Hassān ibn Thābit

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Hassān ibn Thābit (arabisch حسان بن ثابت, DMG Ḥassān ibn Ṯābit; gest. zwischen 659 und 673) war ein panegyrischer Dichter des Propheten Mohammed. Er gehörte dem Stamm Chazradsch in Medina an und war zu der Zeit, als Mohammed in Medina ankam, bereits in reifem Alter. Als Panegyriker des Propheten ist Hassān bis heute einer der populärsten altarabischen Dichter, doch liegen von ihm auch Schmäh- und Selbstlobgedichte vor.[1]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jugend und Aktivitäten in vorislamischer Zeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hassāns Großvater al-Mundhir ibn Harām gehörte den Banū Naddschār, einem Clan der Chazradsch, an und wirkte in vorislamischer Zeit als ḥakam („Schiedsrichter“) zwischen seinem Stamm und den Aus. Sein Sohn Thābit ibn al-Mundhir, Hassāns Vater, galt als ein Sayyid der Chazradsch.[2] Hassāns Mutter Furaiʿa soll noch den Islam angenommen haben, woraus Brockelmann schließt, dass Hassān um 590 geboren wurde.[3]

In seiner Jugend zog Hassān als Wanderpoet umher und war in al-Hīra und Damaskus,[2] wo er Lobgedichte auf lachmidische und ghassanidische Fürsten schrieb, sie an ihren Höfen besuchte und Geschenke von ihnen erhielt.[4] Bei einem Dichterwettbewerb am Hof der Ghassaniden soll er sich gegen an-Nābigha und andere Dichtergrößen seiner Zeit durchgesetzt haben.[2] Mit seinem dichterischen Können scheint er zu Reichtum gekommen zu sein, denn er besaß in der Oase von Medina ein gut befestigtes Haus (uṭum), in dem Mohammed während seiner Feldzüge seine Frauen unterzubringen pflegte.[3] In Medina pflegte Hassān die Gesellschaft des Aus-Dichters Qais ibn al-Chatīm und des Häuptlings der Banū n-Nadīr Sallām ibn Mischkam.[4]

Während Mohammeds Anwesenheit in Medina[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wann Hassān den Islam annahm, ist unklar, allerdings wird angegeben, dass sein Bruder Aus einer der ersten medinischen Konvertiten war und bei der Verbrüderung zwischen Muhādschirūn und Ansār dem Einwanderer ʿUthmān ibn ʿAffān zugewiesen wurde.[4] Aus der Tatsache, dass Hassān selbst mit keinem Mann von den Quraisch verbrüdert wurde, obwohl er ein stattliches Haus besaß, schließt W. Arafat, dass er zu dieser Zeit wahrscheinlich noch nicht den Islam angenommen hatte.[5]

Im Zusammenhang mit einem Wasserkonflikt zwischen Ansār und Muhādschirūn auf dem Feldzug gegen die Mustaliq im Jahre 627[6] beklagte Hassān in einem Gedicht, dass letztere immer zahlreicher und mächtiger würden, und machte sie als „Vagabunden“ (ǧalābīb) verächtlich.[7] Nach anderen Berichten beteiligte er sich um die gleiche Zeit an der Verleumdung ʿĀʾischas und wurde deswegen von Safwān ibn al-Muʿattal angegriffen und verwundet.[8] Die Verwandten Hassāns nahmen daraufhin Safwān gefangen, ließen ihn aber auf Befehl von Saʿd ibn ʿUbāda oder einer anderen Person wieder frei. Als die Sache vor Mohammed kam, stellte dieser Hassān wegen seiner Angriffe auf die Muhādschirūn zur Rede und forderte ihn auf, gegenüber Safwān auf Wiedervergeltung zu verzichten. Als sich Hassān dazu bereit erklärte, schenkte ihm der Prophet ein Stück Land und die ägyptische Sklavin Sīrīn.[9] Nach at-Tabarī war sie die Schwester von Māriya al-Qibtīya.[10] Im Jahre 630, dem „Jahr der Delegationen“, soll Hassān im Namen des Propheten in Anwesenheit einer Delegation des Stammes Tamīm Gedichte rezitiert haben.[4]

