Kassatorische Entscheidung

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Eine kassatorische Entscheidung (von frz. casser‚ kaputt machen, zerstören), oder kurz Kassation, ist eine aufhebende Rechtsmittelentscheidung, nach der die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen wird. Im Unterschied dazu ergeht bei einer reformatorischen Entscheidung eine neue Sachentscheidung durch die Rechtsmittelinstanz selbst.[1]

Gerichte, die nur eine kassatorische Befugnis haben, werden Kassationsgerichte genannt.

Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im deutschen Prozessrecht[2] gibt es kein als Kassation bezeichnetes Rechtsmittel. Am ehesten entspricht die Revision dem, was in anderen Staaten als Kassation bezeichnet wird. Allerdings besteht in Deutschland die Möglichkeit, dass das Revisionsgericht das Urteil des unteren Gerichts aufhebt und dann sofort selbst entscheidet, anstatt (was häufiger geschieht) die Sache an das untere Gericht zurückzuverweisen. Diese Möglichkeit besteht in mehreren Gerichtsbarkeiten[3].

Österreich[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Zivil- und im Strafverfahrensrecht entscheidet z. B. bei einer Berufung das Rechtsmittelgericht kassatorisch im Falle von Verfahrensfehlern (Nichtigkeitsgründe und sonstige Verfahrensmängel) und reformatorisch im Fall von Entscheidungsfehlern (unrichtige Sachverhaltsfeststellung, unrichtige rechtliche Beurteilung).[4]

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei Bescheidbeschwerden seit dem 1. Juli 2012 nicht mehr auf kassatorische Entscheidungen beschränkt, sondern kann im Interesse der Prozessökonomie auch in der Sache selbst entscheiden.[5] Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs sind die Verwaltungsgerichte gem. § 28 VwGVG[6] grundsätzlich zu einer reformatorischen Entscheidung verpflichtet.[7]

Schweiz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der bundesgerichtlichen Zivilrechtsprechung sind bei der Wahl zwischen den beiden Entscheidarten «reformatorisch» oder «kassatorisch» vielfach verfahrensökonomische Gesichtspunkte wegleitend. Den Ausschlag erhält dabei meist der reformatorische Entscheid, einhergehend mit einer Negierung der Kassation.[8][9]

Bei einem Zivilprozess ist die Berufung (Art. 308ff ZPO) immer reformatorisch (BSK Art 310 ZPO Rz 5), wobei die Beschwerde (Art. 319ff ZPO) reformatorisch oder kassatorisch (BSK Art. 327 ZPO Rz 12) sein kann.[10]

Italien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

siehe Corte Suprema di Cassazione

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Rechtsmittel − Allgemeines (Memento vom 16. Mai 2018 im Internet Archive) Universität Zürich 2016, S. 5
  2. zur Prozeßökonomie im Prozeßrecht: Christoph von Mettenheim: Der Grundsatz der Prozeßökonomie im Zivilprozess. Duncker & Humblot, Berlin 1970, DNB 457587474.
  3. Strafrecht: § 354 StPO. Zivilrecht: § 563 ZPO. Verwaltungsrecht: § 144 VwGO. Steuerrecht: § 126 FGO. Sozialrecht: § 170 SGG.
  4. vgl. beispielsweise OGH, Entscheidung vom 6. Juni 2016 - 17Os4/16s (17Os5/16p.17Os11)
  5. Wolfgang Berger, Wilhelm Bergthaler: Die neuen Verwaltungsgerichte: reformatorischer Mut oder kassatorisches Karussell? (Memento vom 16. Mai 2018 im Internet Archive) Recht der Umwelt 2012, S. 69–70
  6. Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG) RIS, abgerufen am 15. Mai 2018
  7. VfGH: Verwaltungsgerichte haben die grundsätzliche Verpflichtung zur reformatorischen Entscheidung Website der Verwaltungsrichter-Vereinigung, 21. August 2014
  8. Beat Brändli: Prozessökonomie im schweizerischen Recht – Grundlagen, bundesgerichtliche Rechtsprechung und Auswirkungen im schweizerischen Zivilprozess Universität St. Gallen 2013, Rdnr. 352
  9. Lukas Handschin, Christof Truniger: Von der «kassatorischen Natur» der Anfechtungsklage nach Art. 75 ZGB SJZ 2003, S. 142–144
  10. Karl Spühler, et al: Basler Kommentar Zivilprozessordnung. Ed. 1 Auflage. Helbing & Lichtenhahn Verlag AG, Basel 2010, ISBN 978-3-7190-3230-2.