Germania magna


Als die Germania magna (lat. für „Großes Germanien“) wurde in der Antike der dem Römischen Reich bekannte, aber nur zeitweise und teilweise besetzte Teil des Siedlungsgebiets der Germanen bezeichnet. Als Grenzen des Gebiets nennt Ptolemäus in seiner Geographike Hyphegesis im Westen den Rhein (Rhenus), im Süden die Donau (Danubius), im Norden das Meer (Germanicus Oceanus) und im Osten die Weichsel (Vistula) und die Karpaten (Sarmatici montes). Es wird auch teilweise der Begriff Germania libera („freies Germanien“) gebraucht, doch findet sich dieser Terminus nicht in antiken Quellen.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Absicht des römischen Kaisers Augustus, Germania magna als Provinz in das römische Imperium einzugliedern (Augusteische Germanenkriege), scheiterte infolge der römischen Niederlage in der Varusschlacht und dem erfolgreichen Widerstand der Arminius-Koalition gegen Rückeroberungsversuche in den Folgejahren (Germanicus-Feldzüge). 16 n. Chr. beorderte Tiberius (14–37 n. Chr.), der Nachfolger des Augustus, die römischen Truppen aus der Germania magna hinter die Rheinlinie. Rom unternahm aber auch in den folgenden Jahrzehnten Expeditionen und Feldzüge nach Germania magna.
Eroberungsversuche, Varusschlacht und die Folgen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Zahlreiche Versuche des Römischen Reiches unter Augustus, die Germania magna über die Lippe (Lupia), die Lahn (Laugona) und die Werra zu erobern und als Römische Provinz dem Reich einzuverleiben, wurden in vielen Verteidigungsschlachten vereitelt. Für systematische Expansionsversuche Roms sprechen die durch Münzen des Varus datierten römischen Städtegründungen Waldgirmes und Haltern, die Römerlager Lahnau-Dorlar, Olfen, Oberaden, Anreppen, Rödgen und Hedemünden sowie die Funde von Bentumersiel. Das römische Scheitern ermöglichte den in der Germania magna lebenden Germanenstämmen eine bis zur Völkerwanderung vergleichsweise unbeeinflusste Kulturentwicklung, wenngleich in der Folgezeit auch zahlreiche Impulse aus dem römischen Raum in das germanische Grenzgebiet ausgingen. Nach gegenwärtigem Stand der Diskussion ist von einem überwiegend friedlichen römisch-germanischen Marktleben im Grenzgebiet östlich des Rheines und nördlich der Donau auszugehen.
Der bedeutendste der germanischen Verteidigungskämpfe war die Varusschlacht 9 n. Chr., in welcher der Cheruskerfürst Arminius mit seinem Heer drei römische Legionen unter dem Feldherrn Publius Quinctilius Varus besiegte und die Römer 20.000 Mann verloren. Die vernichtende Niederlage in der Varusschlacht fand ihren Niederschlag in der zukünftigen römischen Militär- und Siedlungspolitik in diesem geografischen Raum und in der römischen Geschichtsschreibung. Römische Siedlungspolitik in Germanien fand danach nur noch diesseits oder in direkter Nähe (Taunus, Wetterau, Decumates agri) der Reichsgrenze an Rhein und Donau statt. Ein weiterer Eroberungsfeldzug Roms folgte im Jahre 166 mit dem Markomannenkrieg über die Donau nach Bayern und Böhmen, der im Jahre 180 mit einem Waffenstillstand beendet wurde. Im dritten Jahrhundert verloren die Römer die Provinzen Dekumatland an die Alamannen und Dakien an die Goten. Am Anfang des 4. Jahrhunderts wurden im römischen Heer durch eine Militärreform Konstantins des Großen immer mehr Barbaren, meist Germanen, eingesetzt, was am Ende des 4. Jahrhunderts in die Entwicklung der Foederati mündete. Der Ursprung dieser Entwicklung findet sich bei den Soldatenkaisern des 3. Jahrhunderts, untern denen römische Truppen meist für einen höheren Sold ständig Usurpatoren aufstellten und damit im Reich eine Hyperinflation auslösten.
