Historische Schauweberei Braunsdorf

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Weberei Braunsdorf, Blick von Südwesten (1914)
Historische Schauweberei Braunsdorf, 2020
Buckskin Webmaschine CFS mit Jacquardsteuerung von 1963
Semper zum Lochkartenschlagen mit Kopiermaschine

Die Historische Schauweberei in Braunsdorf, einem Ortsteil von Niederwiesa, beherbergt heute ein Museum zur Textilindustrie und steht unter Denkmalschutz.

Geschichte als Gewerbe- und Industriestandort[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Gebäudekomplex wurde circa 1800 erbaut. Ab 1827 produzierte dort eine Spinnerei Garne. Der Kraftantrieb erfolgte durch ein Wasserrad mit Aufschlagwasser aus der Zschopau.
In den folgenden Jahrzehnten kam es zu Eigentümerwechseln und zur Veränderung der Produktion. Das Gebäude beherbergte eine Spinnfabrik (ab 1827 als Spinnfabrik Christian Gottlieb Vogelsang, 1848 als Spinnfabrik Ernst Ehrenfried Saupe und Friedrich Wolf Breyer), auch eine Schafwollwäscherei und Färberei (1890 Antrag von Herrn Saupe) sowie Filzfabrikation (1877 Breyer und Saupe, 1900 Zetzsche und Höpfner).

1910 kaufte der Kaufmann Paul Martin Adolf Tannenhauer (* 1857, † 1926) aus Chemnitz das Gebäude für 27.000 Goldmark von Richard Ehrenfried Saupe und verlagerte seine Möbelstoffweberei, welche er 1883 als Wagenstoff-Weberei gegründet hatte, von Chemnitz (Zöllner Platz 26) nach Braunsdorf. Der Gebäudekomplex musste für die größere Last der mechanischen Webstühle (800 kg/m²) umgebaut und ertüchtigt werden, es wurde auch ein Lastenaufzug eingebaut.

Anfang 1912 forderte Martin seinen jüngeren Sohn Kurt Tannenhauer (* 18. Mai 1890 in Chemnitz; † 19. Januar 1971 in Braunsdorf), welcher sich in Südamerika befand, per Brief zur Heimkehr auf, um ihn im Betrieb zu unterstützen.[1]
Kurt absolvierte nach dem Abitur eine Lehre bei einem Teppichhändler in Rostock. Diese schloss er allerdings nicht ab. Er fand, anfangs als Buchhalter, zuletzt als Prokurist bei der Firma Hirschberg & Co. (einem Großhandel angeblich „von der Reißzwecke bis zu Ländereien“[1]) eine solide Anstellung. Im August 1912 kehrte Kurt – nun in die neue Heimat – nach Braunsdorf zurück. Im Jahre 1916, mitten im 1. Weltkrieg, verlobte er sich mit Margarete Katz, genannt Gretel (* 1889, † 1943). Sie heirateten im März 1920 und hatten zwei Kinder: Tochter Eva und Sohn Werner (* 30. Januar 1926, † 31. Mai 2010).

Nach dem Tod des Vaters 1926 übernahm Kurt Tannenhauer die Weberei und führte sie ab 1936 als Weberei Kurt Tannenhauer – Möbel- und Dekorationsstoffe.

Im Zweiten Weltkrieg weigerte er sich, Uniformstoffe zu weben. Seine Fabrik bekam keine Aufträge mehr. Es wurden Handwebstühle angeschafft, um ein Minimum an Produktion aufrechtzuerhalten.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs baute er die Firma wieder auf. Die edlen Biedermeierstoffe wurden weltweit exportiert: nach Westdeutschland, Skandinavien, den arabischen Raum, ja sogar nach Australien. Am 16. Februar 1952 heiratete er ein zweites Mal: Charlotte verw. Schubert.
Seine Tochter Eva war künstlerisch sehr begabt, arbeitete von 1950 bis 1990 als Textilgestalterin und Leiterin der Musterentwicklung im Unternehmen und kreierte sowohl historische als auch moderne Stoffdesigns. 1961 erhielt die Firma auf der Leipziger Messe eine Goldmedaille, eine ungemein hohe Auszeichnung für ein Privatunternehmen in der DDR. Sein Sohn Werner Tannhauer war als kaufmännischer Leiter im Unternehmen tätig.

1961 wurde die Firma zwangsweise halbverstaatlicht und nannte sich fortan Kurt Tannenhauer KG. Zu dieser Zeit waren ca. 100 Mitarbeiter tätig. Da sich Kurt als Unternehmer, als der er in der DDR galt, nicht rentenversichern durfte, arbeitete er bis ins hohe Alter. Er verstarb ohne jegliche Krankheit und völlig unerwartet am 19. Januar 1971.
Die Mitgesellschafteranteile gingen an Werner Tannenhauer und seine Schwester Eva Humburg über. 1972 legte eine Kommission des Rates des Kreises Flöha die Dokumente zur vollständigen Verstaatlichung vor. Werner durfte fortan als Betriebsdirektor weiter im nunmehr VEB Raumtextilien Braunsdorf arbeiten. Er lebte selbst im dritten Geschoss des Fabrikgebäudes neben einem Websaal[2].

1981 erfolgte die Eingliederung als Betriebsteil Raumtextilien Braunsdorf in das VEB Wohnraumtex Hohenstein-Ernstthal, Betrieb im VEB Polstermöbelkombinat Oelsa-Rabenau.

Bis 1990 wurden vor allem Möbelbezugs- und Dekostoffe hergestellt. Zum 30. Juni 1990 wurde der volkseigene Webereibetrieb durch das VE Möbelkombinat Dresden-Hellerau liquidiert. Im Juli 1991 erhielten Kurt Tannenhauer und Eva Humburg die Weberei zurück[3].

