LGBT in Chile

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Geografische Lage von Chile

Unter LGBT in Chile versteht sich die Lebenssituation und rechtliche Stellung von Personen in Chile, die von der Heteronormativität abweichen (so genannte queere Menschen). Das betrifft schwule, lesbische, bisexuelle, transgeschlechtliche und intergeschlechtliche Personen (LGBT).

Antidiskriminierungsgesetze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mediales Aufsehen in Chile erregte 2004 der Diskriminierungsfall des chilenischen Richters Daniel Calvo, der nach Bekanntwerden eines Besuchs in einer Schwulensauna als Richter am Appellationsgericht Santiago versetzt wurde.[1] Die Einführung von Antidiskriminierungsgesetzen zum Schutz der sexuellen Orientierung wurde zwischen 2004 und 2013 parlamentarisch debattiert und nach der Ermordung von Daniel Zamudio 2012 beschleunigt umgesetzt, wobei ein Strafschärfungsgrund wegen Hasskriminalität im chilenischen Strafrecht verankert wurde.[2][3] Das Gesetz wird daher informell auch Ley Zamudio („Zamudio-Gesetz“) genannt.

Homosexualität war in Chile lange Zeit gesellschaftlich tabuisiert; homosexuelle Handlungen werden aber in Chile zunehmend akzeptiert. Die Sichtbarkeit der LGBT-Gemeinschaft bleibt gering. Eine dritte Geschlechtsoption wird rechtlich anerkannt.

Homosexualität in Chile[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Homosexuelle Handlungen wurden in Chile 1999 legalisiert.[4] Das Schutzalter ist nicht einheitlich. Es liegt bei 18 Jahren bei homosexuellen Handlungen und bei 14 Jahren bei heterosexuellen Handlungen.[5][6]

Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Historische Entwicklung (bis 2015)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Staatlicherseits wurden gleichgeschlechtliche Paare bis Oktober 2015 nicht anerkannt. Bereits 2004 wurde ein Gesetzentwurf angekündigt, welcher aber nur für homosexuelle Partner angedacht war. Im Zuge dieser politischen Debatte in Chile wurde der Richterin Karen Atala, die Mutter dreier Kinder ist, ihr Sorgerecht von chilenischen Gerichten entzogen.[7] Karen Atala wollte gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin ihre Kinder erziehen, wogegen ihr geschiedener Ehemann geklagt hatte.[8][9] Karen Atala klagte vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte in Washington, D.C.[10] 2011 wurde erneut im chilenischen Parlament über die staatliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare debattiert.[11][12] Ein Gesetzentwurf der Regierung Sebastián Piñera zur Einführung einer Lebenspartnerschaft wurde im August 2011 im Parlament eingebracht;[13] der Gesetzentwurf wurde bis zum Ende der Legislaturperiode im November 2013 nicht angenommen.

Nach der Präsidentschaftswahl in Chile 2013 stimmte infolge des Regierungswechsels am 9. Januar 2014 der Senat von Chile für die Einführung eines Lebenspartnerschaftsinstitutes.[14] Im Januar 2015 votierten im chilenischen Unterhaus 86 Abgeordnete für die Einführung eines Lebenspartnerschaftsinstitutes, 23 stimmten dagegen, zwei Delegierte enthielten sich.[15] Ebenso befürwortete im Januar 2015 der Senat von Chile die Einführung eines Lebenspartnerschaftsinstitutes.[16]

Acuerdo de Unión Civil (ab 2015)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 13. April 2015[17] verkündete die Präsidentin Michelle Bachelet das Gesetz Acuerdo de Unión Civil, welches nach sechs Monaten, die für verwaltungstechnische Umstellungen benötigt werden, in Kraft treten sollte. Es stellte einen neuen Zivilstatus neben der Ehe dar, der es homosexuellen wie auch heterosexuellen Paaren erlaubte, eine gesetzlich anerkannte Partnerschaft zur juristischen Absicherung einzugehen. Der Verwaltungsakt wird, ebenso wie die Ehe, auf den Standes-/Meldeämtern (registo civil) durchgeführt.

Neben der rechtlichen Absicherung, wie im Krankheits- oder Erbfall der Partner, sind auch gemeinsame oder eingebrachte Kinder (Stiefkinder) in diese Absicherung einbezogen. Die Auflösung dieser Gemeinschaft erfolgt, bei beidseitigem Einverständnis, ebenfalls auf dem Standes-/Meldeamt, wo dann zusätzlich noch Verträge über Renten-, Unterhaltszahlungen und die Erziehungsberechtigung von Kindern unterschrieben werden müssen. Bei einseitiger Annullierung muss ein Zivilrichter einbezogen werden. Das Adoptionsrecht ist von diesem Gesetz nicht betroffen.

Gleichgeschlechtliche Ehe (ab 2020)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 16. Januar 2020 befürwortete der Senat die Gleichgeschlechtliche Ehe.[18] Am 23. November und 7. Dezember 2021 verabschiedeten der Senat und die Abgeordnetenkammer in abschließenden Lesungen ein Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Ehe. Die Unterzeichnung des Gesetzes durch den chilenischen Präsidenten Sebastián Piñera erfolgte am 9. Dezember 2021. Das Gesetz trat am 10. März 2022 in Kraft.[19][20]

Rechtliche Anerkennung einer dritten Geschlechtsoption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit Anfang 2019 ist in Chile ein rechtlicher Geschlechtseintrag als „nicht männlich/weiblich“ möglich (nichtbinär).[21]

In Lateinamerika erkennt auch Kolumbien seit März 2022 eine dritte Geschlechtsoption an (X),[22] Uruguay seit Ende 2018[23] und Argentinien bereits seit 2012 (siehe Staaten mit Anerkennung einer dritten Geschlechtsoption).[24]

Gesellschaftliche Situation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gay-Pride-Parade in Santiago de Chile (2009)

Im Vergleich zu den südamerikanischen Staaten Brasilien oder Argentinien ist die LGBT-Gemeinschaft in Chile eher klein. Sie findet sich vorwiegend in der chilenischen Hauptstadt Santiago und in der Hafenstadt Valparaíso. LGBT-Organisationen wie Movimiento de Integración y Liberación Homosexual (MOVILH) und Movimiento Unificado de Minorías Sexuales (MUMS) unterstützen in Chile die Rechte homosexueller Menschen.

