Vergiftung

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Klassifikation nach ICD-10
T36–T50 Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen und biologisch aktive Substanzen[1]
T51–T65 Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht medizinisch verwendeten Substanzen[2]
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Als Vergiftung (von „Gift“) oder Intoxikation werden bei Lebewesen jene Schäden bezeichnet, die durch Aufnahme einer jeweiligen Mindestmenge von verschiedensten Substanzen (u. a. Toxine, aber auch Medikamente oder psychotrope Substanzen wie Ethanol und Nicotin sowie sogenannte Gefahrstoffe) verursacht werden.

Das Krankheitsbild wird Toxikose (altgriechisch τοξίκωση toxíkosi, deutsch ‚Vergiftung‘) genannt. Vergiftungen mit mehreren Stoffen bezeichnet man als Poly- oder Mischintoxikationen.

Diagnose[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Möglichkeit einer Vergiftung sollte in Betracht gezogen werden bei

  • unerwarteten Todesfällen bei jungen, bis dahin gesunden Menschen
  • bei plötzlichen Erkrankungen von Kindern ohne bekannte Vorerkrankungen
  • bei gleichzeitiger Erkrankung mehrerer Personen oder Lebewesen
  • bei Rauschgiftabhängigen
  • bei Medikamentengaben
  • bei Personen mit erleichtertem Zugang zu Giften

Der Giftnachweis erfolgt meist durch Laboruntersuchungen.

Vergiftungsursachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vergiftungsursachen sind stark von Altersgruppe und Vergiftungsorten abhängig. Die häufigsten Vergiftungsfälle geschehen z. B. bei Kindern im Alter von 1 bis 4 Jahren durch Arzneimittel, chemische Produkte und Pflanzen und bei Säuglingen häufiger als bei über 70 Jahre alten Menschen.

Meist sind sie auf unsachgemäße Aufbewahrung zurückzuführen (z. B. in Getränkeflaschen), welche zu Verwechslungen führte. Weitere häufige Vergiftungsursachen sind Kosmetika, Pestizide, Pilze und Nahrungs- und Genussmittel. Die meisten Vergiftungen finden im Haushalt statt, gefolgt von Arbeitsplatz, Kindergärten und Krankenhäusern.

Die Vergiftungsursachen sind anhand der Symptome möglichst frühzeitig aufzudecken und durch die entsprechende Therapie zu behandeln.

Chronische Vergiftung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von einer chronischen Vergiftung spricht man bei langdauernder Einwirkung (Exposition) eines Giftes. Dies ist ein wichtiges Problem der Arbeitsmedizin. Auch eine langfristige Einnahme von Medikamenten kann zu chronischen Vergiftungserscheinungen führen. Berühmte Beispiele sind die Bleikinder und die Gressenicher Krankheit, aber auch der Alkoholismus bzw. das Rauchen.

Rechtsmedizinische Gesichtspunkte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine wichtige rechtsmedizinische Aufgabe in Vergiftungsfällen ist die Beweissicherung und Dokumentation. Es sollten Giftproben, Urin-, Blut- oder Gewebeproben sichergestellt werden.

Bei manchen Vergiftungen erlauben bereits äußerliche Zeichen eine Diagnose des Toxins. Beispielsweise werden handelsübliche Präparate des Pflanzenschutzmittels E 605 intensiv hellblau gefärbt. Damit sind manchmal Vergiftungen an der blauen Farbe am Mund des Patienten zu erkennen.

Maßnahmen und Erkennen einer Vergiftung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Maßnahmen bei akuten Vergiftungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Akute Vergiftungen müssen schleunigst ärztlich behandelt werden. Allgemeine Maßnahmen (Elementarhilfe) oder Ziele, die in der Regel bei akuten Vergiftungen unternommen werden bzw. erreicht werden sollen, sind:

  1. Entfernung des Giftes aus dem Körper (Entgiftung). Maßnahmen, die auf eine primäre Giftelimination abzielen, sind Gabe von Adsorbens wie Aktivkohle, forcierter Durchfall durch Natriumsulfat und Magenspülung. Das Hervorrufen von Erbrechen durch Ipecacuanha-Sirup ist nicht unproblematisch, da durch möglicherweise abgeschwächte oder erloschene Schutzreflexe Aspirationsgefahr besteht. Bei lokal schädigenden Noxen wie z. B. Säuren kann die Speiseröhre durch die erneute Passage zusätzlich geschädigt werden. Typisches Beispiel: Vergiftung eines Kleinkindes durch Geschirrspülmittel. Eine Maßnahme der sekundären Giftelimination ist die forcierte Diurese durch erhöhte Flüssigkeitszufuhr, beispielsweise durch Ringerlösung oder durch ein Schleifendiuretikum wie Furosemid.
  2. Inaktivierung/Entgiftung des Giftes, beispielsweise Komplexierung von Schwermetallen mit Chelatbildnern,
  3. Einsatz eines Gegenmittels: die Gabe eines Antidots gegen die Giftwirkung ist nur nach einer strengen Indikationsstellung für die jeweilige Maßnahme möglich. Vor allem müssen Art und Menge des Giftes bekannt sein. Es spielt aber auch der zeitliche Verlauf der Vergiftung und der klinische Zustand des Patienten eine Rolle. Manche Antidote haben ihrerseits schwerwiegende Nebenwirkungen.
  4. Blutwäsche durch Dialyse (Hämoperfusion).

