in Darmstadt hatte Fröbe-Kapteyn in Ascona im Jahr 1930 den Grundstein für eine „Schule der spirituellen Forschung“ gelegt und entfaltete ab 1932 ihre Vortrags- und Veranstaltungsaktivitäten. Im Austausch mit Rudolf Otto eröffnete sie in der Schweizer Kleinstadt eine Vortragsreihe zu Fragen der Spiritualität. Rudolf Otto war es auch, der einen Namen für dieses Projekt schuf, an dem er, obzwar er es mit initiiert hatte, aber nicht direkt beteiligt war. Er nannte es „Eranos“, nach dem altgriechisches Wort für ein Mahl, zu dem jeder Gast ein Gericht mitzubringen hatte. Im Jahr 1933 fand die erste Tagung statt.[5]

Eranos-Tagungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eranos-Tagungen sind Tagungen mit wissenschaftlichen Beiträgen aus verschiedenen Fachgebieten zu einem vorher festgelegten Thema. Die Tagungen werden seit 1933 in Ascona (Schweiz) am Berg Monte Verità und an den Ufern des Lago Maggiore durchgeführt. Die Eranos-Tagungen wurden von Olga Fröbe-Kapteyn als Begegnungsstätte östlicher und westlicher Religion und Geistigkeit ins Leben gerufen.[6] In der Folgezeit wurden sie berühmt für die Vielseitigkeit ihrer Beiträge und ihre humanistischen Themen. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen leben und essen zehn Tage lang gemeinsam, was eine förderliche Atmosphäre zum produktiven Diskutieren der gegenseitig vorgetragenen Reden schafft.

Eranos-Jahrbücher[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Basierend auf den Tagungen erscheinen seit 1933 die Eranos-Jahrbücher mit Beiträgen in deutscher, englischer und italienischer Sprache, herausgegeben von Daniel Brody. Der Titel des ersten Bandes lautete Yoga und Meditation im Osten und im Westen. C. G. Jung war bis 1961 ein regelmäßiger Teilnehmer, der seine Theorien, wie auch viele andere Redner, maßgeblich bei den Eranos-Tagungen durch den Diskurs (zum Beispiel mit Karl Kerényi und Mircea Eliade) entwickelte oder weiterentwickelte. Jung lernte hier die Frau von Paul Mellon kennen, die ihren Mann zu Spenden für die Verbreitung von Jungs Ideen in den USA bewog. Zu diesem Kreis zählten auch Erich Neumann, Gershom Scholem, Adolf Portmann, Herbert Read, Robert Eisler und Joseph Campbell. Der letztere kümmerte sich ab 1954 um die Verbreitung von Beiträgen aus den Eranos Jahrbüchern in den USA. Bedeutende Redner (auch aus der jüngeren Zeit) waren Erich Neumann, Heinrich Zimmer, Gustav Richard Heyer, Karl Löwith, Henry Corbin, Eric Voegelin, Jean Gebser, Annemarie Schimmel, Jan Assmann, Erwin Schrödinger, David Carrasco, Moshe Idel, Ilya Prigogine, George Steiner, Walter Haug, Harald Szeemann, Shizuteru Ueda, Tilo Schabert, Reinhold Merkelbach.