Nach dem Tode des Propheten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

ʿUmar ibn al-Chattāb holte während seines Kalifats Hassāns Expertenmeinung zu einem Gedicht von al-Hutai'a ein, in dem az-Zibriqān ibn Badr verleumdet wurde.[4] Beim Aufstand gegen ʿUthmān ibn ʿAffān unterstützte Hassān wie die anderen Dichter Kaʿb ibn Mālik und an-Nuʿmān ibn Baschīr lautstark den belagerten Kalifen und versuchte sogar, die Rebellen von ihrer Absicht abzubringen. Nach ʿUthmāns Ermordung schlug er sich auf die Seite von Muʿāwiya, der ihm ein Geldgeschenk machte.[11] In einer Anzahl von Gedichten „voll Feuer und Energie“ beklagte er ʿUthmāns Ermordung.[3] Als ʿAlī ibn Abī Tālib Qais, den Sohn von Saʿd ibn ʿUbāda zum Gouverneur von Ägypten ernannte und schon kurz danach wieder absetzte, um einen anderen einzusetzen, äußerte Hassān seine Schadenfreude und warf Qais vor, ʿUthmān getötet zu haben.[12] Hassāns Sympathien für die Umayyaden, die sich auch in der großen Zahl von Trauergedichten auf ʿUthmān widerspiegeln, die von ihm überliefert sind, erklären sich wahrscheinlich aus der Beziehung seines Bruders Aus zu ʿUthmān.[4]

Im Alter erblindete Hassān.[3] Das Datum seines Todes ist ungewiss. Da das letzte Mal, dass in den arabischen Quellen von Hassān die Rede ist, einige Zeit vor ʿAlīs Ermordung liegt, ist ein Datum um 659 am wahrscheinlichsten.[4] Hassān hatte eine Tochter, die sich mindestens einmal ebenfalls als Dichterin betätigte, sowie wahrscheinlich von Sīrīn einen Sohn, ʿAbd ar-Rahmān,[11] der sich an den Eroberungszügen beteiligte, poetisch jedoch nicht besonders begabt gewesen sein soll. Als er einmal in einem Dichterwettstreit mit an-Nadschāschī in Schwierigkeiten geriet, soll der Vater ihm beigestanden und ihn unterstützt haben, so dass an-Nadschāschī hinterher angehalten wurde, sich zu entschuldigen.[13]

Seine Dichtung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hassāns Dīwān in der Rezension von Muhammad ibn Habīb (gest. 860), der 1910 von Hartwig Hirschfeld ediert wurde,[14] enthält 228 Gedichte zu verschiedenen Themen, die Sīra 29 weitere. Allerdings wurden schon früh Zweifel an der Echtheit dieser Gedichte im Allgemeinen bzw. einzelnen Gedichten oder Zeilen geäußert. So wurde Ibn Ishāq von Ibn Sallām al-Dschumahī (gest. 846) und Ibn an-Nadīm scharf kritisiert, weil er in seine Sīra gefälschte Gedichte aufgenommen hatte, die Hassān zugeschrieben wurde. Ibn Hischām, der Ibn Ishāqs Werk überarbeitete, ließ 15 von 78 dieser Gedichte aus oder und brandmarkte sie als Fälschungen oder als zweifelhaft.[15] Ibn Sallām hielt es für ein aussichtsloses Unterfangen, die authentischen Hassān-Gedichte von den gefälschten zu trennen, denn „auf Hassān wurde mehr Dichtung zurückgeführt als auf jeden anderen. Wenn die Quraisch untereinander stritten und sich gegenseitig verleumdeten, schrieben sie ihm eine Menge Poesie zu, die unmöglich auszusieben ist.“[16]

Walid N. Arafat, der in den 1950er und 1960er Jahren eingehende Untersuchungen der Hassān zugeschriebenen Gedichte durchführte, bei der er anhand textimmanenter und externer Indizien die Authentizität jedes Gedichts überprüfte, kam zu dem Ergebnis, dass wahrscheinlich 60–70 % dieser Gedichte gefälscht sind. Seiner Auffassung nach stellt die Dichtung in Hassāns Dīwān eine derartige Vielfalt an Geist und Stil, ist so voller Widersprüche und Anomalien und enthält einen so hohen Anteil an minderwertigen Versen, dass die Gedichte weder das Werk eines einzelnen Autors noch eines von so hohem Ansehen gewesen sein können. Nach Arafat waren einige dieser Gedichte das Werk von Erzählern oder Fälschern, während andere bewusst aus Prestigegründen oder irrtümlich Hassān zugeschrieben wurden. Die langen Prahlgedichte stammen ihm zufolge von Nachkommen der Ansār und spiegeln den minderwertigen Status wider, auf den diese nach der Schlacht von al-Harra im Jahre 682 zurückgestuft worden waren.[11]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Arabische Quellen

