Glocken- und Kunstgießerei Rincker

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Die Glocken- und Kunstgießerei Rincker im hessischen Sinn ist eine der ältesten bestehenden Glockengießereien.[1] Sie befindet sich seit dem 17. Jahrhundert in Familienbesitz und zählt zu den bedeutenden Glockengießereien Europas.[2]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rincker-Glocke von 1971 mit Gießerzeichen auf dem Wolm

Die Anfänge der Gießerei sind schwer auszumachen. Auch die 1960 von dem Unternehmen selbst in Auftrag gegebene Firmengeschichte kommt zu keinem klaren Ergebnis, da ein solches am Fehlen jeglicher Unterlagen scheitert.[3]

Ende des 16. Jahrhunderts entstand die Berufsbezeichnung des Rotgießers, genannt Ringe, woraus sich der Name Rincker ableitet.[4] Zwar ist für das Jahr 1596 eine Steuerzahlung für einen Hans Rincker bezeugt, nicht aber eine Tätigkeit als Glockengießer oder eine Glocke. Die für das Jahr 1590 vermutete einzige Glocke in Netphen gehört nach neueren Erkenntnissen eindeutig in das Werk des Frankfurter Meisters Laux Rucker, für den mehr als 10 Glocken nachgewiesen werden können. Auch stimmen die Namen der vier Söhne des Hans Rincker nicht mit denen der späteren Gießer überein.[5] Somit lässt sich erst eine 1683 für Ober-Hörgern durch Johann Jakob Rincker in Aßlar gefertigte Glocke als erste mit diesem Familiennamen aufführen. Diese goss er zusammen mit Antonius Fei, der auch mit dem ebenfalls in Aßlar ansässigen Gießer Dilman Schmid zusammenarbeitete.[6] Johann Jakob Rincker hat bis zu seinem Tode 1744 zahlreiche Glocken gegossen.[7] Sein Sohn Wilhelm Anton Rincker wurde 1692 in Aßlar geboren und galt als bedeutender Meister der Familie, da er früh als Wandergießer tätig war und dabei einen großen Wirkungsradius hatte. Sein Sohn Friedrich Moritz ließ sich 1755 in Osnabrück nieder; dieses Werk bestand jedoch nur bis etwa 1800, da es keine Nachfolger gab. Die Gießerei in Aßlar blieb erhalten. Von dort aus gründeten Heinrich und sein Bruder Philipp in Leun eine Gießerei. Justus und Jacob führten den Osnabrücker Betrieb fort. Zwei der drei 1799 gegossenen Glocken läuten in der evangelischen Kirche zu Welver-Borgeln.

Gottfried Rincker gründete von Leun aus im Rheinland eine weitere Werkstatt. In dieser Zeit gab es noch keine ortsfesten Gießereien, lediglich Sammel-Gussstätten, zu denen die in Affeln und in Westhofen gehörten. Letztere war später von größerer Bedeutung, als Gottfried und Sohn Wilhelm Aufträge für Soest, Hagen (Westfalen), Volmarstein, Attendorn, Castrop, Iserlohn und Dortmund erhielten. Die Gießerei musste wegen fehlender Berufserben aufgelöst werden. Im Jahre 1817 verlagerte sich die Leuner Gießerwerkstatt nach Sinn; dort errichtete Philipp Rincker die gegenwärtig bestehende Gießerei. Sein ältester Sohn, Heinrich Wilhelm Rincker, gründete eine Gießerei in Chicago.

Für den technischen und handwerklichen Aufstieg der Gießerei um 1900 sorgten Heinrichs sechster Sohn Friedrich Wilhelm und dessen Sohn August Rincker. Durch die Freundschaft zu Georg Appun, der seinerzeit verstellbare Stimmgabeln zur Teiltonanalyse von Glocken erfand, erlangte die Gießerei Rincker Weltruhm. Der Erfolg blieb ihnen nur kurz gewährt; der Erste Weltkrieg und die steigende Inflation brachten die Arbeit zum Erliegen. Augusts ältester Sohn Fritz Rincker zog in dieser Zeit nach Ungarn, wo er etwa 2200 Glocken goss. Zusammen mit seinem Bruder Curt führte er das Werk unter dem Namen Gebrüder Rincker in Sinn fort. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sie die Gießerei unter härtesten Bedingungen wieder aufbauen und ihre Bedeutung in zuvor nicht erreichter Dimension erweitern (im Jahr 1958 waren es rund 10.000 Glocken); das sechsstimmige Geläut von 1960 für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin stellte den Höhepunkt der Gießerei Rincker dar. Fritz’ Sohn Hans-Gerd übernahm die Glockengießerei und fügte dieser eine Kunstgießerei hinzu. Seine Söhne Hanns Martin und Fritz Georg leiten das Unternehmen in der inzwischen 13. Generation.[4]

Kunstgüsse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Bronze-Modell der Wetzlarer Altstadt im Maßstab 1:500 steht seit 2021 in unmittelbarer Nähe zum Haupteingang des Doms. Diese Stadtansicht zeigt auch den ehemaligen Verlauf der Stadtmauer. Es kann von Blinden und Sehbehinderten leicht ertastet werden.[8]

