Kernbrennstoff

Kernbrennstoff (englisch special nuclear material[1] oder englisch fissile material oder englisch nuclear fuel) ist das Material, in dem die Spaltreaktion in einer kritischen Anordnung (z. B. Kernreaktor) stattfinden kann.[2] Eine weitere Bezeichnung ist Spaltstoff.
Jeder Kernbrennstoff enthält mindestens ein spaltbares Nuklid, meist das Isotop 235U; auch das einzelne spaltbare Nuklid wird manchmal als Kernbrennstoff bezeichnet. Es gibt verschiedene Kernbrennstoffe für die verschiedenen Reaktortypen, siehe die Abschnitte weiter unten.
Der wohl bekannteste Kernbrennstoff ist Uran. Das Schwermetall wird heute in den meisten modernen Leistungsreaktoren nicht als Natururan (viz. nicht angereichert), sondern in schwachangereicherter Form verwendet. Brennstoff bzw. Brennelemente (englisch nuclear fuel assembly) werden als abgebrannt bezeichnet, wenn diese nicht mehr maßgeblich zur Wärmeproduktion im Reaktor beitragen kann und ersetzt werden müssen. Man spricht auch von verbrauchtem Kernbrennstoff.
Im kommerziellen Kontext ist der Kernbrennstoff Uran Teil der Kernenergiewirtschaft, genauer der Uranwirtschaft.
Definition Kernbrennstoffe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im dt. Atomgesetz (AtG) wird der Begriff wie folgt spezifiziert:[3]
1. Plutonium-239 und Plutonium-241,
2. mit den Isotopen 235 oder 233 angereichertes Uran,
3. jeder Stoff, der einen oder mehrere der in den Nummern 1 und 2 genannten Stoffe enthält, oder
4. Stoffe, mit deren Hilfe in einer geeigneten Anlage eine sich selbst tragende Kettenreaktion aufrechterhalten werden kann und die in einer Rechtsverordnung bestimmt werden.[4]Kernbrennstoffe können nach ihrer chemischen Beschaffenheit oder ihrer technischen Anwendungsform unterschieden werden. Die Veränderung der Zusammensetzung und weiterer Eigenschaften über die Gebrauchsdauer wird als Abbrand bezeichnet.
In den USA regelt der Atomic Energy Act von 1954 (U.S. Code Titel 42 Division A[5]) alle Details zur Nutzung der Kernenergie und selbstverständlich auch Kernbrennstoffen[6].
Weitere Spaltstoffe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Weitere Spaltstoffe sind auch die Isotope Am-242m, Cm-243, ..., Cf-249.[7][8]
Brutstoffe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Von den Kernbrennstoffen zu unterscheiden sind, umgangssprachlich, „Brutstoffe“, aus denen im Reaktorbetrieb neuer Kernbrennstoff „erbrütet“ werden kann. Die Brutstoffe werden manchmal auch als schwache Kernbrennstoffe bezeichnet.[9] Damit sind primär die fertilen Isotope Uran-238 oder Thorium-232 gemeint.[10] Aus ersterem wird Plutonium-239, aus letzterem wird Uran-233 synthetisiert.
Transurane
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im laufenden Reaktorbetrieb entstehen durch Neutroneneinfang im Kernbrennstoff weitere spaltbare Nuklide (Transurane), wie beispielsweise, wie im Atomgesetz erwähnt, die Isotope Plutonium-239 oder Pu-241. Plutonium-240 hingegen ist ein Neutronengift, d. h. es hat einen hohen Wirkungsquerschnitt (Wahrscheinlichkeit) für den Neutroneneinfang gegenüber Spaltung.
