Erpresserbrief-Layout

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Das Alphabet im Erpresserbrief-Layout

Das Erpresserbrief-Layout, auch Erpresserbrief-Typografie, Erpresserbrief-Technik, Erpresserbrief-Stil, Erpresserbrief-Schrift oder Erpresserbrief-Effekt genannt (im Englischen ransom note style, ransom note technique, ransom note typography, ransom note lettering, ransom note effect), ist eine typografische Technik, bei der ein Text aus einzelnen, aus Zeitungen oder Zeitschriften ausgeschnittenen Wörtern, Buchstaben und Ziffern zusammengesetzt bzw. eine solche Vorgehensweise simuliert wird. So ergibt sich ein uneinheitliches Schriftbild aus unterschiedlichen Schriftarten, -größen und -farben sowie einer Mischung von Groß- und Kleinbuchstaben. Sie kann verwendet werden, um den Ursprung eines Textes zu verschleiern, um den Text schwerer lesbar zu machen, aus ästhetischen Gründen oder um mit typografischen Konventionen zu brechen. Ihre Benennung ist von der fiktionalen Darstellung von Erpresserbriefen in Film und Fernsehen geprägt, ohne aber bei realen Erpressungen eine zentrale Rolle zu spielen.

Simulation eines Erpresserbriefs

Einer verbreiteten Vorstellung nach wird die Erpresserbrief-Technik bei Lösegeldforderungen verwendet, um die Handschrift oder die Eigenheiten einer Schreibmaschine zu verschleiern. Diese Technik wird in Film und Fernsehen häufig gezeigt. In realen Erpresserbriefen kommt sie aber selten vor:[1][2] Eine Untersuchung von Erpresserbriefen aus dem Bestand des Bundeskriminalamts fand unter 109 zufällig ausgewählten Briefen aus den Jahren 2007 bis 2010 nur drei, die aus Wörtern oder Buchstaben zusammengeklebt waren.[3] So spiegelt die Assoziation mit Erpresserbriefen eher ein Bild wider, das sich durch fiktive Darstellungen von Erpresserbriefen verfestigt hat, als durch tatsächliche Erpresserbriefe.[4]

Gelegentlich wird die Technik bei eher scherzhaften Aktionen verwendet, wie 2013 beim Diebstahl des goldenen Leibnizkekses. Hier erhielt der Gebäckhersteller Bahlsen ein vorgeblich vom Krümelmonster stammendes Bekennerschreiben, das in der Erpresserbrief-Technik angefertigt war.[5]

Die Schriftart San Francisco

Typografie-Ratgeber raten davon ab, zu viele verschiedene Schriftarten und -größen in einem Text zu verwenden. Ein versehentlich entstandener Erpresserbrief-Effekt wirke für die meisten Anlässe unprofessionell und erschwere das Verständnis.[6][7][8][9] Ähnliches gilt auch für das Design von Fonts. Dabei sollte auf die Mischung verschiedener typografischer Charakteristika und Maßstäbe verzichtet werden, es sei denn, ein Erpresserbrief-Stil ist das gewünschte Ergebnis.[10] Ein Beispiel für ein Font-Design mit beabsichtigtem Erpresserbrief-Effekt ist die 1984 von Susan Kare für Apple entwickelte Schriftart San Francisco, die ursprünglich in Anspielung auf Erpresserbriefe den Namen Ransom (englisch für Lösegeld) trug.[11][12][13]

Ankündigung einer Dadamatinée in Den Haag, Theo van Doesburg, 1923

Ungeachtet dessen wird die Kombination ungleicher Buchstaben in Design und Kunst bewusst eingesetzt, um ästhetische Konventionen in Frage zu stellen. Im frühen 20. Jahrhundert wurde das Zerteilen von Texten in ihre kleinsten Bestandteile und das Neuzusammensetzen der Buchstaben zu einem Kennzeichen dadaistischer Collagen.[14][15]

Schriftzug der Sex Pistols

In den 1970er Jahren erlangte das Erpresserbrief-Layout Beliebtheit in der Punk-Szene. Das von dem britischen Künstler Jamie Reid für die Sex Pistols entworfene Cover ihres 1977 erschienenen Albums Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols zeigt einen Schriftzug aus ungleichen Buchstaben, die kombiniert mit kontrastreichen Farben und unsymmetrischen Formen ein bewusster Bruch mit einer als harmonisch geltenden Textgestaltung waren.[16][17] Für die zugehörige Single God Save the Queen verwendete Reid das gleiche Schriftdesign mit einer zusätzlichen Umrahmung jedes Buchstabens, die so noch mehr an aus der Zeitung ausgeschnittene Einzelbuchstaben erinnern. Das Brechen von Konventionen des Schriftsatzes bringt hier eine unangepasste Haltung zum Ausdruck. Die Assoziation mit einem Drohbrief ist dabei durchaus erwünscht.[18][19][20] Das an ein selbstgemachtes Schnippellayout erinnernde Coverdesign unterstreicht die Aufrichtigkeit der Band und ihre Unabhängigkeit von der kommerziellen Musikwelt.[21] Die von Reid entworfene Erpresserbrief-Schrift hatte einen stilbildenden Effekt. Sie entwickelte sich zum Design-Standard der Punk-Szene und findet sich auf zahllosen Covern, Postern, Flugblättern und Zines wieder.[19][20][21][22][23][24] Sie wirkte auch über das Genre hinaus, etwa als The Libertines 2004 eine daran angelehnte Schrift für ihren Bandnamen auf einem Albumcover und in der Folge als Logo nutzten.[25] Mit der Zeit fand das Erpresserbrief-Layout Eingang in den Mainstream und findet beispielsweise in der Werbung Verwendung.[26]

