Festung Europa

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Festung Europa (englisch fortress Europe, französisch forteresse Europe) ist eine historische Bezeichnung, die in unterschiedlichen politischen Zusammenhängen gebraucht wird.

Militärischer Terminus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Literatur des frühen 19. Jahrhunderts erscheint die Bezeichnung in Bezug auf die napoleonischen Kriege. So schreibt der Schriftsteller Johann Stephan Schütze im August 1808 von der „belagerten Festung Europa“.[1]

Während des Zweiten Weltkriegs war Festung Europa der von Propagandisten des Auswärtigen Amtes[2] und insbesondere von Joseph Goebbels etablierte und unter den Nationalsozialisten genutzte Begriff für den vom Deutschen Reich und Italien besetzten Teil Europas (Achse Berlin–Rom). Bereits Ende 1942 ging an Pressestellen die Anweisung heraus, den Ausdruck Festung Europa nicht mehr zu verwenden, weil dieser mit einer negativen Konnotation einherginge. Festungen seien immer auf Belagerung und Verteidigung eingestellt – Europa befände sich hingegen im Angriff.[2] 1943 war der Ausdruck unter den Nationalsozialisten derart verpönt, dass bald darauf weitere Anordnungen folgten. „Festung Europa“, „europäische Festung“ und vergleichbare Formulierungen seien aus Artikeln gänzlich herauszustreichen und durch „Atlantikwall“ zu ersetzen.[2]

Wirtschaftspolitik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Wirtschaft steht der Begriff „Festung Europa“ für die protektionistische Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union.[3] So gibt es in der EU Steuern und Maßnahmen, die sich gezielt gegen amerikanische und chinesische Unternehmen richten.[3] Die Europäische Gemeinschaft wurde seit etwa 1989[4] und später im Zuge des Vertrags von Maastricht zur Gründung der Europäischen Union als ökonomische „Festung Europa“ betrachtet, die das globale Wirtschaftswachstum schwächen und einer Liberalisierung des Welthandels entgegenstehen würde.[5][6][7]

Asyl- und Abschottungspolitik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit der ersten Hälfte der 1990er Jahre[8] findet die Bezeichnung Festung Europa in kritischer Absicht Verwendung, um die Abschottungspolitik der EU insbesondere beim Asyl- und Einwanderungsrecht zu beschreiben.[9][10][11] In diesem Sinne nutzen ihn unter anderem Journalisten,[12] Politikwissenschaftler sowie politische Aktivisten aus dem No Border Netzwerk, von Amnesty International[13] und der Initiative Pro Asyl,[14] aber auch die Bundeszentrale für Politische Bildung.[15] Die Metapher „Festung Europa“ wird teils als unzureichend befunden, da die Grenzen durchlässig seien und das Grenzregime vor allem durch Entrechtung und Illegalisierung funktioniere.[16]

In jüngerer Zeit wird der Begriff vermehrt von Vertretern rechtspopulistischer, rechtsradikaler und rechtsextremer Parteien und Gruppierungen verwendet – in explizit affirmativer Weise als Forderung nach dem Ausbau europäischer Grenzsicherungsmaßnahmen.[17][18][19] Im Zuge der Flüchtlingskrise in Europa 2015 wurde der Begriff unter anderem von Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner verwendet, um ein zukünftiges, strikteres Sicherungssystem an den Außengrenzen der Europäischen Union zu beschreiben.[20] Festung Europa ist auch der Name einer islamfeindlichen Bewegung aus dem Umfeld von Pegida.[21] Sie wurde am 23. Januar 2016 in Prag gegründet. Ihre Sprecherin ist Tatjana Festerling, ihr Manifest die Prager Erklärung. Die Initiative unterstützt rechtsextreme Milizen an der bulgarischen Außengrenze.[22] Im Juni 2018 stellte der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder in einem Gastbeitrag für die die Zeitung Die Welt fest: „Früher war der Begriff ‚Festung Europa‘ nur negativ besetzt. Das ändert sich. Die Bürger wollen heute ein sicheres Europa, das ihre kulturelle Identität schützt. Europa muss endlich wieder in der Lage sein, sich besser vor den Veränderungen und Wirren der Welt zu schützen.“[23]

Verwendung in der Musik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Musik wird verschiedentlich auf das Thema Festung Europa Bezug genommen.

im Neo-Nazi-Umfeld

Ian Stuart Donaldson, Sänger der RAC-Band Skrewdriver, bezog sich mit dem auf seinem 1989er Solo-Debüt No Turning Back veröffentlichten Stück Fortress Europe direkt auf die militärische Verteidigung Europas zum Erhalt der „weißen Rasse“. Die rechtsextreme Musikgruppe Kraftschlag veröffentlichte 1997 die EP Festung Europa und befürwortet in dem darauf befindlichen Titelstück indirekt das Schießen an der Grenze zu Europa.[24][25]

im linken Umfeld

Im Jahr 2003 brachte die britische Musikgruppe Asian Dub Foundation eine Single mit dem Titel „Fortress Europe“ heraus, deren Liedtext fordert: „Tear down the walls of fortress Europe.“[26] Die Berliner Skatepunk-Band ZSK nimmt in ihrem 2006 veröffentlichten Stück Festung Europa auf sarkastische Weise Bezug auf die Abschottungspolitik.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Matthew Carr: Fortress Europe: Dispatches from a Gated Continent. New Press, New York 2016, ISBN 978-1-62097-222-9.
  • Corinna Milborn: Gestürmte Festung Europa, 2006.
  • Roland Siegloff: Reise zu den letzten Grenzen. 100 Tage freie Fahrt durch die Festung Europa, 2011

