Johannes Cotto

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Johannes Cotto, auch bekannt als Johannes Affligemensis und ähnlich lautenden Namen lebte um 1100 und war ein Musiktheoretiker, der wahrscheinlich in Süddeutschland oder der Schweiz arbeitete.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Johannes verfasste eine der einflussreichsten Abhandlungen über die Musik des Mittelalters, De musica cum tonario, die erstmalig von Martin Gerbert im Jahr 1784 gedruckt wurde. Die Abhandlung enthält u. a. ungewöhnlich präzise Anleitungen für die Komposition des einstimmigen gregorianischen Gesangs und des Organum. Johannes Cotto mag selber ein Komponist gewesen sein, obwohl keine Musik von ihm überliefert ist. Seine Anweisungen für die Komposition von Melodien mit sorgfältigen und praktischen Hinweisen zu Tempo, Position von hohen und niedrigen Noten und die Verwendung erkennbarer Figurationen bei unterschiedlicher Stimmung könnten auf eigenen Erfahrungen beruhen.

Über sein Leben ist fast nichts bekannt, sogar seine Identität wird von Forschern kontrovers diskutiert. Gerbert berichtet, dass die Einleitung der inzwischen verlorenen Handschrift mit De musica in Paris die Überschrift Epistola Johannis Cottonis ad Fulgentium getragen habe. Es könnte sich bei ihm daher um einen John Cotton bzw. John Cotto[1] aus England handeln,[2] der bei einem Abt namens Fulgentius in oder nahe bei St. Gallen tätig war. Er kannte offenbar die besonderen Eigenheiten der Gesänge aus dieser Region und Eigentümlichkeiten der Notenschrift, wie sie nur in Süddeutschland vorkamen, und er verwendete die griechischen Namen Phrygisch und Mixolydisch für die Modi, was vor allem in Deutschland üblich war. Darüber hinaus zitierte er Gesänge aus dem Repertoire von St. Gallen und von Hermannus Contractus aus dem Kloster Reichenau.

Edwin Frederick Flindell[3] wiederum kommt anhand zahlreicher Quellen zum Schluss, Johannes Cotto sei wahrscheinlich etwa 1065 in Englands Midlands geboren worden. 1088 oder 1089 wurde er in der Benediktinerabtei von Le Bec zum Mönch geweiht. Diese Abtei war unter Abt Anselm ein hervorragender Ort für Studien zur Musik. Außer seiner Arbeit an De musica wirkte Johannes als Chorleiter, Sänger, Komponist und Lehrer.[4] Wahrscheinlich reiste er auch nach Italien, Deutschland und England. Wegen seiner Widmung in De musica muss Johannes im Jahr 1121 noch gelebt haben.

Die Bezeichnung als Affligemensis[5] resultiert daraus, dass sein Werk De musica dem Benediktinerabt Fulgentius (1089–1121) aus der Abtei Affligem bei Brüssel gewidmet ist.[6] Deshalb könnte Johannes auch aus Lothringen oder Flandern stammen. Joseph Smits van Waesberghe erkennt in seinem Werk zudem Ähnlichkeiten mit anderen Schriften aus der Region von Lüttich.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Martin Gerbert: Scriptores ecclesiastici de musica sacra potissimum, Bd. II, St. Blasien 1784, S. VIIIf
  • Joseph Smits van Waesberghe (Hrsg.): Johannis Affligemensis – De musica cum tonario (Corpus scriptorum de musica, Bd. 1), Rom 1950, ISBN 978-1-59551-274-1, § 4. Biographical Notice, S. 22–33 und § 5. The Author Reflected in his Treatise, S. 34–37.
  • Joseph Smits van Waesberghe. Johannes of Afflighem or John Cotton?, in: Musica Disciplina 6 (1952), S. 139–153.
  • Claude V. Palisca (Hrsg.): Hucbald, Guido, and John on music: Three Medieval Treatises (Music theory translation series Bd. 3), New Haven und London 1978, ISBN 978-0-300-02040-3, S. 87–100 (Introduction). Die Introduction wurde nachgedruckt als An introduction to the Musica of Johannes dictus Cotto vel Affligemensis, in: Bryan R. Gillingham, Paul A. Merkley (Hrsg.): Beyond the Moon: Festschrift Luther Dittmer, (Musicological Studies 53), Ottawa 1990, ISBN 978-0-931902-65-9, S. 144–162.
  • Norman F. Smith: "Johannes Afflighemensis", in Stanley Sadie (Hrsg.): The New Grove Dictionary of Music and Musicians, London 1980, ISBN 1-56159-174-2. Reprint 1995, Bd. 9, S. 659f.
  • Claude V. Palisca: Johannes Cotto, Oxford 2001. Grove music online (nur mit Subskription verfügbar).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Wolfgang Hirschmann: Johannes, gen. Cotto oder Afflig[h]emensis MGG online, u. a. mit einer umfangreichen Literaturliste
  • musicologie.org, Quellen, Editionen, Bibliographie, Kommentare (auf französisch).
  • englische Wikipedia
  • Bellermann, H., "Johannes Cotto" in: Allgemeine Deutsche Biographie 14 (1881), S. 453–454; Online-Version

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Siehe Claudia Fabian: Personennamen des Mittelalters - Nomina Scriptorum Medii Aevi, 2. Aufl. München 2000, Reprint 2012, für weitere Schreibweisen: Jean Cotton, Johan Cotton, Johannes Cotton, Johannes Cottonis, Johannes Cottonius, Johannes Musicus.
  2. Wolfger von Prüfening schreibt 1170 «Joannes musicus natione Anglicus, vir admodum subtiliis ingenii fuit, qui et libellum praestantissimum de musica arte composuit.» – «Johannes, Musiker englischer Nationalität, war ein Mann subtiler Genialität, der ein hervorragendes Büchlein über die Kunst der Musik schrieb.» Siehe Migne PL
  3. Edwin Frederick Flindell: Joh[ann]is Cottonis, in: Musica Disciplina 20 (1966), S. 11–20.
  4. Kapitel VII, VIII; XIV, XV, XIX, XXII.
  5. Weitere Schreibweisen: Johannes Afflighemensis, Johannes von Affligem, John of Affligem.
  6. Michel Huglo, L'auteur du traité de musique dédié à Fulgence d’Affligem, in: Revue belge de Musicologie / Belgisch Tijdschrift voor Muziekwetenschap 31 (1977), S. 5–19.