Die Literaturnobelpreisgewinnerin Herta Müller gestaltete 2005 nach diesem Design das Collagenbuch Die blassen Herren mit den Mokkatassen, in dem sie aus Bildern, Wörtern und Wortteilen kurze, nicht mehr als zwanzigzeilige Gedichte zusammenklebte. Ihre Texte lassen manchmal auch Worte oder Wortteile von der Rückseite der aufgeklebten Schnipsel her durchscheinen.[27][28]

Internetsicherheit

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Captcha mit variierenden Schriftarten, -größen und -farben

Eine Erpresserbrief-Schrift kann genutzt werden, um eine Entschlüsselung durch elektronische Texterkennung zu erschweren. Einige Captchas variieren Schriftarten und -größen sowie die Ausrichtung der Buchstaben und Ziffern, damit der einzugebende Text für maschinelle Texterkennungssysteme nicht schnell entschlüsselbar ist, während er für Menschen lesbar bleibt.[29][30]

Commons: Erpresserbrief-Layout – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Sabine Schall: Forensische Linguistik. In: Karlfried Knapp (Hrsg.): Angewandte Linguistik. Ein Lehrbuch. Francke/UTB, Tübingen 2004, ISBN 978-3-8252-8275-2, S. 566.
  2. Helle Körner: Anthroponym – Pseudonym – Kryptonym. Zur Namensgebung in Erpresserschreiben. In: Peter Grzybek, Reinhard Köhler (Hrsg.): Exact Methods in the Study of Language and Text. Dedicated to Gabriel Altmann on the Occasion of his 75th Birthday (= Quantitative Linguistics. Band 62). De Gruyter Mouton, Berlin/Boston 2007, ISBN 978-3-11-019354-1, S. 333.
  3. Lars Bülow: Textsortenkonstituierende Parameter von Erpresserschreiben. Zur performativen Wirkung des Textsortenwissens. In: Lars Bülow, Jochen Bung, Rüdiger Harnisch, Rainer Wernsmann (Hrsg.): Performativität in Sprache und Recht (= Sprache und Wissen. Band 23). De Gruyter Mouton, Berlin/Boston 2016, ISBN 978-3-11-046485-6, S. 191–225.
  4. Andrew Whelan: Power Electronics and Conventionally Transgressive Assembly Work. In: Scott A. Wilson (Hrsg.): Music at the Extremes. Essays on Sounds Outside the Mainstream. McFarland & Co., Jefferson, North Carolina 2015, ISBN 978-0-7864-9450-7, S. 72–73.
  5. „Erpresserbrief“ des Krümelmonsters bewegt die Welt. In: Hannoversche Allgemeine. 30. Januar 2013, abgerufen am 22. April 2017.
  6. Robert W. Harris: The Elements of Visual Style: The Basics of Print Design for Every PC and Mac User. Houghton Mifflin, Boston 2007, ISBN 978-0-618-77245-2, S. 14–15.
  7. Robert L. Eves, Larry E. Davis: Death by PowerPoint? In: Journal of College Science Teaching. Band 37, Nr. 5, 2008, S. 9.
  8. Ben Henick: HTML & CSS: The Good Parts. Better Ways to Build Websites That Work. O’Reilly Media, Sebastopol, CA 2010, ISBN 978-1-4493-8875-1, S. 228.
  9. Daniel Riordan: Technical Report Writing Today. 10. Auflage. Wadsworth, Boston 2013, ISBN 978-1-285-66335-7, S. 499.
  10. Neenie Billawala: Pandora. An Experience with Metafont. In: Robert A. Morris, Jacques Andre (Hrsg.): Raster Imaging and Digital Typography II. Proceedings of the Conference on Raster Imaging and Digital Typography, Boston 1991. Cambridge University Press, Cambridge 1991, ISBN 978-0-521-41764-8, S. 39.
  11. San Francisco (1984), fontsinuse.com, abgerufen am 21. März 2022.
  12. Alice Truong: Here’s what Apple’s completely different San Francisco fonts looked like in 1984 and 2014. In: Quartz. 21. Mai 2015, abgerufen am 21. März 2022 (englisch).
  13. Owen W. Linzmayer: Apple Confidential 2.0. The Definitive History of the World’s Most Colorful Company. No Starch Press, San Francisco 2004, ISBN 978-1-59327-010-0, S. 94.
  14. Antje Kramer-Mallordy: Zwischen Revolution und Prophezeiung: Künstlermanifeste. In: Heiko Hausendorf, Marcus Müller (Hrsg.): Handbuch Sprache in der Kunstkommunikation (= Handbücher Sprachwissen. Band 16). De Gruyter, Berlin/Boston 2016, ISBN 978-3-11-029583-2, S. 121–122.
