Hanauisch-Indien

Hanauisch-Indien war der Name eines 1669 vertraglich vereinbarten, aber nie realisierten Kolonialprojekts der Grafschaft Hanau im heutigen Französisch-Guayana, Suriname und nördlichen Brasilien.
Vorgeschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Idee stammte wohl von Johann Daniel Crafft,[1] der Guyana zwischen 1656 und 1660 mehrmals besucht hatte. Er hatte das Projekt in Kurmainz vorgestellt, war dort aber auf nur geringes Interesse gestoßen, hatte dabei aber Johann Joachim Becher kennengelernt.[2] Die Idee, eine Kolonie in Übersee zu gründen, stand wiederum nicht allein. Andere, ähnliche Projekte, wenn auch in kleinerem Maßstab, wurden zum Teil sogar umgesetzt.[3] Auch Johann Joachim Becher hatte bereits 1664 für den bayerischen Hof über ein ähnliches Projekt mit der der Niederländischen Westindien-Kompanie (WIC) verhandelt, das aber nicht zustande gekommen war.[4] Er wiederum vermittelte das Projekt nach Hanau. Ziel für Graf Friedrich Casimir von Hanau war es, mit einer Kolonie zu einer positiven Handelsbilanz zu gelangen, um die Finanznöte seiner Grafschaft auszugleichen (Merkantilismus).
Der Vertrag
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach vorangegangenen Kontakten begab sich am 22. Juni 1669 eine kleine Delegation im Auftrag von Graf Friedrich Casimir und unter Leitung von Johann Joachim Becher von Frankfurt am Main nach Amsterdam, um Verhandlungen mit der WIC über das Kolonialprojekt aufzunehmen. Am 1. Juli 1669 trafen sie dort ein. Nach Verhandlungen am 8. und 15. Juli 1669 kam es am 29. Juli 1669 zum Vertragsabschluss, der bereits am 3. Juli 1669 von den Generalstaaten genehmigt wurde. Am 22. August 1669 kehrte Johann Joachim Becher nach Hanau zurück.[5] Die Übergabe der Vertragsurkunde erfolgte im Oktober 1669 an Johann Georg Seifert (ab 1673: von Edelsheim), der dazu nach Amsterdam reiste.[6]
Inhalt des Vertrages war, dass Graf Friedrich Casimir ein Gebiet von 3.000 holländischen Quadratmeilen (fast 100.000 km²) von der WIC zu Lehen nahm.[7] Das Gebiet der geplanten Kolonie war bei weitem größer als die Grafschaft Hanau selbst (ca. 44 holländische Quadratmeilen / knapp 1.500 km²).[8] Es sollte beim Eintreffen der ersten Kolonisten übergeben werden.[9] Geplant war, dort das Königreich Hanauisch-Indien zu gründen und die Indianer genannten Einwohner zu „freundlichen und zivilisierten“ Menschen zu machen. Der Vertrag sah weitgehende Rechte für die Niederländische Westindien-Kompanie vor, z. B. ein Transportmonopol für den Verkehr zwischen Europa und der Kolonie.
Schicksal des Projekts
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Von Anfang an mangelte es an Möglichkeiten, ein solches Vorhaben zu finanzieren, und an Kolonisten, um die Kolonie aufzusiedeln. Faktisch wurde nach dem Vertragsschluss mit der WIC nichts mehr unternommen. Das Projekt wurde nach der teilweisen Entmachtung des Grafen Friedrich Casimir 1670 nicht weiter verfolgt. Es scheiterte auch durch den Französisch-Niederländischen Krieg. 1672 versuchte Graf Friedrich Casimir seine Kolonie an König Karl II. von England zu verkaufen, fand bei ihm aber kein Interesse. Unterhändler war dabei Johann Wilhelm von Schröder.[10]
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Johann Joachim Becher: Gründlicher Bericht von der Beschaffenheit und Eigenschafft, Cultivirung und Bewohnung, Privilegien und Beneficien dess in America zwischen dem Rio Orinoque und Rio de las Amazones an der vesten Küst in der Landschafft Guiana gelegenen […] Landes, welche die edle priviligirte West-Indische Compagnie der Vereinigten Niederlanden […] an den […] Herrn Friedrich Casimir, Grafen zu Hanaw […] den 18. Juli 1669 cedirt und überlassen hat. J Kuchenbecker, Frankfurt 1669.
- G. Ulrich Großmann (Hrsg.): Von teutscher Not zu höfischer Pracht. 1648–1701. DuMont, Köln 1998, ISBN 3-7701-4457-0, Kat-Nr. 102 (Ausstellungskatalog, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, 2. April – 16. August 1998).
- Ferdinand Hahnzog: Hanauisch-Indien einst und jetzt. Verlag W. Dausien, Hanau 1959.
- Ferdinand Hahnzog: Die Kalkulation von „Neu-Teutschland“ oder „Hanauisch-Indien“. In: Hanauer Geschichtsblätter. Band 17, 1960, S. 93–114.
- August Ludwig von Schlözer: NeuDeutschland oder HanauischIndien und D. Becher. Ein actenmäßiger Bericht von dem ehemaligen Reiche des Grafen von Hanau in Süd-Amerika, 1669. In: August Ludwig von Schlözer: Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts. Theil 2 = Heft 7–12. Vandenhoeck, Göttingen 1777, S. 237–260.
- Andreas Weigl: Hanauisch-Indien im Kontext der frühmerkantilistischen Kolonialpolitik kleiner Fürstenstaaten. In: Holger Th. Gräf, Markus Laufs (Hrsg.): Geplante Vielfalt? Kulturelle Verflechtungen in der Neustadt Hanau im 17. und 18. Jahrhundert = Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 96 = Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte 33. Marburg 2025, ISBN 978-3-942225-61-8, S. 245–260.
- Andreas Weigl: Johann Joachim Bechers Kolonialprojekt und Johann Philipp Thelott. In: Holger Th. Gräf, Andreas Tacke (Hrsg.): Von Augsburg nach Frankfurt. Der Kupferstecher Johann Philipp Thelott (1639–1671) = Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 93. Marburg 2022, ISBN 978-3-942225-55-7, S. 117–126.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Zu seiner Person vgl.: Johann Daniel Crafft auf Sächsische Biografie; abgerufen am 21. Mai 2025.
- ↑ Weigl: Hanauisch-Indien. S. 245 f, 254.
- ↑ Weigl: Hanauisch-Indien. S. 248ff.
- ↑ Weigl: Hanauisch-Indien. S. 252f.
- ↑ Weigl: Hanauisch-Indien. S. 245.
- ↑ Weigl: Hanauisch-Indien. S. 246.
- ↑ Weigl: Hanauisch-Indien. S. 245 f.
- ↑ Gisela Graichen, Horst Gründer: Deutsche Kolonien – Traum und Trauma. 2. Auflage. Berlin 2005, S. 23; sowie: Hahnzog: Hanauisch-Indien. S. 21.
- ↑ Weigl: Hanauisch-Indien. S. 245 f.
- ↑ Weigl: Hanauisch-Indien. S. 246.
Koordinaten: 4° 45′ 36″ N, 53° 24′ 0″ W