Kinderwagen








Der Kinderwagen ist ein Transportmittel, mit dem Säuglinge und Kleinkinder im Liegen oder im Sitzen befördert werden.
Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Im Europa des Mittelalters wurden die hier zwischen 1170 und 1250 eingeführten Schubkarren für den Transport von Kindern verwendet.
Quellen zufolge hat etwa Mitte des 16. Jahrhunderts ein Tischler erstmals ein Transportwägelchen gebaut, das für sein einjähriges Kind gedacht war. Davor wurden die Kinder in Tüchern, Körben und Holzsäcken herumgetragen, die teilweise auch an Lasttieren festgeschnallt wurden, oder sie wurden in den genannten Schubkarren transportiert. Vor 1800 wurden die kleinen Wagen nur sehr vereinzelt dazu verwendet, Kinder zu befördern. Die Kinder mussten dabei sitzen und wurden von Hunden oder Ziegen gezogen. Je besser die Straßen wurden, desto mehr wurden leiterwagenähnliche Wägelchen benutzt, die auf Bestellung von einigen wenigen Tischlern gefertigt wurden.[1]
Der Kinderwagen für die Straße hat sich aus dem Stubenwagen entwickelt, einem mit Rädern versehenen Kinderkörbchen, das innerhalb der Wohnung benutzt wurde. Erfunden wurde er in Großbritannien, wo es zu Beginn des 19. Jahrhunderts üblich wurde, mit Kleinkindern täglich Spaziergänge zu machen. 1840 wurde in England die erste Fabrik für Kinderwagen gegründet. Die ersten Modelle waren sehr hoch und hatten drei Räder; sie waren so konstruiert, dass die Babys darin nur sitzen konnten. Für die ersten Lebensmonate waren diese Wagen daher nicht geeignet. Einige Jahre später wurde das neue Gefährt, im Englischen und gelegentlich auch im Deutschen als Perambulator[2] bezeichnet, am englischen Königshof eingeführt. 1855 notierte ein Beobachter: „Die Straßen von London sind voller Kinderwagen, die mir bisher unbekannt waren und in denen die Babys von ihren Kindermädchen geschoben statt gezogen werden.“ 1880 wurden die ersten Modelle konstruiert, in denen der Säugling liegen konnte. Der Aufsatz bestand aus einem Korb aus Weidengeflecht, das Gestell hatte nun vier Räder.[3]
Mitte des 19. Jahrhunderts gründete der Stellmacher Ernst Albert Naether in Zeitz eine Firma zur Herstellung von Kinderwagen, die zu DDR-Zeiten in den volkseigenen Betrieb Zekiwa umgewandelt wurde. Der größte deutsche Hersteller von Kinderwagen in der Zeit vor 1945 war die Brandenburger Firma „Brennabor“, die 1871 aus einem Korbmachergeschäft hervorging. Nach Demontage und Enteignung bestand der Betrieb noch einige Jahre als VEB Brandenburger Kinderwagen und wurde dann in das Zeitzer Kinderwagenkombinat eingegliedert. Um die Konsumgüterproduktion in der DDR zu erhöhen mussten beispielsweise auch Betriebsstellen der Deutschen Reichsbahn, wie das Forschungs- und Entwicklungswerk Blankenburg (FEW), Kinderwagen herstellen. FEW produzierte ab 1959 sechsitzige Krippenwagen in Kleinserien.[4]
Die Entwicklung der Kinderwagen wurde im 20. Jahrhundert stark vom Automobilbau beeinflusst. So wiesen die Kinderwagen der 1950er Jahre oftmals Zierleisten und geschwungene Kotflügel auf. Seit den 1920er Jahren war das Gestell aus Stahl, die Räder waren deutlich kleiner als früher.
Kinderwagentypen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Folgende typische Varianten von Kinderwagen lassen sich unterscheiden.