Geschichte als Museum[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit Unterstützung des Fördervereins des Industriemuseums Chemnitz und durch Werner Tannenhauer, Enkel des Firmengründers und letzter Betriebsdirektor, konnte ein Teil der Webmaschinen und der Einrichtungen erhalten werden.

Seit Pfingsten 1994 präsentiert sich der ehemalige Industriestandort als Technisches Denkmal und Museum, seit 1996 in Trägerschaft der Gemeinde Niederwiesa. Zahlreiche funktionstüchtige Maschinen dienen zur Präsentation der Arbeitsabläufe: vom Musterentwurf bis zum fertigen Gewebe. Zusätzlich wird die Entwicklung der Textilindustrie erläutert, vom Weben der Vorfahren bis zur Webtechnik des 20. Jahrhunderts. In den teilweise noch original eingerichteten Produktionssälen kann der Produktionsprozess an den Webstühlen vorgeführt werden.

2014 erhielt das Museum von den Erben (Tannenhauer/Humburg) eine sehr wertvolle Schenkung: das nahezu komplett erhaltene Musterarchiv der ehemaligen Weberei. Es umfasst ca. 1.100 Designs aus dem Zeitraum 1883 bis 1990. Überliefert sind die Musterentwürfe samt Patronenzeichnungen und den jeweiligen Schärbriefen, Lochkarten zur Steuerung der Jaquard-Maschinen sowie zahlreiche Stoff- und Gewebeproben.[4] Zahlreiche Exponate werden auch im „Museum digital Sachsen“ präsentiert, das Musterarchiv wird sukzessive digitalisiert.

Sonstiges[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahr 1999 zog die Firma Cammann Gobelin Manufaktur, ein reprivatisiertes Nachfolgeunternehmen der Möbelstoff-Weberei Cammann & Co. aus Chemnitz, in die Räumlichkeiten mit ein[5].

Literatur, Medien, Presseschau[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Möbelstoffweberei Tannenhauer Braunsdorf, Sammelmappe enthält u. a. ein Gespräch mit Herrn Werner Tannenhauer, Schriftverkehr, Fotos, Familienstammbaum; Präsenzbestand der Bibliothek des Industriemuseums Chemnitz
  • Wolfgang Uhlmann: Industriemuseum Chemnitz - Schaudepot Braunsdorf: - Interview in Braunsdorf mit Dr. Uhlmann und Herrn Egon Mende (früher Meister Weberei Tannenhauer), 1994; Video im Präsenzbestand der Bibliothek des Industriemuseums Chemnitz
  • Wolfgang Uhlmann: 10 Jahre Technisches Museum in der ehemaligen Weberei Tannenhauer in Braunsdorf. In: Kulturbund Landesverband Sachsen e.V. (Hrsg.): Erzgebirgische Heimatblätter: Zeitschrift für Heimatfreunde. 2004, ISSN 0232-6078 (Bd. 26, Seite 2-3).
  • Andrea Weigel (Red.): Aktivführer Historische Schauweberei Braunsdorf. Niederwiesa OT Braunsdorf 2013.
  • Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen mbH (Hrsg.): Industriekultur in Sachsen - Lebendige Zeugen eines goldenen Zeitalters. 2014, S. 27.
  • Katharina Jesswein: Weberei Tannenhauer in Braunsdorf. In: Sächsisches Industriemuseum; Institut für Industriearchäologie, Wissenschafts- und Technikgeschichte (Hrsg.): Verlorene Fäden: Denkmale der sächsischen Textilindustrie in den Tälern von Zschopau und Flöha. 2016 (S. 223-232).
  • Eva-Maria Hommel: Reif für die Insel: Wohnen in der Weberei, Artikel in Freie Presse, 24. November 2021.
  • Eva-Maria Hommel: Schauweberei in Braunsdorf: Großes Museum, große Sorgen, Artikel in Freie Presse, 6. Januar 2022.
  • Johannes Ross: "Ich musste Stroh zu Gold spinnen": Die ehemalige Leiterin der Schauweberei Braunsdorf über ihren Weg. Artikel über Andrea Weigel in Freie Presse, 3. April 2023.
  • Knut Berger: Historische Schauweberei Braunsdorf: Neue Chefin blickt schon in die Zukunft. Artikel in Freie Presse, 14. April 2023.
  • Stephan Ziegert: Eine Portion Herzblut, Gespräch mit Andrea Weigel und Egon Mende über die persönliche Motivation und das ehrenamtliche Engagement in der Historischen Schauweberei Braunsdorf, Online-Artikel auf detektor.fm, abgerufen am 19. Februar 2024.
  • Eva-Maria Hommel: Kulturhauptstadt 2025 in der Historischen Schauweberei Braunsdorf: „Jeden Monat ein kleines Highlight“, Artikel in Freie Presse, 6. März 2024.
  • Eva-Maria Hommel: Er hielt in Braunsdorf die Webmaschinen am Laufen: Egon Mende ist tot, Artikel in Freie Presse, 8. März 2024.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Weberei Braunsdorf – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Jörg Tannenhauer: Kurt Tannenhauer - Lebensspuren, April/Mai 2021
  2. Zeitzeugen-Video mit Rolf Tannenhauer auf der Internetseite der Schauweberei Braunsdorf unter https://www.historische-schauweberei-braunsdorf.de/zeitzeugen.html
  3. Heiko Lorenz: Chronik von Braunsdorf (Zschopautal)
  4. Über das Museum, auf sachsen.museum-digital.de
  5. Archivalien im Bestand 33441 des Staatsarchiv Chemnitz, abgerufen am 13. Oktober 2020

Koordinaten: 50° 52′ 30,9″ N, 13° 1′ 36,4″ O