Jakow Trachtenberg
Jakow Trachtenberg (* 17. Juni 1888 in Odessa; † 26. Oktober 1951 in Zürich) war ein russischer Ingenieur und der Erfinder der Trachtenberg-Schnellrechenmethode zum schnellen Kopfrechnen auf Basis von Merkregeln.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Jakow Trachtenberg stammte aus der großen jüdischen Unternehmerfamilie Trachtenberg in Odessa (damals Russisches Kaiserreich, heute Ukraine), zu der auch der nur wenig ältere Alexander Trachtenberg zählte.[1] Er war ein Sohn des Holzhändlers Georgi (Hersh) Trachtenberg und dessen Frau Rosalie (Rokhl), geb. Gogisch (oder Hoisch). Er wurde christlich getauft; 1945 bezeichnete er seine Konfession als evangelisch.[2]
Trachtenberg schloss sein Ingenieur-Studium am Bergbau-Institut in Sankt Petersburg mit Auszeichnung ab. Später begann er für das Sankt Petersburger Obuchow-Werk zu arbeiten, wo er Chefingenieur wurde. Nach der Oktoberrevolution floh Trachtenberg als Bauer verkleidet vor den Sowjets nach Berlin. Hier fand er eine neue Heimat; 1930 heiratete er die Konzertsängerin und Pianistin Alice Bredow (* 19. Februar 1893 in Berlin), eine Tochter des Malers Albert Bredow[3], die in späteren Berichten über sein Leben zur Gräfin Alice von Bredow wird, Tochter des Hofmalers des letzten russischen Kaisers Nikolaus II.[4] Er schrieb Artikel für eine pazifistische Zeitschrift und veröffentlichte als Russland-Kenner ein Buch über die russische Industrie[4]. Trachtenberg hatte seinen eigenen Verlag. Sein Lehrbuch der russischen Sprache in der neuen Orthographie nach der Methode Trachtenberg erlebte zwischen 1927 und 1932 sieben Auflagen.[5] Wie Dieter E. Zimmer nachweisen konnte, hat Vladimir Nabokov daran mitgearbeitet.[6]

Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Anfang 1933 veröffentlichte Trachtenberg, der als Flüchtling staatenlos war und einen Nansenpass hatte, in seinem Verlag eine auf Deutsch, Englisch und Französisch abgefasste Broschüre namens „Die Greuelpropaganda ist eine Lügenpropaganda, sagen die deutschen Juden selbst“, in der er die Nationalsozialisten gegen ausländische Presseberichte in Schutz zu nehmen versuchte.[7] Dennoch floh er 1934 mit seiner Frau nach Wien in Österreich, wo er aber nur bis zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich sicher war.
Trachtenbergs Lebensweg in den folgenden Jahren ist nicht ganz geklärt bzw. es gibt dazu verschiedene Überlieferungen. Nach den Angaben im Vorwort zu seiner Rechenmethode wurde er verhaftet, konnte aber nach Jugoslawien fliehen, wo er zunächst im Untergrund lebte, bis er abermals inhaftiert wurde und anschließend vier Jahre in Gestapo-Gefängnissen und Konzentrationslagern verbrachte. Hier begann er seine mathematischen Methoden zu entwickeln, wobei er nichts niederschrieb, da ihm weder Papier noch Stifte zur Verfügung standen. Mit Hilfe seiner Frau, die die Wachen bestach, konnte er 1945 in die Schweiz fliehen.[4] In einem Schweizer Vernehmungsprotokoll vom 3. Juni 1949 erklärte Trachtenberg, er sei 1940 als Staatenloser nach Jugoslawien abgeschoben worden und habe sich in Zagreb und Split aufgehalten. 1944 sei er in Split verhaftet worden und sollte mit einem Transport in ein Vernichtungslager geschickt werden. Seiner Frau und Freunden sei es aber gelungen, ihn stattdessen nach Triest abzuleiten, von wo er nach Mailand und von dort in die Schweiz flüchten konnte.[8][9]
Der Übertritt in die Schweiz gelang am 25. April 1945 in Pedrinate bei Chiasso.[10] Das Ehepaar wurde vorübergehend in der Casa d'Italia in Bellinzona interniert und zog dann mit Hilfe der Evangelischen Freiplatzaktion nach Zürich. In der Schweiz entwickelte Trachtenberg seine Methoden weiter und veröffentlichte die „in 22 Gefängnissen und Kellern der Gestapo“ entwickelte Schnellrechenmethode in der sogenannten Trachtenberg-Fibel. Bereits sechs Tage nach Erscheinen waren die erste und zweite Auflage seiner Fibel vergriffen.[4] Er erlangte einige Bekanntheit und unterrichtete seine Methode bis zu seinem Tod an einem von ihm gegründeten Institut in der Schweiz.
