Helmut von Verschuer

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Helmut Freiherr von Verschuer (geboren 6. Dezember 1926 in Tübingen), auf europäischer Ebene auch Helmut van Verschuer[1] genannt, ist ein deutscher Europabeamter und Agrarpolitiker. Er lebt seit 1958 in Belgien.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Helmut von Verschuer gehört der ursprünglich niederländischen Adelsfamilie (van bzw. von) Verschuer an und ist ein Sohn des Mediziners Otmar von Verschuer, der ein führender Vertreter der Humangenetik in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik war. Er besuchte in Frankfurt am Main die Musterschule und studierte Agrarwissenschaft an der Technischen Hochschule München in München-Weihenstephan (1947–1948) und der Universität Gießen (1948–1950, Diplom-Landwirt) und wurde 1956 an der Universität Göttingen promoviert. Von 1952 bis 1958 war er Beamter im deutschen Landwirtschaftsministerium. Von Verschuer nahm zwischen 1952 und 1954 in der deutschen Delegation an den Verhandlungen für eine Agrarunion („Pool vert“) in Westeuropa teil und 1956 bis 1958 an den Verhandlungen, die zu den Römischen Verträgen führten.

Von Verschuer wechselte 1958 als Europabeamter nach Brüssel zur neu aufzubauenden Generaldirektion Landwirtschaft der Europäischen Kommission und wurde dort 29 Jahre später pensioniert. Er leitete von 1958 bis 1967 als Assistent das Sekretariat des ersten Generaldirektors für Landwirtschaft Louis-Georges Rabot und war von 1967 bis 1972 als Direktor zuständig für die internationalen Angelegenheiten und Beitrittsverhandlungen. Von 1972 bis 1986 war er stellvertretender Generaldirektor mit den Direktionen Wirtschaft, Agrarstruktur und Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft.

1979 übernahm er die Direktion „Internationale Angelegenheiten der Landwirtschaft“ und damit unter anderem die Beitrittsverhandlung im Agrarsektor mit Spanien und Portugal und die Eröffnung der Uruguay-Runde des GATT. 1987 trat er in den Ruhestand, war aber noch für ein Jahr Sonderberater bei der Ausarbeitung des ersten Entwurfs des Kommissionsdokumentes „Zukunft des ländlichen Raumes“. Von Verschuer ist Autor zahlreicher Schriften zur Gemeinsamen Agrarpolitik.

Von Verschuer war wie seine Eltern in der evangelischen Kirchengemeinde aktiv und machte ab 1942 in Berlin im offiziell verbotenen Gemeindejugendkreis beim Pfarrer Herbert Mochalski mit. In Brüssel wurde er später Präsident der „Association œcuménique européenne pour église et société Bruxelles“. Er lebt nach seiner Pensionierung noch in Brüssel.

Der Genetiker Benno Müller-Hill, Jahrgang 1933, führte Anfang der 1980er Jahre ein Gespräch mit von Verschuer über seinen Vater, dessen Doktorand und Assistent Josef Mengele mit seiner jungen Familie zuweilen Gast zum Tee bei Herrn und Frau von Verschuer gewesen sei. Von Verschuer stellte sich in dem Gespräch weitgehend ahnungslos über die Zusammenarbeit Otmar von Verschuers mit Mengele, der aus dem KZ Auschwitz Präparate von speziell selektierten ermordeten KZ-Häftlingen an dessen Berliner Institut geschickt hatte, für deren Untersuchung Otmar von Verschuer DFG-Mittel beantragt hatte. Warum Otmar von Verschuer nach Kriegsende den Briefwechsel mit Mengele vernichtet habe, darüber habe sein Vater mit ihm nie gesprochen, sich aber wohl über „Verleumdungen“ enttäuscht gezeigt, denen er sich nach dem Krieg durch seine ehemaligen Mitarbeiter Hans Nachtsheim und Kurt Gottschaldt ausgesetzt gesehen habe. Von Verschuer wurde weiterhin 2002 von der deutschen Historikerin Carola Sachse und auch von der US-amerikanischen Wissenschaftshistorikerin Sheila Faith Weiss befragt, die die Hoffnung hatte, eine Biografie über Otmar von Verschuer zustande zu bringen.[2]

Er ist Vater des Schauspielers Leopold von Verschuer.

Schriften (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Vorträge, Zeitschriftenartikel und Artikel in Sammelwerken zur Landwirtschaftspolitik (Bibliotheksbestände siehe KVK)
  • Die verbundene Maschinenhaltung in der französischen Landwirtschaft. Göttingen, Diss. 1956
  • Wie ich vor 60 Jahren das Ende des Krieges erlebte : Briefe, Tagebuch und Erinnerungen. Als Manuskript gedruckt. Nentershausen : H. v. Verschuer, 2004
  • Wie ich zur Landwirtschaft kam und die Entstehung der europäischen Agrarpolitik erlebt habe : Erinnerungen. Als Manuskript gedruckt. Stadtroda, 2017

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Benno Müller-Hill: Tödliche Wissenschaft. Die Aussonderung von Juden, Zigeunern und Geisteskranken 1933–1945. Reinbek : Rowohlt, 1984 S. 127–130, Gespräch mit Dr. Helmut v. Verschuer, Sohn von Prof. Otmar v. Verschuer
  • Antoinette Panhuis (Hrsg.): Rencontres : reflections on Europe, agriculture and the churches in honour of Helmut von Verschuer : Festschrift zum 65.Geburtstag. Brüssel : Association oecuménique pour église et société, 1991

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Europa.eu
  2. Sheila Faith Weiss: After the Fall. Political Whitewashing, Professional Posturing, and personal Refashioning in the Postwar Career of Otmar Freiherr von Verschuer. In: Isis, Vol. 101 (2010), Nr. 4, S. 722–758
    Michael Billig: Über einen faustischen Pakt, Gespräch mit Sheila Faith Weiss, in: iley, 15. Juli 2007