Jörg Tauss

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Tauss, 2005

Jörg Tauss (* 5. Juli 1953 in Stuttgart) ist ein ehemaliger deutscher Politiker und war von 1994 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er war von 1971 bis 2009 Mitglied der SPD und danach von Juni 2009 bis Mai 2010 Mitglied der Piratenpartei. Im Mai 2010 wurde Tauss wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten zur Bewährung verurteilt.

Beruf und Familie

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Nach der Realschule absolvierte Tauss eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann in der Hauptverwaltung der Allianzversicherung. Im Jahr 1973 wechselte er als hauptamtlicher Mitarbeiter zur Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG), wo er bis 1984 in der Jugendarbeit tätig war. Danach bildete er sich zum Rechtssekretär fort und war anschließend kurzzeitig ab 1984 als freier Journalist hauptsächlich für eine kanadische Fluggesellschaft tätig. Seit 1976 ist Tauss verheiratet.

Tauss wurde im Jahr 1986 zum Zweiten Bevollmächtigten der IG Metall in Bruchsal gewählt und war von 1990 bis 1994 Pressesprecher der IG Metall Baden-Württemberg.

Politische Laufbahn

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Aufstieg in der SPD

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Im Jahr 1971 trat Tauss in die SPD ein. Er gehörte dem Vorstand des SPD-Kreisverbandes Karlsruhe-Land an und war von 2005 bis 2009 Generalsekretär der SPD in Baden-Württemberg. Bei der Bundestagswahl 1990 bewarb er sich erstmals[1] um ein Mandat, von 1994 bis 2009 war Tauss Mitglied des Deutschen Bundestages. In der SPD-Bundestagsfraktion war er von 1998 bis 2002 Medienbeauftragter. Von 2000 bis 2009 war er Sprecher der Fraktionsarbeitsgruppe Bildung und Forschung und Mitglied des Fraktionsvorstandes. Seit Oktober 2002 war er außerdem Obmann der SPD-Fraktion im Unterausschuss Neue Medien des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien und zuvor dessen erster Vorsitzender.

Laut einer Untersuchung des Satiremagazins Helgoländer Vorbote aus dem Jahr 2005 war Tauss mit 2736 Zwischenrufen in 185 untersuchten Sitzungen mit deutlichem Abstand der häufigste Zwischenrufer in Bundestagsdebatten.[2]

Rücktritt und Ermittlungsverfahren

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Am 5. März 2009 hob der Immunitätsausschuss des Bundestages im Zuge staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gegen Tauss wegen Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften[3] seine Immunität als Abgeordneter kurzfristig auf, um eine Durchsuchung seiner Wohn- und Büroräume zu ermöglichen. Tauss trat einen Tag danach von seinen Parteiämtern zurück.[4] Er behielt sein Bundestagsmandat,[4] verzichtete aber auf eine erneute Kandidatur.[5]

Tauss gab an, Kontakte zur Kinderpornografieszene aufgebaut zu haben und zu diesem Zweck auch „szenetypisches Material“ besessen zu haben. Grund dafür sei jedoch ausschließlich sein Versuch gewesen, neue Kommunikationswege der Händler zu ergründen. Tauss erklärte dazu, er halte sich für „nicht schuldig im Sinne der Anklage“[6] und vertrat die Rechtsauffassung, als zuständiger Fachpolitiker im Bundestag im Sinne von § 184b StGB, Absatz 5, zu seinen Recherchen berechtigt gewesen zu sein.[6]

Die ermittelnde Staatsanwaltschaft Karlsruhe erklärte, es seien „keine objektiven Anhaltspunkte“ für die von Tauss angeführten Recherchetätigkeiten gefunden worden; seine dahin gehenden Behauptungen seien „widerlegt“.[7]

Wechsel von der SPD zur Piratenpartei

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Tauss nach seinem Übertritt zur Piratenpartei auf einer Demonstration, rechts der damalige Bundesvorsitzende der Piratenpartei Jens Seipenbusch

Am 20. Juni 2009 trat Tauss nach 38 Jahren Mitgliedschaft wegen des Abstimmungsverhaltens der SPD-Bundestagsfraktion beim Zugangserschwerungsgesetz[8][9] aus der SPD aus und wurde kurz darauf Mitglied der Piratenpartei.

