Henri Ketten

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Henri Ketten (ca. 1880)

Henri Ketten, in englischsprachigen Publikationen auch Henry Ketten geschrieben (geboren 25. März 1848 in Baja, Ungarn; gestorben 1. April 1883 in Paris[1][2][3][4]), war ein ungarischer Pianist und Komponist.

Leben und Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ketten war der Sohn eines jüdischen Vaters[5][6][7][8], der nach einem zeitgenössischen Bericht selbst Musiker war[9] und entweder als Rabbiner[10] oder, darauf deuten mehr Quellen hin, als „ministre officiant“[7] oder Kantor[11], u. a. an einer Synagoge in Paris, tätig war.

Der siebenjährige Henri erfuhr als Wunderkind[12][13][14][15][16] Anerkennung durch Hans von Bülow[17] (dessen Lob aber nicht von allen Kritikern geteilt wurde[18]), der ihn Liszt anempfahl. In Presseartikeln wurde Ketten gar als „zweiter Mozart“ angepriesen[19], aber auch vor solchen Vergleichen gewarnt, um das junge Talent nicht zu früh zu sehr unter Druck zu setzen[20]. Kettens erstes Konzert in Paris soll im Salon Herz in Anwesenheit der musikalischen Elite der Stadt stattgefunden haben. Die anwesenden Fromental Halévy und Giacomo Meyerbeer sollen den Auftritt des 10-Jährigen gelobt haben[21][22]. Ein zeitgenössischer ungarischer Zeitungsbericht kolportiert auch eine wohlmeinende Einschätzung durch Franz Liszt und Daniel Auber[23]. Ein auf einer Lithographie Emile Desmaisons[24] basierendes Porträt des jungen Ketten erschien 1859 in The London Illustrated News 1859 unter der Überschrift „Master Henri Ketten“ im Zusammenhang mit einer lobenden Kritik eines Konzerts des 11-Jährigen in London.[9] Ketten wurde am Pariser Konservatorium ausgebildet, wo er unter Marmontel[25] Piano und unter Fromental Halévy und Napoléon-Henri Reber[26] Komposition studierte. Er machte Karriere als Klaviervirtuose, wobei er auch eigene Werke[27] vortrug. Unter anderem trat er in Paris (u. a. Salle Pleyel[28][29][30]), London (Covent Garden[31][32][33][30] [„his fine playing has been enthusiastically applauded“[34] ], Hanover Square Rooms [auch Queen's Concert Rooms genannt][35][36] und St. James Hall[37]), Birmingham[38], Wien (u. a. für Bösendorfer im Weltausstellungspalast[39][40][41] und im Salle Bösendorfer im Palais Lichtenstein[42]), Rom[43], Genua[44], Neapel[45], Kairo, Amsterdam[46], Australien[47] (dort offenbar mit großem Erfolg: „the greatest virtuoso who has ever visited Australia“[48]; angeblich 437 Stücke in 37 Konzerten [darunter 17 Beethoven-Sonaten], davon keines zweimal; erzielte Einnahmen: ca. 40,000 Mark[49]) und Neuseeland,[48] USA[50][51] (wohl nicht überall erfolgreich[45]), Deutschland[52] und kurz vor seinem Tod auf Einladung Rubinsteins in Moskau auf[2][53], und ging mit Gabriel Fauré auf Tournee durch Frankreich[54]. Womöglich war Ketten der erste, der Bachs Italienisches Konzert in Frankreich bekannt machte[55]. Kettens Vortrag des Italienischen Konzerts wurde von George Bernard Shaw, der dem Stil Kettens sonst nicht viel abgewinnen konnte, gelobt[56]. Henrique Oswald gehörte zu seinen Schülern[57][58].

Er hinterließ unter anderem mehrere Salonstücke, eine Sonate für Klavier und Klarinette, einen Persischen Marsch für Orchester, verschiedene Gesangsstücke,[1] einige Opern[2] und zwei Symphonien.[2] Ca. 100 seiner Werke sind in Frankreich (u. a. bei Heugel et fils, bei Leduc[59], und bei Lemoine), in England (u. a. bei Czerny)[60] sowie in Deutschland (nach historischen Zeitungsberichten u. a. beim Schott-Verlag in Mainz[2]) erschienen. Kettens La Castagnette wurde u. a. von Manuel de Falla aufgeführt[61]. Vom Schah von Persien wurde er 1874 mit dem Sonnen- und Löwenorden ausgezeichnet[62]. Jean-Jacques Henner schuf ein Porträtgemälde von Ketten[63].