Klassischer Kinderwagen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der klassische Kinderwagen besteht aus einem Korb oder einer abnehmbaren Tragetasche sowie einem Fahrgestell. Er ist für den liegenden Transport von Säuglingen gedacht. Heute sind sie auch unter dem Begriff Erstlingswagen bekannt. Kleinkindern sollte im Kinderwagen 35 × 78 cm Fläche zur Verfügung stehen.[5]
Sportwagen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Sport-Kinderwagen sind vorne offen und mit einer Fußstütze versehen. Hinten haben sie oft ein klappbares Verdeck und die Sitzlehne kann meistens verstellt werden. Der Sportwagen ist für den sitzenden Transport von Säuglingen und Kleinkindern im Alter von ein bis zwei Jahren gedacht.
Jogger[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Um 2000 wurden dreirädrige Sportwagen populär, die mit größeren Rädern ausgestattet das Joggen, also Laufen/Rennen, ja sogar Inline-Skaten des Erwachsenen beim Schieben des leichten "Joggers" ermöglichen. Zum Überwinden von Stufen wird mit Druck auf den breiten Schiebebügel hinten das eventuell passiv mitlenkende, kleinere Vorderrad angehoben. Am Bügel gezogen bzw. zurückgehalten lassen sich auch Treppen oder steilere Wege auf- und abwärts auf nur 2 Rädern bewältigen. Bremsen und oder Feststellmechanismus werden per Bowdenzug mit Fahrradbremshebeln (feststellbar) oder auch per Fußtrittbügel angesteuert. Damit ein Wagen, wenn der Erwachsene stolpert nicht entlaufen kann, führt er eine Hand durch eine textile Handschlaufe.
Mitunter kann das kleinere, vordere Rad abgebaut oder hochgeschwenkt werden, um hier eine 4-förmige Deichsel, meist aus Aluvierkantrohr anzustecken, die mittels einer Kupplung vom linken Hinterbau eines Fahrrades gezogen werden kann. Man nützt den Wagen dann als Radanhänger.
Typisch können die Hinterräder nach Druck auf einen mit Gummikappe gekapselten axialen Knopf entriegelt und samt etwa 7 cm langen Steckachsen abgezogen werden. Räder und Deichsel finden im leeren Innenraum Platz, Die Bügel und Streben, die die textile Sitzkabine aufspannen, können nach Lösen von Steckverbindungen nach vorne oder überlappende seitwärts nach innen geklappt werden. So findet der flach gefaltete Wagen leicht Platz in einem Transportkarton, in der Wohnung, Bus, Bahn oder Auto.
Entlaufunfälle[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Besonders auf großen Lufträdern leicht rollende Wagen können schon auf nur mäßig abschüssigen Wegen leicht entlaufen. Hohe Gefahr bergen Böschungen hinunter zu Gewässern, besonders, wenn diese fließen und kalt sind. Ein Unfall passierte in Österreich um 2018, als ein Kinderwagen just dort entlief, wo der Balken auf halber Höhe des Schutzgeländers zu einer Gewässerböschung fehlte. Nachdem um 2018 ein oder zwei katastrophale Unfälle auf Bahnsteigen passierten, werden Bahnsteige in Österreich mit signalorangen Halteschlaufen für Kinderwagen ausgerüstet, damit sich die Kinderwagenführenden nach Anschlaufen auch dem Ticketkauf am Automaten, anderen Kindern oder Aufgaben widmen können. Heimtückisch ist, dass Bahnsteige (zwar längs meist horizontal) zur sicheren Entwässerung ein Quergefälle zum Gleis hin aufweisen und Züge mit höherem Tempo als früher, also 80 oder 100 km/h durchfahren können. Insbesondere raue Güterzüge bewirken dabei einen mehrere Meter weit seitlich wirkenden Fahrtwind-Zug. Zumindest in einem Fall bewirkte dieser Luftzug in Verbindung mit dem Gefälle ein Losrollen des abgestellten Kinderwagens und weiter bis über die Bahnsteigkante ... Es gibt sehr einfache Trolleys, mit kleinen Doppelrädern ohne Feststellvorrichtung.