Bei der Bundestagswahl 2009 kandidierte Tauss nicht für die Piratenpartei.[10] Der Bundesvorstand der Piratenpartei sprach von einer „Schmutzkampagne“ der Staatsanwaltschaft gegen Tauss und kritisierte die einstimmige Aufhebung von Tauss' Immunität als „Wahlkampfmanöver“.[11][12]

Zwei Tage nach seiner erstinstanzlichen Verurteilung am 28. Mai 2010 trat Tauss aus der Piratenpartei aus.[13] Einen Wiedereintritt von Tauss lehnte die Piratenpartei im Oktober 2011 mit der Begründung ab, dass seine Mitgliedschaft dem Frieden und der Geschlossenheit der Partei schade.[14]

Strafprozess und Verurteilung

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Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe erhob am 9. September 2009 Anklage beim Landgericht Karlsruhe wegen Besitzes, Weitergabe und Erlangen von kinderpornografischem Material.[15] Sie warf Tauss vor, sich dieses rein privat beschafft zu haben, um sich daran sexuell zu erregen.[16] Am Tag zuvor war der Bundestag einer Empfehlung des Immunitätsausschusses gefolgt und hatte Tauss’ parlamentarische Immunität einstimmig aufgehoben, um eine Anklageerhebung zu ermöglichen.[7] Der am 18. Mai 2010 vor der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe eröffnete Prozess erfuhr breite Medienaufmerksamkeit.

Am 28. Mai 2010 wurde Tauss nach § 184b StGB wegen des „Besitzes kinderpornographischer Schriften u. a. in insgesamt 102 Fällen“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten zur Bewährung verurteilt.[17] Die Bewährungszeit wurde auf zwei Jahre festgelegt. Tauss’ Einlassung, er habe die Taten begangen, um eigene Erkenntnisse über die Verbreitung von Kinderpornographie im Internet zu gewinnen,[18] war das Landgericht nicht gefolgt. Zur Frage, ob sexuelle Motive vorlagen, traf das Gericht keine Feststellungen, da dies für die Tatbestandsverwirklichung des § 184b StGB nicht erforderlich war. Das Urteil beschränkte sich auf die Feststellung eines ausschließlich „privaten Interesses“ an dem Material.

Das Urteil wurde am 24. August 2010 rechtskräftig, da der Bundesgerichtshof Tauss’ Revision als „offensichtlich unbegründet“ verwarf.[19][20]

Politische Positionen und Aktivitäten

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Russlandbrücke

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Tauss ist Vorsitzender der West-Ost-Gesellschaft in Baden-Württemberg e.V., die unter der Website russlandbruecke.de[21] vor allem Kreml-nahe Meinungen verbreitet, unter anderem 2021, als in einem offenen Brief ein Ende der Sanktionen gegen die Krim gefordert und die völkerrechtswidrige Annexion der Halbinsel durch Russland gerechtfertigt wurde.[22]

Nach der Einführung eines Kontrollsystems für die Lkw-Maut stellte Tauss 2005 unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen den Antrag, die nach dem Vergabeverfahren zur LKW-Maut in Deutschland mit dem Konsortium Toll Collect ausgehandelten Verträge einzusehen. Dieser Antrag wurde abgelehnt.[23] Tauss legte Klage gegen diese Entscheidung ein, diese wurde im Juni 2008 mit der Begründung eines laufenden Schiedsverfahrens und der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen abgewiesen.[24][25]

Tauss befasst sich seit dem Anfang der 1990er Jahre schwerpunktmäßig mit Themen wie Kryptographie im Internet und Informationelle Selbstbestimmung. Er kritisierte in den 1990er Jahren wiederholt Initiativen zur Einführung von Verboten privater Verschlüsselung und zur systematischen Überwachung von Informationsströmen im Internet. Bereits 1995 gründete er den Virtuellen Ortsverein der SPD, der als Vorreiter der digitalen Parteiorganisationen gilt.[26][27] Tauss ist Mitglied des Chaos Computer Clubs.[28]

Tauss war einer von drei SPD-Abgeordneten, die im Bundestag am 18. Juni 2009 gegen das Zugangserschwerungsgesetz der großen Koalition stimmten.[29] Am 1. Juli 2009 legte er vor dem Bundesverfassungsgericht Organklage gegen das Gesetz ein, da der Bundestag trotz erheblicher Änderungen am Gesetzentwurf während des Gesetzgebungsverfahrens keine erneute erste Lesung anberaumt habe.[30]

Tauss hatte sich 2001 gegen die Sperrung von Webseiten in Nordrhein-Westfalen eingesetzt. Damals sollten drei rechtsextreme Websites sowie die Schockerseite rotten.com gesperrt werden. Tauss bezeichnete die Sperren 2001 als „technisch unwirksam und rechtlich höchst umstritten“. Sie würden auch dazu beitragen, „dass die beanstandeten Seiten erst bekannt werden“.[31]

Commons: Jörg Tauss – Sammlung von Bildern und Videos
 Wikinews: Jörg Tauss – in den Nachrichten