  15. Katja Stuckatz: Ernst Jandl und die internationale Avantgarde. Über einen Beitrag zur modernen Weltdichtung. De Gruyter, Berlin/Boston 2016, ISBN 978-3-11-047218-9, S. 308.
  16. Rick Poynor: No More Rules. Graphic Design and Postmodernism. Laurence King, London 2013, ISBN 978-0-300-10034-1, S. 40.
  17. Ole Petras: Wie Popmusik bedeutet. Eine synchrone Beschreibung popmusikalischer Zeichenverwendung. transcript Verlag, Bielefeld 2014, ISBN 978-3-8394-1658-7, S. 138–139.
  18. Philipp Meinert, Martin Seeliger: Punk in Deutschland. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven. Eine Einleitung. In: Philipp Meinert, Martin Seeliger (Hrsg.): Punk in Deutschland. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven. transcript, Bielefeld 2014, ISBN 978-3-8394-2162-8, S. 22.
  19. a b Tim Böder, Nicolle Pfaff: Zum Zusammenspiel von dokumentarischer Text-und Bildinterpretation am Beispiel der Analyse von Schriftbildern. In: Olaf Dörner, Peter Loos, Burkhard Schäffer, Anne-Christin Schondelmayer (Hrsg.): Dokumentarische Methode. Triangulation und blinde Flecken. Verlag Barbara Budrich, Opladen/Berlin/Toronto 2019, ISBN 978-3-8474-1046-1, S. 147–148.
  20. a b Jannis Androutsopoulos: Typography as a resource of media style. Cases from music youth culture. In: Mastoridis, Klimis (Hrsg.): Proceedings of the 1st International Conference on Typography and Visual Communication. University of Macedonia Press, Thessaloniki 2004, S. 381–384.
  21. a b Pat Jones, Ben Nunery: Show Posters. The Art and Practice of Making Gig Posters. Cincinnati 2016, ISBN 978-1-4403-4054-3, S. 26.
  22. Jürgen Spitzmüller: Typographisches Wissen. Die Oberfläche als semiotische Ressource. In: Angelika Linke, Helmuth Feilke (Hrsg.): Oberfläche und Performanz. Untersuchungen zur Sprache als dynamischer Gestalt. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2009, ISBN 978-3-484-31283-8, S. 480.
  23. Jürgen Spitzmüller, Ingo Warnke: Diskurslinguistik. Eine Einführung in Theorien und Methoden der transtextuellen Sprachanalyse. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2011, ISBN 978-3-11-021244-0, S. 167–168.
  24. Jürgen Spitzmüller: Graphische Variation als soziale Praxis. Eine soziolinguistische Theorie skripturaler ›Sichtbarkeit‹. de Gruyter, Berlin/Boston 2013, ISBN 978-3-11-033424-1, S. 382–386.
  25. “[...] It becomes a style, that's why all these years later The Libertines put out an album with the ransom note style on it because they're now using the visual code of rebellion that was set up by punk, but actually it's become almost a cliche”, so Sarah Hyndman (Never Mind The Typography, anlässlich der Ausstellung The Graphics of Punk im Museum of Brands, London, 2016/2017), hier zitiert nach Kemi Alemoru und Louis Bradley: How to start a revolution with Comic Sans, in: Dazed, 15. November 2016.
  26. Archiv der Jugendkulturen e. V. (Hrsg.): Keine Zukunft war gestern. Punk in Deutschland. Archiv der Jugendkulturen Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-943612-56-1, S. 182.
  27. Herta Müller: Die blassen Herren mit den Mokkatassen. Carl Hanser Verlag, München 2005, ISBN 978-3-446-20677-9.
  28. Wolfgang Moser: Herta Müller: "Die blassen Herren mit den Mokkatassen" - Rezension. In: www.sandammeer.at - Literaturzeitschrift im Internet. August 2005, abgerufen am 9. Mai 2022.
  29. Henry S. Baird: Complex Image Recognition and Web Security. In: Mitra Basu, Tin Kam Ho (Hrsg.): Data Complexity in Pattern Recognition. Springer, London 2006, ISBN 978-1-84628-171-6, S. 289.
  30. Captcha, netlingo.com, abgerufen am 20. März 2022.