Karl Gräser (Offizier)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Karl Gräser in seinem Naturstuhl
Im Museo Casa Anatta ausgestellter Stuhl von Karl Gräser
Gräser-Höhle bei Losone, Ascona
Gräser-Höhle bei Losone, Ascona

Karl Gräser (* 1875 in Kronstadt, Siebenbürgen, Österreich-Ungarn; † 1920 in Kassel) war ein österreichisch-ungarischer Offizier und Aussteiger. Er gilt als Mitbegründer der Reformsiedlung Monte Verità bei Ascona.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Karl Gräser war ein Sohn des Ehepaares Carl Samuel Gräser (1839–1894) und Charlotte, geborene Pelzer.[1] Er hatte zwei jüngerer Brüder. Gustav (genannt Gusto) (1879–1958) war ein Schüler des Künstlers und Aussteigers Karl Wilhelm Diefenbach und lebte anfänglich, aber nur für kurze Zeit auch auf dem Monte Verità. Bruder Ernst (1884–1944) war Maler und Grafiker.

Vor seinem Ausstieg aus dem bürgerlichen Leben war Karl Gräser als Offizier in der österreichischen Festungsstadt Przemyśl (Galizien) stationiert. Dort lernte er Leopold Wölfling kennen, den ehemaligen Erzherzog Leopold Ferdinand von Österreich-Toskana und Ururenkel des österreichischen Kaisers Leopold II., der alle Adelstitel abgelegt und eine ehemalige Prostituierte geehelicht hatte. Beide empfanden tiefe Verachtung für den soldatischen Drill, „die geistlose Zurichtung des Körpers wie des Verstandes zu militärischen Zwecken“[2] und gründeten die Vereinigung Ohne Zwang. Karl wurde deren Geschäftsführer und Leopold ihr Präsident. Der Vereinsname verwies auf die Ideen des Frühsozialisten Charles Fourier, dessen Philosophie Karl Gräser schätzte. „Alles, was sich auf Zwang gründet“, so hatte Fourier unter anderem formuliert, „ist hinfällig und Mangel an Geist“.[3]

Im Spätsommer 1899 begab sich Karl Gräser nach Veldes, damals zu Österreich und heute zu Slowenien gehörig. Dort betrieb der „Heliopath“ und medizinische Autodidakt Arnold Rikli die Naturheilanstalt Mallerbrunn. Grund für den Aufenthalt scheint eine ernste Erkrankung gewesen zu sein.[4]

Während seiner Kur entwickelte sich zwischen Gräser und zwei Patienten, die etwa zur selben Zeit in Riklis Sanatorium wohnten, eine intensive Beziehung. Bei den beiden handelte es sich um den belgischen Industriellensohn Henri Oedenkoven und die Siebenbürger Musiklehrerin Ida Hofmann. Die Drei entdeckten, dass sie bei aller Unterschiedlichkeit ein gemeinsames Anliegen verband: „ein neues Leben, in dem die Herkunft wie ausradiert war und die Zukunft Gestalt annahm“.[5]

Ein gutes Jahr später traf sich Karl Gräser, der inzwischen aus dem Militärdienst ausgeschieden war, erneut mit seinen ehemaligen Mitpatienten. Vereinbarter Treffpunkt war die Wohnung der Hofmanns in München-Schwabing. Dort lebten Idas Mutter sowie ihre beiden Schwestern, Lilly (eigentlich Julia) und die ausgebildete Opernsängerin Jenny (eigentlich: Eugénie). Letztere war von Ida zur Planungsrunde eingeladen worden und sollte sich später mit Karl Gräser in einer sogenannten Reformehe verbinden. Zum Treffen erschienen auch die Berliner Bürgermeisterstochter und Aussteigerin Lotte Hattemer, deren zeitweiliger Begleiter, der Grazer Gutsbesitzerssohn Ferdinand Brune sowie – unangekündigt – Karls Bruder Gusto. Beschlossen wurde, dass „Henris Plan“,[6] die Gründung einer „vegetabilen Kooperative“, am Ufer eines der oberitalienischen Seen umgesetzt werden sollte und dass man, um ein entsprechendes Gelände zu finden, sich unverzüglich – und zwar zu Fuss – auf den Weg machen wollte. Ferdinand Brune musste zurückbleiben, da außer Lotte Hattemer ihn niemand in der Gruppe für projekttauglich hielt.[7] Auch Gusto Gräser verweigerte die Gruppe mehrheitlich die Teilnahme. Da Bruder Karl sich aber für ihn einsetzte, durfte er, allerdings nur geduldet, sich mit auf den Weg in Richtung Süden machen. Jenny Hofmann blieb vorerst in München zurück, um sich um die kranke Mutter zu kümmern.