Er starb „nach kurzer, schwerer Krankheit“ im Oktober 1951. Die Beisetzung erfolgte auf dem Friedhof Fluntern.[11] Weltweit bekannt wurde Trachtenberg jedoch erst nach seinem Tod durch das Buch The Trachtenberg Speed System of Basic Mathematics der amerikanischen Journalisten Ann Cutler und Rudolph McShane, das seine Schnellrechenmethode im englischsprachigen Raum bekannt machte. Das Buch wurde ein Bestseller.[4] In Deutschland erschien das Buch unter dem Titel Die Trachtenberg-Schnellrechenmethode.
Die Trachtenberg-Schnellrechenmethode
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Trachtenberg-Schnellrechenmethode besteht aus einer Sammlung von Merkregeln wie z. B. „Verdoppeln Sie jede Ziffer und addieren Sie den Nachbarn“, die teilweise bereits bekannt waren, aber von Trachtenberg erstmals systematisch zusammengefasst und veröffentlicht wurden.[4]
Ob dieses Rechenverfahren allerdings tatsächlich von ihm während der KZ-Haft erfunden wurde, ist umstritten. Es existieren Hinweise[12] auf ein Schnellrechenverfahren aus der Zeit der Weimarer Republik, das damals als Kreuzmethode oder Kreuzvielfachen bezeichnet wurde und einem Doktor namens Ferrol zugeschrieben wird. Dieses Kreuzvielfachen ist mit dem von Trachtenberg ab 1950 in der Schweiz gelehrten Verfahren methodisch gleich.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Zur Person
- Halber Nachbar. In: Der Spiegel. Nr. 37, 1963 (online).
- Spiegel Online: Trachtenberg-Rechensystem: Plus halber Nachbar statt mal sechs.
- Zur Rechenmethode
- Ann Cutler, Rudolph McShane: Die Trachtenberg-Schnellrechenmethode. Hyperion-Verlag, Freiburg im Breisgau 1963.
- Ann Cutler, Rudolph McShane: The Trachtenberg Speed System of Basic Mathematics. Souvenir Press, 2008, ISBN 978-0-285-62916-5.
- Holger Dambeck: Nullen machen Einsen groß: Mathe-Tricks für alle Lebenslagen. 2. Auflage. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, ISBN 978-3-462-04511-6.
- Katja Löscher: Alternative Rechenverfahren zu den schriftlichen Normalverfahren der Grundrechenoperationen. Grin Verlag, München 2008, ISBN 978-3-640-11761-1.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Jakow Trachtenberg im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Dossiers zu Jakow und Alice Trachtenberg, Schweizerisches Bundesarchiv
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Jewish magnates, vgl. Steven J. Zipperstein: The Jews of Odessa: A Cultural History, 1794-1881. Stanford: Stanford University Press 1991, ISBN 9780804766845, S. 120
- ↑ Nach dem Einvernahmeprotokoll vom 28. April 1945, Schweizerisches Bundesarchiv
- ↑ Siehe ihren Geburtseintrag vom 21. Februar 1893 (Berlin IX, Nr. 369/1893) und den Eintrag im Trauregister Charlottenburg I vom 5. Juni 1930 (Nr. 429/1930): Konzertsängerin Alice Margarete Bredow, abgerufen über ancestry.com am 15. Oktober 2025
- ↑ a b c d e f Halber Nachbar. In: Der Spiegel. Nr. 37, 1963 (online).
- ↑ Matthias Heeke: Reisen zu den Sowjets: der ausländische Tourismus in Russland 1921-1941 ; mit einem bio-bibliographischen Anhang zu 96 deutschen Reiseautoren. (= Arbeiten zur Geschichte Osteuropas 11), Münster: LIT 2003, ISBN 978-3-8258-5692-2, S. 120
- ↑ Dieter E. Zimmer: The Banana was a Pineapple, in: The Nabokovian 27 (1991), S. 37f (Digitalisat)
- ↑ Google Books
- ↑ Vernehmungsprotokoll, Schweizerisches Bundesarchiv
- ↑ Eine ausführlichere Darstellung (in französischer Sprache) findet sich in Trachtenbergs Einvernahmeprotokoll vom 28. April 1945, Schweizerisches Bundesarchiv. In beiden Vernehmungen berichtet Trachtenberg zwar von Gestapohaft bis zu acht Tagen und von Zwangsarbeit, jedoch nicht von einem Aufenthalt in einem Konzentrationslager
- ↑ Siehe die Dossiers im Schweizerischen Bundesarchiv (Weblinks)
- ↑ Traueranzeige, Schweizerisches Bundesarchiv
- ↑ Karl Menninger: Rechenkniffe: Lustiges und vorteilhaftes Rechnen – ein Lehr- und Handbuch für das tägliche Rechnen. Karl Poths, Frankfurt am Main 1931.
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Trachtenberg, Jakow |
| ALTERNATIVNAMEN | Трахтенберг, Яков (russisch) |
| KURZBESCHREIBUNG | russischer Ingenieur und der Erfinder der Trachtenberg-Schnellrechenmethode |
| GEBURTSDATUM | 17. Juni 1888 |
| GEBURTSORT | Odessa, Russisches Kaiserreich |
| STERBEDATUM | 26. Oktober 1951 |
| STERBEORT | Zürich |