Friedensgericht (Großherzogtum Hessen)

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Friedensgerichte waren in der Gerichtsverfassung des Großherzogtums Hessen die Gerichte der ersten Instanz in der Provinz Rheinhessen.

Historischer Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bis 1816 war Rheinhessen zunächst französisch besetzt gewesen, dann annektiert und Teil des französischen Staates. In dieser Zeit war hier auch das französische Rechtssystem, einschließlich der entsprechenden Gerichtsverfassung eingeführt worden. Dazu gehörten als unterste Stufe der Rechtsprechung seit 1790 Friedensgerichte (justice de paix). Das Großherzogtum Hessen übernahm 1818 nach dem Wiener Kongress und einem Gebietstausch das überwiegend linksrheinische Gebiet, das es in der Folge als Provinz Rheinhessen konstituierte. Es bestand aus 12 Kantonen, die zugleich den Bezirk für je ein Friedensgericht bildeten. Das Großherzogtum übernahm das französische Recht und die bestehende Gerichtsverfassung. Sowohl der Staat als auch ein erheblicher Teil der Einwohner hatten ein Interesse daran, das moderne französische Recht beizubehalten, in dem z. B. die Trennung der Rechtsprechung von der Verwaltung vollzogen und rechtliche Privilegien des Adels abgeschafft waren.[1]

Organisation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Friedensgerichte waren zunächst dem Kreisgericht Mainz zugeordnet, das 1836 in die beiden Kreisgerichte Mainz und Alzey aufgespalten wurde.[2] Im Übrigen blieben die Bezirke der Friedensgerichte – besonders im Vergleich zu den zahlreichen Gerichts- und Verwaltungsreformen der übrigen Ebenen der Rechtsprechung und in den anderen Landesteilen des Großherzogtums – erstaunlich stabil.[3] 1852 wurden die Kreisgerichte in „Bezirksgerichte“ umbenannt, ohne dass sich sonst etwas änderte.[4]

Übersicht[5]
Friedensgericht Zuordnung zum
Kreisgericht
ab 1836
Anmerkung
Friedensgericht Alzey Alzey
Friedensgericht Bingen Mainz
Friedensgericht Mainz I Mainz
Friedensgericht Mainz II Mainz
Friedensgericht Nieder-Olm Mainz
Friedensgericht Ober-Ingelheim Mainz
Friedensgericht Oppenheim Alzey
Friedensgericht Osthofen Alzey Bis 1822: „Friedensgericht Bechtheim“
Friedensgericht Pfeddersheim Alzey
Friedensgericht Wöllstein Alzey
Friedensgericht Wörrstadt Mainz
Friedensgericht Worms Alzey

Zuständigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zuständig waren die Friedensgerichte in zivilrechtlichen Streitigkeiten geringeren Umfangs. Die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit oblagen dagegen Notariaten. Die Friedensgerichte waren im Bereich des Strafrechts für Gegenstände zuständig, die heute dem Bereich der Ordnungswidrigkeiten oder der Kleinkriminalität zugeordnet wären. Weiter konnten sie bei den in ihrem Bezirk verübten Verbrechen von den Ermittlungsrichtern der Obergerichte mit der Untersuchung eines Falles beauftragt werden.[6]

Ende[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit dem Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 wurden Organisation und Bezeichnungen der Gerichte reichsweit vereinheitlicht. Zum 1. Oktober 1879 hob das Großherzogtum Hessen deshalb die Friedensgerichte auf. Funktional ersetzt wurden sie durch neu eingerichtete Amtsgerichte.[7]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Franz / Hofmann / Schaab, S. 162.
  2. Verordnung die Eintheilung der Provinz Rheinhessen in zwei Gerichtsbezirke erster Instanz betreffend vom 4. Oktober 1836. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 46 vom 10. Oktober 1836, S. 461–464.
  3. Reus, [ohne Seitenzählung], Abschnitt Friedensgericht Alzey ff.
  4. Bekanntmachung die Umwandlung der Benennung ‚Gr[oßherzogliche] Kreisgerichte‘ in die Benennung ‚Gr[oßherzogliche] Bezirksgerichte‘ betreffend vom 24. Oktober 1852. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 53 vom 11. Oktober 1852, S. 459.
  5. Reus, [ohne Seitenzählung], Abschnitt Friedensgericht Alzey ff.
  6. Franz / Hofmann / Schaab, S. 162.
  7. §§ 1, 2 Verordnung zur Ausführung des Deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes und des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze vom 14. Mai 1879. In: Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 15 vom 30. Mai 1879, S. 197f.