Eranos Vindobonensis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Eranos Vindobonensis veranstaltet ebenfalls im Sinne des Eranos-Gedankens bereits seit 1876 Vorträge und Referate am Institut für Klassische Philologie der Universität Wien, die den Wissens- und Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der klassischen Altertumswissenschaften fördern.[7] Derzeitige Präsidentin (2015) des Eranos Vindobonensis ist Danuta Shanzer.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Armin Morich (Hrsg.): Außenseiter – Sinnsucher – Visionäre. Eranos 2017 und 2018. Schwabe Verlag, Basel 2019.
  • Armin Morich (Hrsg.): Kosmischer Tanz. Eranos 2015 und 2016. Schwabe Verlag, Basel 2017.
  • Hans Thomas Hakl: Eranos. Nabel der Welt. Glied der goldenen Kette. Die alternative Geistesgeschichte. 2., wesentlich erweiterte Auflage. scientia nova Verlag Neue Wissenschaft, Gaggenau 2015, ISBN 978-3-935164-06-1.
  • Riccardo Bernardini: Jung a Eranos. Il progetto della psicologia complessa. FrancoAngeli, Mailand 2011, ISBN 978-88-568-3449-9.
  • Elisabetta Barone, Matthias Riedl, Alexandra Tischel (Hrsg.): Pioniere, Poeten, Professoren. Eranos und der Monte Verità in der Zivilisationsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Königshausen & Neumann, Würzburg 2004, ISBN 3-8260-2252-1.
  • Gian Piero Quaglino, Augusto Romano, Riccardo Bernardini (Hrsg.): Carl Gustav Jung a Eranos 1933-1952. Antigone Edizioni, Turin 2007, ISBN 978-88-95283-13-5.
  • Steven M. Wasserstrom: Religion after religion. Gershom Scholem, Mircea Eliade, and Henry Corbin at Eranos. Princeton University Press, Princeton 1999, ISBN 0-691-00539-7.
  • Tilo Schabert: Une herméneutique intercivilisatrice: L’École d’Eranos. In: Nicolas Weill (Hrsg.): Existe-il une Europe philosophique? Presses Universitaires de Rennes, Rennes 2005, S. 297–302.
  • Tilo Schabert: The Eranos Experience. In: Pioniere, Poeten, Professoren. S. 9–19 (online).
  • Tilo Schabert: In the Fading of Divine Voices: The Song of Eranos. In: Tilo Schabert, Matthias Riedl (Hrsg.): Gott oder Götter? – God or Gods? Königshausen & Neumann, Würzburg 2009, S. 181–188 (online).
  • Tilo Schabert: On the recent history of the Eranos-Tagungen. From Olga Froebe-Kapteyn to the Amici di Eranos. In: Matthias Riedl, Tilo Schabert (Hrsg.): Die Stadt: Achse und Zentrum der Welt / The City: Axis and Centre of the World. Königshausen & Neumann, Würzburg 2011, S. 133–142 (online).
  • Tilo Schabert: Things Turned Into Sounds: The Eranosean Hermeneutics. In: Tilo Schabert (Hrsg.): The Eranos Movement. A Story of Hermeneutics. Königshausen & Neumann, Würzburg 2016, S. 9–56.
  • Eranos. Neue Folge, hrsg. von T. Schabert, G. Zarone, Bd. 1–8, Fink Verlag, München, 1993 ff., Bd. 9 – Königshausen & Neumann, Würzburg, 2002 ff. – Bd. 13: Tilo Schabert, Matthias Riedl (Hrsg.): Die Menschen im Krieg, im Frieden mit der Natur – Humans at War, at Peace with Nature. Königshausen & Neumann, Würzburg 2006, ISBN 3-8260-3392-2. – Bd. 14: Matthias Riedl, Tilo Schabert (Hrsg.): Religionen – die religiöse Erfahrung – Religions – the religious experience. Königshausen & Neumann, Würzburg 2008. – Bd. 15: Tilo Schabert, Matthias Riedl (Hrsg.): Gott oder Götter – God or Gods? Königshausen & Neumann, Würzburg 2009. – Bd. 16: Matthias Riedl, Tilo Schabert (Hrsg.): Die Stadt: Achse und Zentrum der Welt / The City: Axis and Centre of the World. Königshausen & Neumann, Würzburg 2011; Bd. 17: Tilo Schabert (Hrsg.): The Eranos Movement. A Story of Hermeneutics. Königshausen & Neumann, Würzburg 2016, ISBN 978-3-8260-5855-4.
  • Urs Hafner: Geld und Geist und Zwietracht. Die legendären Eranos-Tagungen stehen vor einer ungewissen Zukunft. In: Neue Zürcher Zeitung. 6. August 2007.
  • Kaj Noschis: Monte Verità. Ascona et le génie du lieu. Presses polytechniques et universitaires romandes, Lausanne 2011, ISBN 978-28-8074-909-5.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Und die ehrbare Schaffnerin kam und tischte das Brot auf / Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat. (Homer: Odyssee. 1. Gesang (Online bei zeno.org))
  2. siehe Dictionary@1@2Vorlage:Toter Link/www.in.gr (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2023. Suche in Webarchiven)
  3. Albert Schug: Der Versicherungsgedanke und seine historischen Grundlagen. Göttingen 2011, ISBN 978-3-89971-647-4, S. 105 f.
  4. Die Schule der Weisheit. Institut für Praxis der Philosophie, auf ipph-darmstadt.de [1]
  5. Florin Turcanu: Mircea Eliade und C.G. Jung. Gastbeitrag aus Sezession 11 / Oktober 2005, auf sezession.de [2]
  6. Zur Entstehung und Geschichte der Eranos-Tagungen siehe die Webpräsenz der Eranos-Stiftung. (Memento vom 26. Juli 2011 im Internet Archive)
  7. Statuten des Eranos Vindobonensis (Memento des Originals vom 26. Juli 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/kphil.ned.univie.ac.at