Schlacht bei Kalefeld[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Im Jahr 2008 wurde im Kalefelder Ortsteil Wiershausen am Harz ein im Jahr 2000 entdeckter Fundort als antikes Schlachtfeld mit zahlreichen römischen Waffen und Ausrüstungsteilen aus dem 3. Jahrhundert identifiziert. Die im Dezember 2008 der Öffentlichkeit vorgestellten Funde weisen nach Medienberichten im Gegensatz zur bisherigen Auffassung auf weitaus intensivere und weiträumigere römische Militäraktivitäten östlich des Rheins auch nach dem Ende der römischen Operationen im Raum der Germania Magna, also nach 16 n. Chr. (Rückzug des Germanicus), hin. Zwar war aufgrund schriftlicher Quellen seit langer Zeit bekannt, dass auch in der Folgezeit römische Militäroperationen in diesem Raum stattfanden; sollten sich die vorläufigen Fundbewertungen jedoch bestätigen, so wäre dies ein Beleg für diese Aussagen, zumal dann die Römer noch im 3. Jahrhundert wesentlich weiträumiger operiert hätten als bisher angenommen.[1]
Militärlager[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
In Germania Magna sind einige römische Lager bekannt, die von den Truppen über einen Zeitraum von bis zu mehreren Jahren genutzt wurden, beispielsweise:
Militärlager in NRW |
Militärlager |
Name | Ort | Beginn | Ende | Entdeckung | Kategorie | Bemerkungen |
---|---|---|---|---|---|---|
Holsterhausen | Dorsten | – | – | 1952 | Marschlager | Lippe; mindestens zehn Lager, teilweise übereinander |
Haltern | Haltern am See | 7 v. Chr. oder später | 9 n. Chr. | 1816 | Kohortenlager | Lippe; insgesamt sechs Komplexe |
Olfen | Olfen | 11 v. Chr. | 7 v. Chr. | 2011 | Versorgungslager | Lippe |
Beckinghausen | Lünen | – | – | 1906 | Uferkastell | Lippe |
Oberaden | Bergkamen | – | – | 1905 | Mehrlegionenlager | Lippe |
Anreppen | Delbrück | – | – | 1968 | – | Lippe |
Kneblinghausen | Rüthen | – | – | 1901 | – | nahe der Möhne |
Hedemünden | Hann. Münden | 11 bis 9 v. Chr. | 8 oder 7 v. Chr. oder später | 1998 | – | Werra; mindestens vier Komplexe |
Aliso | unbekannt | – | 9. n. Chr. | – | – | Standort nicht bekannt; um 15/16 n. Chr. gab es Aliso noch einmal an gleicher oder anderer Stelle |
Dorlar | Lahnau | bis 10 n. Chr. | Mitte 1. Jh. n. Chr. | 1985 | Marschlager | Hessen |
Marktbreit | Marktbreit | 5/6 n. Chr. | vor 9 n. Chr. | 1985 | Doppellegionslager | Main; zwei Lager übereinander |
Hachelbich | Hachelbich | zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert | 2009 | Marschlager | Kyffhäuserkreis, Thüringen, erstes in Mitteldeutschland nachgewiesenes Römerlager | |
Wilkenburg | Wilkenburg | 1 und 5 n. Chr. | 2015 | Marschlager | Region Hannover, Niedersachsen, erstes in Niedersachsen nachgewiesenes Marschlager | |
Römerlager Bielefeld-Sennestadt | Sennestadt | 2019 | Marschlager | |||
Römerlager Porta Westfalica | Porta Westfalica | 12 v. Chr. und 16 n. Chr. | 2008 | Marschlager |
Geographie der Germania magna[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Geographie der Germania magna ist in der Geographike Hyphegesis des Ptolemäus um 150 n. Chr. durch die geographischen Koordinaten der Hauptorte umfassend beschrieben. Durch eine geodätische Deformationsanalyse, die das Institut für Geodäsie an der Technischen Universität Berlin im Rahmen eines Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter der Leitung von Dieter Lelgemann in den Jahren 2007 bis 2010 durchführte, konnten viele historische Ortsbezeichnungen örtlich bestimmt und heutigen Ortslagen zugeordnet werden.[2]
Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Limes (Grenzwall)
- Geschichte der Römer in Germanien
- Liste der römischen Provinzen bis Diokletian
- LWL-Römermuseum Haltern am See
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Andreas Kleineberg, Christian Marx, Eberhard Knobloch, Dieter Lelgemann (Hrsg.): Germania und die Insel Thule. Die Entschlüsselung von Ptolemaios’ „Atlas der Oikumene“. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010, ISBN 978-3-534-23757-9 (Buch. 131 Seiten mit teils farbigen Karten).
- Walter Pohl: Die Germanen. In: Enzyklopädie deutscher Geschichte. Band 57. Oldenbourg, München 2000, ISBN 3-486-55705-X (Knapper Überblick mit Forschungsteil und Bibliographie).
- Herwig Wolfram: Das Römerreich und seine Germanen: Eine Erzählung von Herkunft und Ankunft. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2018.
Siehe hierzu auch: Angaben im Artikel Germanen sowie die entsprechenden Artikel im Reallexikon der Germanischen Altertumskunde.
Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Edition der Geographike Hyphegesis des Ptolemäus mit Übersetzung und Karte der Germania magna
- Hedemünden
- Museum und Park Kalkriese
- Quellen- und Literaturliste zur Germania magna
- Lokalisierung der Städte in Germania magna nach Ptolemäus’ Atlas der Ökumene
Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- ↑ Aktueller Überblick bei Günther Moosbauer: Die vergessene Römerschlacht. Der sensationelle Fund am Harzhorn. München 2018.
- ↑ Siehe dazu „Germania und die Insel Thule“ unter Literatur
Koordinaten: 51° N, 11° O