Jean Étienne Esquirol

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Jean-Étienne Esquirol)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Jean-Étienne Dominique Esquirol
Hospiz zu Charenton, Saint-Maurice (Val-de-Marne)
Hospiz zu Charenton, Statue von Esquirol

Jean Étienne Dominique Esquirol (* 4. Januar 1772 in Toulouse; † 12. Dezember 1840 in Paris) war ein französischer Psychiater.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jean Étienne Esquirol studierte Theologie in Toulouse in dem von den Doktrinariern betriebenen Collège de l‘Esquile und anschließend in Paris im Priesterseminar St. Sulpice. Als dasselbe während der Französischen Revolution geschlossen wurde, kehrte er nach Touluse zurück und beschloss Medizin zu studieren. 1794 kam er als Schüler in das Militärlazarett in Narbonne. Anschließend studierte er Medizin in Montpellier. 1799/1800 eröffnete er eine Privatanstalt zur Behandlung von Geisteskranken. Nachdem er 1805 in Paris seinen medizinischen Doktorgrad erhalten hatte, besuchte er 1808 alle psychiatrischen Krankenhäuser in Frankreich und wurde dann 1811 „Interner“ bei Philippe Pinel am Hôpital de la Salpêtrière in Paris. 1814 unternahm er eine weitere Inspektionsreise zu allen Psychiatriekrankenhäusern in Frankreich. 1814 wurde er Mitglied der Ehrenlegion. 1817 begann er, klinische Vorträge über Seelenkrankheiten und Seelenheilkunde zu halten. 1818 veranlasste er die Ernennung einer Kommission zur Untersuchung und Abstellung der Missbräuche in den Psychiatrischen Kliniken.

Im Jahr 1823 wurde Esquirol Generalinspektor der Universität. 1826 folgte er Antoine-Athanase Royer-Collard als Chefarzt im Hospiz zu Charenton bei Paris. Infolge der Julirevolution von 1830 verlor Esquirol seine öffentlichen Ämter und widmete sich fortan fast ausschließlich der Arbeit als Irrenarzt im Hospiz zu Charenton, das Vorbildfunktion bekam.[1][2][3][4][5]

Sein Grabmal befindet sich auf dem Friedhof Père Lachaise.[6]

Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Esquirol griff das Konzept der Manie sans delire seines Lehrers Philippe Pinel auf, dem er sich 1799 in Paris angeschlossen hatte und mit dem er von 1810 bis 1826 gemeinsam die Leitung der Salpêtrière[7] hatte, und entwickelte aus ihm seine Lehre der Monomanien. Dabei stützte er sich auch auf das 1816 veröffentlichte Konzept der „Pathomanie“ des Genfer Arztes André Matthey.

Unter Monomanie verstand Esquirol eine isolierte (partielle) Störung von psychischen Funktionen, welche andere psychische Bereiche jedoch unbeeinträchtigt lässt.[8] Eine Weiterentwicklung der Monomanielehre erfolgte durch Charles Chrétien Henry Marc.

Er führte 1815 die (ursprünglich von Patienten benutzten) Begriffe „Grand mal“ und „Petit mal“ sowie den Begriff der „symptomatischen Epilepsie“ in die medizinische Nomenklatur ein.[9] Im Jahr 1838 wurde ein von Esquirol eingebrachter Gesetzentwurf verabschiedet, der das erste umfassende Gesetz zur Regelung des Irrenwesens in Europa war.[10]

In seiner Veröffentlichung Des maladies mentales (1838) legte er den Grundstein zur Klassifikation und psychopathologischen Beschreibung von Halluzinationen. Esquirol leistete Grundlegendes in der Erforschung und Behandlung von Geisteskrankheiten.

In der Therapie stand Esquirol den damals verbreiteten Behandlungen mit Brechmitteln, Aderlass und Opium eher skeptisch gegenüber.[11]