Transurane unterscheiden sich hinsichtlich ihrer möglichen Nutzbarkeit/Entsorgung von den radioaktiven Spaltprodukten. Plutonium wird in MOx Brennelementen wiederverwendet bzw. verbrannt.[11][12]
Chemische Unterteilung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Oxidische Kernbrennstoffe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die große Mehrheit der in Leistungsreaktoren verwendeten Kernbrennstoffe ist oxidisch, z. B. die Moleküle UO2[13][14] bzw. PuO2. Sie werden primär in Leichtwasserreaktoren eingesetzt. Ihre Vorteile sind die thermische und chemische Stabilität bis in relativ hohe Temperaturbereiche. Zu den Nachteilen gehören die geringe thermische Leitfähigkeit.[15]
Metallischer Kernbrennstoff
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Metallisches Uran wurde ursprünglich in einigen Kernreaktoren verwendet. Beispiele sind Chicago Pile, EBR-1, EBR-2 oder Magnox-Reaktoren. Die Massen-Exploration und Produktion von metallischem Uran seit dem Manhattan-Projekt, seine große Wärmeleitfähigkeit sowie die hohe Dichte waren dafür ausschlaggebend. Aufgrund der Reaktionsfreudigkeit mit Wasser, spontanen Dichteänderungen bei gewissen Temperaturen sowie dem Anschwellen während des Betriebs findet metallischer Kernbrennstoff in Leistungsreaktoren keine Verwendung mehr. Metallisches Uran kommt weiterhin in schwach- bis hochangereicherter Form in Forschungsreaktoren zum Einsatz.
Andere feste Kernbrennstoffe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Zuge der Weiterentwicklung von Reaktorsystemen („vierte Generation“) gibt es Konzepte zu carbidischen und nitridischen Kernbrennstoffen. Dabei stehen die Vorteile keramischer Stoffe im Vordergrund. Zum Teil wurden diese bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren erprobt, aber zugunsten der Oxide nicht weiter verfolgt. Die Vorteile liegen bei der höheren Dichte, vergleichbar hoher Schmelztemperatur und grob zehnfach höherer Wärmeleitfähigkeit im Vergleich zum Oxid.
Flüssige Kernbrennstoffe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine weitere Entwicklung sind die Salzschmelzen, in denen der Brennstoff aufgelöst wird. Ein Beispiel ist FLiNaK. Durch die flüssige Phase ergeben sich ganz andere technologische Möglichkeiten und Herausforderungen an das Reaktordesign. Vorteile sind u. a. eine mögliche kontinuierliche Reinigung von Spaltprodukten, der hohe mögliche Temperaturbereich und der Wegfall der Brennelementherstellung. Ein großer Nachteil ist die Korrosivität der Salze. Zusammen mit wässrigen Uranlösungen wurden auch diese Konzepte bereits früher untersucht, dann aber nicht weiter verfolgt. Auch sie erleben im Rahmen der vierten Generation neue Aufmerksamkeit.
Technologische Unterteilung fester Kernbrennstoffe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Brennstäbe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Brennstäbe sind mit Abstand die am weitesten verbreitete Form von Kernbrennstoff. Typischerweise umschließt ein mehrere Meter langes, gasdichtes Hüllrohr einen Stapel von keramischen Brennstoff-Presslingen (Pellets). Keramischer Brennstoff kann aber auch in Form einer Granulat-Schüttung (siehe Pac-Kügelchen) verwendet werden. Das Hüllrohr besteht bei Leichtwasser- und Schwerwasserreaktoren aus Zirkalloy, bei Brutreaktoren aus Edelstahl.
Die Brennstäbe werden nicht einzeln verwendet, sondern bei allen Reaktortypen zu Bündeln (Brennelementen) zusammengefasst.
Brennelemente für Hochtemperaturreaktoren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hochtemperaturreaktoren verwenden Kernbrennstoff, der – etwa in Form kleiner UO2-Körner[16] – in Graphit eingebettet ist. Diese Brennelemente sind bei manchen Konstruktionen tennisballgroße Kugeln, bei anderen senkrechte Säulen von prismatischem Querschnitt.[16]
Brennelemente für Forschungsreaktoren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In manchen Forschungs- und Ausbildungsreaktoren wurden und werden besondere Kernbrennstoffe benutzt: im Siemens-Unterrichtsreaktor Platten aus Polyethylen, die Uranoxid (U3O8)-Pulver enthielten; im TRIGA-Reaktor eine Verbindung von Uran, Zirkonium und Wasserstoff; im Münchner Forschungsreaktor FRM II speziell geformte Platten aus Uransilicid-Aluminium-Dispersionsbrennstoff.