Kombi-Kinderwagen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Da ein klassischer Kinderwagen nur kurze Zeit genutzt werden kann, wurde der Kombi-Kinderwagen entwickelt. Er lässt sich vom klassischen Kinderwagen zum Sportwagen umbauen. Mittlerweile gibt es Kindertransportsysteme, welche als Kinderwagen, Buggy und Fahrradanhänger einsetzbar sind.
Buggy[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Als kompakt zusammenfaltbarer Sportwagen ist heute der Buggy weitverbreitet. Buggys sind viel handlicher, leicht und durch lenkbare Vorderräder sehr wendig. Entwickelt wurde dieser Kinderwagentyp 1965 von dem 1978 verstorbenen englischen Flugzeugkonstrukteur Owen Maclaren. Dieses neue Modell wurde aus Aluminium hergestellt und konnte im Gegensatz zu den bisherigen Kinderwagen zusammengeklappt werden. Die Produktion bei Maclaren wurde 1967 aufgenommen. Der große Erfolg dieser Buggys führte dazu, dass andere Hersteller eigene Produkte auf den Markt brachten. Wegen ihrer kleinen Räder eignen sich Buggys nur für befestigte Wege und kürzere Wegstrecken.
Spezielle Kinderwagen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Für den Transport von mehreren Kindern werden Kinderwagen unterschiedlicher Bauweisen angeboten. Dabei sind die Sitz- bzw. Liegeflächen neben- oder hintereinander angeordnet. Besondere Kinderwagen werden auch für Kleinkinder angeboten, die aufgrund einer Hüftdysplasie eine Spreizhose tragen müssen. Diese Spreizkinderwagen müssen im Hüftbereich eine breitere Liegefläche aufweisen. Es handelt sich dabei um einen aufspreizbaren Aufsatz. Für Kinder mit Spreizhose, -gips oder Spreizschienen kann so die entsprechende Breite eingestellt werden.[6]
Krippenwagen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der ursprüngliche Krippenwagen ist für den Transport von bis zu sechs Kleinkindern im Alter von ein bis drei Jahren gedacht. Er wurde in der DDR von den Kinderkrippen verwendet. Besonders geeignet ist er, um mit Kleinkindern größere Ausflüge zu machen. Mittlerweile haben ihn auch Tagesmütter und Kindertagesstätten in Westdeutschland entdeckt. Heute gibt es ein breites Angebot verschiedener Krippenwagen, darunter auch solche, die für zehn Kinder Platz haben. Moderne Krippenwagen weichen häufig ab von der klassischen Form. Sie wurden den ergonomischen Bedürfnissen der Kinderbetreuer angepasst und mit Gurten und anderen sicherheitsrelevanten Details ausgestattet. Weitere Extras sind zum Beispiel Sonnenschutz und Elektromotor. In der Regel werden Krippenwagen gemäß der Sicherheitsnorm EN 1888 oder nach den amerikanischen ASTM-Richtlinien zertifiziert.
Rehabuggy und Rehawagen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Für den Transport von Kindern mit Behinderung werden verschiedene Typen von Kinderwagen angeboten. Diese unterscheiden sich von herkömmlichen Kinderwagen durch eine höhere Tragfähigkeit und bessere Anpassungsmöglichkeiten. Rehabuggys sind aufgrund ihrer Falttechnik in der Regel leichter zu transportieren als Rehawagen. Dafür bieten Rehawagen meist einen besseren Fahrkomfort.