Erkennen einer Vergiftung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Merkwortes SEPSIS kann helfen die Symptome einer Vergiftung zu erkennen:

  • Schüttelfrost, Fieber oder starke Muskelschmerzen
  • Extremes, nie gekanntes Krankheitsgefühl
  • Periphere Minderungsdurchblutung, verfärbte Haut
  • Schläfrigkeit, Verwirrtheit
  • Ich habe mich gefühlt, als würde ich sterben
  • Schnelle, Schwere Atmung, Luftnot

Giftinformation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Solche Informationen geben Vergiftungsberatungsstellen (beispielsweise in Deutschland, Schweiz, Österreich). Sie geben schnelle Hilfe in Vergiftungsverdachtsfällen für die Bevölkerung und für medizinisches Fachpersonal. Für den Normalverbraucher die Giftnotrufzentralen für Fragen zu inländischen Fällen und das Tropeninstitut bei Fernreisen.

Wirkungsweise einer Vergiftung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gifte wirken auf verschiedenste Weise auf den Organismus ein. Gifte können zersetzend auf Organe wirken, lähmen das Nervensystem und/oder Bewusstsein. Daneben kann die Zellatmung gänzlich blockiert oder gestört werden, was wiederum Organstörungen oder Zerstörungen hervorrufen kann. Alle diese Faktoren können allein oder zusammen als Vergiftungserscheinung auftreten und die unterschiedlichsten, aber meist unscheinbaren Symptome hervorrufen. All dies kann eine rasche Entdeckung und Behandlung einer Vergiftung erschweren.

Epidemiologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1995 wurden (in Deutschland) 2.944 Todesfälle durch akute Intoxikationen gezählt. Häufigster Stoff bei diesen Intoxikationen sind das Kohlenstoffmonoxid (CO), die Opioide (Heroin, Morphin usw.) gefolgt von den Schlafmitteln (Barbiturate und andere) und Beruhigungsmitteln (Hypnotika). Danach folgen die Alkoholvergiftungen (Ethanol, Methanol und Ethylenglycol).

Laut der Kriminalstatistik 2004 des Bundeskriminalamts (BKA) steht an erster Stelle Ethanol.[3] Auch 1995 betrug laut BKA der Anteil der nicht verkehrsfähigen Medikamente und Gifte bei tödlichen Vergiftungen etwa ein Drittel. Alkohol und legale Genussmittel hätten laut dem Bundeskriminalamt dagegen eine 23-Valenz an Intoxikationen.

Rechtslage in Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rechtliche Grundlagen im Bereich der Toxikologie sind folgende Gesetze:

Im Strafgesetzbuch war die Vergiftung bis 1998 als eigenständiger Tatbestand eines Verbrechens in § 229 StGB aF geregelt. Durch das 6. Strafrechtsreformgesetz wurde er in den § 224 (gefährliche Körperverletzung) überführt. Dadurch wurde der Tatbestand zu einem Vergehen herabgestuft, dessen Qualifikationen sich nunmehr nach den Regeln der Körperverletzung richten. Eine Verurteilung wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung oder Mordes durch Einsatz von Gift ist jedoch weiterhin möglich. Dabei umfasst die rechtliche Regelung auch das äußerliche Vergiften durch Kontaktgifte.

Ein besonderer Tatbestand ist die Gemeingefährliche Vergiftung (§ 314 StGB).

Auswahl historischer Vergiftungsfälle[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Helmut Schubothe: Vergiftungen. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1195–1217.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Vergiftung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikibooks: Erste Hilfe bei Vergiftung – Lern- und Lehrmaterialien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. ICD –10: Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen und biologisch aktive Substanzen
  2. ICD –10: Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht medizinisch verwendeten Substanzen
  3. Polizeiliche Kriminalstatistik 2004. Bundeskriminalamt (Deutschland).
  4. Oskar Panizza: Deutsche Thesen gegen den Papst und seine Dunkelmänner. Mit einem Geleitwort von M. G. Conrad. Neuausgabe (Auswahl aus den „666 Thesen und Zitaten“). Nordland-Verlag, Berlin 1940, S. 172 f.
  5. Gift im Schirm. Spiegel Special
  6. Spekulation um Giftanschlag: Geheime Krankenakte Juschtschenko. Spiegel Online.
  7. Geheimdienste: Ärzte rätseln über Vergiftung des Ex-KGB-Agenten Litwinenko. Spiegel Online.