Kernmaterialüberwachung und Sicherheit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Umgang mit Kernbrennstoffen ist gesetzlich durch das Atomgesetz geregelt. Im Zusammenhang mit Kernwaffen gibt der Nichtverbreitungsvertrag die Überwachung von Kernmaterial vor. Des Weiteren und im experimentellen Kontext spielt die Kritikalitätssicherheit eine wichtige Rolle im Umgang mit Kernmaterial.[17]
Literatur (Auswahl)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hinweis: Kernbrennstoffe werden einführend in jedem Standardwerk zur Kernenergie oder Kerntechnik behandelt. Spezialgebiete sind die Physik/Chemie der Kernbrennstoffe und Actinoide, die Metallurgie der Kernbrennstoffe, Technik der Brennelemente und Wissenschaft der nichtnuklearer Materialien. Dazu gibt es jeweils einzelne Abhandlungen. Die folgende Literaturauswahl gibt nur einen groben Überblick über das breite Themengebiet.
Standardwerke
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- J. F. Hogerton, R.C. Grass (Hrsg.): The Reactor Handbook. Vol. 3. Materials. AEC, 1953, doi:10.2172/4384109 (englisch).
- David H. Gurinsky, G. J. Dienes (Hrsg.): Nuclear Fuels (= James G. Beckerley [Hrsg.]: The Geneva Series on the Peaceful Uses of Atomic Energy). D. Van Nostrand, New York 1956 (englisch).
- Walter D. Wilkinson, William F. Murphy: Nuclear Reactor Metallurgy. D. Van Nostrand Company, Princeton, NJ 1958 (englisch).
- B. R. T. Frost, M. B. Waldron: Reaktorwerkstoffe (= Kerntechnik in Einzeldarstellungen (Nuclear Engineering Monographs). Band 7). Vieweg+Teubner Verlag (Temple Press), Wiesbaden 1959, ISBN 978-3-663-03984-6, doi:10.1007/978-3-663-05430-6.
- Clifford A. Hampel (Hrsg.): Rare Metals Handbook. 2. Auflage. Reinhold Publishing, London 1961 (englisch, archive.org).
- Manson Benedict, Thomas H. Pigford, Hans Wolfgang Levi: Nuclear Chemical Engineering (= McGraw-Hill Series in Nuclear Engineering). 2. Auflage. McGraw-Hill, New York 1981, ISBN 978-0-07-004531-6 (englisch, archive.org).
- Brian R. T. Frost: Nuclear Fuel Elements. Pergamon Press, Oxford 1982 (englisch, archive.org).
- Karl Whittle: Nuclear Materials Science. 2. Auflage. IOP Publishing, Bristol, UK 2020, ISBN 978-0-7503-2376-5 (englisch, iop.org).
Referenzwerke
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- R. J. M. Konings, R. E. Stoller: Comprehensive Nuclear Materials. 2nd Auflage. Elsevier, San Diego, CA 2020, ISBN 978-0-08-102866-7 (englisch, sciencedirect.com). 7 Bände
Historisch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- John F. Hogerton: Atomic fuel. United States Atomic Energy Commission (AEC) 1963 (englisch, osti.gov).
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Special Nuclear Material. NRC, abgerufen am 2. April 2025 (amerikanisches Englisch).
- ↑ Sudhir Mishra, Joydipta Banerjee, Jose P. Panakkal: Fabrication of Nuclear Fuel Elements. In: Nuclear Fuel Cycle. Springer Nature Singapore, Singapore 2023, ISBN 978-981-9909-48-3, S. 81–116, doi:10.1007/978-981-99-0949-0_3 (englisch, springer.com [abgerufen am 11. September 2023]).