Ketten sprach angeblich fließend Ungarisch, Deutsch, Französisch und Englisch[64]. Der Pianist war mit der Italienerin (nach anderen Berichten italienischer Abstammung[65]) Beatrice Maria Julia Pellegrini (geb. ca. 1856[65]) verheiratet, der Tochter eines Advokaten aus Konstantinopel, wo er sie 1868 kennengelernt hatte und zunächst eine "wilde Ehe" eingegangen war,[65] und Autorin eines Romans (Madamigella di Cardeilhan) und einer Novelle (Une nuit sur le Bosphore)[66]; 1877 erfolgte die Scheidung, zu der Zeitungsberichten zufolge ein Schüler und „Hausfreund“ Kettens fortgesetzten Anlass gegeben hat (obgleich die Ehefrau im Prozess ihren Ehemann wohl ebenfalls des Ehebruchs bezichtigte)[67].[65] Ketten hinterließ einen Sohn (Maurice Prosper Fiorino Ketten, geb. 2. März 1875 in Florenz, gest. 1965; Cartoonist, ausgebildet an der Ecole Nationale des Beaux Arts und der Universität von Paris[68]), der ihm im Scheidungsprozess zugesprochen wurde[67][65] und zu dessen Wohl Marmontel im Jahr nach Kettens Tod ein Benefizkonzert veranstaltete[69][70].