Im Jahr 2021 wurde eine von Rincker gegossene lebensgroße Elvis-Presley-Statue in Bad Nauheim aufgestellt.[9]

Glocken und Geläute[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit Beginn der Aufzeichnung im 19. Jahrhundert hat die Gießerei bis Anfang 2014 über 20.000 Glocken gegossen.[10] Aufgeführt werden hier alle Glocken und Geläute, die mit ihrer tontiefsten Glocke in der Kleinen Oktave (h0 und tiefer) liegen, Geläute mit einem besonders großen Umfang (mindestens fünf Glocken) und Glocken mit Denkmalwert (alle vor dem Ersten Weltkrieg gegossenen Glocken).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Rincker – Glocken- und Kunstgießerei – 400 Jahre Familienbesitz.
  • Hellmut Schliephake: Glockenkunde des Kreises Wetzlar. In: Heimatkundliche Arbeitsgemeinschaft Lahntal e. V. 12. Jahrbuch. 1989, ISSN 0722-1126, S. 5–150, hier: S. 104–123.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Glocken- und Kunstgießerei Rincker – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Norbert Demuth: Ein uraltes Handwerk. Ein Besuch in der inzwischen weltweit ältesten Glockengießerei. In: Kirche+Leben, 11. September 2022, S. 24.
  2. Dieter Schmidt: Das Nürnberger Glockenbuch. In: Verein für bayerische Kirchengeschichte (Hrsg.): Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns. Bd. 81, Degener & Co., Neustadt a. d. Aisch 2003, S. 315, ISBN 3-7686-9301-5.
  3. Gustav Ernst Köhler: Die Glockengiesser Rincker. 1. Auflage. Universitätsdruckerei Giessen, 1960, ohne ISBN, S. 12.
  4. a b Festschrift: Rincker – Glocken- und Kunstgießerei – 400 Jahre Familienbesitz. S. 1–2.
  5. Jahrbuch für Glockenkunde Bd. 23/24, 2011/2012, ISSN 0938-6998, S. 130–133.
  6. Robert Schäfer: Hessische Glockeninschriften (PDF; 37,7 MB), in: Archiv für Hessische Geschichte und Alterthumskunde 15 (1884), S. 475–544.
  7. Hellmut Schliephake: Glockenkunde des Kreises Wetzlar. In: Heimatkundliche Arbeitsgemeinschaft Lahntal e. V., 12, 1989, ISSN 0722-1126, S. 5–150, hier S. 104–123.
  8. https://www.wetzlar.de/tourismus/entdecken-und-erleben/sehenswertes-in-wetzlar/altstadt-und-dom/bronzemodell-altstadt.php
  9. Elvis-Bronzestatue eingeweiht auf der Seite der Stadt Bad Nauheim, abgerufen am 28. Mai 2022
  10. Die beiden neuen Glocken für Oberursel vom Jahresbeginn 2014 tragen die Werksnummern 20.030 und 20.031.
  11. a b c d e f g h i j Konrad Bund (Hrsg.): Frankfurter Glockenbuch. Waldemar-Kramer-Verlag, Frankfurt am Main 1986, S. 450–462, ISBN 3-7829-0211-0.
  12. Kurt Kramer: Die Glocke und ihr Geläute. 3. Aufl., DKV, München 1990, S. 51, ISBN 3-422-06066-9.
  13. Claus Peter: Die Deutschen Glockenlandschaften. Westfalen. Deutscher Kunstverlag, München 1989, S. 72, ISBN 3-422-06048-0.
  14. Zwei neue Glocken für die Galluskirche in Flörsheim (Memento vom 17. Oktober 2017 im Internet Archive) In: Wiesbadener Kurier. 13. Januar 2016.
  15. Großheide-Arle, St. Bonifatius: Videoaufnahme der großen Glocke auf YouTube.
  16. Turmaufnahme des Sondergeläutes der evangelischen Clarenbachkirche in Köln-Braunsfeld auf YouTube.
  17. 400 Jahre evangelische Kirche Lißberg, 2018
  18. Moormerland-Neermor, Evangelisch-reformierte Kirche: Videoaufnahme des Vollgeläuts auf YouTube.
  19. Ober-Hörgern, ev. Kirche: Videoaufnahme des Vollgeläuts auf YouTube.
  20. Osnabrück, St. Marien: Videoaufnahme des Vollgeläuts auf YouTube.
  21. Claus Peter: Die Deutschen Glockenlandschaften. Westfalen. Deutscher Kunstverlag, München 1989, S. 63, ISBN 3-422-06048-0.
  22. Hubert Foersch: Limburger Glockenbuch – Glocken und Geläute im Bistum Limburg. Verlag des Bischöflichen Ordinariates, Limburg 1997, S. 1077.
  23. Hermann Voesgen, Helma Winkler (Hrsg.): Dokument zum Projekt Kirchenkampf – Szenen aus dem Kampf der Kirchengemeinde Wiefels für ihren Pastor. DATO-Druck, Oldenburg 1992, S. 20.
  24. Wangerland-Wiefels, Evangelisch-lutherische Kirche: Videoaufnahme des Vollgeläuts, abgerufen am 23. November 2015 auf YouTube.