Nicht in Oberitalien, sondern bereits in Ascona am Lago Maggiore wurde die Aussteigergruppe nach intensiver Suche fündig. Ins Blickfeld trat der Monte Monescia, ein Hügel mit einer Höhe von gut 300 Metern.[8] Mit Geldern, die vor allem aus Oedenkovens Besitz stammten, wurden im Spätherbst 1900 vier Hektar des Hügels erworben und anschließend der Monte Monescia in Monte Verità (=Berg der Wahrheit) umbenannt.

Im Jahr 1900 hielt Karl Gräser zusammen mit Gusto Vorträge in Zürich. Im Dezember 1901 spaltete sich die Bewegung am Monte Verità. Karl Gräser verließ die Gruppe, um in unmittelbarer Nachbarschaft seinen eigenen Idealen zu folgen.[9] Er lebte in „freier Ehe“ mit Ida Hofmanns Schwester Jenny, einer Pianistin und Erzieherin. Ein „radikal konsequentes Leben ohne Geld“, das die beiden jedoch praktisch nie vollständig erreichten, gehörte insbesondere zu ihrem Lebenskonzept.[10] Im sogenannten Gräser-Haus lebte Gräser bis zu seiner Erkrankung im Jahr 1915.[11] Er starb 1920 in Kassel.[12]

„Gräsers gingen in ihren Theorien noch viel weiter als Oedenkoven. Sie verschmähten jede Hilfe. Nur was der Mensch mit seiner eigenen Kraft, mit seiner eigenen Hände Arbeit sich schaffen könne, sei ihm gemäss und gut. Nicht einmal der Tiere oder der Maschinen dürft er sich bedienen. Kraft stehlen heisse, die Natur betrügen.“

Käthe Kruse: In: Karl Gräser. ticinarte[11]

„Gräser ist der erste Mensch, der mir begegnet ist, der mit starrer Konsequenz das, was er theoretisch als richtig erkannt hat, in die Praxis umsetzt.“

Erich Mühsam: In: Ascona. Verlag Birger Carlson, Locarno, 1905, S. 40

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Adolf Grohmann: Die Vegetarier-Ansiedlung in Ascona und die sogenannten Naturmenschen im Tessin. Carl Marhold, 1904, S. 33–39.
  • Andreas Schwab: Monte Verità – Sanatorium der Sehnsucht. 1. Auflage. Orell Füssli, Zürich 2003, ISBN 978-3-280-06013-1.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Karl Gräser, Anarchist und Naturmensch. In: ticinARTE. Archiviert vom Original am 1. Dezember 2017; abgerufen am 17. November 2017.
  • Christian Hütterer: Zauberberg der Aussteiger. In: Wiener Zeitung vom 28. Juni 2020 (abgerufen am 17. Oktober 2022)

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Gusto Gräser. Monte Verità Archiv Freudenstein, abgerufen am 17. November 2017.
  2. Stefan Bollmann: Monte Verità 1900. Der Traum vom alternativen Leben beginnt. DVA: München 2017. ISBN 978-3-421-04685-7. S. 23
  3. Zitiert nach Stefan Bollmann: Monte Verità 1900. Der Traum vom alternativen Leben beginnt. DVA: München 2017. S. 25
  4. Syphilis? Siehe dazu Stefan Bollmann: Monte Verità 1900. Der Traum vom alternativen Leben beginnt. DVA: München 2017. ISBN 978-3-421-04685-7. S. 23; 305
  5. Stefan Bollmann: Monte Verità 1900. Der Traum vom alternativen Leben beginnt. DVA: München 2017. ISBN 978-3-421-04685-7. S. 25
  6. Gemeint ist Henri Oedenkoven. So bezeichnete Ida Hofmann in ihrer Chronik die Idee eines vegetabilen Siedlungsprojektes; zitiert nach Robert Landmann: Ascona Monte Verità. Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1979, S. 19.
  7. Stefan Bollmann: Monte Verità 1900. Der Traum vom alternativen Leben beginnt. DVA: München 2017. S. 32
  8. Wandern am Lago Maggiore. In: alpenverein-kronach.de, 2006, (PDF; 438 kB), abgerufen am 26. März 2017.
  9. Andreas Schwab: Das Terrain ist besetzt. Mythos Monte Verità. In: Hans-Caspar Bodmer, Ottmar Holdenrieder, Klaus Seeland (Hrsg.): Mythos Monte Verità. Landschaft, Kunst, Geschichte. ISBN 3-7193-1230-5.
  10. Andreas Schwab: Monte Verità – Sanatorium der Sehnsucht. 1. Auflage. Orell Füssli, Zürich 2003, ISBN 978-3-280-06013-1.
  11. a b Karl Gräser, Anarchist und Naturmensch. In: ticinARTE. Archiviert vom Original am 1. Dezember 2017; abgerufen am 19. November 2017.
  12. Christian Hütterer: Zauberberg der Aussteiger. In: Wiener Zeitung vom 28. Juni 2020 (abgerufen am 17. Oktober 2022)