Fall Daniel Zamudio

2012 wurde in Santiago de Chile der 1987 geborene Verkäufer Daniel Zamudio wegen seiner Homosexualität von vier Neo-Nazis ermordet. Sein Fall erregte in ganz Chile und Lateinamerika großes Entsetzen und große Aufmerksamkeit. Die Beisetzung von Zamudio kam in Chile einem Staatsakt gleich, die Täter wurden unter großer Anteilnahme der Bevölkerung verurteilt.[25] Eine 2013 eingerichtete Stiftung mit dem Namen Fundación Daniel Zamudio setzt sich für das Erinnern an Gewaltopfer ebenso als Beratungsstelle für Eltern homosexueller Kinder ein.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Homosexualität in Chile – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Chile – Annual Report 2004. In: rsf.org. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 28. November 2006; abgerufen am 16. Oktober 2021 (englisch).
  2. Gideon Long: Daniel Zamudio: The homophobic murder that changed Chile. In: BBC News, 29. Oktober 2013, abgerufen am 16. August 2021 (englisch).
  3. Life sentence over gay man’s murder that led to Chilean anti-discrimination law. In: The Independent, 28. Oktober 2013, abgerufen am 16. August 2021 (englisch).
  4. Ley 19617: MODIFICA EL CODIGO PENAL, EL CODIGO DE PROCEDIMIENTO PENAL Y OTROS CUERPOS LEGALES EN MATERIAS RELATIVAS AL DELITO DE VIOLACION
  5. Gemma Pritchard: Chilean court delivers controversial sodomy conviction. In: pinknews.co.uk. 21. August 2007, abgerufen am 10. Dezember 2021 (englisch).
  6. A nueve años del asesinato de Daniel Zamudio. In: Cooperativa.cl, 2. März 2021, abgerufen am 16. August 2021 (spanisch).
  7. Case: Karen Atala Riffo v. Chile. In: nclrights.com. National Center for Lesbian Rights, 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 26. Februar 2019; abgerufen am 26. Februar 2019 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.nclrights.org
  8. Queerday: Chilean lesbian Karen Atala Riffo and her custody battle (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive)
  9. Queerday: Chile under fire by rights groups for denying lesbian Karen Atala custody (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive)
  10. New York City Bar: Amicus Briefs Argue Against Discrimination in Chile (Memento vom 1. Dezember 2008 im Internet Archive)[ ]
  11. Queer: Homo-Ehe in Chile ?, 6. August 2011
  12. Winston Gieseke: Chile Considers Same-Sex Civil Unions. In: Advocate.com. 11. Juli 2011, abgerufen am 25. März 2022 (englisch).
  13. Michelle Garcia: Chile’s President Backs Civil Unions Bill. (Memento vom 21. September 2011 im Internet Archive) In: Advocate.com. 10. August 2011, abgerufen am 25. März 2022 (englisch).
  14. queer.de:Senat stimmt für eingetragene Partnerschaften
  15. Homosexuellen-Rechte in Chile, Mehrheit für Verpartnerung, taz.de
  16. Chile: Lebenspartnerschaftsgesetz nimmt letzte Hürde, Queer.de
  17. Primeras uniones civiles en Chile podrían concretarse desde la segunda quincena de octubre. In: La Tercera. 13. April 2015, abgerufen am 1. Oktober 2017 (spanisch).
  18. Chilean Senate approves same-sex marriage. In: cgtn.com. 16. Januar 2019, abgerufen am 18. August 2021 (englisch).
  19. CNNEspanol: Avanza und proyecto que permanent el matrimonio igualitario en Chile, Dezember 2021
  20. Chile: Neues Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Ehe in Kraft getreten - NPLA. In: Nachrichtenpool Lateinamerika. 23. März 2022, abgerufen am 17. Mai 2022 (deutsch).
  21. Meldung: Durchbruch: Freie Geschlechtswahl in Chile. In: Queer.de. 13. September 2018, abgerufen am 26. Juli 2021.
  22. Sabine Hannakampf: Kolumbien wird divers. In: Maenner.Media. 7. März 2022, abgerufen am 25. März 2022 („Kolumbiens Verfassungsgericht hat die Aufnahme der Kategorie ‚nicht-binär‘ in kolumbianischen Ausweisdokumenten angeordnet“).
  23. Uruguayischer Gesetzestext: Ley integral para personas trans. Uruguayisches Ministerium für soziale Entwicklung, 26. Oktober 2018 (spanisch; PDF: 4 MB, 10 Seiten auf presidencia.gub.uy).
  24. Goethe-Institut Chile: Politiken des Ich: Identität und Geschlecht in Argentinien. In: Goethe.de. Juni 2015, abgerufen am 25. Juli 2021 (übersetzt von Inka Marter).
  25. El Mostrador: Ataque a joven homosexual por grupo neonazi causa repudio ciudadano. 7. März 2012, abgerufen am 13. Mai 2022 (spanisch).