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Stephan Schütze: Kurzer Bericht über unsern Lebenswandel, In Zeitung für die elegante Welt, Ausgabe 140, 20. August 1808, Georg-Voß-Verlag Leipzig, S. 2.
  2. a b c Stichwort Festung Europa, in: Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. Aufl., Berlin : Walter de Gruyter, 2007, S. 232f
  3. a b „Rückzug in die Festung Europa ist die falsche Strategie“. In: Welt. 19. August 2020, abgerufen am 4. Oktober 2021.
  4. Protokoll zum 37. Bundesparteitag der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands, 11.–13. September 1989, Bremen, S. 149, PDF
  5. Hugo Dicke: Vollendung des Binnenmarktes, In: Erik Boettcher, Philipp Herder-Dorneich, Karl-Ernst Schenk, Dieter Schmidtchen: Internationalisierung der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1990, ISBN 978-3-642-84179-8, S. 129
  6. Ramesh Jaura: Die Europäische Gemeinschaft und die „Dritte Welt“, In: Prof. Dr. Wolfgang Böhm: Europa 1993 – Supermarkt oder Sozialraum?, Duncker & Humblot, Berlin 1992, ISBN 3-428-07318-5, S. 145–148
  7. Paul Kevenhörster, Werner Pascha, Karen A. Shire: Japan – Wirtschaft. Gesellschaft. Politik, Leske & Budrich, Opladen 2003, ISBN 978-3-8100-3413-7, S. 170
  8. Herbert Schnoor: Fluchtburg oder Festung Europa?, Dialog-Reihe des Presse- und Informationsamtes der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, 1991
  9. Basso-Sekretariat Berlin (Hrsg.): Festung Europa auf der Anklagebank: Dokumentation des Basso-Tribunals zum Asylrecht in Europa. Westfälisches Dampfboot, Münster 1995.
  10. Nicholas Busch: Baustelle Festung Europa: Beobachtungen, Analysen, Reflexionen. Drava, Klagenfurt 2006.
  11. Corinna Milborn: Gestürmte Festung Europa. Einwanderung zwischen Stacheldraht und Ghetto. Das Schwarzbuch. Styria, Graz 2006.
  12. Festung Europa, Bundeszentrale für politische Bildung
  13. "Festung Europa" | Amnesty International. Abgerufen am 6. Juli 2018.
  14. Festung Europa. (proasyl.de [abgerufen am 23. Juni 2018]).
  15. Bundeszentrale für politische Bildung: Festung Europa | bpb. Abgerufen am 7. August 2018.
  16. Doreen Müller: Flucht und Asyl in europäischen Migrationsregimen. Metamorphosen einer umkämpften Kategorie am Beispiel der EU, Deutschlands und Polens. Universitätsverlag Göttingen, 2010.
  17. Bezahldienst PayPal friert Konto der Identitären ein. In: Der Tagesspiegel Online. 14. Juni 2017, ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 6. Juli 2018]).
  18. Volksstimme Magdeburg: AfD will Festung Europa. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 7. Juli 2018; abgerufen am 6. Juli 2018.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.volksstimme.de
  19. n-tv Nachrichten: Weniger Teilnehmer kommen als erwartet. In: n-tv.de. (n-tv.de [abgerufen am 6. Juli 2018]).
  20. APA, red:"Tausende Flüchtlinge kamen in der Nacht aus Kroatien nach Slowenien" derstandard.at vom 23. Oktober 2015
  21. Christian Jakob: Neues rechtsextremes Bündnis in Dresden: Zittern vor Wut. In: Die Tageszeitung: taz. 4. Oktober 2016, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 6. Juli 2018]).
  22. Christian Jakob: Rechtsextreme Milizen in Bulgarien: Auf Flüchtlingsjagd. In: die tageszeitung. 8. April 2016 (taz.de [abgerufen am 28. August 2016]).
  23. 9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.06.2018 - Perlentaucher. Abgerufen am 23. Juni 2018.
  24. Kirsten Dyck: Reichsrock: The International Web of White-Power and Neo-Nazi Hate Music, Rutgers University Press 2016, ISBN 0-81357-470-6
  25. Nadja Ritter: Rechtsextremes Liedgut, Bundeszentrale für politische Bildung, 10. März 2009.
  26. Asian Dub Foundation - Fortress Europe Songtext. Abgerufen am 6. Juli 2018.