Schriften (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Des passions. Considérées comme causes symptômes et moyens curatifs d'alienation mentale. Thèse, Paris 1805, (Digitalisat)
  • Artikel „hallucination“ (ohne Ort und Jahr) (Digitalisat)
  • Diverse Artikel über „aliénation mentale“ im Dictionnaire des sciences médicales. Band 8, Paris 1814 (Digitalisat)
  • Des établissements des Aliénés en France et des moyens d’améliorer le sort de ces infortunés. Paris 1819
  • Karl Christian Hille, Johann Christian August Heinroth (Bearbeitung und Kommentar): Esquirol’s allgemeine und specielle Pathologie und Therapie der Seelenstörungen. Hartmann, Leipzig 1827 (Digitalisat).
  • Note sur la monomanie-homicide. Baillière, Paris 1827 (Digitalisat).
  • Instruction populaire sur le régime à suivre pour se préserver du choléra-morbus. Bourseul, Douai 1832 (Digitalisat)
  • Des illusions chez les aliénés. Question médico-légale sur l’isolement des aliénés. Crochard, Paris 1832 (Digitalisat)
    • William Liddell (Übersetzer). Observations on the illusions of the insane and on the medico-legal question. Renshaw and Rush, London 1833 (Digitalisat)
  • Examen du projet de loi sur les aliénés. Baillière, Paris 1838 (Digitalisat).
  • Des maladies mentales. 2 Bände. Tircher, Paris 1838 (Digitalisat).
  • W. Bernhard (Übersetzer). Die Geisteskrankheiten in Beziehung zur Medizin und Staatsarzneikunde. Voß, Berlin 1838, Band I (Digitalisat); Band II (Digitalisat)
  • E. K. Hunt (Kommentierte Übersetzung). Mental maladies. A treatise on insanity. Philadelphia 1845 (Digitalisat).
  • Von den Geisteskrankheiten. Hrsg. und eingeleitet von Erwin Heinz Ackerknecht. Bern/Stuttgart 1968.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Tobias Müller: Störung der Impulskontrolle – Alter Wein in neuen Schläuchen? In: Rolf Baer u. a.: Wege psychiatrischer Forschung. Perimed, Erlangen 1990, ISBN 3-88429-390-7.
  • Magdalena Frühinsfeld: Kurzer Abriß der Psychiatrie. In: Anton Müller. Erster Irrenarzt am Juliusspital zu Würzburg: Leben und Werk. Kurzer Abriß der Geschichte der Psychiatrie bis Anton Müller. Medizinische Dissertation Würzburg 1991, S. 9–80 (Kurzer Abriß der Geschichte der Psychiatrie) und 81–96 (Geschichte der Psychiatrie in Würzburg bis Anton Müller), insbesondere S. 75–79.
  • Uwe H. Peters: Lexikon Psychiatrie, Psychotherapie, medizinische Psychologie. Urban & Fischer, München 2000, ISBN 3-437-15060-X.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Barbara I. Tshisuaka: Esquirol, Jean Etienne Dominique. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 370–371, hier: S. 370.
  2. Magdalena Frühinsfeld: Kurzer Abriß der Psychiatrie. 1991, S. 75.
  3. Dictionnaire des sciences médicales. Biographie médicale. Charles Louis Fleury Panckoucke, Paris 1820–1825, Band IV, 1821, S. 58–59 (Digitalisat).
  4. Rudolf Arndt. Jean-Étienne-Dominique Esquirol. In: Ernst Julius Gurlt, August Hirsch: Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker. Band II, Urban & Schwarzenberg, Wien/Leipzig 1885, S. 305–307 (Digitalisat).
  5. Amédée Dechambre: Dictionnaire encyclopédique des sciences médicales. Paris 1888, Band 36, S. 91 (Digitalisat).
  6. Es trägt die Inschrift « Jean Dominique Etienne Esquirol né à Toulouse, médecin en chef de la Maison Royale de Charenton, président du conseil de salubrité, membre de l'Académie Royale de Médecine, de la Légion d’Honneur, décédé à Paris le 12 décembre 1840 dans sa 69e année et Anne Joséphine Constance Carré née à Paris, sa veuve, décédée le 9 avril 1841 dans sa 54e année. »
  7. Magdalena Frühinsfeld: Kurzer Abriß der Psychiatrie. In: Anton Müller. Erster Irrenarzt am Juliusspital zu Würzburg: Leben und Werk. Kurzer Abriß der Geschichte der Psychiatrie bis Anton Müller. Medizinische Dissertation Würzburg 1991, S. 9–80 (Kurzer Abriß der Geschichte der Psychiatrie) und 81–96 (Geschichte der Psychiatrie in Würzburg bis Anton Müller), S. 75.
  8. Auf Esquirols Anregung geht wahrscheinlich ein Gemäldezyklus zum Thema Monomanie zurück, den Théodore Géricault um 1820 schuf. Ein Teil der Gemälde ist verschollen, erhalten blieb unter anderem der Geisteskranke mit militärischem Größenwahn. Vgl. Mariantonia Reinhard-Felice (Hrsg.): 100 Meisterwerke aus der Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz», Winterthur. Basel 2008, ISBN 978-3-7965-2244-4, S. 98 f.
  9. Dictionnaire des sciences médicales. Band 12, C.L.F. Panckoucke, Paris 1815, S. 510–538, hier: S. 513 (Digitalisat).
  10. Magdalena Frühinsfeld: Kurzer Abriß der Psychiatrie. 1991, S. 78.
  11. Hans Bangen: Geschichte der medikamentösen Therapie der Schizophrenie. Berlin 1992, ISBN 3-927408-82-4, S. 19.