Sekundärliteratur

  • Walid ʿArafat: “A Controversial Incident and the Related Poem in the Life of Ḥassān B. Thābit.” in Bulletin of the School of Oriental and African Studies 17/2 (1955) 197–205.
  • Walid ʿArafat: “Ḥassān b. Thābit” in The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. III, S. 271b–273a, veröffentlicht 1966.
  • Walid Arafat: “The historical background to the elegies on 'Uthmān b. 'Affān attributed to Hassān b. Thābit.” in Bulletin of the School of Oriental and African Studies 33/2 (1970) 276–282.
  • Jennifer Hill Boutz: Ḥassān ibn Thābit, a true mukhaḍram: a Study of the Ghassānid Odes of Ḥassān ibn Thābit. PhD dissertation, Georgetown University 2009. Digitalisat
  • Carl Brockelmann: Geschichte der arabischen Litteratur. Leiden 1937–1949. Bd. I² S. 31–32, Supplement-Bd. I, S. 67–68.
  • Hüseyin Elmalı: “Hassân b. Sâbit” in Türkiye Diyanet Vakfı İslâm Ansiklopedisi Bd. XVI, S. 399–402. Online-Version
  • Agnes Imhof: Religiöser Wandel und die Genese des Islam. Das Menschenbild altarabischer Panegyriker im 7. Jahrhundert. Ergon, Würzburg 2004. S. 159–217.
  • Daniele Mascitelli: “Some Verses by Ḥassān b. Ṯābit al-Anṣārī Not Included in His „Dīwān“.” in Journal of Arabic and Islamic Studies 17 (2018) 53–63.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Imhof: Religiöser Wandel und die Genese des Islam. 2004, S. 160f.
  2. a b c Imhof: Religiöser Wandel und die Genese des Islam. 2004, S. 159.
  3. a b c d Brockelmann: Geschichte der arabischen Litteratur. 1943, Supplement-Bd. I, S. 67.
  4. a b c d e f g ʿArafat: “Ḥassān b. Thābit”. 1966, S. 272a.
  5. Walid N. ʿArafat in der Einleitung zu seiner Edition von Ḥassāns Dīwān. Luzac and Company, London 1971. Bd. I, S. 4.
  6. ʿArafat: “A Controversial Incident and the Related Poem in the Life of Ḥassān B. Thābit.” 1955, S. 201.
  7. Es geht um das Gedicht Nr. 140 in der Edition von Hartwig Hirschfeld, siehe ʿArafat: “A Controversial Incident and the Related Poem in the Life of Ḥassān B. Thābit.” 1955, S. 197.
  8. ʿArafat: “A Controversial Incident and the Related Poem in the Life of Ḥassān B. Thābit.” 1955, S. 199.
  9. ʿArafat: “A Controversial Incident and the Related Poem in the Life of Ḥassān B. Thābit.” 1955, S. 200f.
  10. ʿArafat: “A Controversial Incident and the Related Poem in the Life of Ḥassān B. Thābit.” 1955, S. 203.
  11. a b c ʿArafat: “Ḥassān b. Thābit”. 1966, S. 272b.
  12. Abū Ǧaʿfar Muḥammad b. Ǧarīr aṭ-Ṭabarī: Taʾrīḫ ar-rusul wa-l-mulūk. Hrsg. von M. J. de Goeje. Leiden 1879–1901. Bd. I, S. 3245 Digitalisat – Engl. Übers. in The history of al-Ṭabarī Vol. 16: The Community Divided transl. and annot. by Adrian Brockett. S. 187.
  13. Imhof: Religiöser Wandel und die Genese des Islam. 2004, S. 160.
  14. Hartwig Hirschfeld: Dīwān of Ḥassān b. Thābit (= Gibb Memorial Series, Nr. 13). Brill, Leiden, 1910. Digitalisat
  15. ʿArafat: “Ḥassān b. Thābit”. 1966, S. 272b–273a.
  16. ʿArafat: “Ḥassān b. Thābit”. 1966, S. 273a.