- ↑ AtG - Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren. Abgerufen am 2. April 2025.
- ↑ § 2 AtG - Einzelnorm. Abgerufen am 12. Mai 2022.
- ↑ 42 U.S. Code Chapter 23 Division A - Atomic Energy. Abgerufen am 2. April 2025 (englisch).
- ↑ 42 U.S. Code Chapter 23 Subchapter V Division A - SPECIAL NUCLEAR MATERIAL. Abgerufen am 2. April 2025 (englisch).
- ↑ Yigal Ronen: A Rule for Determining Fissile Isotopes. In: Nuclear Science and Engineering. Band 152, Nr. 3, März 2006, ISSN 0029-5639, S. 334–335, doi:10.13182/NSE06-A2588 (englisch, tandfonline.com [abgerufen am 2. April 2025]).
- ↑ Yigal Ronen: Some remarks on the fissile isotopes. In: Annals of Nuclear Energy. Band 37, Nr. 12, Dezember 2010, S. 1783–1784, doi:10.1016/j.anucene.2010.07.006 (englisch, elsevier.com [abgerufen am 2. April 2025]).
- ↑ Hans-Josef Allelein: Kernkraftwerke. In: Energietechnik. Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden 2022, ISBN 978-3-658-34830-4, S. 103–183, doi:10.1007/978-3-658-34831-1_5 (springer.com [abgerufen am 11. September 2023]).
- ↑ Fertile material. NRC, abgerufen am 2. April 2025 (amerikanisches Englisch).
- ↑ N. N. Egorov, V. M. Murogov, V. S. Kagramanian, M. F. Troyanov, V. M. Poplavski, V. I. Matveev: Management of Plutonium in Russia. In: Mixed Oxide Fuel (Mox) Exploitation and Destruction in Power Reactors. Springer Netherlands, Dordrecht 1995, ISBN 978-90-481-4549-2, S. 1–15, doi:10.1007/978-94-017-2288-9_1 (englisch, springer.com [abgerufen am 2. April 2025]).
- ↑ Jürgen Krellmann: MOX Fuel Technology and MOX Performance in Germany; Plutonium Handling Experience. In: Mixed Oxide Fuel (Mox) Exploitation and Destruction in Power Reactors. Springer Netherlands, Dordrecht 1995, ISBN 978-90-481-4549-2, S. 225–233, doi:10.1007/978-94-017-2288-9_22 (springer.com [abgerufen am 2. April 2025]).
- ↑ Vera Haase, Hannelore Keller-Rudek, Livio Manes, Brigitte Schulz, Gustav Schumacher, Dieter Vollath, Heinz Zimmermann: U Uranium. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg 1986, ISBN 978-3-662-10721-8, doi:10.1007/978-3-662-10719-5 (englisch, springer.com [abgerufen am 2. April 2025]).
- ↑ Leo F. Epstein: Uranium Dioxide: Properties and Nuclear Applications. In: Nuclear Science and Engineering. Band 14, Nr. 3, November 1962, ISSN 0029-5639, S. 319–320, doi:10.13182/NSE62-A26226 (englisch, tandfonline.com [abgerufen am 2. April 2025]).
- ↑ Oak Ridge National Laboratory: Thermophysical Properties of MOX and UO2 Fuels including the Effects of Irradiation. Oak Ridge National Laboratory, September 2000, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 2. Juli 2015; abgerufen am 19. April 2016.
- ↑ a b IAEA: High Temperature Gas Cooled Reactor Fuels and Materials. März 2010, S. 5, abgerufen am 21. April 2016.
- ↑ Douglas G. Bowen: Nuclear Criticality Safety. In: Encyclopedia of Nuclear Energy. Elsevier, 2021, ISBN 978-0-12-819732-5, S. 334–342, doi:10.1016/b978-0-12-819725-7.00181-1 (englisch, elsevier.com [abgerufen am 2. April 2025]).