Kinderwagen mit Tretfunktion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die am Skateboarden orientierten Kinderwagen lassen sich durch die Integration eines Standbrettes zu einem Roller bzw. Longboard erweitern. Sie erlauben dem Fahrer, den Kinderwagen wie einen Tretroller zu nutzen und durch Gewichtsverlagerung zu steuern. Je nach Modell sind die Kinderwagen mit Tretfunktion mit einer Hand- oder Fußbremse ausgestattet. Es können Geschwindigkeiten von bis zu 15 km/h erreicht werden.[7] Der erste Kinderwagen mit Tretfunktion, genannt Roller Buggy, wurde im Jahr 2005 vom Produktdesigner Valentin Vodev entwickelt. Weiters hat sich auch der Kinderwagenhersteller Quinny für die Idee interessiert und beauftragte ein niederländisches Designstudio mit der experimentellen Entwicklung eines Kinderwagens mit Tretfunktion.[8]
Gurtsysteme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kinderwagen können entweder über integrierte Gurtsysteme verfügen, die ein Herausklettern verhindern sollen, oder über Befestigungspunkte, an denen ein separater Kinderschutzgurt angebracht werden kann. Integrierte Systeme sind häufig als 5-Punkt-Gurt ausgeführt, hierbei verhindert der Schrittgurt ein Durchrutschen nach unten.[9]
Werden Kinderwagen als Radanhänger gezogen, gilt für die Kinder darin in Österreich seit einigen Jahren Gurt- und Helmpflicht.
Sonstiges[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Im ehemaligen Kindergarten in Scharndorf an der Leitha Niederösterreich gibt es ein Kinderwagenmuseum mit Wagen zurückreichend bis 1842.[10][11]
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Der Kinderwagen. In: Stephen van Dulken: Das große Buch der Erfindungen. Ideen, die Geschichte machten. Übersetzt von Andreas Venzke (Originaltitel: Inventing the 19th Century. The Great Age of Victorian Inventions), Artemis und Winkler, Düsseldorf/Zürich 2005, ISBN 978-3-538-07187-2, S. 31 f.
Taschenbuchausgabe: insel taschenbuch 3236, Frankfurt am Main/Leipzig 2006, ISBN 978-3-458-34936-5. - Béatrice Fontanel, Claire D'Harcourt: Babys in den Kulturen der Welt. Übersetzt von Cornelia Panzacchi und Andrea Unseld (Originaltitel: Bèbès du monde), Gerstenberg, Hildesheim 2007. ISBN 978-3-8369-2957-8.
- Heinz Sturm-Godramstein: Kinderwagen gestern und heute. Erweiterte und aktualisierte Neuauflage, Book on Demand, Norderstedt 2001, ISBN 3-8311-2212-1.
Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Quellen und Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- ↑ Die Geschichte der Kinderwagen. Abgerufen am 13. April 2015.
- ↑ Wilhelm Liebknecht: Karl Marx zum Gedächtniß. Ein Lebensabriß und Erinnerungen. Nürnberg 1896, S. 75.
- ↑ Béatrice Fontanel/Claire d'Harcourt, Baby, Säugling, Wickelkind. Eine Kulturgeschichte, Hildesheim 1998, S. 184 ff.
- ↑ Dirk Endisch (Hrsg.): Bahntechnik aus dem Harz - das FEW Blankenburg. 1. Auflage. Verlag Dirk Endisch, Stendal 2021, ISBN 978-3-947691-12-8.
- ↑ Kinderwagen: Nur ein Wagen überzeugt im Test - (Stiftung Warentest; In: test.de vom 3. Februar 2015)
- ↑ Spreizkinderwagen. (Nicht mehr online verfügbar.) Ehemals im ; abgerufen am 13. April 2015. (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven.) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Catherine Osborne: „Scoot’n Stroll“, Azure, Toronto, Azure Publishing, Oktober 2007, S. 46, ISSN 0829-982X
- ↑ Greg Allen: "The Longboard Stroller, AKA The Quinny Jett Concept Daddytypes", vom 1. Juni 2013.
- ↑ Der Kinderwagen-Gurt: Hosenträger- oder 5-Punkt-Gurt? Bonavi, 17. Februar 2017, abgerufen am 13. Juni 2019.
- ↑ Fabian Fessler: Menschen im Blickpunkt : Die Frau mit den 196 Kinderwägen orf.at, 5. Februar 2023, abgerufen 5. Februar 2023.
- ↑ Kinderwagenmuseum Bayer kwm-bayer.at/, abgerufen 5. Februar 2023.