Einzelnachweise

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  1. Anne Seith: Ex-Abgeordneter vor Gericht. Tauss gibt den Anti-Porno-Sheriff. In: Spiegel Online. 18. Mai 2010, abgerufen am 19. Mai 2010.
  2. Eifrigster Zwischenrufer im Bundestag gekürt (Memento vom 12. März 2009 im Internet Archive). In: RP Online, 14. Juli 2005.
  3. Ermittlungsverfahren gegen ein Mitglied des Deutschen Bundestages wegen Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften. Staatsanwaltschaft Karlsruhe, 6. März 2009, abgerufen am 6. März 2009.
  4. a b Tauss legt Parteiämter nieder. heise.de, 6. März 2009.
  5. spdnet.sozi.info: Rede von Jörg Tauss für die Konferenz der Ortsvorsitzenden der SPD-Karlsruhe-Land (Memento vom 7. April 2009 im Internet Archive), S. 6, veröffentlicht auf der Website des Abgeordneten.
  6. a b Jörg Tauss: Stellungnahme des Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vor der Presse am 11.3.2009. (PDF; 79 kB) In: tauss.de. 11. März 2009, abgerufen am 28. Mai 2010.
  7. a b Staatsanwalt erhebt Anklage gegen Abgeordneten Tauss. In: Spiegel online, 9. September 2009.
  8. Homepage von www.tauss.de am 27. Juni 2009 (Memento vom 27. Juni 2009 im Internet Archive)
  9. Jürgen Kuri: Jörg Tauss tritt wegen Gesetz zu Kinderporno-Sperren aus SPD aus [Update]. In: Heise online, 20. Juni 2009. Vgl. Jörg Tauss verkündet erstmals Wechsel zur Piratenpartei (Video, youtube.com).
  10. Jörg Tauss. Der erste „Pirat“ im Bundestag. In: FAZ.net, 21. Juni 2009. Abgerufen am 19. Mai 2010.
  11. Ex-SPD-Politiker soll wegen Kinderpornos vor Gericht. Hamburger Abendblatt, 22. Juli 2009
  12. Kinderporno-Verdacht. Staatsanwalt erhebt Anklage gegen Abgeordneten Tauss. In: Spiegel Online, 9. September 2009.
  13. Jörg Tauss: Jörg Tauss erklärt seinen Austritt aus der Piratenpartei. Piratenpartei, 30. Mai 2010, archiviert vom Original am 2. Juni 2010; abgerufen am 31. Mai 2010.
  14. Tauss muss draußen bleiben. In: sueddeutsche.de vom 28. Oktober 2011
  15. Staatsanwaltschaft Karlsruhe: Anklage zum Landgericht Karlsruhe erhoben Pressemitteilung vom 9. September 2009
  16. Staatsanwaltschaft fordert Bewährungsstrafe (Memento vom 30. Mai 2010 im Internet Archive) Stuttgarter Zeitung vom 27. Mai 2010
  17. Webseite des Landgerichts Karlsruhe: Ehemaliger Bundestagsabgeordneter Jörg Tauss wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften u. a. verurteilt., abgerufen am 3. Juni 2010
  18. Vgl. § 184b (5) StGB: „Die Absätze 2 und 4 gelten nicht für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen.“
  19. Website des Bundesgerichtshofs: Urteil gegen ehemaligen Bundestagsabgeordneten wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften rechtskräftig, abgerufen am 7. Oktober 2010
  20. Frankfurter Rundschau: Die Akte Tauss ist geschlossen. 31. August 2010, abgerufen am 31. August 2010
  21. Impressum….. – Russlandbrücke – West-Ost-Gesellschaft Baden-Württemberg e.V. Abgerufen am 16. Juni 2022 (deutsch).
  22. NDR: Festivalchef Volker Kufahl ergriff 2021 Partei für Russland. Abgerufen am 16. Juni 2022.
  23. Verträge zur LKW-Maut bleiben geheim. heise newsticker, 22. Mai 2006.
  24. Maut-Vertrag: Klage in erster Instanz abgewiesen – beschwerlicher Weg zur Informationsfreiheit. Pressemitteilung des Abgeordneten vom 13. Juni 2008.
  25. www.lda.brandenburg.de: Anonymisiertes Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin (Memento vom 31. Januar 2012 im Internet Archive) (PDF)
  26. Jörg Tauss: Gründungsaufruf zum 1. virtuellen Ortsverein (Memento vom 6. Juni 2009 im Internet Archive). www.vov.de, 16. Juni 1995.
  27. Claus Leggewie, Christoph Bieber: Interaktive Demokratie. Politische Online-Kommunikation und digitale Politikprozesse. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 41-42/2001.
  28. Podcast Congressradio #6 des Chaos Computer Clubs (CCC).
  29. Namentliche Abstimmung zum Zugangserschwerungsgesetz (Memento vom 10. Juli 2009 im Internet Archive), Deutscher Bundestag, 18. Juni 2009.
  30. Tauss klagt gegen „Zensursulas“ Netzsperren (Memento vom 27. März 2010 im Internet Archive), Netzeitung, 2. Juli 2009.
  31. Wenn der Briefträger alle Briefe lesen muss. In: Berlinonline.de, 23. November 2001.