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Allgemeine Deutsche Musik-Zeitung. Band 1, Nr. 15. Leipzig/ Kassel 10. Juli 1874, S. 147 (google.de).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Henri Ketten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b A. Ehrlich: Berühmte Klavierspieler der Vergangenheit und Gegenwart. A.H. Payne, 1893, S. 143 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  2. a b c d e Henri Ketten. In: Signale für die musikalische Welt. Band 41, Nr. 28. Leipzig April 1883, S. 436 (google.de).
  3. Emil Breslaur, Anna Morsch: Musikpädagogische Blatter ...: Zentralblatt fur das gesamte musikalische Unterrichtswesen. W. Peiser Verlag, 1882 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  4. Dexter Smith, Lorin Fuller Deland, Philip Hale, Thomas Tapper: Musical Record and Review. O.Ditson & Company, 1882 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  5. Ben Chananja: Monatsschrift für jüdische Theologie und für jüdisches Leben in Gemeinde, Synagoge und Schule. Burger, 1866 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  6. L'Univers israélite: journal des principes conservateurs du judaisme. 1860 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  7. a b Hans von Bülow: The Early Correspondence of Hans Von Bülow. T.F. Unwin, 1896 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  8. Archives israélites. Bureau des Archives Israelites, 1856 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  9. a b The Illustrated London News. William Little, 1859 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  10. Le Monde illustrâe. Imp. de la Librairie Nouvelle, 1859 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  11. Neues Wiener Tagblatt: demokratisches Organ. Ostmärk. Zeitungsverlag-Ges., 1873 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  12. L'Univers israelité. 1861 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  13. Percy Alfred Scholes: The Mirror of Music, 1844–1944: A Century of Musical Life in Britain as Reflected in the Pages of the Musical Times. Books for Libraries Press, 1970, ISBN 978-0-8369-5443-2 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  14. Le Monde illustré (1857). Le Monde illustré, 1859 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  15. Süddeutsche Musik-Zeitung. Schott, 1859 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  16. Presburger Auskunfts-Blatt: Fremdenführer. 1860 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  17. Giacomo Meyerbeer: Briefwechsel und Tagebücher. Walter de Gruyter, 1959, ISBN 3-11-018030-8, S. 696 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  18. Süddeutsche Musik-Zeitung. Schott, 1859 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  19. Presburger Auskunfts-Blatt: Fremdenführer. 1860 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  20. La revue des deux mondes. 1859 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  21. Soproni ertesitö. Reichard, 1859 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  22. Le Monde illustrâe. Imp. de la Librairie Nouvelle, 1859 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  23. Hölgyfutár: közlöny az irodalom, társasélet, müvészet és divat köréböl. Kozma (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  24. Émile Desmaisons: Henri Ketten. Abgerufen am 7. August 2022.
  25. Karl Friedrich Weitzmann, Otto Lessmann: A History of Pianoforte-playing and Pianoforte-literature. G. Schirmer, 1893 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  26. Vincent ROLLIN: Charles Lenepveu (1840–1910) : une carrière musicale officielle et académique. In: Alexandre DRATWICKI, Agnès TERRIER (Hrsg.): Les colloques de l’Opéra Comique. L’art officiel dans la France musicale au XIXe siècle. April 2010.
  27. Signale für die musikalische Welt. Verlag der Signale, 1879 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  28. William Weber, Beverly Wilcox: Canonic Repertories and the French Musical Press: Lully to Wagner. Boydell & Brewer, 2021, ISBN 978-1-64825-016-3 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  29. Revue des deux mondes. Au Bureau de la Revue des deux mondes, 1860 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  30. a b William Weber, Beverly Wilcox: Canonic Repertories and the French Musical Press: Lully to Wagner. Boydell & Brewer, 2021, ISBN 978-1-64825-016-3 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  31. Musikalisches Wochenblatt. E.W. Fritzsch, 1877 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  32. Public Opinion: A Weekly Review of Current Thought and Activity. G. Cole (etc.), 1876 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  33. The Illustrated sporting & dramatic news. 1878 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  34. The Athenaeum. J. Lection, 1876 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  35. The Literary Gazette. J. Wheaton, 1859 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  36. The Court Journal and Fashionable Gazette. William Thomas, 1859 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  37. The Monthly Musical Record. Augener, 1877 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  38. The Musical Times and Singing-class Circular. Novello, 1878 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  39. Neues Wiener Tagblatt: demokratisches Organ. Ostmärk. Zeitungsverlag-Ges., 1873 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  40. Fremden-Blatt. Elbemühl, 1873 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  41. Neues Wiener Tagblatt: demokratisches Organ. Ostmärk. Zeitungsverlag-Ges., 1873 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  42. Kleine freie Presse Wien: Sonntag-Abendblatt. 1873 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  43. Neue Zeitschrift für Musik: gegr. 1834 von Robert Schumann. Schott, 1879 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  44. Signale für die musikalische Welt. Verlag der Signale, 1879 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  45. a b Music & Drama. Music and Drama Publishing Company, 1882 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  46. Europa: Chronik der gebildeten Welt. 1867,[1]. Keil, 1867 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  47. Ada Cambridge: The Three Miss Kings. Melville, Mullen & Slade, 1891 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  48. a b The Monthly Musical Record. Augener., 1881 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  49. Emil Breslaur, Anna Morsch: Musikpädagogische Blatter ...: Zentralblatt fur das gesamte musikalische Unterrichtswesen. W. Peiser Verlag, 1880 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  50. Musical Standard. Reeves and Turner., 1879 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  51. Richard P. Buck, Bohemian Club (San Francisco Calif.): Music and Musicians in Bohemia: The First One Hundred Years : a Research Document. Bohemian Club, 2005 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  52. Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler. DuMont-Schauberg, 1858 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  53. Bartholf Senff: Signale für die musikalische Welt. 1883 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  54. The Athenaeum. J. Lection, 1876 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  55. University of London Katharine Ellis Reader in Music Royal Holloway: Interpreting the Musical Past: Early Music in Nineteenth-Century France: Early Music in Nineteenth-Century France. Oxford University Press, USA, 2005, ISBN 978-0-19-971085-0 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  56. George Bernard Shaw: Bernard Shaw on Music. Rosetta Books, 2016, ISBN 978-0-7953-4689-7 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  57. Miguel Ficher, Martha Furman Schleifer, John M. Furman: Latin American Classical Composers: A Biographical Dictionary. Scarecrow Press, 2002, ISBN 978-1-4616-6911-1 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  58. Peter Hollfelder: Geschichte der Klaviermusik: historische Entwicklungen, Komponisten mit Biographien und Werkverzeichnissen, nationale Schulen. F. Noetzel, Heinrichshofen-Bücher, 1988, ISBN 978-3-7959-0436-4 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  59. BnF Catalogue général. Abgerufen am 7. August 2022 (französisch).
  60. The Musical Standard. 1877 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  61. Carol A. Hess, Assistant Professor of Music Carol A. Hess: Sacred Passions: The Life and Music of Manuel de Falla. Oxford University Press, 2005, ISBN 978-0-19-514561-8 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  62. Anonymus AC02906090: Allgemeine deutsche Musikzeitung: Wochenschrift für die Reform des Musiklebens der Gegenwart. Verlag d. Allg. Dt. Musik-Zeitung, 1874 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  63. The Art Journal: New series. D. Appleton & Company, 1879 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  64. Presburger Auskunfts-Blatt: Fremdenführer. 1860 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  65. a b c d e Publizistische Blätter 1877 - 1931. Emerich Engel, 1876 (google.com [abgerufen am 9. August 2022]).
  66. Francesco Forlani: Ore di ozio. Saggi letterari. Roma, 1871 (google.com [abgerufen am 9. August 2022]).
  67. a b Würzburger Journal: 1877,7/12. Verlag-Dr. Würzburg, 1877 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  68. Marquis Who's Who Inc: Who was who in America. Marquis-Who's Who, 1976, ISBN 978-0-8379-0207-4 (google.com [abgerufen am 9. August 2022]).
  69. Süddeutsche Musik-Zeitung. (google.de [abgerufen am 7. August 2022]).
  70. The Musical Herald. Musical Herald Company, 1884 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).